BFH Beschluss v. - X B 99/10

Sachliche Verflechtung i.S.d. Betriebsaufspaltung durch Überlassen eines Grundstücks

Gesetze: EStG § 15 Abs. 1 Nr. 1, GG Art. 20 Abs. 3

Instanzenzug:

Gründe

1 Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist die Revision nicht zuzulassen, wenn ein Zulassungsgrund zwar schlüssig geltend gemacht ist und vorliegt, aber das angefochtene Urteil des Finanzgerichts (FG) sich i.S. des § 126 Abs. 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) aus anderen Gründen als richtig erweist (Senatsbeschluss vom X B 25/08, BFH/NV 2008, 1673). Dies gilt auch, soweit geltend gemacht wird, das FG-Urteil sei wegen Verfahrensfehlern mangelhaft, wenn sich das Urteil mit anderer, von dem Verfahrensfehler unabhängiger Begründung rechtfertigen lässt (, BFHE 209, 217, BStBl II 2005, 750). Dies gilt im Fall der Verletzung des rechtlichen Gehöres jedenfalls dann, wenn sich die Gehörsverletzung nur auf einzelne Feststellungen bezieht, auf die es für die Entscheidung nicht ankommt (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 126 Rz 9).

2 Ausgehend von diesen Grundsätzen kommt es auf die von den Klägern und Beschwerdeführern (Kläger) geltend gemachten Gründe für die Zulassung der Revision nicht an, weil sich das Urteil aus anderen Gründen als zutreffend erweist:

3 1. Die Kläger machen geltend, das FG sei i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO von anderen von ihnen näher bezeichneten BFH- und FG-Entscheidungen abgewichen, indem es unterstellt habe, auch vor Ergehen des Senatsurteils vom X R 78/91 (BFHE 171, 476, BStBl II 1993, 718) sei jedes Ladenlokal als wesentliche Betriebsgrundlage zu beurteilen, welches die sachliche Verflechtung im Sinne einer Betriebsaufspaltung begründen könne. Hingegen habe die Altrechtsprechung das Vorliegen einer wesentlichen Betriebsgrundlage insbesondere dann verneint, wenn der Betrieb keinen Bezug zum Grundstück bzw. zum Gebäude gehabt habe.

4 Zudem weiche das angefochtene Urteil von ebenfalls näher bezeichneten BFH-Entscheidungen ab, indem es das Anbringen einer Rasterdecke zur bloßen Betonverkleidung als besondere Herrichtung bzw. Gestaltung des Gebäudes für besondere Zwecke des Betriebsunternehmens beurteile.

5 Ferner habe das FG zu Unrecht die klägerischen Beweisanträge übergangen. Durch diese sei unter Beweis gestellt worden, dass das zu beurteilende Grundstück keinen Lagevorteil geboten habe. Hierzu sei eine Vielzahl im Einzelnen benannter Indizien samt Beweisangeboten aufgeführt worden. Über diese Beweisanträge habe sich das FG hinweggesetzt. Ohne Beweis zu erheben habe das FG lediglich (zu Unrecht) unterstellt, das zu beurteilende Grundstück befinde sich in einer herausragenden Geschäftslage.

6 Schließlich sei die Revision auch zur Klärung der Rechtsfrage zuzulassen, ob die Grundsätze des Senatsurteils in BFHE 171, 476, BStBl II 1993, 718 mit verschärfender Wirkung auch in vor dem Jahr 1993 liegenden Veranlagungszeiträumen anwendbar seien. Zu klären sei auch, ob ein von dieser Rechtsprechungsänderung betroffenes Grundstück mit dem zum Zeitpunkt der Rechtsprechungsverschärfung vorhandenen Teilwert in das Betriebsvermögen zu überführen oder nach allgemeinen Grundsätzen zu bilanzieren sei.

7 2. Es entspricht der gefestigten Rechtsprechung des BFH, dass eine wesentliche Betriebsgrundlage i.S. der zur Betriebsaufspaltung entwickelten Grundsätze dann vorliegt, wenn das überlassene Grundstück für die Betriebsgesellschaft wirtschaftlich von nicht nur geringer Bedeutung ist. Dies setzt nicht zwingend voraus, dass die Betriebsführung durch die Lage des Grundstücks bestimmt wird oder das Grundstück auf die Bedürfnisse des Betriebs zugeschnitten bzw. es für Zwecke des Betriebsunternehmens hergerichtet oder gestaltet worden ist. Vielmehr wird eine sachliche Verflechtung bereits dann begründet, wenn feststeht, dass das Betriebsunternehmen aus innerbetrieblichen Gründen ohne ein Grundstück dieser Art den Betrieb nicht fortführen könnte (Senatsurteil in BFHE 171, 476, BStBl II 1993, 718; , BFH/NV 1999, 758; vom VIII R 11/99, BFHE 192, 474, BStBl II 2000, 621, und vom VIII R 71/98, BFH/NV 2001, 894). Notwendig für das Vorliegen einer wesentlichen Betriebsgrundlage ist allein, dass das Grundstück die räumliche und funktionale Grundlage für die Geschäftstätigkeit der Betriebsgesellschaft bildet und es ihr ermöglicht, ihren Geschäftsbetrieb auszuüben (, BFHE 198, 137, BStBl II 2002, 662; vom IX R 43/01, BFH/NV 2003, 910; vom IV R 25/05, BFHE 214, 343, BStBl II 2006, 804, und Senatsurteil vom X R 4/01, BFH/NV 2003, 41).

8 Die zur Beurteilung dieser Frage erforderlichen Tatsachen hat das FG festgestellt. Nach diesen Feststellungen betreibt die Betriebsgesellschaft einen Einzelhandel mit Textilien, insbesondere Bettwaren (Bettroste, Bettdecken, Matratzen), und die Raumausstattung (Gardinen und Jalousieanlagen, Polsterei). Die Gesellschaft betreibt ihr Unternehmen in den im Alleineigentum des Klägers stehenden Geschäftsräumen, die sie seit Januar 1978 anmietete. Im Erdgeschoss dieses Gebäudes befindet sich das Ladenlokal der Betriebsgesellschaft.

9 Bereits auf Grund dieser Feststellungen, die in der Beschwerdebegründung nicht angegriffen worden sind, ergibt sich, dass das Grundstück eine wesentliche Betriebsgrundlage ist. Denn es bildet die räumliche und funktionale Grundlage für das Handelsunternehmen der Betriebsgesellschaft. Ob das Grundstück über einen Lagevorteil verfügt oder die Baulichkeiten in besonderer Weise hergerichtet oder gestaltet sind, ist daher im Streitfall für das Vorliegen einer wesentlichen Betriebsgrundlage und damit für eine sachliche Verflechtung unerheblich.

10 3. Der beschließende Senat hat in dem sog. Dachdecker-Urteil in BFHE 171, 476, BStBl II 1993, 718 herausgearbeitet, für das Vorliegen einer sachlichen Verflechtung genüge es, dass die Betriebsgesellschaft zur Erreichung ihres Betriebszwecks ein Grundstück der überlassenen Art benötige, ohne dass es auf eine besondere Lage oder Gestaltung des Grundstücks ankomme. Diese Grundsätze sind auch für Veranlagungszeiträume, die vor dem Bekanntwerden dieses Urteils liegen, anzuwenden.

11 a) Präzisiert oder ändert der BFH im Wege der zulässigen Rechtsfortbildung (vgl. hierzu , Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2004, 691) die für die Betriebsaufspaltung geltenden Grundsätze, dann bewegt er sich im Bereich der Gesetzesauslegung, nicht aber der rückwirkenden Schaffung von Gesetzesrecht. Allerdings kann es nach der Rechtsprechung des Großen Senats des BFH geboten sein, in besonders gelagerten Fällen auf einen Wandel der Rechtsprechung diejenigen Grundsätze entsprechend anzuwenden, die bei rückwirkenden Gesetzen zu beachten sind, vorausgesetzt, dass eine solche Analogie nach Lage der Sache geboten ist (Beschluss des Großen Senats des , BFHE 220, 129, BStBl II 2008, 608, unter D.IV.2.b).

12 b) Eine solche Situation, die es rechtfertigt die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze erst mit Wirkung für die Zukunft anzuwenden, ist im Streitfall nicht gegeben. Die Rechtsprechung des erkennenden Senats im sog. Dachdecker-Urteil in BFHE 171, 476, BStBl II 1993, 718 enthält keine steuerverschärfende Abkehr von einer seit Jahrzehnten geltenden Rechtsprechung, auf deren Fortbestand die Steuerpflichtigen vertrauen durften. Vielmehr hat der erkennende Senat die Voraussetzungen für das Vorliegen einer sachlichen Verflechtung für Fälle der vorliegenden Art lediglich präzisiert (Senatsurteil vom X R 118/98, BFH/NV 2002, 1130). Eine Rechtsprechungsänderung hat das Senatsurteil in BFHE 171, 476, BStBl II 1993, 718 nur insoweit bewirkt, als der Senat in Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung angenommen hat, eine sachliche Verflechtung werde nicht dadurch ausgeschlossen, dass das Betriebsunternehmen jederzeit am Markt ein für seine Belange gleichwertiges Grundstück mieten oder kaufen könnte. Dass eine solche jederzeitige Ersetzbarkeit im Streitfall gegeben war, wird von den Klägern nicht behauptet. Die Problematik der jederzeitigen Ersetzbarkeit hat im Regelfall (nur) Bedeutung im Fall der Überlassung eines nicht in besonderer Weise gestalteten Bürogebäudes (vgl. BFH-Urteile in BFHE 192, 474, BStBl II 2000, 621, und vom VIII R 79/05, BFHE 222, 320, BStBl II 2008, 863). Dementsprechend ist in der Literatur (soweit ersichtlich) auch lediglich in Bezug auf die Überlassung von Büro- und Verwaltungsgebäuden die durch die Rechtsprechung bewirkte Ausdehnung des Anwendungsbereichs der Betriebsaufspaltung kritisch beurteilt worden (Gluth in Herrmann/Heuer/Raupach, § 15 EStG Rz 813 „Bürogebäude”, und in Carlé in Korn, § 15 EStG Rz 444; vgl. auch P. Fischer, Finanz-Rundschau 2001, 34).

13 c) Die unzutreffende Annahme, das in Frage stehende Grundstück sei keine wesentliche Betriebsgrundlage, war zum frühest möglichen Zeitpunkt aufzugeben; entsprechend musste das Grundstück nicht mit dem Teilwert, sondern mit dem Wert eingebucht werden, mit dem es bei von Anfang an richtiger Bilanzierung zu Buch stehen würde (Senatsurteil vom X R 23/05, BFHE 224, 61, BStBl II 2009, 407). Dies hat der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) beachtet. Dass das FA den Klägern eine abweichende Behandlung verbindlich zugesagt hat, haben diese nicht behauptet.

14 d) Im Übrigen geht es im Streitfall nicht um eine rückwirkende Anwendung der Grundsätze des Senatsurteils in BFHE 171, 476, BStBl II 1993, 718. Die genannte Entscheidung ist im Jahr 1993 veröffentlicht worden. Das FA hat daraus für die Besteuerung der Kläger aber erstmals für das Streitjahr 1995 Konsequenzen gezogen und das Grundstück —was ausweislich der eingereichten Bilanz zunächst auch der Rechtsauffassung der Kläger entsprach— als Betriebsvermögen behandelt. Da dies im Streitjahr ausschließlich Bedeutung für die Höhe der Absetzung für Abnutzung (AfA) hat, kann offenbleiben, ob —wie die Kläger meinen— ein etwaiger künftiger Veräußerungsgewinn insoweit einkommensteuerlich außer Ansatz bleiben müsse, als er auf stillen Reserven beruht, die bis zur Veröffentlichung des Senatsurteils in BFHE 171, 476, BStBl II 1993, 718 ohne Steuerbelastung hätten realisiert werden können. Jedenfalls würde aus dem von den Klägern herangezogenen Vertrauensschutzgedanken auch bei weitester Auslegung kein Anspruch auf Abzug von AfA in einer Höhe folgen, die sich nicht nach den tatsächlich vom Steuerpflichtigen getragenen Anschaffungs- und Herstellungskosten, sondern nach einem fiktiven (höheren) Teilwert der zum Betriebsvermögen gehörenden Wirtschaftsgüter im Zeitpunkt der Veröffentlichung des genannten Senatsurteils bemessen würde.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2012 S. 1110 Nr. 7
StuB-Bilanzreport Nr. 12/2012 S. 491
LAAAE-09977