BAG Urteil v. - 5 AZR 651/10

Widerruf der privaten Nutzung eines Dienstwagens - Auslauffrist

Gesetze: § 251 Abs 1 BGB, § 280 Abs 1 S 1 BGB, § 283 S 1 BGB, § 307 BGB, § 308 Nr 4 BGB, § 315 Abs 1 BGB, § 6 Abs 1 Nr 4 EStG

Instanzenzug: ArbG Oldenburg (Oldenburg) Az: 1 Ca 474/09 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Niedersachsen Az: 13 Sa 462/10 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über eine Entschädigung für die entgangene Privatnutzung eines Dienstwagens.

2Die Klägerin war bei der Beklagten, die Arbeitnehmerüberlassung betreibt, als Personal- und Vertriebsdisponentin auf der Grundlage des Anstellungsvertrags vom zu einem Bruttomonatsentgelt von 2.300,00 Euro beschäftigt.

In § 2 Nr. 3 des Arbeitsvertrags hieß es:

4Gemäß Dienstwagenvertrag vom stellte die Beklagte der Klägerin einen Pkw der Marke V als Dienstwagen zur Verfügung. Die Klägerin war berechtigt, das Fahrzeug auch für private Zwecke zu nutzen. Diese private Nutzung berücksichtigte die Beklagte in den Entgeltabrechnungen mit 277,00 Euro monatlich. Dieser Betrag entsprach einem Prozent des Listenpreises.

Im Dienstwagenvertrag war ua. geregelt:

6Das Arbeitsverhältnis endete aufgrund einer ordentlichen Kündigung der Klägerin zum . Nach Ausspruch der Kündigung stellte die Beklagte die Klägerin von der Arbeit frei und forderte die Rückgabe des Dienstwagens. Diese erfolgte am .

7Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, der Widerrufsvorbehalt benachteilige sie unangemessen. Der Entzug der Privatnutzung des Dienstwagens als ihrem einzigen Fahrzeug begründe einen Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung.

Die Klägerin hat, soweit für die Revision von Interesse, beantragt,

9Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Die Widerrufsklausel sei wirksam und sie habe bei der Ausübung des Widerrufs die Interessen der Parteien zutreffend abgewogen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht der Klage stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Zurückweisung der Berufung.

Gründe

11Die Revision der Beklagten ist im Wesentlichen unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Klägerin zu Recht einen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung für die entgangene private Nutzung des Dienstwagens für die Zeit vom 9. Juni bis zum zuerkannt. Der Anspruch besteht jedoch nur iHv. 203,13 Euro brutto nebst Prozesszinsen. Hinsichtlich des darüber hinausgehenden Betrags ist die Klage unbegründet.

12I. Die Klägerin hat gemäß § 280 Abs. 1 Satz 1 iVm. § 283 Satz 1 BGB einen Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung für die Zeit vom 9. Juni bis zum . Die Beklagte war nicht berechtigt, der Klägerin während der Dauer ihrer Freistellung die Möglichkeit zu entziehen, das ihr zur Verfügung gestellte Firmenfahrzeug für Privatfahrten zu nutzen. Die Widerrufsklausel hält zwar einer Inhaltskontrolle stand. Der Widerruf entsprach im Streitfall jedoch nicht billigem Ermessen.

131. § 7 des Dienstwagenvertrags, wonach sich die Beklagte vorbehalten hatte, die Überlassung des Dienstwagens zu widerrufen, wenn und solange der Pkw für dienstliche Zwecke seitens des Arbeitnehmers nicht benötigt werde, was insbesondere dann der Fall sei, wenn der Arbeitnehmer nach Kündigung des Arbeitsverhältnisses von der Arbeitsleistung freigestellt werde, ist wirksam.

14a) Der Dienstwagenvertrag enthält Allgemeine Geschäftsbedingungen iSd. § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB, denn die Beklagte hat diese vorformulierten Bedingungen mehreren Arbeitnehmern bei Überlassung eines Dienstwagens gestellt.

15b) Die Vereinbarung des Widerrufsvorbehalts weicht von Rechtsvorschriften ab, § 307 Abs. 3 BGB. Die Überlassung eines Firmenwagens auch zur privaten Nutzung stellt einen geldwerten Vorteil und Sachbezug dar. Sie ist steuer- und abgabenpflichtiger Teil des geschuldeten Arbeitsentgelts und damit Teil der Arbeitsvergütung. Die Gebrauchsüberlassung ist regelmäßig zusätzliche Gegenleistung für die geschuldete Arbeitsleistung ( - zu II 2 a der Gründe, AP BetrVG 1972 § 77 Auslegung Nr. 10 = EzA BetrAVG § 1 Nr. 78; - 9 AZR 294/06 - Rn. 24, AP BGB § 611 Sachbezüge Nr. 21 = EzA BGB 2002 § 307 Nr. 17; - 9 AZR 733/07 - Rn. 15, BAGE 130, 101; - 9 AZR 631/09 - Rn. 14, AP BGB § 611 Sachbezüge Nr. 23 = EzA EntgeltfortzG § 3 Nr. 17). Sie ist so lange geschuldet, wie der Arbeitgeber Arbeitsentgelt leisten muss ( - zu A II 1 b der Gründe, BAGE 96, 34). Diese Rechtslage wird durch das vertraglich vereinbarte Widerrufsrecht geändert, denn ohne den Widerrufsvorbehalt ist der Arbeitgeber nach § 611 Abs. 1 BGB verpflichtet, dem Arbeitnehmer während des Arbeitsverhältnisses die vereinbarte Privatnutzung eines Dienstwagens zu ermöglichen. Einseitige Leistungsbestimmungsrechte, die dem Verwender das Recht einräumen, die Hauptleistungspflichten einzuschränken, zu verändern, auszugestalten oder zu modifizieren, unterliegen einer Inhaltskontrolle ( - zu I 1 d der Gründe, AP BGB § 308 Nr. 6 = EzA BGB 2002 § 308 Nr. 6; - 5 AZR 191/10 - Rn. 10, AP BGB § 308 Nr. 9 = EzA BGB 2002 § 308 Nr. 12).

16c) Der Widerrufsvorbehalt ist nicht aus formellen Gründen unwirksam. Ein Widerrufsvorbehalt muss den formellen Anforderungen von § 308 Nr. 4 BGB gerecht werden. Bei den Widerrufsgründen muss zumindest die Richtung angegeben werden, aus der der Widerruf möglich sein soll, zB wirtschaftliche Gründe, Leistung oder Verhalten des Arbeitnehmers ( - BAGE 113, 140; - 5 AZR 721/05 - Rn. 28, 33 f., AP BGB § 308 Nr. 6 = EzA BGB 2002 § 308 Nr. 6; - 5 AZR 191/10 - Rn. 10, AP BGB § 308 Nr. 9 = EzA BGB 2002 § 308 Nr. 12; enger  - AP BGB § 308 Nr. 8 = EzA BGB 2002 § 308 Nr. 11). Dabei ist zu beachten, dass der Verwender vorgibt, was ihn zum Widerruf berechtigen soll. Diesem Transparenzgebot wird die Widerrufsklausel gerecht; denn hiernach ist ausdrücklich klargestellt, dass der Arbeitnehmer im Falle einer Freistellung mit dem Entzug der Privatnutzung rechnen muss.

17d) Die Widerrufsklausel ist materiell wirksam. Nach § 308 Nr. 4 BGB ist die Vereinbarung eines Widerrufsrechts zumutbar, wenn der Widerruf nicht grundlos erfolgen soll, sondern wegen der unsicheren Entwicklung der Verhältnisse als Instrument der Anpassung notwendig ist. Der Widerruf der privaten Nutzung eines Dienstwagens im Zusammenhang mit einer (wirksamen) Freistellung des Arbeitnehmers ist zumutbar. Der Arbeitnehmer muss bis zum Kündigungstermin keine Arbeitsleistung erbringen, insbesondere entfallen Dienstfahrten mit dem Pkw. Die Widerrufsklausel verknüpft, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt hat, die dienstliche und private Nutzung sachgerecht ( - Rn. 23, AP BGB § 611 Sachbezüge Nr. 21 = EzA BGB 2002 § 307 Nr. 17; vgl. auch  -).

18e) Die Widerrufsklausel ist entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht unwirksam, weil sie keine Ankündigungs- bzw. Auslauffrist enthält. Für eine solche Frist gibt es keinen Ansatz im Gesetz. Vielmehr ist die Einräumung einer Auslauffrist bei der Ausübungskontrolle in Betracht zu ziehen ( - zu B I 4 c cc der Gründe, BAGE 113, 140; - 5 AZR 721/05 - Rn. 24, AP BGB § 308 Nr. 6 = EzA BGB 2002 § 308 Nr. 6; ebenso Bayreuther ZIP 2007, 2009, 2011; Bauer/Chwalisz ZfA 2007, 339, 345; Lembke BB 2007, 1627, 1628; aA Däubler/Bonin/Deinert/Bonin AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht 3. Aufl. § 308 BGB Rn. 46).

19f) Der Entzug der Privatnutzung des Dienstwagens bedarf keiner Änderungskündigung, wenn durch den Wegfall der privaten Nutzungsmöglichkeit das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung im Arbeitsverhältnis nicht grundlegend berührt ist. Das ist der Fall, wenn - wie hier - weniger als 25 % des regelmäßigen Verdienstes betroffen sind ( - Rn. 24, AP BGB § 611 Sachbezüge Nr. 21 = EzA BGB 2002 § 307 Nr. 17; - 5 AZR 721/05 - Rn. 23, AP BGB § 308 Nr. 6 = EzA BGB 2002 § 308 Nr. 6; vgl.  - MDR 2005, 459).

20g) Ist das Herausgabeverlangen des Arbeitgebers zulässig, ist keine Entschädigung für den Entzug der privaten Nutzung zu zahlen. Die Rechtslage des Widerrufs einer Naturalvergütung entspricht der Rechtslage des Widerrufs anderer Entgeltbestandteile ( - Rn. 24, AP BGB § 611 Sachbezüge Nr. 21 = EzA BGB 2002 § 307 Nr. 17; ebenso AnwK-ArbR/Brors 2. Aufl. § 611 BGB Rn. 658; Pauly AuA 1995, 381, 384; Fröhlich ArbRB 2011, 253, 255; aA ErfK/Preis 12. Aufl. § 611 BGB Rn. 522, 524; HWK/Thüsing 4. Aufl. § 611 BGB Rn. 89; Küttner/Griese Personalbuch 18. Aufl. „Dienstwagen“ Rn. 10 unter unzutreffender Berufung auf  - DB 1990, 1126).

212. Die Beklagte hat das Widerrufsrecht im Streitfall nicht wirksam ausgeübt und damit eine gegenüber der Klägerin bestehende Vertragspflicht verletzt.

22a) Neben der Inhaltskontrolle der in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthaltenen Widerrufsklausel steht die Ausübungskontrolle im Einzelfall gemäß § 315 BGB, denn die Erklärung des Widerrufs stellt eine Bestimmung der Leistung durch den Arbeitgeber nach § 315 Abs. 1 BGB dar. Der Widerruf muss im Einzelfall billigem Ermessen entsprechen ( - Rn. 20, AP BGB § 308 Nr. 9 = EzA BGB 2002 § 308 Nr. 12).

23b) Ausgehend von den vom Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen hat die Beklagte ihr Widerrufsrecht im Streitfall unbillig ausgeübt. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht im Rahmen der Gesamtbewertung der beiderseitigen Interessen ein überwiegendes Interesse der Klägerin, das Fahrzeug bis zum Ende des Monats Juni 2009 nutzen zu dürfen, bejaht. Über den Umstand hinaus, dass die Beklagte einen Dienstwagen generell nur ihren Außendienstmitarbeitern vorrangig zum Besuch bei Kundenunternehmen zur Verfügung stellt, hat diese keine Gründe vorgetragen, warum sie unmittelbar nach der Eigenkündigung der Klägerin das Fahrzeug zurückgefordert hat. Dieses war jedoch deren einziger Pkw. Darüber hinaus hat das Landesarbeitsgericht zutreffend die steuerrechtliche Lage berücksichtigt. Hiernach war die Klägerin gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 4 EStG verpflichtet, die private, mit 277,00 Euro bewertete Nutzung für den gesamten Monat Juni 2009 zu versteuern, obwohl sie über diese Nutzung für 22 Tage nicht mehr verfügen konnte. Damit führte der Entzug des Pkw nicht nur zum Nutzungsausfall, sondern darüber hinaus zu einer spürbaren Minderung ihres Nettoeinkommens. Im Ergebnis hatte ihre Eigenkündigung die Kürzung der laufenden Bezüge zur Folge. Das Interesse der Klägerin, den von ihr versteuerten Vorteil auch real nutzen zu können, überwiegt das abstrakte Interesse der Beklagten am sofortigen Entzug des Dienstwagens.

243. Kommt der Arbeitgeber seiner Vertragspflicht, dem Arbeitnehmer die Nutzung des Dienstwagens zu Privatzwecken weiter zu ermöglichen, nicht nach, wird die Leistung wegen Zeitablaufs unmöglich, sodass der Arbeitgeber nach § 275 Abs. 1 BGB von der Leistungspflicht befreit wird. Der Arbeitnehmer hat in diesem Fall nach § 280 Abs. 1 Satz 1 iVm. § 283 Satz 1 BGB Anspruch auf Ersatz des hierdurch entstandenen Schadens ( -; - 8 AZR 415/98 - zu I der Gründe, BAGE 91, 379; - 8 AZR 849/98 -; - 8 AZR 412/00 -; - 7 AZR 514/03 - AP BetrVG 1972 § 37 Nr. 139 = EzA BetrVG 2001 § 37 Nr. 2; - 9 AZR 294/06 - Rn. 40, 41 mwN, AP BGB § 611 Sachbezüge Nr. 21 = EzA BGB 2002 § 307 Nr. 17; - 9 AZR 113/09 - Rn. 53 ff., AP BGB § 308 Nr. 8 = EzA BGB 2002 § 308 Nr. 11).

25II. Die Klägerin hat Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung iHv. 203,13 Euro brutto.

261. Nach § 249 Abs. 1 BGB hat derjenige, der zum Schadensersatz verpflichtet ist, den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. Soweit die Herstellung nicht möglich oder zur Entschädigung des Gläubigers nicht genügend ist, hat der Ersatzpflichtige den Gläubiger gemäß § 251 Abs. 1 BGB in Geld zu entschädigen. Der Schadensersatz wegen Nichterfüllung richtet sich auf das positive Interesse. Demgemäß ist die Klägerin so zu stellen, wie sie stehen würde, wenn die Beklagte den Vertrag ordnungsgemäß erfüllt hätte. Zur Berechnung ist eine Nutzungsausfallentschädigung auf der Grundlage der steuerlichen Bewertung der privaten Nutzungsmöglichkeit mit monatlich 1 % des Listenpreises des Kraftfahrzeugs im Zeitpunkt der Erstzulassung anerkannt ( - BAGE 91, 379; - 9 AZR 294/06 - Rn. 43 mwN, AP BGB § 611 Sachbezüge Nr. 21 = EzA BGB 2002 § 307 Nr. 17). Die Klägerin hat damit Anspruch auf eine kalendertägliche Nutzungsausfallentschädigung iHv. 9,23 Euro für 22 Tage, also 203,13 Euro. Die darüber hinausgehende Forderung ist unbegründet.

272. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass der Klägerin der Schadensersatzanspruch nicht als Nettovergütung zusteht. Nach § 6 Abs. 1 Nr. 4 EStG ist die private Nutzung des Dienstwagens zu versteuern. Der Schadensersatzanspruch wegen der von der Beklagten zu vertretenden Unmöglichkeit dieses Naturallohnanspruchs tritt an dessen Stelle und ist steuerlich in gleicher Weise zu behandeln ( - BAGE 91, 379).

28III. Für ihre Forderung kann die Klägerin nach § 291 BGB Prozesszinsen ab dem beanspruchen. Frühere Verzugszinsen stehen ihr nicht zu, weil sie die Beklagte nicht in Verzug gesetzt hat, § 286 Abs. 1 Satz 1 BGB. Eine Mahnung war nicht entbehrlich iSv. § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB.

IV. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen, denn die Zuvielforderung der Klägerin war verhältnismäßig geringfügig und hat keine höheren Kosten verursacht, § 97 Abs. 1, § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Die Entscheidung über die Kosten der ersten und der zweiten Instanz folgt der Vereinbarung der Parteien im Teil-Vergleich vom .

Fundstelle(n):
BB 2012 S. 1342 Nr. 21
DB 2012 S. 1274 Nr. 22
DStR 2012 S. 2239 Nr. 44
NJW 2012 S. 1756 Nr. 24
NJW 2012 S. 8 Nr. 22
NWB-Eilnachricht Nr. 26/2012 S. 2130
StuB-Bilanzreport Nr. 24/2012 S. 968
ZAAAE-09391