BAG Urteil v. - 7 AZR 112/08

Unwirksamkeit einer tariflichen Altersgrenze für Piloten

Leitsatz

Die Altersgrenze in § 19 Abs. 1 Satz 1 des Manteltarifvertrags Nr. 5a für das Cockpitpersonal bei Lufthansa idF vom , wonach das Arbeitsverhältnis von Flugzeugführern mit dem Ende des Monats der Vollendung des 60. Lebensjahres endet, verstößt gegen das Benachteiligungsverbot wegen des Alters in § 7 Abs. 1 iVm. § 1 AGG. Sie ist nach § 7 Abs. 2 AGG unwirksam.

Gesetze: § 1 AGG, § 3 Abs 1 S 1 AGG, § 7 Abs 1 AGG, § 7 Abs 2 AGG, § 8 Abs 1 AGG, § 10 S 1 AGG, § 10 S 2 AGG, Art 1 EGRL 78/2000, Art 2 Abs 2 Buchst a EGRL 78/2000, Art 2 Abs 5 EGRL 78/2000, Art 4 Abs 1 EGRL 78/2000, Art 6 Abs 1 EGRL 78/2000

Instanzenzug: ArbG Frankfurt Az: 6 Ca 7405/06 Urteilvorgehend Hessisches Landesarbeitsgericht Az: 17 Sa 809/07 Urteilvorgehend Az: 7 AZR 112/08 (A) EuGH-Vorlagevorgehend Az: C-447/09 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über die Beendigung der Arbeitsverhältnisse der Kläger zu 1. und 3. sowie des verstorbenen früheren Klägers zu 2. mit der Beklagten aufgrund einer tariflichen Altersgrenze.

2Der Kläger zu 1. wurde am , der frühere Kläger zu 2. am und der Kläger zu 3. am geboren. Der ehemalige Kläger zu 2. verstarb am .

Die Kläger wurden von dem beklagten Luftfahrtunternehmen seit vielen Jahren als Flugzeugführer, zuletzt als Flugkapitäne, beschäftigt. Auf die Arbeitsverhältnisse fanden kraft arbeitsvertraglicher Verweisung - bei den Klägern zu 1. und 3. auch kraft beiderseitiger Organisationszugehörigkeit - die für das Cockpitpersonal der Beklagten geltenden Tarifverträge Anwendung. § 19 Abs. 1 Satz 1 des Manteltarifvertrags Nr. 5a für das Cockpitpersonal bei Lufthansa (MTV Nr. 5a) idF vom lautet:

Die fachlichen Voraussetzungen und Prüfungen für den Erwerb von Lizenzen richten sich nach § 20 Abs. 2 Nr. 1 der Luftverkehrs-Zulassungs-Ordnung(LuftVZO) idF der Verordnung zur Änderung luftrechtlicher Vorschriften über Anforderungen an Flugbesatzungen vom (BGBl. I S. 182). Der Umfang der Lizenzen bestimmt sich nach der Verordnung über Luftfahrtpersonal. Für Privatflugzeugführer, Berufsflugzeugführer und Verkehrsflugzeugführer galt zu dem Zeitpunkt, in dem die Kläger jeweils die tarifliche Altersgrenze erreichten, die vom Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen im Bundesanzeiger bekannt gemachte Fassung der Bestimmungen über die Lizenzierung von Piloten von Flugzeugen (JAR-FCL 1 deutsch) vom (Bundesanzeiger Nr. 80a vom ; jetzt: JAR-FCL 1 deutsch idF vom , Bundesanzeiger Nr. 13a vom ). Bei den Bestimmungen der JAR-FCL handelt es sich um ein unter deutscher Beteiligung erarbeitetes Regelwerk einer internationalen Institution, der Joint-Aviation-Authorities (JAA). JAR-FCL 1.060 idF vom lautet (in Buchst. a wortgleich mit der Fassung vom ):

§ 4 der Ersten Durchführungsverordnung zur Verordnung über Luftfahrtpersonal (1. DV LuftPersV) vom (Bundesanzeiger Nr. 82b vom ) bestimmt:

6Mit ihrer am beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage haben sich die Kläger zu 1. und 3. sowie der verstorbene frühere Kläger zu 2. gegen die Beendigung ihrer Arbeitsverhältnisse aufgrund der tariflichen Altersgrenze in § 19 Abs. 1 Satz 1 MTV Nr. 5a gewandt. Die Altersgrenze diskriminiere sie wegen ihres Alters und verstoße damit gegen § 7 Abs. 1 iVm. § 1 AGG. Das AGG sei unionsrechtskonform anhand der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. EG L 303 vom S. 16, Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie) auszulegen.

Die Kläger zu 1. und 3. sowie der verstorbene frühere Kläger zu 2. haben, soweit für die Revision noch von Interesse, beantragt

8Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die tarifliche Altersgrenze für wirksam gehalten.

9Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Kläger zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgen die Kläger zu 1. und 3. sowie die Ehefrau des in der Revisionsinstanz verstorbenen früheren Klägers zu 2. die Anträge weiter. Die Ehefrau des früheren Klägers zu 2. ist dessen Alleinerbin und hat das Verfahren aufgenommen. Die Beklagte ist der Aufnahme nicht entgegengetreten.

Der Senat hat den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (heute: Gerichtshof der Europäischen Union, im Folgenden Gerichtshof oder EuGH) mit Beschluss vom (- 7 AZR 112/08 (A) - BAGE 131, 113) um Vorabentscheidung über die Frage ersucht:

Der Gerichtshof hat mit Urteil vom (- C-447/09 - [Prigge] Rn. 83, EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2000/78 Nr. 22) erkannt:

Gründe

12Die Revision der Kläger ist begründet. Die Befristungskontrollanträge haben entgegen der Auffassung der Vorinstanzen in der Sache Erfolg. Über die Anträge auf vorläufige Weiterbeschäftigung hat der Senat nicht zu entscheiden.

13A. Die Befristungskontrollanträge sind begründet. Das gilt auch für den Befristungskontrollantrag des früheren Klägers zu 2. An seine Stelle ist als Partei dessen Ehefrau getreten. Die Klagefrist des § 17 Satz 1 TzBfG ist in allen drei Fällen gewahrt. Die drei Arbeitsverhältnisse endeten nicht aufgrund ihrer Befristung am , und .

14I. Die Ehefrau des am während des Revisionsverfahrens verstorbenen Klägers zu 2. ist an seiner Stelle aktivlegitimiert. Sie ist seine Alleinerbin und damit Gesamtrechtsnachfolgerin iSv. § 1922 Abs. 1 Alt. 1 BGB. Die Erben eines Arbeitnehmers können Befristungskontrollklage erheben oder sie anstelle des Arbeitnehmers fortführen, wenn der Arbeitnehmer nach dem Ende der Befristung stirbt (vgl. zu der parallelen Problematik im Kündigungsschutzrecht bei Versterben des Arbeitnehmers nach Ablauf der Kündigungsfrist oder nach Zugang der außerordentlichen Kündigung KR/Friedrich 9. Aufl. § 4 KSchG Rn. 82; HaKo/Gallner 4. Aufl. § 4 KSchG Rn. 97; von Hoyningen-Huene/Linck 14. Aufl. § 4 KSchG Rn. 63; ErfK/Kiel 12. Aufl. § 4 KSchG Rn. 17). Nur auf diese Weise kann die Fiktion der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach § 17 Satz 2 TzBfG, § 7 Halbs. 1 KSchG abgewandt und eine zB auf Annahmeverzugsentgelt gerichtete Leistungsklage vorbereitet werden. Es handelt sich um einen Fall des gesetzlichen Parteiwechsels durch Aufnahme des Rechtsstreits iSv. § 239 Abs. 1, § 250 ZPO (vgl. Zöller/Greger ZPO 29. Aufl. § 239 ZPO Rn. 1).

15II. Die Befristungen der Arbeitsverträge aufgrund der tariflichen Altersgrenze gelten nicht bereits nach § 17 Satz 2 TzBfG iVm. § 7 Halbs. 1 KSchG als wirksam. Die Kläger zu 1. und 3. sowie der frühere Kläger zu 2. haben die Rechtsunwirksamkeit der Befristungen mit der am beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage innerhalb der dreiwöchigen Klagefrist des § 17 Satz 1 TzBfG geltend gemacht. Die Klage konnte nach der ständigen Rechtsprechung des Senats vor dem Ende der vereinbarten Vertragslaufzeit erhoben werden (vgl. nur  - Rn. 15 mwN).

16III. Die Arbeitsverhältnisse der Kläger zu 1. und 3. sowie des früheren Klägers zu 2. endeten nicht aufgrund ihrer Befristung mit dem Ende des Monats der Vollendung des 60. Lebensjahres. Die auf die drei Arbeitsverhältnisse anzuwendende tarifliche Altersgrenze in § 19 Abs. 1 Satz 1 MTV Nr. 5a verstößt gegen das Benachteiligungsverbot wegen des Alters in § 7 Abs. 1 iVm. § 1 AGG. Sie ist nach § 7 Abs. 2 AGG unwirksam (vgl. zu der abweichenden früheren Rspr., die Altersgrenzen von 60 Jahren für Piloten vor Inkrafttreten des AGG für sachlich gerechtfertigt iSv. § 14 Abs. 1 Satz 1 TzBfG hielt, zuletzt  - zu II der Gründe mwN, EzA BGB 2002 § 620 Altersgrenze Nr. 5; verfassungsrechtlich gebilligt von  - zu B II 3 c aa der Gründe, BVerfGK 4, 219).

171. Die Vorschriften des AGG sind auf den Streitfall anzuwenden.

18a) Dem steht nicht entgegen, dass die tarifliche Altersgrenze in § 19 Abs. 1 Satz 1 MTV Nr. 5a von den Tarifvertragsparteien am und damit vor Inkrafttreten des AGG am vereinbart wurde. Die Regelungen des AGG sind auch auf Altersgrenzen anzuwenden, die vor Inkrafttreten des AGG einzelvertraglich oder tarifvertraglich vereinbart wurden, wenn die Altersgrenze im Einzelfall erst mit oder nach Inkrafttreten des AGG erreicht wird. Nur wenn die Altersgrenze bereits vor dem erreicht wurde, gilt nach § 33 Abs. 1 AGG altes Recht (vgl. ausführlich (A) - Rn. 36 ff. mwN, BAGE 131, 113).

19b) Das ist hier nicht der Fall. Der Kläger zu 1. vollendete sein 60. Lebensjahr am und erreichte die tarifliche Altersgrenze am . Der verstorbene frühere Kläger zu 2. vollendete sein 60. Lebensjahr am und erreichte die tarifliche Altersgrenze am . Der Kläger zu 3. vollendete sein 60. Lebensjahr am und erreichte die tarifliche Altersgrenze am .

202. Die tarifliche Altersgrenze in § 19 Abs. 1 Satz 1 MTV Nr. 5a verstößt gegen das Verbot der Altersdiskriminierung in § 7 Abs. 1 iVm. § 1 AGG. Mit der Altersgrenze ist eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters verbunden. Die Altersgrenze des § 19 Abs. 1 Satz 1 MTV Nr. 5a ist nicht nach Art. 2 Abs. 5 der Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie von deren Geltungsbereich ausgenommen. Die Benachteiligung ist weder durch § 8 Abs. 1 AGG noch durch § 10 Satz 1 und Satz 2 AGG gerechtfertigt. Da das AGG ua. der Umsetzung der Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie dient, ist es grundsätzlich unionsrechtskonform in Übereinstimmung mit der Richtlinie auszulegen (vgl. (A) - Rn. 43, BAGE 131, 113; - 3 AZR 20/07 - Rn. 17, BAGE 129, 105). Der Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung verlangt, dass die nationalen Gerichte unter Berücksichtigung des gesamten innerstaatlichen Rechts und unter Anwendung der danach anerkannten Auslegungsmethoden alles tun, was in ihrer Zuständigkeit liegt, um die volle Wirksamkeit der betreffenden Richtlinie zu gewährleisten und zu einem Ergebnis zu gelangen, das mit dem von der Richtlinie verfolgten Ziel übereinstimmt (vgl. für die st. Rspr.  - [Deutsche Lufthansa] Rn. 55 mwN, EzA TzBfG § 14 Nr. 69).

21a) Die tarifliche Altersgrenzenregelung des § 19 Abs. 1 Satz 1 MTV Nr. 5a enthält eine unmittelbar auf dem Merkmal des Alters beruhende Ungleichbehandlung der Arbeitnehmer, die das 60. Lebensjahr vollendet haben, gegenüber jüngeren Arbeitnehmern.

22aa) Nach § 7 Abs. 1 AGG dürfen Beschäftigte nicht wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes benachteiligt werden. Vereinbarungen, die gegen dieses Benachteiligungsverbot verstoßen, sind nach § 7 Abs. 2 AGG unwirksam. Der Begriff der Benachteiligung bestimmt sich nach § 3 AGG. Eine unmittelbare Benachteiligung liegt nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde.

23bb) Wird eine tarifliche Altersgrenze wie die des § 19 Abs. 1 Satz 1 MTV Nr. 5a erreicht, wird der Arbeitsvertrag automatisch beendet. Arbeitnehmer, die dieses Alter erreicht haben, erfahren eine weniger günstige Behandlung iSv. § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG als vergleichbare jüngere Arbeitnehmer.

24(1) Eine solche Regelung führt unmittelbar zu einer auf dem Alter beruhenden Ungleichbehandlung bei den Entlassungsbedingungen (vgl.  - Rn. 27; - 7 AZR 438/09 - Rn. 39 mwN, AP TzBfG § 14 Nr. 77 = EzA BGB 2002 § 620 Altersgrenze Nr. 10; - 7 AZR 112/08 (A) - Rn. 44 f., BAGE 131, 113). Wie der Gerichtshof in der Vorabentscheidung Prigge ausdrücklich erkannt hat, erfährt ein Pilot, dessen Arbeitsverhältnis aufgrund von § 19 Abs. 1 Satz 1 MTV Nr. 5a mit dem Monat automatisch endet, in dem er das 60. Lebensjahr vollendet, eine weniger günstige Behandlung als ein Pilot, der jünger ist und für dieselbe Luftfahrtgesellschaft die gleiche Tätigkeit ausübt und/oder demselben Tarifvertrag unterliegt. Die Altersgrenze begründet eine unmittelbar auf dem Alter beruhende Ungleichbehandlung iSv. Art. 1 iVm. Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78/EG (vgl.  - [Prigge] Rn. 42 ff., EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2000/78 Nr. 22 mit erläuternder Anm. Thüsing/Pötters ZIP 2011, 1886; siehe auch - C-159/10 und C-160/10 - [Fuchs] Rn. 33, EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2000/78 Nr. 20; - C-250/09 - [Georgiev] Rn. 32, EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2000/78 Nr. 18; - C-45/09 - [Rosenbladt] Rn. 37, AP Richtlinie 2000/78/EG Nr. 18 = EzA BGB 2002 § 620 Altersgrenze Nr. 9; - C-229/08 - [Wolf] Rn. 28, Slg. 2010, I-1; - C-341/08 - [Petersen] Rn. 34, Slg. 2010, I-47; - C-88/08 - [Hütter] Rn. 37, Slg. 2009, I-5325; - C-388/07 - [Age Concern England] Rn. 33, Slg. 2009, I-1569; - C-411/05 - [Palacios de la Villa] Rn. 51, Slg. 2007, I-8531; zu der Altersgrenzenrechtsprechung des Gerichtshofs Preis NZA 2010, 1323).

25(2) Eine nationale Regelung - hier § 14 Abs. 1 Satz 1 TzBfG - kann es aus einem sachlichen Grund zulassen, dass ein Tarifvertrag Arbeitsverträge automatisch enden lässt, wenn ein bestimmtes Alter erreicht wird. Das ändert nichts daran, dass dieser Tarifvertrag dem Unionsrecht und insbesondere der Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie 2000/78/EG zu entsprechen hat (vgl.  - [Prigge] Rn. 46, EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2000/78 Nr. 22; - C-45/09 - [Rosenbladt] Rn. 53, AP Richtlinie 2000/78/EG Nr. 18 = EzA BGB 2002 § 620 Altersgrenze Nr. 9). Das in Art. 28 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union proklamierte Recht auf Kollektivverhandlungen muss im Geltungsbereich des Unionsrechts im Einklang mit ihm ausgeübt werden (vgl.  - [Prigge] Rn. 47, aaO; - C-341/05 - [Laval un Partneri] Rn. 91, Slg. 2007, I-11767; - C-438/05 - [Viking Line] Rn. 44, Slg. 2007, I-10779). Wenn die Sozialpartner Maßnahmen treffen, die in den Geltungsbereich der Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie fallen, die für Beschäftigung und Beruf das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters konkretisiert, müssen sie daher unter Beachtung dieser Richtlinie vorgehen (vgl.  - [Prigge] Rn. 48, aaO).

26b) Die Altersgrenze des § 19 Abs. 1 Satz 1 MTV Nr. 5a ist nicht nach Art. 2 Abs. 5 der Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie von deren Geltungsbereich ausgenommen.

27aa) Nach ihrem Art. 2 Abs. 5 berührt die Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie nicht die im einzelstaatlichen Recht vorgesehenen Maßnahmen, die in einer demokratischen Gesellschaft für die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit, die Verteidigung der Ordnung und die Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit und zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sind.

28bb) Die Sozialpartner sind keine öffentlich-rechtlich verfassten Einrichtungen. Das hindert die Mitgliedstaaten aber nicht, es den Sozialpartnern zu gestatten, Maßnahmen iSv. Art. 2 Abs. 5 der Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie auf den in dieser Bestimmung genannten Gebieten, die in den Anwendungsbereich von Tarifverträgen fallen, zu treffen. Diese Ermächtigungsvorschriften müssen hinreichend genau sein, damit gewährleistet wird, dass die genannten Maßnahmen die in Art. 2 Abs. 5 der Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie genannten Anforderungen beachten (vgl.  - [Prigge] Rn. 60 f., EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2000/78 Nr. 22).

29cc) Die Tarifvertragsparteien sind mit Blick auf § 19 Abs. 1 Satz 1 MTV Nr. 5a der Ansicht, dass für die Ausübung der Tätigkeit der Piloten wegen der Sicherheit der Passagiere und der Bewohner der überflogenen Gebiete, aber auch aus Gründen, die die Gesundheit und die Sicherheit der Piloten selbst betreffen, eine Altersgrenze von 60 Jahren festzulegen ist. Diese Maßnahme verfolgt Ziele, die mit der öffentlichen Sicherheit und dem Schutz der Gesundheit in Zusammenhang stehen. Sie fällt in den Anwendungsbereich von Tarifverträgen. Es ist nach der nationalen und der internationalen Lizenzregelung jedoch nicht erforderlich, den Piloten die Ausübung ihrer Tätigkeit nach Vollendung des 60. Lebensjahres zu untersagen. Es genügt nach JAR-FCL 1.060 Buchst. a, diese Ausübung dahin zu beschränken, dass ein weiterer Pilot, der das 60. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, Mitglied der Flugbesatzung ist. Das in der tariflichen Altersgrenze enthaltene Verbot, mit dem Ende des Monats, in dem das 60. Lebensjahr vollendet wird, ein Flugzeug zu führen, ist nicht notwendig iSv. Art. 2 Abs. 5 der Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie, um das verfolgte Ziel zu erreichen (vgl.  - [Prigge] Rn. 62 bis 64, EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2000/78 Nr. 22; zu der vom Gerichtshof vorgenommenen strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung bei Altersgrenzen für bestimmte Beschäftigtengruppen unterhalb der gesetzlichen Regelaltersgrenze Preis NZA 2010, 1323, 1327; Thüsing/Pötters ZIP 2011, 1886, 1888).

30c) Die unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters durch die Altersgrenze in § 19 Abs. 1 Satz 1 MTV Nr. 5a ist nicht nach § 8 Abs. 1 AGG oder § 10 Satz 1 und Satz 2 AGG gerechtfertigt.

31aa) Eine unterschiedliche Behandlung wegen eines der in § 1 genannten Merkmale ist nach § 8 Abs. 1 AGG zulässig, wenn dieses Merkmal wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist. Eine besondere Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen wegen des Alters enthält § 10 AGG. Nach § 10 Satz 1 AGG ist - ungeachtet des § 8 AGG - eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters zulässig, wenn sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Die Mittel zur Erreichung dieses Ziels müssen nach § 10 Satz 2 AGG angemessen und erforderlich sein (vgl. (A) - Rn. 42, BAGE 131, 113).

32bb) Mit § 8 Abs. 1 sowie § 10 Satz 1 und Satz 2 AGG hat der Gesetzgeber die Regelungen in Art. 4 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 der Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie in nationales Recht umgesetzt (vgl. zu § 8 Abs. 1 AGG den besonderen Teil der Gesetzesbegründung in BT-Drucks. 16/1780 S. 35 f.; zum Umsetzungswillen für die gesamte Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie auch den allgemeinen Teil der Gesetzesbegründung in BT-Drucks. 16/1780 S. 1 bis 3 und S. 20 bis 27). Dabei hat er den Text der Richtlinie nahezu wörtlich in das nationale Recht übernommen ( (A) - Rn. 43, BAGE 131, 113). Dessen Regelungen sind unionsrechtskonform in Übereinstimmung mit der Richtlinie auszulegen (vgl. (A) - aaO; - 3 AZR 20/07 - Rn. 17, BAGE 129, 105).

33cc) Die unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters durch die Altersgrenze in § 19 Abs. 1 Satz 1 MTV Nr. 5a ist nicht durch § 8 Abs. 1 AGG gerechtfertigt.

34(1) Nach § 8 Abs. 1 AGG ist eine unterschiedliche Behandlung wegen eines der in § 1 genannten Merkmale zulässig, wenn dieses Merkmal wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist. Das entspricht weitgehend dem Wortlaut des Art. 4 Abs. 1 der Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie. Danach können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass eine Ungleichbehandlung wegen eines Merkmals, das in Zusammenhang mit einem der in Art. 1 dieser Richtlinie genannten Diskriminierungsgründe steht, keine Diskriminierung darstellt, wenn das betreffende Merkmal aufgrund der Art einer bestimmten beruflichen Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern es sich um einen rechtmäßigen Zweck und eine angemessene Anforderung handelt.

35(2) Für Verkehrspiloten ist es wesentlich, dass sie über besondere körperliche Fähigkeiten verfügen, weil körperliche Schwächen in diesem Beruf erhebliche Konsequenzen haben können. Die körperlichen Fähigkeiten nehmen aus Sicht des Gerichtshofs ab einem bestimmten Lebensalter ab (vgl.  - [Prigge] Rn. 67, EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2000/78 Nr. 22 mit Bezug auf - C-229/08 - [Wolf] Rn. 41, Slg. 2010, I-1; vgl. auch  - zu B II 3 c aa der Gründe mwN, BVerfGK 4, 219). Für die Ausübung des Berufs eines Verkehrspiloten kann das Vorhandensein besonderer körperlicher - altersabhängiger - Fähigkeiten deswegen als eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung iSv. Art. 4 Abs. 1 der Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie angesehen werden (vgl.  - [Prigge] aaO).

36(3) Rechtmäßiger Zweck der tariflichen Altersgrenze ist es, die Sicherheit des Flugverkehrs zu gewährleisten (vgl.  - [Prigge] Rn. 68 f., EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2000/78 Nr. 22).

37(4) Die Tarifvertragsparteien haben Verkehrspiloten, die unter § 19 Abs. 1 Satz 1 MTV Nr. 5a fallen, aber eine unverhältnismäßige Anforderung iSv. Art. 4 Abs. 1 der Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie auferlegt, indem sie die Altersgrenze, von der an die Piloten als körperlich nicht mehr fähig zur Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit gelten, auf das Ende des Monats der Vollendung des 60. Lebensjahres festgelegt haben. Die nationalen und die internationalen Lizenzregelungen lassen die Ausübung dieser Tätigkeit im doppelt besetzten (Co-)Pilotencockpit bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres zu, wenn der Besatzung ein (Co-)Pilot angehört, der das 60. Lebensjahr noch nicht vollendet hat (vgl.  - [Prigge] Rn. 73, 75, EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2000/78 Nr. 22). Es gibt keine hinreichend belastbaren Erkenntnisse dafür, dass die derzeit geltenden öffentlich-rechtlichen Beschränkungen für die Sicherheit des Luftverkehrs nicht ausreichend und deshalb weiter gehende tarifliche Beschränkungen erforderlich sind (vgl.  - [Prigge] Rn. 74, aaO).

38(5) Für den mit Art. 4 Abs. 1 der Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie fast textgleichen § 8 Abs. 1 AGG gilt nach richtlinienkonformer Auslegung nichts anderes. Die tarifliche Altersgrenze in § 19 Abs. 1 Satz 1 MTV Nr. 5a begründet eine unangemessene Anforderung iSv. § 8 Abs. 1 AGG.

39dd) Die unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters durch die Altersgrenze in § 19 Abs. 1 Satz 1 MTV Nr. 5a ist nicht nach § 10 Satz 1 und Satz 2 AGG gerechtfertigt.

40(1) Nach § 10 Satz 1 AGG ist - ungeachtet des § 8 AGG - eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters zulässig, wenn sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Die Mittel zur Erreichung dieses Ziels müssen nach § 10 Satz 2 AGG angemessen und erforderlich sein. Diese Vorschriften setzen Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 der Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie um. Dort ist bestimmt, dass Ungleichbehandlungen wegen des Alters keine Diskriminierung darstellen, sofern sie objektiv und angemessen sind und im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel, worunter insbesondere rechtmäßige Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung zu verstehen sind, gerechtfertigt sind und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind.

41(2) Das Ziel der Flugsicherheit unterfällt nicht dem Begriff des Ziels iSv. § 10 Satz 1 und Satz 2 AGG. Diese Vorschriften sind richtlinienkonform dahin auszulegen, dass die Flugsicherheit kein legitimes Ziel iSv. § 10 Satz 1 AGG ist. Ziele, die als „legitim“ iSv. Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 der Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie und damit als geeignet angesehen werden können, eine Ausnahme vom Grundsatz des Verbots von Diskriminierungen aus Gründen des Alters zu rechtfertigen, sind sozialpolitische Ziele wie solche aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt oder berufliche Bildung (vgl.  - [Prigge] Rn. 81, EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2000/78 Nr. 22; - C-88/08 - [Hütter] Rn. 41, Slg. 2009, I-5325; - C-388/07 - [Age Concern England] Rn. 46, Slg. 2009, I-1569). Ein Ziel wie das der Flugsicherheit gehört nicht zu den in Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 der Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie genannten Zielen (vgl.  - [Prigge] Rn. 82, aaO).

42d) Die tarifliche Altersgrenze in § 19 Abs. 1 Satz 1 MTV Nr. 5a, die schon eintritt, bevor das gesetzliche Rentenalter erreicht ist, verstößt damit gegen das Benachteiligungsverbot wegen des Alters in § 7 Abs. 1 iVm. § 1 AGG. Sie ist nach § 7 Abs. 2 AGG unwirksam. Die Unwirksamkeitsfolge gilt auch für tarifliche Regelungen (vgl. zB  - Rn. 54, AP TVG § 1 Vorruhestand Nr. 34; - 7 ABR 98/09 - Rn. 63, EzA TVG § 1 Betriebsnorm Nr. 5). Die Altersgrenze entfällt, ohne dass die Lücke gefüllt werden könnte (vgl. ErfK/Schlachter § 7 AGG Rn. 6).

43B. Die auf vorläufige Weiterbeschäftigung gerichteten Anträge fallen nicht zur Entscheidung des Senats an. Mit diesen Anträgen machen die Kläger den vom Großen Senat des Bundesarbeitsgerichts entwickelten allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch für die Dauer des Rechtsstreits geltend (vgl.  - zu C der Gründe, BAGE 48, 122). Der Rechtsstreit ist mit Verkündung der Entscheidung des Senats über die Befristungskontrollanträge rechtskräftig abgeschlossen (vgl. für die st. Rspr.  - Rn. 25, AP TzBfG § 14 Nr. 76 = EzA BGB 2002 § 620 Altersgrenze Nr. 8).

C. Die Beklagte hat nach § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
BB 2012 S. 1024 Nr. 16
DB 2012 S. 981 Nr. 17
NJW 2012 S. 8 Nr. 17
RIW 2012 S. 640 Nr. 9
ZIP 2012 S. 840 Nr. 17
TAAAE-06629