BGH Beschluss v. - IX ZR 102/11

Insolvenzanfechtung: Nachweis der Überschuldung durch Vorlage der Handelsbilanz; Gewährung eines Vollstreckungsaufschubs als Indiz für Zahlungsunfähigkeit

Gesetze: § 17 Abs 2 S 2 InsO, § 19 Abs 1 InsO, § 133 Abs 1 InsO, § 134 Abs 1 InsO

Instanzenzug: Hanseatisches Az: 1 U 89/10vorgehend Az: 303 O 547/08 Urteil

Gründe

1Die allein auf den Zulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 ZPO) gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

21. Soweit das Berufungsgericht eine Anfechtung der von der Schuldnerin zugunsten der S.    KG an die Beklagte erbrachten Zahlungen auf der Grundlage des § 134 Abs. 1 InsO abgelehnt hat, liegt kein zulassungsrelevanter Rechtsfehler vor.

3a) Es bestehen bereits durchgreifende Bedenken dagegen, ob die den Zeitraum bis zum betreffenden - nicht testierten - Handelsbilanzen überhaupt geeignet sind, eine Überschuldung (§ 19 Abs. 1 InsO) der S.  KG auch im hier maßgeblichen späteren Zahlungszeitraum der Jahre 2004 und 2005 nachzuweisen. Überdies legt die Beschwerde nicht dar, ob und - wenn ja - wann ein Insolvenzverfahren über das Vermögen der S.    KG eröffnet wurde oder ob deren Vermögensverfall in anderer Weise offenbar wurde.

4b) Davon abgesehen ist allein die Vorlage der Handelsbilanzen nicht geeignet, eine Überschuldung (§ 19 Abs. 1 InsO) darzutun.

5Für die Feststellung, dass eine Gesellschaft insolvenzrechtlich (rechnerisch) überschuldet ist, bedarf es grundsätzlich der Aufstellung einer Überschuldungsbilanz, in der die Vermögenswerte der Gesellschaft mit ihren aktuellen Verkehrs- oder Liquidationswerten auszuweisen sind. Hingegen kommt einer Handelsbilanz für die Frage, ob die Gesellschaft überschuldet ist, lediglich indizielle Bedeutung zu. Legt der Anspruchsteller für seine Behauptung, die Gesellschaft sei überschuldet gewesen, nur eine Handelsbilanz vor, aus der sich ein nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag ergibt, hat er jedenfalls die Ansätze dieser Bilanz darauf zu überprüfen und zu erläutern, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang stille Reserven oder sonstige aus ihr nicht ersichtliche Vermögenswerte vorhanden sind (, WM 2011, 979 Rn. 33 mwN). Danach durfte sich der Kläger - in Einklang mit der Würdigung des Berufungsgerichts - nicht darauf beschränken, zum Nachweis der Überschuldung der S.    KG lediglich deren Handelsbilanzen vorzulegen (, WM 2008, 27 Rn. 2).

62. Ein Zulassungsgrund greift ebenfalls nicht durch, soweit das Berufungsgericht eine Vorsatzanfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO auch für die nach Gewährung des Vollstreckungsaufschubs von der Schuldnerin erbrachten Zahlungen abgelehnt hat.

7a) Beträgt eine innerhalb von drei Wochen nicht zu beseitigende Liquiditätslücke des Schuldners 10 vom Hundert oder mehr, ist regelmäßig von seiner Zahlungsunfähigkeit (§ 17 Abs. 1 InsO) auszugehen (, BGHZ 163, 134, 144 ff). Bei der Bewertung, ob danach Zahlungsunfähigkeit vorliegt, sind solche Forderungen auszunehmen, die rein tatsächlich - also auch ohne rechtlichen Bindungswillen oder erkennbare Erklärung - gestundet sind (, BGHZ 181, 132 Rn. 22; Beschluss vom - IX ZB 57/11, ZIP 2011, 1875 Rn. 9). Vor diesem Hintergrund können im Rahmen einer zum Nachweis der Zahlungsunfähigkeit zu erstellenden Liquiditätsbilanz die von einem Vollstreckungsaufschub betroffenen Forderungen außer Betracht bleiben.

8b) Vorliegend geht es indes nicht um die mit Hilfe einer Liquiditätsbilanz vorzunehmende Feststellung der Zahlungsunfähigkeit; diese soll vielmehr ersichtlich aus einer Zahlungseinstellung (§ 17 Abs. 2 Satz 2 InsO) der Schuldnerin hergeleitet werden (vgl. , WM 2011, 1429 Rn. 20). Zwar mag die Gewährung eines Vollstreckungsaufschubs ein Indiz für den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit sein. Das Berufungsgericht hat jedoch auf der Grundlage einer zulassungsrechtlich nicht zu beanstandenden tatrichterlichen Würdigung angenommen, dass das Beweisanzeichen im Streitfall auch im Blick auf die Höhe der betroffenen Forderung nicht die Schlussfolgerung einer Zahlungseinstellung trägt.

9c) Zwar kann die Kenntnis des Anfechtungsgegners von einer drohenden Zahlungsunfähigkeit auf eine Kenntnis von der Gläubigerbenachteiligung schließen lassen, wenn der Anfechtungsgegner weiß, es mit einem unternehmerisch tätigen Schuldner zu tun zu haben, bei dem das Entstehen von Verbindlichkeiten, die er nicht im selben Maße bedienen kann, auch gegenüber anderen Gläubigern unvermeidlich ist (, WM 2009, 1943 Rn. 14). Eine solche Schlussfolgerung ist vorliegend jedoch nicht möglich, weil es nach den Feststellungen des Berufungsgerichts an einer Kenntnis der Beklagten von der drohenden Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin fehlt.

Kayser                             Gehrlein                                    Vill

                   Fischer                                    Grupp

Fundstelle(n):
WM 2012 S. 665 Nr. 14
VAAAE-06222