BGH Beschluss v. - 4 StR 22/12

Nachträgliche Gesamtstrafenbildung bei Teilrechtskraft des Strafausspruchs durch Teilaufhebung und -zurückverweisung

Gesetze: § 55 StGB

Instanzenzug: LG Bielefeld Az: 10 KLs 20/11vorgehend Az: 4 StR 111/11 Beschlussvorgehend LG Bielefeld Az: 2 KLs 46 Js 94/07 - 22/09

Gründe

1Das Landgericht hatte den Angeklagten mit Urteil vom wegen Beihilfe zum schweren Bandendiebstahl in sechs Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt. Der Senat hob dieses Urteil mit Beschluss vom – 4 StR 111/11 – insoweit auf, als dem Angeklagten die Strafaussetzung zur Bewährung versagt worden war. Das Landgericht hat nunmehr die Aussetzung der Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe erneut abgelehnt. Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

2Das Urteil kann keinen Bestand haben, soweit die Strafkammer die Vorschrift des § 55 StGB außer Acht gelassen und es versäumt hat, unter Einbeziehung der Strafe von sieben Jahren aus dem seit rechtskräftigen Urteil des Landgerichts Bielefeld vom nachträglich eine neue Gesamtstrafe zu bilden.

3§ 55 StGB regelt die nachträgliche Bildung der Gesamtstrafe. Die Vorschrift soll ihrem Grundgedanken nach sicherstellen, dass Taten, die bei gemeinsamer Aburteilung nach §§ 53, 54 StGB behandelt worden wären, auch bei getrennter Aburteilung dieselbe Behandlung erfahren, so dass der Täter im Ergebnis weder besser noch schlechter gestellt ist (st. Rspr.; vgl. , BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Zäsurwirkung 13). Hierbei kommt es maßgeblich allein auf die materiell-rechtliche Regelung und nicht auf die verfahrensrechtliche Situation an (vgl. , BGHSt 32, 190, 192 f.). Die Anwendung des § 55 StGB ist für den Tatrichter zwingend. Er darf daher die Entscheidung über eine nachträglich zu bildende Gesamtstrafe grundsätzlich nicht dem Beschlussverfahren nach § 460 StPO überlassen (st. Rspr.; vgl. , BGHSt 12, 1; Urteil vom – 1 StR 369/03, NStZ 2005, 32). Dies gilt auch für den Tatrichter, der nach in der Rechtsmittelinstanz erfolgter (teilweiser) Aufhebung und Zurückverweisung mit der Sache befasst wird. Eine durch Teilaufhebung und –zurückverweisung eingetretene Teilrechtskraft des Strafausspruchs steht – bei neu entstandener oder bislang unbekannt gebliebener Gesamtstrafenlage im Sinne des § 55 StGB – einer Anwendung des § 55 StGB durch den Tatrichter nicht entgegen. Da im Beschlussverfahren nach § 460 StPO die Durchbrechung der Rechtskraft auch in dem Verfahren, in welchem die Vorschrift des § 55 StGB außer Betracht geblieben ist, ohne Weiteres zulässig ist, besteht kein Anlass, dem Tatrichter aus Gründen der Teilrechtskraft eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung im Erkenntnisverfahren zu verwehren (vgl. , BGHSt 55, 220 Tz. 34 ff. für den Fall der wirksam beschränkten Berufung). Die Entscheidung über eine nachträglich zu bildende Gesamtstrafe noch im Erkenntnisverfahren entspricht vielmehr dem Grundsatz der Verfahrensökonomie und dem Beschleunigungsgebot. Zudem bietet das Erkenntnisverfahren insbesondere wegen des vom Angeklagten in der Hauptverhandlung gewinnbaren unmittelbaren persönlichen Eindrucks regelmäßig eine bessere Garantie für eine gerechtere Strafzumessung als das schriftliche Beschlussverfahren (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 3 StR 217/74, BGHSt 25, 382, 384; vom – 1 StR 212/10 aaO Tz. 26 ff.).

4Da die im vorliegenden Verfahren abgeurteilten Taten des Angeklagten vor seiner Verurteilung durch das Landgericht Bielefeld vom begangen worden sind, lagen mit Eintritt der Rechtskraft dieser Verurteilung am die Voraussetzungen des § 55 StGB vor, so dass die Strafkammer über die nachträgliche Bildung einer neuen Gesamtstrafe unter Einbeziehung der Freiheitsstrafe von sieben Jahren aus dem Urteil des Landgerichts Bielefeld vom hätte befinden müssen.

5Der Senat macht von der im Revisionsverfahren – auch im Falle einer unterlassenen Gesamtstrafenbildung (vgl. ) – eröffneten Möglichkeit des § 354 Abs. 1b Satz 1 StPO Gebrauch, die Entscheidung über die nachträglich zu bildende Gesamtstrafe dem Nachverfahren gemäß §§ 460, 462 StPO zuzuweisen.

6Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 4 StPO. Sie musste nicht dem Nachverfahren vorbehalten bleiben, weil sicher feststeht, dass die sich gegen die Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung richtende Revision des Angeklagten insoweit erfolglos bleibt.

Fundstelle(n):
wistra 2012 S. 221 Nr. 6
BAAAE-06165