BAG Beschluss v. - 1 ABR 37/10

Betriebsrat - Personalverkauf - Festlegung des Sortiments in der Crew-Kantine eines Fährschiffes - Sozialeinrichtung - betriebliche Lohngestaltung

Leitsatz

Der Einsatz von sächlichen Betriebsmitteln (Raum, Mobiliar) für einen Personalverkauf lässt nicht darauf schließen, dass dieser von einer Sozialeinrichtung iSd. § 87 Abs. 1 Nr. 8 BetrVG durchgeführt wird.

Gesetze: § 87 Abs 1 Nr 8 BetrVG, § 87 Abs 1 Nr 10 BetrVG, § 256 Abs 1 ZPO

Instanzenzug: ArbG Lübeck Az: See 3 BV 21 c/09 Beschlussvorgehend Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Az: 1 TaBV 28 d/09 Beschluss

Gründe

1A. Die Beteiligten streiten über ein Mitbestimmungsrecht bei der Durchführung eines Personalverkaufs.

Die tarifgebundene Arbeitgeberin bereedert ua. auf der Linie T zwei Fährschiffe, auf denen sie an die Besatzungsmitglieder Kantinenwaren veräußert. § 16 Abs. 4 Anlage II MTV-See lautet:

3Die für den Personalverkauf bestimmten Waren werden gemeinsam mit anderen, für den Passagierverkauf bestimmten Artikeln von der Arbeitgeberin bestellt und bezahlt. Ihre Abgabe an das Personal erfolgt an zwei Tagen in der Woche in einem gesonderten Raum durch Mitarbeiter der Arbeitgeberin. Die Öffnungszeiten betragen jeweils zwischen 20 Minuten und einer Stunde. Die Einnahmen aus dem Personalverkauf fließen mit den Einnahmen aus den übrigen Cateringbereichen in das allgemeine Vermögen der Arbeitgeberin ein.

4Im Sortiment für den Warenverkauf standen ursprünglich Artikel ua. aus den Bereichen Alkoholika, Tabakwaren, Süßigkeiten und Körperpflege. Nachdem der Zoll ein Besatzungsmitglied mit 27 Stangen Zigaretten und fünf Flaschen Starkalkohol aufgriffen hatte, wurden solche alkoholischen Getränke nicht mehr angeboten und die Abgabemenge für Zigaretten auf 400 Stück im Monat reduziert.

5Daraufhin kam es zwischen den Beteiligten zum Streit über ein Mitbestimmungsrecht bei der Ausgestaltung des Warensortiments für den Personalverkauf. Am entschied die Einigungsstelle gegen die Stimmen der vom Betriebsrat benannten Beisitzer lediglich über das Verfahren zur Festlegung der Öffnungszeiten und der Preise für die Kantinenwaren. Der vom Einigungsstellenvorsitzenden unterzeichnete Spruch ist dem Betriebsrat am zugeleitet worden.

6Mit seinem am beim Arbeitsgericht eingegangenen Antrag hat der Betriebsrat die Unwirksamkeit des Einigungsstellenspruchs geltend gemacht. Er hat die Auffassung vertreten, die von der Einigungsstelle getroffene Entscheidung sei unvollständig, weil diese keine Festlegung zum Warensortiment und den zulässigen Abgabemengen getroffen habe. Hierüber habe er nach § 87 Abs. 1 Nr. 8 und 10 BetrVG mitzubestimmen.

Der Betriebsrat hat beantragt,

8Die Arbeitgeberin hat beantragt, die Anträge abzuweisen.

9Die Vorinstanzen haben den Anträgen entsprochen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt die Arbeitgeberin ihren Zurückweisungsantrag weiter.

10B. Die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin ist begründet.

11I. Die Anträge sind zulässig.

121. Dies gilt zunächst für den zu 1 gestellten Feststellungsantrag. Streiten die Betriebsparteien über die Rechtswirksamkeit eines Einigungsstellenspruchs, ist die Feststellung der Unwirksamkeit des Beschlusses und nicht dessen Aufhebung zu beantragen ( - Rn. 14, EzA BetrVG 2001 § 112 Nr. 41).

132. Zulässig ist auch der Antrag zu 2. Die Anforderungen des § 256 Abs. 1 ZPO sind erfüllt. Die Feststellung ist auf das Bestehen eines betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsverhältnisses gerichtet. Das erforderliche besondere Feststellungsinteresse ist gegeben. Zwischen den Beteiligten besteht Streit über den Umfang des Mitbestimmungsrechts bei der Festlegung des Warensortiments und der Abgabemengen in Bezug auf die im Personalverkauf angebotenen Artikel. Der Streit kann sich auch zukünftig jederzeit wiederholen. Er wird durch eine Entscheidung über den Antrag zu 1 nicht notwendig beigelegt. Es ist nicht auszuschließen, dass auf die Unwirksamkeit des Einigungsstellenspruchs aus Gründen zu erkennen ist, die für das Bestehen des geltend gemachten Mitbestimmungsrechts ohne Bedeutung sind. Dann bliebe dessen Umfang ungeklärt. Das begründet ein entsprechendes Feststellungsinteresse.

14II. Der Antrag zu 1 ist unbegründet. Der Einigungsstellenspruch vom ist wirksam. Die Einigungsstelle ist ihrem Regelungsauftrag bei der Festlegung des Kantinenverkaufs in rechtlich nicht zu beanstandender Weise nachgekommen. Ein weitergehendes Mitbestimmungsrecht in Bezug auf die Festlegung des Warensortiments und den Umfang der Abgabemengen nach § 87 Abs. 1 Nr. 8 und 10 BetrVG besteht nicht. Dies führt auch zur Abweisung des zu 2 gestellten Feststellungsantrags.

151. Der Betriebsrat hat bei der Abgabe von Kantinenwaren nicht nach § 87 Abs. 1 Nr. 8 BetrVG mitzubestimmen. Der Warenverkauf an die Besatzungsmitglieder wird nicht von einer Sozialeinrichtung der Arbeitgeberin durchgeführt.

16a) Nach § 87 Abs. 1 Nr. 8 BetrVG hat der Betriebsrat mitzubestimmen bei der Form, Ausgestaltung und Verwaltung von Sozialeinrichtungen, deren Wirkungsbereich auf den Betrieb, das Unternehmen oder den Konzern beschränkt ist. Die Vorschrift will die Arbeitnehmer davor schützen, dass der Arbeitgeber die Verfügung über die für einen sozialen Zweck bereitstehenden Mittel durch deren organisatorische Verselbständigung einer Einflussnahme des Betriebsrats entzieht. Zu diesem Zweck unterwirft sie auch die Leistungsgewährung durch eine Sozialeinrichtung unter den in § 87 Abs. 1 Nr. 8 BetrVG bestimmten Voraussetzungen der betrieblichen Mitbestimmung.

17b) Eine Sozialeinrichtung iSd. § 87 Abs. 1 Nr. 8 BetrVG erfordert ein zweckgebundenes Sondervermögen ( - Rn. 30, BAGE 129, 313).

18aa) Die vom Arbeitgeber für die Zuwendung aus sozialen Gründen vorgesehenen Mittel müssen von den laufenden, anderen Zwecken dienenden Betriebsmitteln abgrenzbar sein und einer gesonderten Bewirtschaftung unterliegen ( - zu B II 3 der Gründe, BAGE 89, 128). Dies erfordert regelmäßig eine äußerlich erkennbare, auf Dauer gerichtete Organisation (vgl.  - zu B II 1 a der Gründe, AP BetrVG 1972 § 87 Sozialeinrichtung Nr. 9 = EzA BetrVG 1972 § 87 Sozialeinrichtung Nr. 15).

19bb) Dazu müssen die einer Sozialeinrichtung zur Verfügung stehenden Mittel einer organisatorisch verselbständigten Verwaltung unterliegen. Dies kann durch eine eigenständige gesellschaftsrechtliche Stellung der Sozialeinrichtung als Unternehmen mit eigener Rechtspersönlichkeit erfolgen. Sofern die Vermögensgegenstände dem Unternehmen des Arbeitgebers allerdings rechtlich zugeordnet bleiben, müssen sie von den für den laufenden Geschäftsbetrieb eingesetzten Mitteln hinreichend deutlich getrennt werden. Nur auf diese Weise lässt sich ermitteln, ob diese tatsächlich einer Sozialeinrichtung im Rahmen einer besonderen Zweckbindung zur Verfügung stehen (vgl.  - zu II 2 a der Gründe, AP BPersVG § 75 Nr. 16).

20c) Die Abgabe der Kantinenwaren erfolgt nicht durch eine Sozialeinrichtung.

21Die Arbeitgeberin hat für den auf den Fährschiffen durchgeführten Personalverkauf kein zweckgebundenes Sondervermögen gebildet, aus dessen Mitteln die Abgabe der Kantinenwaren bestritten wird. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts lässt deren Verkauf in einem von dem übrigen Cateringbereich abgetrennten Raum nicht auf das Vorliegen eines der Mitbestimmung unterfallenden Sondervermögens schließen. Vielmehr bedarf es hierzu der organisatorischen Verselbständigung der dafür eingesetzten Betriebsmittel (Wiese GK-BetrVG 9. Aufl. § 87 Rn. 679 ff.), an der es vorliegend fehlt. Die für den Wareneinkauf benötigten Finanzmittel sind weder summenmäßig begrenzt noch werden sie im Rechnungswesen der Arbeitgeberin gesondert ausgewiesen. Die aus dem Personalverkauf erzielten Einnahmen gehen ebenso wie die Erlöse aus den übrigen Warenverkäufen in die allgemeine Gesamtkassenabrechnung ein. Die Abgabe von Kantinenwaren bestreitet die Arbeitgeberin daher aus den für ihren laufenden Geschäftsbetrieb bestimmten Betriebsmitteln. Der auf den Fährschiffen für den Personalverkauf benutzte Raum dient ebenso wie das darin befindliche Mobiliar lediglich der Abwicklung ihrer Leistung.

222. Der Einigungsstellenspruch ist auch nicht deshalb unwirksam, weil er nur eine unvollständige Regelung in Bezug auf das Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG enthält. Die Abgabe von Kantinenwaren iSv. § 16 Abs. 4 Satz 2 Anlage II MTV-See ist zwar Teil der betrieblichen Lohngestaltung. Der Betriebsrat hat aber bei der Festlegung des Warensortiments und der Abgabemengen nicht mitzubestimmen.

23a) Nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG hat der Betriebsrat in Fragen der betrieblichen Lohngestaltung, insbesondere bei der Aufstellung und Änderung von Entlohnungsgrundsätzen und der Einführung und Anwendung von neuen Entlohnungsmethoden sowie deren Änderung, mitzubestimmen. Das Beteiligungsrecht soll die Angemessenheit des innerbetrieblichen Lohngefüges und seine Transparenz gewährleisten. Es umfasst die Einführung von Entlohnungsgrundsätzen und deren Änderung durch den Arbeitgeber ( - zu C III 3 c der Gründe, AP BetrVG 1972 § 87 Lohngestaltung Nr. 52). Entlohnungsgrundsätze sind die abstrakt-generellen Grundsätze zur Lohnfindung. Sie bestimmen das System, nach welchem das Arbeitsentgelt für die Belegschaft oder Teile der Belegschaft ermittelt oder bemessen werden soll ( - Rn. 16, EzA BetrVG 2001 Betriebliche Lohngestaltung § 87 Nr. 25). Das Mitbestimmungsrecht ist nicht beschränkt auf die im Synallagma stehenden Entgeltbestandteile, sondern betrifft alle Formen der Vergütung, die aus Anlass des Arbeitsverhältnisses gewährt werden. Es erfasst auch solche geldwerten Leistungen, bei denen die Bemessung nach bestimmten Grundsätzen oder nach einem System erfolgt. Auch bei diesen soll das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats die innerbetriebliche Lohngerechtigkeit sicherstellen ( - zu B 2 a der Gründe, BAGE 52, 171).

24b) Die Abgabe von Kantinenwaren auf den Fährschiffen betrifft die betriebliche Lohngestaltung iSv. § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG. Nach § 16 Abs. 4 Satz 1 Anlage II MTV-See hat die Arbeitgeberin die Verkaufspreise so zu kalkulieren, dass nach Deckung der Kosten keine Überschüsse entstehen. Daher erhalten die von der tariflichen Regelung begünstigten Arbeitnehmer bei einem Wareneinkauf an Bord einen Vermögensvorteil in Höhe der Differenz zwischen dem Abgabepreis und dem Warenpreis bei einem Bezug außerhalb der Fährschiffe oder den für Passagiere geltenden Konditionen. Ohne Bedeutung ist, dass der Warenverkauf auch an ein Bedürfnis der Arbeitnehmer bei der Gestaltung ihrer privaten Lebensbedingungen anknüpft. Betriebliche Sozialleistungen behalten ihren Vergütungscharakter, selbst wenn ihre Gewährung von besonderen persönlichen Voraussetzungen abhängig ist ( - zu B 2 b der Gründe, BAGE 52, 171).

25c) Allerdings unterliegt die von der Arbeitgeberin nach § 16 Abs. 4 Satz 2 Anlage II MTV-See durchgeführte Abgabe von Kantinenwaren weder hinsichtlich der Festlegung des Warensortiments noch der Abgabenmengen dem Beteiligungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG. Insoweit fehlt es an einem der Verteilung zugänglichen Dotierungsrahmen sowie einer verteilenden Entscheidung der Arbeitgeberin, an der das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats seinem Zweck nach anknüpft.

26aa) Mit der Festlegung des Warensortiments gibt die Arbeitgeberin keinen verteilungsfähigen Dotierungsrahmen vor. Sie ist zwar nach § 16 Abs. 4 Satz 1 und 2 Anlage II MTV-See zur Abgabe der Kantinenwaren an die Besatzungsmitglieder verpflichtet. Die Tarifnorm soll verhindern, dass mit der Abgabe von Kantinenwaren an die Schiffsbesatzung Gewinne erzielt werden (Lindemann/Bemm Seemannsgesetz und Manteltarifvertrag für die deutsche Seeschifffahrt 6. Aufl. § 39 Rn. 19). Eine darauf bezogene weitere Differenzierung, wie zB nach Art der Tätigkeit oder dem Einkommen der Besatzungsmitglieder ist der Arbeitgeberin aber tariflich verwehrt. Vom Begriff der Kantinenwaren erfasst werden im Wesentlichen Getränke, Tabakwaren sowie Körperpflegemittel (Lindemann/Bemm aaO). Weder mit der Festlegung der jeweiligen Warengruppe noch mit der einer jeweils zuzuordnenden Marke geht eine Entscheidung der Arbeitgeberin einher, die zur Herstellung innerbetrieblicher Lohngerechtigkeit oder Transparenz der Beteiligung des Betriebsrats bedürfte. Letztlich bestimmt sich das Warensortiment der Kantinenwaren, die zum Verzehr und zum Verbrauch an Bord bestimmt sind, nach der an persönlichen Bedürfnissen und individuellen Vorlieben der Besatzungsmitglieder orientierten Nachfrage, die nicht Gegenstand der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG ist. Deshalb kann die Arbeitgeberin innerhalb des tariflich bestimmten Rahmens das Sortiment der von ihr angebotenen Kantinenwaren festlegen. Dabei hat sie ihren tarifvertraglichen Verpflichtungen zu genügen und ein Warensortiment anzubieten, in dem Kantinenwaren in nennenswertem Umfang enthalten sind. Etwas anderes folgt auch nicht aus § 16 Abs. 4 Satz 3 Anlage II MTV-See. Diese Vorschrift regelt nur die Beteiligung des Betriebsrats bei der Preisgestaltung für die von der Arbeitgeberin angebotenen Waren sowie den Öffnungszeiten der Verkaufsstellen auf den Fährschiffen. Ein weitergehendes Mitbestimmungsrecht an der Festlegung des Warensortiments begründet sie indes nicht.

bb) Entgegen der Auffassung des Betriebsrats unterliegt auch die Festlegung der Abgabemengen für Zigaretten oder andere Warengruppen nicht seinem Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG. Dies folgt aus dessen Normzweck. § 87 Abs. 1 BetrVG beschränkt wegen der sozialen Abhängigkeit des Arbeitnehmers und im Hinblick auf den Teilhabegedanken die Handlungsmöglichkeiten des Arbeitgebers bei der Vertragsgestaltung und der Ausübung seines Direktionsrechts (Wiese GK-BetrVG 9. Aufl. § 87 Rn. 56). Im Bereich der betrieblichen Lohngestaltung soll die Mitbestimmung des Betriebsrats die Angemessenheit des innerbetrieblichen Lohngefüges und seine Transparenz gewährleisten ( - Rn. 13, BAGE 133, 373; - 1 ABR 97/07 - Rn. 21, BAGE 131, 1). Anders als bei der Zahlung von Arbeitsentgelt wird der Vermögensvorteil bei einem verbilligten und nicht zum Weiterverkauf bestimmten Warenbezug jedoch nicht durch die verteilende Entscheidung des Arbeitgebers in einem Leistungsplan bewirkt. Vielmehr entscheiden bei einem Personalverkauf ausschließlich die Arbeitnehmer, ob und ggf. in welchem Umfang sie von dem Angebot Gebrauch machen und den vermögenswerten Vorteil in Anspruch nehmen. Unter dem Gesichtspunkt der angemessenen Teilhabe an betrieblichen Leistungen besteht danach kein Bedürfnis für die Mitbestimmung des Betriebsrats, wenn der Arbeitgeber jedem Arbeitnehmer in gleicher Weise die Möglichkeit zu einem verbilligten Warenbezug einräumt. Eine solche Regelung ist einer weitergehenden Ausgestaltung unter dem Gesichtspunkt der Verteilungsgerechtigkeit entzogen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
DB 2012 S. 2106 Nr. 37
FAAAE-04522