BGH Beschluss v. - IX ZB 86/10

(Insolvenzeröffnungsverfahren: Entscheidung über einen mit einem Stundungsantrag verbundenen Eigenantrag vor Abweisung des Gläubigerantrags mangels Masse; Eröffnungsantrag unter dem Vorbehalt der Bejahung der internationalen Zuständigkeit)

Leitsatz

1. Ein Gläubigerantrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners kann nicht ohne gleichzeitige Entscheidung über dessen eigenen Eröffnungs- und Stundungsantrag mangels Masse abgewiesen werden.

2. Der Schuldner kann einen Eröffnungsantrag nebst Antrag auf Stundung der Verfahrenskosten und Restschuldbefreiung wirksam unter der prozessualen Bedingung stellen, dass das Insolvenzgericht auf einen Gläubigerantrag seine - vom Schuldner bestrittene - internationale Zuständigkeit bejahe (im Anschluss an BGH, , IX ZB 110/09, ZIP 2010, 888).

Gesetze: § 4a InsO, § 26 Abs 1 S 1 InsO, § 26 Abs 1 S 2 InsO

Instanzenzug: LG Oldenburg (Oldenburg) Az: 6 T 160/10vorgehend AG Oldenburg (Oldenburg) Az: 8 IN 3/07

Gründe

I.

1Mit am beim Amtsgericht eingegangenem Schriftsatz beantragte das Finanzamt W.        die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Dr. Dr. G.      (im Folgenden: Schuldner). Am beantragte der Schuldner die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen, Verfahrenskostenstundung und Restschuldbefreiung. Der Antrag erfolgte vorbehaltlich des Schreibens des Schuldners vom , in dem er die Auffassung aufrecht erhielt, eine gerichtliche Verfügung vom sei ihm in B.             nicht ordnungsgemäß zugestellt worden, weil er an dieser Anschrift nicht ansässig sei. Das Verfahren sei unzulässig, weil die französische Zuständigkeit gegeben sei. Vorsorglich beantrage er jedoch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen und stelle Antrag auf Restschuldbefreiung.

2Nach Durchführung von Ermittlungen zur internationalen und örtlichen Zuständigkeit verband das Insolvenzgericht die beiden Insolvenzantragsverfahren und holte ein Gutachten zum Vorliegen der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners und zu einer die Verfahrenskosten deckenden Masse ein.

3Mit Beschluss vom hat das Insolvenzgericht den Insolvenzeröffnungsantrag des Finanzamts mangels einer die Kosten des Verfahrens deckenden Masse abgewiesen. Mit der sofortigen Beschwerde hat der Schuldner gerügt, dass über seinen Antrag nicht entschieden worden sei. In der Abhilfeentscheidung hat das Insolvenzgericht ausgeführt, der "unter Vorbehalt" gestellte Eigenantrag des Schuldners sei dahin auszulegen, dass der Eigenantrag unter der Bedingung gestellt sei, dass der Fremdantrag zur Eröffnung führe. Diese Bedingung sei nicht eingetreten.

4Die sofortige Beschwerde ist ohne Erfolg geblieben. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Schuldner das Ziel der Verfahrenseröffnung weiter.

II.

5Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§§ 6, 7, 34 Abs. 1 InsO, Art. 103f EGInsO, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO) und auch im Übrigen zulässig (§ 574 Abs. 2, § 575 ZPO). Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen und zur Zurückverweisung an das Insolvenzgericht.

61. Das Beschwerdegericht hat hinsichtlich des Eröffnungsantrags des Schuldners allein auf die Ausführungen des Insolvenzgerichts in der Nichtabhilfeentscheidung verwiesen.

72. Die dortigen Ausführungen halten rechtlicher Prüfung nicht stand.

8Die Abweisung des Fremdantrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse war ohne gleichzeitige Entscheidung über den Eigenantrag und den Antrag auf Verfahrenskostenstundung unzulässig, weil der Schuldner einen zulässigen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen, auf Restschuldbefreiung und auf Stundung der Verfahrenskosten gestellt hat.

9a) Die Abweisung eines Insolvenzantrags mangels Masse hat nach § 26 Abs. 1 Satz 2 InsO zu unterbleiben, wenn die Kosten des Verfahrens nach § 4a InsO gestundet werden. Ist der Schuldner eine natürliche Person und hatte er einen wirksamen Antrag auf Verfahrenskostenstundung gestellt, ist dieser vor einer Abweisung des Eröffnungsantrages mangels Masse zu prüfen (HK-InsO/Kirchhof, 6. Aufl. § 26 Rn. 21).

10b) Der Schuldner hatte zulässige Anträge auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens und auf Stundung der Verfahrenskosten gestellt. Über diese Anträge war zu entscheiden. Die Auslegung des Vorbehalts durch die Vordergerichte ist unzutreffend. Sie ist diesen auch nicht vorbehalten, sondern kann vom Senat selbst vorgenommen werden (, NJW-RR 2005, 371, 372).

11aa) Die Auslegung einer Prozesshandlung hat sich an dem Grundsatz auszurichten, dass im Zweifel gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der recht verstandenen Interessenlage entspricht (, NJW 1994, 1537, 1538; vom , aaO). Denn das Verfahrensrecht dient der Wahrung der Rechte der Beteiligten. Es soll eine einwandfreie Durchführung des Verfahrens unter Wahrung ihrer Rechte sicherstellen und nicht behindern (vgl. aaO mwN).

12bb) Die vom Insolvenzgericht vorgenommene Auslegung, dass der Eigenantrag nur für den Fall gestellt worden sei, dass der Fremdantrag zur Eröffnung führt, hätte zur Folge, dass der Eigenantrag in jedem Fall als unzulässig und unwirksam anzusehen wäre (vgl. im Einzelnen , ZIP 2010, 888 Rn. 7 ff). Das war vom Schuldner nicht gewollt.

13Geboten ist die Auslegung, dass der Eigenantrag für den Fall gestellt wurde, dass das Insolvenzgericht seine internationale und örtliche Zuständigkeit bejaht. Eine solche Bedingung ist prozessual zulässig. Als Prozesshandlungen sind Anträge auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zwar nach den allgemeinen Grundsätzen bedingungsfeindlich. Auch für sie gilt aber die Regel, dass sie an eine bloße innerprozessuale Bedingung geknüpft und deshalb hilfsweise für den Fall zur Entscheidung gestellt werden können, dass ein bestimmtes innerprozessuales Ereignis eintritt ( aaO Rn. 7). Von einer solchen innerprozessualen Bedingung hat der Schuldner seinen Eröffnungsantrag abhängig gemacht, nämlich von der Bejahung der von ihm bestrittenen internationalen und örtlichen Zuständigkeit des Insolvenzgerichts. Nur diese hatte der Schuldner in seinem Vorbehaltsschreiben in Zweifel gezogen. Er hat sich dagegen nicht gegen die Annahme der Zahlungsunfähigkeit als Eröffnungsgrund gewandt.

14Die Zulässigkeit einer Prozesshandlung unter der innerprozessualen Bedingung, dass das Gericht seine Zuständigkeit verneint oder bejaht, ist anerkannt (, BGHZ 5, 105, 107; Zöller/Greger, ZPO, 29. Aufl., vor § 128 Rn. 20, § 281 Rn. 11; Hk-ZPO/Saenger, ZPO, 4. Aufl., § 281 Rn. 14; Musielak, ZPO, 8. Aufl., Einleitung Rn. 62). Diese Bedingung war eingetreten, weshalb das Insolvenzgericht auch über den Eröffnungsantrag des Schuldners und seinen Stundungsantrag vor einer Abweisung mangels Masse zu entscheiden hatte.

153. Die Zurückverweisung erfolgt an das Insolvenzgericht, weil das Beschwerdegericht vernünftigerweise ebenso verfahren wäre (vgl. , BGHZ 160, 176, 185 f). Das Insolvenzgericht wird die bisher unterlassene Prüfung des Stundungsantrages und des Eigenantrages des Schuldners auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nachzuholen haben.

Kayser                                                    Vill                                             Lohmann

                             Fischer                                               Pape

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
NJW-RR 2012 S. 503 Nr. 8
WM 2012 S. 519 Nr. 11
ZIP 2012 S. 582 Nr. 12
ZAAAE-04028