BAG Urteil v. - 10 AZR 720/10

Beitragspflicht - Sozialkassen des Baugewerbes - bauliche Leistung - Hochfrequenzkabine für Kernspintomographen

Gesetze: § 812 Abs 1 S 1 BGB, § 1 Abs 2 Abschn II VTV-Bau, § 1 Abs 2 Abschn IV Nr 3 VTV-Bau, § 1 Abs 2 Abschn V Nr 9 VTV-Bau, § 1 Abs 2 Abschn V Nr 37 VTV-Bau, § 18 VTV-Bau, § 19 VTV-Bau, § 22 VTV-Bau

Instanzenzug: ArbG Wiesbaden Az: 4 Ca 3212/08 Urteilvorgehend Hessisches Landesarbeitsgericht Az: 10 Sa 2013/09 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten in der Revisionsinstanz noch über Sozialkassenbeitragsansprüche für die Zeiträume Januar bis Mai 2008 und September 2008 bis April 2009 sowie über widerklagend geltend gemachte Rückzahlungsansprüche für den Zeitraum Januar bis November 2007.

2Die Klägerin ist die Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes in der Rechtsform einer AG. Sie ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes und nach den allgemeinverbindlichen tariflichen Regelungen die Einzugsstelle für die Beiträge zu den Sozialkassen des Baugewerbes.

Die für den Zeitraum Januar 2007 bis April 2009 gültigen Fassungen vom , sowie des durchgängig allgemeinverbindlichen Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) vom regeln ua.:

4Die Beklagte, die kein Mitglied der tarifvertragschließenden Verbände des Baugewerbes ist, betreibt als Einzelunternehmerin mit Sitz in U einen Betrieb, der im Gewerberegister der Stadt U bis März 2008 mit der Tätigkeit „Einbau von genormten Baufertigteilen, Bodenleger“ eingetragen war. Bis einschließlich November 2007 nahm die Beklagte am Sozialkassenverfahren teil und zahlte an die Klägerin für den Zeitraum Januar 2007 bis November 2007 abzüglich eines Erstattungsbetrags Beiträge in der Gesamthöhe von 5.808,16 Euro. Mit Schreiben vom teilte die Beklagte der Klägerin ua. mit, der Betrieb sei seit dem im Installations- und Montagebereich von Kernspintomographen und Röntgengeräten tätig, und bat, das Mitgliedskonto zu schließen. Mit Schreiben vom erklärte sie, ihr Betrieb habe sich seit Januar 2007 auf die Installation von medizinischen Geräten (MRT, CT, OP) und Industriemontagen für den Forschungsbereich spezialisiert. Im März 2008 ließ sie beim Gewerberegister der Stadt U ihre Tätigkeit als „Installation von med. Geräten (Einbau)“ eintragen. Mit Schreiben vom teilte sie der Klägerin mit, die von ihr montierten Kabinen würden beim Statistischen Bundesamt als „vorgefertigtes Gebäude, das keine Verbindung zum Hauptgebäude hat“, geführt.

5Im Betrieb der Beklagten wird überwiegend die Montage von Hochfrequenzkabinen (Abschirmgehäuse) für Kernspintomographen für die A GmbH ausgeführt. Im Kalenderjahr 2007 entfielen von insgesamt 640 Montagetagen 480 Montagetage und im Kalenderjahr 2008 von 830 Montagetagen 450 Montagetage auf die Montage solcher Kabinen. Tomograph und Kabine werden vom Kunden zusammen bestellt und an ihn verkauft. Ein Kernspintomograph wird vornehmlich zur Untersuchung von Weichteilen im Gehirn eingesetzt und empfängt kleinste elektrische Signale aus dem Körper des Patienten. Diese Signale sind ohne ein Abschirmgehäuse nicht erfassbar und würden unter den zahlreichen Störsignalen untergehen. Dementsprechend muss im Rahmen der Diagnostik mit Kernspintomographen der Magnet vor sämtlichen Störfaktoren sicher abgeschirmt werden. Neben den Störungen durch Radio- und Funkwellen sowie elektromagnetische Quellen können bewegte Massen, wie etwa Fahrzeuge oder Aufzüge im weiteren Umfeld des Installationsorts, das Magnetfeld beeinflussen. Durch den Einsatz von Hochfrequenzkabinen werden diese Störquellen ausgeschlossen. Ohne abschirmende Kabine liefert der Tomograph keine oder fehlerhafte Ergebnisse. Alle Bauteile der Hochfrequenzkabinen, wie Wände, Decken und Böden, sind komplett vorgefertigt. Sie bestehen aus Aluminium, verzinktem Stahlblech oder Kupfer. Die Anbringung und Montage dieser Bauteile, die verschraubt oder verschweißt werden, erfolgt durch qualifizierte Arbeitnehmer der Beklagten in einem Zeitraum von zehn bis zwölf Tagen nahezu schmutzfrei. Die Bauteile werden vor Ort so miteinander verbunden, dass sämtliche Teile untereinander leiten und ein Faraday’scher Käfig entsteht. In ihm befindet sich der Kernspintomograph. Die Kabine ist freitragend und wird auf Teichfolie installiert. An einem Punkt ist sie geerdet. Die Verkabelung der Kabine und die Tests mit dem Kernspintomographen werden von den Arbeitnehmern der Beklagten ausgeführt.

6Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Beklagte sei zur Teilnahme am Sozialkassenverfahren verpflichtet, weil sie Trocken- und Montagebauarbeiten iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 37 VTV ausübe. Sie montiere vorwiegend vorgefertigte Wände und Decken. Nicht entscheidend sei, aus welchem Material diese seien. Durch die Montagebautätigkeit werde der erstellte Raum seinem bestimmungsgemäßen Zweck im Rahmen des Gesamtbauwerks „Krankenhaus“ zugeführt.

Die Klägerin hat nach Verrechnung einer Erstattungsleistung der Urlaubs- und Lohnausgleichskasse (ULAK) in Höhe von 806,69 Euro beantragt,

Die Beklagte hat beantragt,

9Sie hat die Ansicht vertreten, sie nehme seit Januar 2007 nicht mehr am Sozialkassenverfahren des Baugewerbes teil. Die Erstellung einer Hochfrequenzkabine sei keine bauliche Tätigkeit, insbesondere keine Montagebauarbeit und lasse sich mit dem Aufstellen einer Wand nicht vergleichen. Die Arbeiten stünden nicht im Zusammenhang mit der Erstellung eines Bauwerks. Das Gebäude sei auch ohne die Hochfrequenzkabine funktionstüchtig. Die besonderen Kabinen für die Kernspintomographen seien notwendige Teile eines medizinischen Geräts. Tomograph und Abschirmgehäuse bildeten eine notwendige, untrennbare Einheit und führten nur zusammen zur Funktionsfähigkeit des medizinischen Geräts. Die Größe des aus Metallteilen geschweißten und verschraubten Faraday’schen Käfigs hänge nicht vom Raum, sondern vielmehr von der Größe des Tomographen ab.

Die Klägerin hat beantragt,

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungs- und ihren Widerklageantrag weiter.

Gründe

12Die Revision ist begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch nach §§ 18, 19, 22 VTV auf Zahlung der Sozialkassenbeiträge. Der Betrieb der Beklagten fällt seit dem nicht mehr unter den betrieblichen Geltungsbereich des VTV. Deshalb besteht auch der mit der Widerklage geltend gemachte Rückzahlungsanspruch für die ab geleisteten Beiträge nach § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB.

13A. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung der begehrten Sozialkassenbeiträge für die Jahre 2008 und 2009. Der Betrieb der Beklagten wurde in diesem Zeitraum nicht vom Geltungsbereich des allgemeinverbindlichen VTV erfasst.

14I. Die Anwendbarkeit des allgemeinverbindlichen VTV hängt davon ab, ob in den Zeiträumen Januar bis Mai 2008 sowie September 2008 bis April 2009 im Betrieb der Beklagten arbeitszeitlich überwiegend baugewerbliche Tätigkeiten ausgeführt wurden, die unter die Abschn. I bis V des § 1 Abs. 2 VTV fielen. Auf wirtschaftliche Gesichtspunkte wie Umsatz und Verdienst sowie auf handels- oder gewerberechtliche Kriterien kommt es dabei nicht an. Für den Anwendungsbereich des VTV reicht es aus, wenn in dem Betrieb überwiegend ein oder mehrere der in den Beispielen des § 1 Abs. 2 Abschn. IV oder Abschn. V VTV genannten Tätigkeiten ausgeübt werden. Der Betrieb wird dann stets von dem betrieblichen Geltungsbereich des VTV erfasst, ohne dass die allgemeinen Merkmale der Abschn. I bis III VTV zusätzlich geprüft werden müssen (st. Rspr., zB  - Rn. 12; - 10 AZR 845/09 - Rn. 21; - 10 AZR 593/08 - Rn. 16 mwN). Nur wenn in dem Betrieb arbeitszeitlich überwiegend nicht die in Abschn. IV und Abschn. V des § 1 Abs. 2 VTV genannten Beispielstätigkeiten ausgeführt werden, muss darüber hinaus geprüft werden, ob die ausgeführten Tätigkeiten die allgemeinen Merkmale der Abschn. I bis III erfüllen ( - Rn. 12; - 10 AZR 845/09 - Rn. 21; - 10 AZR 621/99 - zu II 2 der Gründe).

15Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass im Betrieb der Arbeitgeberin überwiegend baugewerbliche Tätigkeiten verrichtet werden, obliegt der Klägerin (vgl.  - zu II 1 b der Gründe, AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 264).

16II. Nach diesen Grundsätzen ist nicht davon auszugehen, dass im Betrieb der Beklagten arbeitszeitlich überwiegend baugewerbliche Tätigkeiten ausgeführt wurden.

171. Der Betrieb der Beklagten erfüllte keines der Regelbeispiele des § 1 Abs. 2 Abschn. IV oder Abschn. V VTV.

18a) Ob bei der Erstellung von Hochfrequenzkabinen für Kernspintomographen technische Dämm-(Isolier-)Arbeiten iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. IV Nr. 3 oder Dämm-(Isolier-)Arbeiten iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 9 ausgeführt werden, erscheint schon deshalb zweifelhaft, weil Dämm-(Isolier-)Arbeiten im Sinne der Tarifnormen ein bestehendes Substrat oder bereits bestehende Leitungen und/oder Kanäle voraussetzen, an denen Abschirmungen an- oder aufgebracht werden.

19b) Vom fachlichen Geltungsbereich des VTV werden jedenfalls solche Betriebe nicht erfasst, deren Dämm- oder Isolierarbeiten integrale Bestandteile des erstellten (medizinischen) Geräts sind. Dieses wird nicht isoliert, sondern erstmals hergestellt. Dabei handelt es sich auch nicht um Bautätigkeit.

20aa) Bauliche Leistungen umfassen alle Arbeiten, die irgendwie - wenn auch nur auf einem kleinen und speziellen Gebiet - der Errichtung und Vollendung von Bauwerken oder auch der Instandsetzung, Instandhaltung oder Änderung von Bauwerken zu dienen bestimmt sind, sodass diese in vollem Umfang ihre bestimmungsgemäßen Zwecke erfüllen können (vgl.  - zu II 2 c aa der Gründe mwN). Keine baulichen Leistungen liegen hingegen vor, wenn die Arbeiten an anderen, nicht zum Bauwerk gehörenden Teilen ausgeführt werden und nicht für ein Bauwerk prägend sind (vgl. zur Abgrenzung auch  - Rn. 30).

21bb) Beim Aufbau und der Montage einer Hochfrequenzkabine wird kein Bauwerk erstellt oder instandgesetzt. Die Abschirmgehäuse sind nicht Teil eines Bauwerks, wie beispielsweise ein Reinraum, sondern notwendiger und integraler Bestandteil des medizinischen Geräts „Kernspintomograph“. Tomograph und Hochfrequenzkabine bilden eine notwendige technische Einheit. Zwar dient die Hochfrequenzkabine auch der Abschirmung, nämlich der Abschirmung des Geräts gegen äußere Einflüsse einerseits und der Abgabe von elektromagnetischen Wellen des Geräts andererseits. Im Vordergrund steht jedoch die Funktionsfähigkeit des Kernspintomographen. Die Hochfrequenzkabine ist in erster Linie notwendige Voraussetzung für die Inbetriebnahme des medizinischen Geräts. Ohne ein Abschirmgehäuse lassen sich die Signale aus dem menschlichen Körper nicht erfassen. Das „Gehäuse“, der Faraday’sche Käfig, ist notwendiger Bestandteil des medizinischen Geräts und nicht eigenständiges Bauwerk oder Bestandteil des Gebäudes. Ohne die Hochfrequenzkabine funktioniert der Tomograph nicht. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die Hochfrequenzkabine damit kein Teil des Gesamtbauwerks „Krankenhaus“.

22c) Da die Beklagte keine „baulichen“ Leistungen erbringt, führt sie auch keine Trocken- und Montagebauarbeiten iSd. § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 37 VTV aus. Die Montagearbeiten an einer Hochfrequenzkabine führen nicht ein Bauwerk, sondern einen Kernspintomographen seinem bestimmungsgemäßen Zweck zu. Deshalb kann dahinstehen, ob durch den Aufbau und die Montage der Kabinenwände die weiteren Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 37 erfüllt werden, nach denen Trockenbaumontage bedeutet, industriell hergestellte Fertigteile - vor allem plattenförmig vorgefertigte, nicht mehr wesentlich veränderte Bauteile verschiedener Materialien - zu montieren ( - Rn. 15; - 10 AZR 270/05 - Rn. 15; - 10 AZR 225/02 - zu II 2 a der Gründe, AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 255 = EzA TVG § 4 Bauindustrie Nr. 115).

232. Da im Betrieb der Beklagten keine baulichen Leistungen iSd. VTV erbracht werden, sind auch die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Abschn. I bis III VTV nicht erfüllt.

24Gemäß § 1 Abs. 2 Abschn. II werden nur solche Betriebe vom VTV erfasst, die nach ihrer durch die Art der betrieblichen Tätigkeiten geprägten Zweckbestimmung und nach ihrer betrieblichen Einrichtung gewerblich bauliche Leistungen erbringen, die der Erstellung, Instandsetzung, Instandhaltung, Änderung oder Beseitigung von Bauwerken dienen. Auch daran fehlt es im Streitfall.

25B. Die Widerklage der Beklagten ist begründet.

26I. Der Beklagten steht der geltend gemachte Anspruch auf Rückzahlung der für 2007 geleisteten Sozialkassenbeiträge nach § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB zu. Diese Beiträge hat die Beklagte ohne Rechtsgrund gezahlt, da sie nach den tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts und den Erklärungen der Prozessparteien im Termin vom ab Januar 2007 arbeitszeitlich überwiegend nur noch Hochfrequenzkabinen für Kernspintomographen erstellt und damit keine beitragspflichtigen baulichen Leistungen mehr erbracht hat.

27II. Der Zinsanspruch der Beklagten ergibt sich aus § 288 Abs. 2, § 291 BGB iVm. §§ 253, 261 ZPO.

C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

Fundstelle(n):
HAAAE-03652