Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Pflicht des Rechtsanwalts zur Überprüfung der richtigen Adressierung der Rechtsmittelschrift auch in Stresssituationen
Leitsatz
Der Verfahrensbevollmächtigte trägt die Verantwortung dafür, dass die Rechtsmittelschrift rechtzeitig bei dem zuständigen Gericht eingeht. Insofern muss er sich bei der Unterzeichnung davon überzeugen, dass sie zutreffend adressiert ist (im Anschluss an BGH Beschlüsse vom , III ZB 54/08, FamRZ 2009, 109 Rn. 9; vom , VIII ZB 107/02, FamRZ 2003, 1650; vom , V ZB 20/95, NJW 1996, 997, 998 und vom , VII ZR 8/95, NJW-RR 1996, 443). Von dieser Verpflichtung ist der Verfahrensbevollmächtigte grundsätzlich auch nicht in plötzlich und unvorhersehbar eingetretenen Stresssituationen entbunden.
Gesetze: § 113 Abs 1 S 2 FamFG, § 117 Abs 1 S 4 FamFG, § 85 Abs 2 ZPO, § 233 ZPO
Instanzenzug: Az: 13 UF 50/11vorgehend AG Tempelhof-Kreuzberg Az: 150 F 14882/10
Gründe
I.
1Die Antragsteller wenden sich mit der Rechtsbeschwerde gegen die Zurückweisung ihres Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und die damit einhergehende Verwerfung ihrer Beschwerde als unzulässig.
2Mit Beschluss vom hat das Amtsgericht den Antrag der Antragsteller zurückgewiesen, ihren ehemaligen Schwiegersohn wegen von ihnen erbrachter Geldgeschenke zur Zahlung von 5.710 € zu verurteilen.
3Gegen den ihnen am zugestellten Beschluss des Amtsgerichts haben die Antragsteller am Beschwerde beim Kammergericht eingelegt. Die Beschwerde haben sie am wieder zurückgenommen, nachdem der Vorsitzende des Beschwerdegerichts ihnen mitgeteilt hatte, dass bei der Anwendung des neuen Verfahrensrechts die Beschwerde beim Amtsgericht einzulegen gewesen wäre.
4Am haben die Antragsteller (erneut) Beschwerde beim Amtsgericht eingelegt und zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.
5Zur Begründung haben die Antragsteller ausgeführt, dass die Rechtsfachwirtin H. im Büro ihrer Verfahrensbevollmächtigten am , dem Tag des Fristablaufs der im Computer notierten Berufungsfrist, den Auftrag gehabt habe, die Beschwerde einzulegen. Bei dem von Frau H. im Computer aufgerufenen Formular für die Beschwerdeschrift habe es sich noch um ein Formular nach dem alten Recht gehandelt, welches sie aber habe überschreiben wollen. Kurz danach habe Frau H. sich unwohl gefühlt, Kreislaufprobleme bekommen und sei dann ohnmächtig geworden. Sie sei von einer weiteren Angestellten und der Verfahrensbevollmächtigten wiederbelebt und von Letzterer zum Arzt gefahren worden, wo sie notversorgt worden sei. Die Verfahrensbevollmächtigte sei anschließend wieder ins Büro gefahren und habe wegen weiterer Termine der Angestellten P. die Weisung erteilt, die Beschwerde zu fertigen und fristwahrend zu faxen. Die Verfahrensbevollmächtigte habe die Beschwerde unterschrieben und sich dann zu weiteren Terminen begeben. An einem normalen Tag hätte sie den Schriftsatz nochmals überprüft, der sei aber aufgrund der dramatischen Situation nicht normal gewesen. Die Angestellte P. habe die Beschwerde in der Vermutung, diese sei ordnungsgemäß vorbereitet worden, nach der Unterschrift der Verfahrensbevollmächtigten an das Kammergericht gefaxt. Durch den Zusammenbruch von Frau H. , einer seit 20 Jahren in der Kanzlei tätigen zuverlässigen und sehr exakten Mitarbeiterin, sei der Kanzleibetrieb völlig durcheinandergeraten.
6Das Kammergericht hat mit dem angefochtenen Beschluss den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen und die gegen den amtsgerichtlichen Beschluss gerichtete Beschwerde der Antragsteller verworfen. Hiergegen richtet sich deren Rechtsbeschwerde.
II.
7Die Rechtsbeschwerde ist nach § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG iVm §§ 574 Abs. 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft. Sie ist jedoch nicht zulässig, weil die hier maßgeblichen Rechtsfragen durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs geklärt sind und das Beschwerdegericht hiernach zutreffend entschieden hat. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO liegen deshalb nicht vor.
81. Die Beschwerde war gemäß § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG iVm § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO als unzulässig zu verwerfen, weil die Antragsteller sie entgegen § 64 Abs. 1 FamFG nicht innerhalb von einem Monat nach der schriftlichen Bekanntgabe des amtsgerichtlichen Beschlusses beim zuständigen Amtsgericht eingelegt haben. Dieser wurde ihnen am zugestellt. Die Antragsteller haben indes erst am beim Amtsgericht Beschwerde eingelegt.
92. Zu Recht hat das Kammergericht den Antragstellern die begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt. Nach § 113 Abs. 1 FamFG iVm § 233 ZPO setzt die Wiedereinsetzung voraus, dass die Partei ohne ihr Verschulden gehindert war, die Frist einzuhalten. Auf der Grundlage ihres Vortrags ist ein ihnen nach § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG iVm § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbares Anwaltsverschulden nicht ausgeräumt.
10a) Das Anwaltsverschulden liegt darin, dass die Verfahrensbevollmächtigte der Antragsteller die Beschwerdeschrift ungeprüft unterschrieben hat.
11Der Prozessbevollmächtigte einer Partei trägt die Verantwortung dafür, dass die Rechtsmittelschrift rechtzeitig bei dem zuständigen Gericht eingeht. Demgemäß muss er sich bei Unterzeichnung dieses Schriftsatzes davon überzeugen, dass er zutreffend adressiert ist (BGH Beschlüsse vom - III ZB 54/08 - FamRZ 2009, 109 Rn. 9; vom - VIII ZB 107/02 - FamRZ 2003, 1650; vom - V ZB 20/95 - NJW 1996, 997, 998 und vom - VII ZR 8/95 - NJW-RR 1996, 443).
12b) Zu Recht hat das Beschwerdegericht ausgeführt, dass die Verfahrensbevollmächtigte der Antragsteller dieser Verpflichtung nicht gerecht geworden ist. Sie hat die ihr obliegende Kontrolle des Schriftsatzes hinsichtlich der Adressierung des Empfangsgerichts nicht wahrgenommen.
13Dieser Verpflichtung kam auch deswegen besondere Bedeutung zu, weil Sorge bestand, dass die an sich zuständige Mitarbeiterin an diesem Tag möglicherweise wegen der aufgetretenen Erkrankung nicht - wie üblich - zuverlässig und exakt gearbeitet hat. Hinzu kommt, dass nach dem Vortrag der Antragsteller die - jedenfalls von der zuständigen Mitarbeiterin benutzte - bürointerne Software ersichtlich noch nicht auf das neue Verfahrensrecht umgestellt war. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde kann nicht davon ausgegangen werden, dass das Vorhalten lediglich eines - auf altem Recht basierenden - Formulars mit weniger Risiken behaftet sei, als das Einrichten zweier - auf das jeweils anzuwendende Recht abstellenden - Formulare. Während bei der ersten Alternative - wie hier - eher in Vergessenheit geraten kann, das Formular entsprechend abzuändern, ist der Bearbeiter bei zwei alternativ vorhandenen Formularen gezwungen, sich hinsichtlich des anzuwendenden Rechts zu entscheiden und damit das Gericht zu wählen, bei dem die Beschwerde einzulegen ist.
14c) Von der Verpflichtung, die Bestimmung des zuständigen Gerichts zu überprüfen, war die Verfahrensbevollmächtigte vorliegend auch nicht etwa im Hinblick auf die an dem betreffenden Tag herrschenden Umstände entbunden. Zwar ist der Rechtsbeschwerde einzuräumen, dass die im Einzelnen geschilderten Ereignisse vom geeignet waren, eine nicht unerhebliche Unruhe in den Kanzleialltag zu bringen und für die Verfahrensbevollmächtigte eine besondere Belastung dargestellt haben dürften. Gleichwohl handelte es sich nicht um eine Situation, die sie von ihrer Überprüfungspflicht hätte freistellen können.
15aa) Es ist anerkannt, dass eine krankheitsbedingte Fristversäumung des Anwalts unter besonderen Voraussetzungen, insbesondere bei einer plötzlich auftretenden Erkrankung, für die der Anwalt keine Vorsorge treffen konnte, eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigen kann (Senatsbeschluss vom - XII ZB 150/97 - NJW-RR 1998, 639; - NJW-RR 1999, 938).
16Dabei wird auch vertreten, dass eine erhebliche Arbeitsüberlastung des Rechtsanwalts eine Wiedereinsetzung ausnahmsweise dann rechtfertigen könne, wenn sie plötzlich und unvorhersehbar eingetreten und durch sie die Fähigkeit zu konzentrierter Arbeit erheblich eingeschränkt sei (vgl. - NJW 1996, 997, 998; Zöller/Greger ZPO 29. Aufl. § 233 Rn. 23 "Arbeitsüberlastung"; HK-ZPO/Sänger ZPO 4. Aufl. § 233 Rn. 21).
17bb) Eine krankheitsbedingte Einschränkung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragsteller lag hier unstreitig nicht vor. Dass das Beschwerdegericht eine Wiedereinsetzung auch im Hinblick auf eine stressbedingte Arbeitsüberlastung der Verfahrensbevollmächtigten verneint hat, ist rechtsbeschwerderechtlich nicht zu beanstanden.
18Es ist nicht dargetan, dass die Verfahrensbevollmächtigte aufgrund der - sehr ungewöhnlichen - Situation nicht mehr in der Lage gewesen wäre, ihrer beruflichen Tätigkeit nachzugehen. Im Gegenteil hinderte der eingetretene Notfall die Verfahrensbevollmächtigte nicht daran, anschließend noch zwei umfangreiche Termine wahrzunehmen.
19Danach ist nicht ersichtlich, dass sich die mit dem eingetretenen Notfall einhergehende Stresssituation so erheblich auf den Zustand der Verfahrensbevollmächtigten ausgewirkt hätte, dass diese nicht mehr in der Lage gewesen wäre, die Beschwerdeschrift inhaltlich zu überprüfen. Zu Recht weist das Kammergericht darauf hin, dass es nur einen geringen zeitlichen Mehraufwand bedeutet hätte, die - weder einen Antrag noch eine Begründung enthaltene - Beschwerdeschrift durchzulesen und hinsichtlich der Angabe des Empfangsgerichts auf die Richtigkeit zu überprüfen.
Hahne Weber-Monecke Dose
Schilling Günter
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
HFR 2012 S. 804 Nr. 7
NJW 2012 S. 2281 Nr. 31
NJW-RR 2012 S. 694 Nr. 11
TAAAE-03178