BGH Beschluss v. - VI ZB 28/11

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Pflicht des Prozessbevollmächtigten zur Überwachung des Eingangs eines Schriftsatzes durch Nachfrage bei Gericht

Gesetze: § 233 ZPO

Instanzenzug: Az: I-8 U 11/11 Beschlussvorgehend LG Duisburg Az: 6 O 219/08 Urteil

Gründe

I.

1Dem Kläger ist am das klageabweisende Urteil des Landgerichts zugestellt worden. Nach Ablauf der Berufungsfrist hat der Kläger Berufung eingelegt und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist beantragt. Das Oberlandesgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung mit Beschluss vom zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Mit der Rechtsbeschwerde begehrt der Kläger Aufhebung dieses Beschlusses und Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist, hilfsweise Zurückverweisung.

II.

2Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1, § 574 Abs. 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

31. Der angefochtene Beschluss unterliegt schon deshalb der Aufhebung, weil er nicht mit Gründen versehen ist (§ 576 Abs. 3, § 547 Nr. 6 ZPO). Beschlüsse, die mit der Rechtsbeschwerde angefochten werden können, müssen den maßgeblichen Sachverhalt wiedergeben, über den entschieden wird, denn das Rechtsbeschwerdegericht hat grundsätzlich von demjenigen Sachverhalt auszugehen, den das Berufungs- oder Beschwerdegericht festgestellt hat (§ 577 Abs. 2 Satz 4, § 559 ZPO). Fehlen tatsächliche Feststellungen, ist es zu einer rechtlichen Überprüfung nicht in der Lage. Ausführungen des Berufungsgerichts, die eine solche Überprüfung nicht ermöglichen, sind keine Gründe im zivilprozessualen Sinne (st. Rspr., vgl. BGH, Beschlüsse vom - IX ZB 17/05, NZI 2006, 481 Rn. 6; vom - IX ZB 144/07, ZIP 2008, 1034 Rn. 3 f.; vom - IX ZB 238/08, juris Rn. 4).

4Das Berufungsgericht hat seinen Rechtsauführungen keinen Sachverhalt vorangestellt. Auch den Entscheidungsgründen ist der entscheidungserhebliche Sachverhalt nicht in ausreichendem Maße zu entnehmen. Insbesondere ergibt sich aus ihnen nicht, wann und mit welcher konkreten Begründung der Kläger Wiedereinsetzung beantragt hat.

52. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

6a) Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs verbietet es der verfassungsrechtlich gewährleistete Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (vgl. Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip), einer Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ihres Prozessbevollmächtigten zu versagen, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und mit denen sie auch unter Berücksichtigung der Entscheidungspraxis des angerufenen Gerichts nicht rechnen musste (vgl. BVerfGE 79, 372, 376 f.; 88, 118, 123 ff.; BVerfG, NJW-RR 2002, 1004; Senatsbeschluss vom - VI ZB 5/11, juris Rn. 6 insoweit in MDR nicht abgedruckt).

7b) Den Prozessbevollmächtigten einer Partei trifft im Regelfall kein Verschulden an dem verspäteten Zugang eines Schriftsatzes, wenn er veranlasst, dass der Schriftsatz so rechtzeitig in den Briefkasten eingeworfen wird, dass er nach den normalen Postlaufzeiten fristgerecht bei dem Gericht hätte eingehen müssen. Wenn dem Prozessbevollmächtigten keine besonderen Umstände bekannt sind, die zu einer Verlängerung der normalen Postlaufzeiten führen können, darf er darauf vertrauen, dass diese eingehalten werden (st. Rspr., vgl. Senatsbeschluss vom - VI ZB 60/02, VersR 2004, 354, 355; BGH, Beschlüsse vom - VII ZB 2/00, juris Rn. 6 in BRAK-Mitt. nur Leitsatz; vom - II ZB 15/97, VersR 1998, 1301, 1302). Er ist dann auch nicht gehalten, sich vor Fristablauf durch Rückfrage bei der Geschäftsstelle des Berufungsgerichts von einem rechtzeitigen Eingang zu überzeugen (BVerfGE 79, 372, 375 f.; BVerfG, NJW 1992, 38; Senatsbeschluss vom - VI ZB 60/02, aaO; BGH, Beschlüsse vom - XII ZB 155/07, VersR 2009, 1069 Rn. 10; vom - IX ZB 238/08, aaO Rn. 10). Denn der Prozessbevollmächtigte ist bereits in besonderem Maße verpflichtet, für eine zuverlässige Ausgangskontrolle zu sorgen (vgl. dazu Senatsbeschluss vom - VI ZB 25/11, z.V.b. mwN). Dann kann er regelmäßig nicht auch noch gehalten sein, den Eingang seiner Schriftsätze bei Gericht zu überwachen (BVerfGE 79, 372, 375 f.; BVerfG, NJW 1992, 38; , juris Rn. 10).

8c) Eine Nachfragepflicht kommt nur ausnahmsweise in Betracht, wenn hierfür ein konkreter Anlass besteht (BVerfGE 42, 120, 126; BVerfG, NJW 1992, 38, 39; , juris Rn. 11). Ein solcher konkreter Anlass besteht nicht schon darin, dass der Anwalt in der noch laufenden Berufungsbegründungsfrist noch keine auf seinen Schriftsatz bezogene Verfügung des Gerichts erhalten hat. Denn allein daraus müssen sich ihm noch keine Zweifel aufdrängen, dass sein Schriftsatz nicht bei Gericht eingegangen sein könnte. Eine Erkundigungspflicht wird nur durch eine solche Mitteilung des Gerichts ausgelöst, die unzweideutig ergibt, dass etwas fehlgelaufen ist (BVerfG, NJW 1992, 38, 39; , juris Rn. 11). Die Sorgfaltspflichten des Prozessbevollmächtigten würden überspannt und der Zugang zu den in den Verfahrensordnungen vorgesehenen Instanzen in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert, wenn man von dem Prozessbevollmächtigten in derartigen Fällen verlangen würde, Erkundigungen über den Verbleib seines Schriftsatzes einzuholen (BVerfG, NJW 1992, 38, 39).

Galke                                   Zoll                                    Diederichsen

                      Pauge                              von Pentz

Fundstelle(n):
CAAAE-00651