BFH Beschluss v. - III B 92/10

Antrag auf Wiedereinsetzung nach Gewährung von Prozesskostenhilfe; keine Verlängerung der Zweiwochenfrist

Gesetze: FGO § 47, FGO § 56 Abs. 2, FGO § 142, ZPO § 117 Abs. 1, ZPO § 234

Instanzenzug:

Gründe

1 I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger), ein nach Deutschland entsandter polnischer Arbeitnehmer, beantragte innerhalb der Klagefrist des § 47 der Finanzgerichtsordnung (FGO) Prozesskostenhilfe (PKH) für eine von ihm beabsichtigte Klage wegen Kindergeld. Aus dem beigefügten Klageentwurf ergab sich, dass die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) verpflichtet werden sollte, Kindergeld in Höhe von 4.620 € zu gewähren. Mit Beschluss vom , der dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am zugestellt wurde, bewilligte das Finanzgericht (FG) PKH für den ersten Rechtszug unter Beiordnung eines Rechtsanwalts. Am wurde Klage erhoben, mit der Kindergeld in Höhe von 11.088 € begehrt wurde. Das FG erließ ein Prozessurteil mit der Begründung, dass Wiedereinsetzung in die versäumte Klagefrist nicht gewährt werden könne, weil die mit Bekanntgabe der PKH-Entscheidung beginnende zweiwöchige Wiedereinsetzungsfrist nicht eingehalten worden sei.

2 II. Die Beschwerde ist unbegründet. Der gerügte Verfahrensmangel liegt nicht vor.

3 1. Nach ständiger Rechtsprechung stellt es einen Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO dar, wenn über eine in Wahrheit zulässige Klage nicht zur Sache, sondern durch Prozessurteil entschieden wird (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs —BFH— vom VII B 196/02, BFHE 201, 425, BStBl II 2003, 609, m.w.N.; vom VII B 153/07, juris). Zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Verpflichtungsklage gehört die Wahrung der Klagefrist gemäß § 47 Abs. 1 Satz 2 FGO. An der —fristgerechten— Erhebung einer solchen Klage ist ein mittelloser Steuerpflichtiger bis zur Entscheidung über seinen Antrag auf PKH unverschuldet verhindert. Ihm kann nach der Entscheidung über das PKH-Gesuch —neben weiteren Voraussetzungen— dann Wiedereinsetzung in die versäumte Klagefrist gewährt werden, wenn er binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses den Wiedereinsetzungsantrag stellt und innerhalb der Antragsfrist die versäumte Rechtshandlung nachholt (§ 56 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 und Satz 3 FGO; Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 56 Rz 20 „Prozesskostenhilfe”, m.w.N.). Wenn der PKH-Antrag wegen nicht gegebener Mittellosigkeit der Partei oder fehlender Erfolgsaussicht abgelehnt wurde, dann beginnt die Zwei-Wochen-Frist nach der zur entsprechenden Vorschrift des § 234 der Zivilprozessordnung (ZPO) ergangenen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) erst nach einer Überlegungsfrist von zwei bis vier Werktagen (Beschlüsse des , Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung —HFR— 2009, 722; vom XII ZB 70/93, Zeitschrift für das gesamte Familienrecht -FamRZ- 1993, 1428, jeweils m.w.N.; gleicher Auffassung , BFH/NV 1992, 686; ohne Zubilligung einer Überlegungsfrist dagegen , BFH/NV 1987, 307).

4 2. Nach diesen Grundsätzen ist das angegriffene Prozessurteil des FG nicht zu beanstanden.

5 a) Im Streitfall wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers die stattgebende Entscheidung über das PKH-Gesuch am zugestellt. Die zweiwöchige Wiedereinsetzungsfrist lief damit bis zum (§ 54 Abs. 2 FGO, § 222 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 187 Abs. 1 und § 188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs). Antrag auf Wiedereinsetzung und Klageerhebung erfolgten erst nach Ablauf dieser Frist, nämlich am . Ob der Senat der Rechtsprechung des BGH folgen könnte (kritisch z.B. Zöller/Greger, ZPO, 28. Aufl., § 234 Rz 8; Gräber/Stapperfend, a.a.O., § 56 Rz 20 „Prozesskostenhilfe”), kann dahinstehen. Jedenfalls war dem Kläger schon deshalb keine zusätzliche Überlegungsfrist von zwei bis vier Werktagen einzuräumen, weil sein PKH-Gesuch nicht abgelehnt wurde. Wird PKH, wie im Streitfall geschehen, bewilligt, dann ist auch nach der Rechtsprechung des BGH die versäumte Rechtshandlung innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 234 ZPO nachzuholen (BGH-Beschlüsse vom XII ZB 141/90, FamRZ 1991, 425; vom XII ZB 119/98, FamRZ 1999, 579, m.w.N.). Denn nur wenn einem Beteiligten PKH versagt wird, benötigt er Zeit für weitere Überlegungen, ob er sich mit der Entscheidung des Finanzamts oder der Familienkasse abfindet oder ob er sie auf eigenes Kostenrisiko —etwa mit Hilfe von Krediten— angreift (vgl. BGH-Beschluss in FamRZ 1993, 1428).

6 b) Das Beschwerdevorbringen des Klägers rechtfertigt keine andere rechtliche Beurteilung. Darin wird der PKH-Beschluss des FG als eine Teilbewilligung, also zugleich als eine teilweise Ablehnung qualifiziert, so dass eine Überlegungsfrist einzuräumen sei. Diese rechtliche Bewertung ist unzutreffend. Das FG hat den PKH-Antrag nicht teilweise abgelehnt, sondern ihm voll entsprochen. Ob PKH voll oder nur teilweise bewilligt wurde, hängt nicht von einem Vergleich des PKH-Beschlusses mit dem nach materiellem Recht höchstmöglichen Kindergeldanspruch ab, so die Sicht des Klägers, sondern von der Prüfung, ob das von einem Prozessbeteiligten konkret verfolgte Rechtsbegehren ganz oder teilweise hinreichende Aussicht auf Erfolg hat. Wer sein objektiv bestehendes Recht etwa nur in quantitativ eingeschränktem Umfang verfolgen möchte, dem wird bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen auch nur für eine solche Klage PKH bewilligt, wobei es sich hierbei nicht um eine Teil-Bewilligung handelt. Um dem Gericht die Prüfung der Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung zu ermöglichen, hat der Antragsteller das Streitverhältnis i.S. des § 142 FGO i.V.m. § 117 Abs. 1 Satz 2 ZPO darzulegen. Zu dieser Darlegung gehören die beabsichtigten Anträge, die tatsächlichen Behauptungen und die Beweismittel (Zöller/Geimer, a.a.O., § 117 Rz 12). Von dem beabsichtigten Antrag —Kindergeld in Höhe von 4.620 €— hat sich das FG bei der Prüfung der Erfolgsaussichten der Klage ersichtlich leiten lassen. Dies ist nicht zu beanstanden. Zwar ist dem Kläger zuzugeben, dass ein bezifferter Antrag nicht zu den Minimalanforderungen eines jeden PKH-Gesuchs gehört (vgl. Zöller/ Geimer, a.a.O., § 114 Rz 23b). Macht ein fachkundig vertretener Beteiligter jedoch präzise Angaben über die von ihm beabsichtigte Rechtsverfolgung, z.B. durch Beifügung eines vollständigen Klageentwurfs, dann sind diese Angaben nicht rechtlich unerheblich, wie der Kläger meint. Vielmehr hat sich das Gericht bei seiner Prüfung hieran zu orientieren. Im Anschluss an die im Streitfall als Vollbewilligung der PKH zu qualifizierende Entscheidung des FG hat sich der Kläger frei entschieden, über die ursprünglich angekündigten Anträge hinauszugehen und in erweitertem Umfang zu klagen. Zwar wird ein Beteiligter wohl auch in einem solchen Fall nachzudenken haben, ob er einen weiteren PKH-Antrag stellen soll oder den von der PKH-Bewilligung nicht erfassten Teil der Klage auf eigenes Kostenrisiko verfolgen möchte, doch ist ihm hierfür keine zusätzliche Überlegungsfrist im Anschluss an die PKH- Entscheidung einzuräumen. Auf diese Situation konnte er sich nämlich im Unterschied zu einer mittellosen Partei, deren PKH- Antrag vollständig abgelehnt wurde, einstellen. Der BGH hat mit seiner Rechtsprechung zur Einräumung einer Überlegungsfrist eine mittellose Partei vor Augen, die Anlass hat, auf die Bewilligung von PKH zu vertrauen. Von ihr kann es daher nicht erwartet werden, dass sie sich bereits während des noch laufenden PKH-Verfahrens Gedanken über eine alternative Prozessfinanzierung oder dergleichen für den Fall der Antragsablehnung macht. Deshalb ist ihr bei unerwarteter PKH-Versagung eine zusätzliche Überlegungsfrist zuzubilligen (vgl. BGH-Beschlüsse in FamRZ 1993, 1428, und in HFR 2009, 722). Demgegenüber konnte und musste sich der Kläger von vornherein darauf einrichten, dass selbst bei Vollstattgabe seines PKH-Antrages ein Prozesskostenrisiko für eine etwaige Klageerweiterung bestehen bleibt. Er hatte damit Anlass und Gelegenheit, sich bereits vor und noch während des PKH-Verfahrens mit der Frage zu befassen, in welchem Umfang er seine Rechte überhaupt zu verfolgen gedenkt und welche Kostenlast damit verbunden ist. Das Ergebnis entsprechender Überlegungen konnte er ohne weiteres bereits bei der Stellung des PKH-Antrages berücksichtigen. Ausreichende Überlegungszeit stand ihm zur Verfügung, weil die mittellose Partei den ordnungsgemäßen PKH-Antrag erst bis zum Ablauf der Rechtsmittel- oder der Klagefrist eingereicht haben muss (Gräber/Stapperfend, a.a.O., § 56 Rz 20 „Prozesskostenhilfe”). Sie wird also nicht schlechter behandelt als die bemittelte Partei, weil auch diese sich grundsätzlich innerhalb der Klagefrist klar werden muss, ob und in welchem Umfang sie eine oder auch mehrere verwaltungsbehördliche Maßnahmen angreift.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
BFH/NV 2012 S. 421 Nr. 3
ZAAAE-00545