BGH Beschluss v. - 4 StR 517/11

Betäubungsmitteldelikt: Erforderliche Feststellungen des Tatrichters bei Schätzung der Betäubungsmittelqualität bei Amphetaminzubereitung

Gesetze: § 29 BtMG, §§ 29ff BtMG, § 46 Abs 1 StGB

Instanzenzug: LG Essen Az: 22 KLs 71 Js 13/11 (2/11)

Gründe

1Das Landgericht hat die Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier Fällen, davon in drei Fällen in Tateinheit mit unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (A.    ), unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen (P.   ), Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Beihilfe zur unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (R.   ) sowie unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (S.   ) zu Gesamtfreiheitsstrafen von drei Jahren und drei Monaten (A.    ), zwei Jahren und sechs Monaten (P.   ), zwei Jahren (R.   ) sowie zwei Jahren und neun Monaten (S.   ) verurteilt. Außerdem hat es die Angeklagten A. und S. von weiteren Tatvorwürfen freigesprochen. Gegen dieses Urteil haben die Angeklagten A.    und R.    Revision eingelegt und die Verletzung materiellen Rechts gerügt. Der Angeklagte A.   hat sein Rechtsmittel wirksam auf die Verurteilungen wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in den Fällen II. 5. und II. 7. der Urteilsgründe, sämtliche Einzelstrafen und die Gesamtstrafe beschränkt. Die Rechtsmittel haben in dem ausgeurteilten Umfang Erfolg und führen nach § 357 Satz 1 StPO zu einer Erstreckung der Aufhebung auf die nicht revidierenden Mitangeklagten S.    und P.   . Im Übrigen waren sie offensichtlich unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.

2Nach den Feststellungen verkaufte der Angeklagte A.    dem Angeklagten P. 300 bis 500 Gramm Amphetamine „mittlerer Qualität“ für 300 Euro. Das Rauschgift wurde weder von dem Angeklagten P.   noch von anderen Abnehmern beanstandet (Fall II.1. b der Urteilsgründe). Vier Tage nach diesem Vorfall fuhr der Angeklagte A.    in Absprache mit dem Angeklagten S.   nach Venlo und kaufte dort für 1.000 Euro von einem Rauschgifthändler namens „Ar.  “ ein Kilogramm Amphetamin „zumindest durchschnittlicher Qualität“. Das Rauschgift verbrachte er anschließend über die niederländisch-deutsche Grenze auf das Bundesgebiet und übergab es dem Angeklagten S.   , der zuvor auch das Kaufgeld zur Verfügung gestellt hatte. Der Angeklagte R.   war für den Angeklagten S.    sowohl bei dem der Bereitstellung des Kaufgeldes dienenden Treffen mit dem Angeklagten A.   , als auch bei der Übernahme des Rauschgiftes als Fahrer tätig. Die Angeklagten A.    und R.    erhielten für ihre Dienste von dem Angeklagten S. 500 (A.   ) bzw. 200 (R.   ) Euro (Fall II. 4. der Urteilsgründe). In einem weiteren Fall fuhren die Angeklagten A. und S. gemeinsam zu dem Rauschgifthändler „Ar.   “ nach Venlo. Dabei benutzten sie verschiedene Fahrzeuge. Der Angeklagte S.    wurde von dem Angeklagten R.   begleitet, der dafür den PKW seiner Freundin zur Verfügung gestellt hatte. In Venlo kaufte der Angeklagte S.   von „Ar.   “ für 3.500 Euro „drei Kilogramm Amphetamine“, die anschließend von dem Angeklagten A.    in dessen Pkw über die niederländisch-deutsche Grenze auf das Bundesgebiet verbracht wurden. Während der Fahrt wurde der Angeklagte A.    von den Angeklagten S.   und R.   von deren PKW aus überwacht. Der Angeklagte A.   erhielt für seine Fahrdienste einen Kurierlohn. Der Abnehmer des Angeklagten S.    verlangte nach der Übernahme der Betäubungsmittel die Lieferung einwandfreier Ware oder die Rückgabe des Kaufgeldes. Das Landgericht hat angenommen, dass es sich um „Amphetamin von schlechter Qualität“, nicht jedoch um einen „Ersatzstoff“ gehandelt hat (Fall II. 5. der Urteilsgründe). Schließlich fuhr der Angeklagte A.    nochmals in die Niederlande und kaufte dort im Auftrag des Angeklagten P.   1.050 Gramm Marihuana zu einem Preis von 4.000 Euro. Das Kaufgeld hatte der Angeklagte P.    zur Verfügung gestellt, der das gesamte Marihuana gewinnbringend verkaufen und dem Angeklagten A.    einen Kurierlohn zahlen wollte. Nachdem der Angeklagte A.    das Rauschgift im Kofferraum seines PKW über die niederländisch-deutsche Grenze auf das Bundesgebiet verbracht hatte, wurde er festgenommen. Das sichergestellte Marihuana war „von zumindest durchschnittlicher Qualität“ (Fall II. 7. der Urteilsgründe).

II.

31. Die Verurteilung der Angeklagten A.    , S.     und R.     im Fall II. 5. der Urteilsgründe wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (A.   und S.    ) sowie Beihilfe zur unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (R.    ) hat keinen Bestand, weil das Landgericht nicht rechtsfehlerfrei festgestellt hat, dass es sich bei der von dem Angeklagten A.    über die niederländisch-deutsche Grenze auf das Bundesgebiet verbrachten Substanz um eine Amphetaminzubereitung gemäß § 1 Abs. 1 i.V.m. Anlage III BtMG gehandelt hat und deshalb der objektive Tatbestand des § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG verwirklicht ist.

4Grundsätzlich ist der Tatrichter bei seiner Beweiswürdigung frei (§ 261 StPO); von ihm gezogene Schlussfolgerungen müssen nur möglich, nicht aber zwingend sein. Getroffene Feststellungen sind erst dann rechtsfehlerhaft, wenn sie sich von einer festen Tatsachengrundlage sehr entfernen, dass sie letztlich bloße Vermutungen sind (, NStZ-RR 1997, 42, 43) und deshalb keine objektiv hohe Wahrscheinlichkeit mehr für ihre Richtigkeit besteht (, NJW 1999, 1562, 1564). So liegt es hier.

5Die von dem Angeklagten A.    als Amphetamin angekaufte Substanz wurde von dem Abnehmer des Angeklagten S.     beanstandet und dabei eine vollständige Neulieferung oder eine Rückzahlung des gesamten Kaufpreises verlangt. Danach liegt es nicht völlig fern, dass es sich bei der tatgegenständlichen Substanz nicht nur um ein Gemisch mit einem niedrigen Amphetaminbase-Anteil, sondern um ein Falsifikat gehandelt hat. Tatsachen oder Erfahrungssätze, die gleichwohl eine objektiv hohe Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer Amphetaminzubereitung begründen könnten, vermochte das Landgericht nicht festzustellen. Der Umstand, dass die Einlassungen der Angeklagten keinen Anhaltspunkt für die Annahme eines Falsifikats ergeben haben, ist ohne Aussagekraft, weil den Urteilsgründen nicht entnommen werden kann, dass von den beteiligten Angeklagten eine Qualitätsprüfung vorgenommen worden ist. Auch die Tatsache, dass der Lieferant „Ar.   “ seine Ware beim Verkauf als Amphetamin bezeichnet hat, sagt nichts Durchgreifendes über deren Beschaffenheit aus.

6Die Aufhebung betrifft aufgrund des untrennbaren Zusammenhanges auch die tateinheitliche Verurteilung wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (A.    und S.    ) bzw. Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (R.    ). Hinsichtlich des nicht revidierenden Angeklagten S. folgt sie jeweils aus § 357 Satz 1 StPO, weil er von dem aufgezeigten Rechtsfehler in gleicher Weise betroffen ist, wie die Angeklagten A.    und R.    .

72. Die in den Fällen II. 1. b, II. 4. und II. 7. der Urteilsgründe gegen die jeweils beteiligten Angeklagten verhängten Einzelstrafen sind aufzuheben, weil das Landgericht keine konkreten Feststellungen zum Wirkstoffgehalt der umgesetzten Betäubungsmittel getroffen hat und im Fall II. 7. mit der erfolgten Sicherstellung ein bestimmender Strafzumessungsgrund außer Betracht geblieben ist. Bei dem Angeklagten A.    fehlt es zudem an hinreichenden Feststellungen zu der von ihm geleisteten Aufklärungshilfe.

8a) Das Unrecht einer Betäubungsmittelstraftat und die Schuld des Täters werden maßgeblich durch die Wirkstoffkonzentration und die Wirkstoffmenge bestimmt (, Tz. 5; Beschluss vom – 4 StR 521/10, NStZ-RR 2011, 90; Beschluss vom – 4 StR 202/00, StV 2000, 613; Urteil vom – 4 StR 708/93, NJW 1994, 1885, 1886). Hierzu bedarf es deshalb konkreter Feststellungen. Dabei ist es in der Regel erforderlich, den Wirkstoffgehalt in Gewichtsprozenten anzugeben oder als Gewichtsmenge zu bezeichnen. Beschreibungen wie gute, mittlere, durchschnittliche oder schlechte Qualität sind nur dann hinreichend aussagekräftig, wenn sich den Urteilsgründen oder allgemeinem Erfahrungswissen ein Bezugsrahmen entnehmen lässt, der die Ableitung eines bestimmten Mindestwirkstoffanteils zweifelsfrei ermöglicht (vgl. , NStZ-RR 2008, 319; Beschluss vom – 3 StR 116/04, StV 2004, 602, 603; Weber, BtMG 3. Aufl., vor §§ 29 ff. Rn. 822). Stehen die tatgegenständlichen Betäubungsmittel für eine Untersuchung nicht mehr zur Verfügung, muss das Tatgericht unter Berücksichtigung der anderen ausreichend sicher festgestellten Umstände (Herkunft, Preis, Handelsstufe, Beurteilung durch die Tatbeteiligten, Begutachtungen in Parallelverfahren etc.) die Wirkstoffkonzentration – notfalls unter Anwendung des Zweifelssatzes – durch eine Schätzung festlegen (, NStZ 2006, 173, 174; Körner/Patzak, BtMG 7. Aufl., § 29a Rn. 195).

9Die Feststellung, dass die Amphetaminzubereitung im Fall II. 1. b der Urteilsgründe von „mittlerer Qualität“ und im Fall II. 4. der Urteilsgründe von „durchschnittlicher Qualität“ gewesen sei, lässt nicht erkennen, von welcher Wirkstoffmenge das Landgericht ausgegangen ist. Einen Bezugsrahmen, der eine hinreichende Konkretisierung ermöglichen könnte, hat es nicht aufgezeigt. Er ergibt sich auch nicht aus allgemeinem Erfahrungswissen. Amphetaminzubereitungen können auf jeder Handelsstufe durch die Beimengung von Zusatzstoffen leicht in ihrer Zusammensetzung verändert werden. Sie sind daher im illegalen Betäubungsmittelhandel mit Wirkstoffkonzentrationen zwischen weniger als 5 und bis zu 80 % erhältlich (vgl. Körner/Patzak, BtMG 7. Aufl., § 29a Rn. 226; Weber, BtMG 3. Aufl., vor §§ 29 ff. Rn. 822). Auf der letzten Handelsstufe werden infolge mehrfacher Streckung häufig nur noch Zubereitungen mit einer geringen Wirkstoffkonzentration umgesetzt (vgl. , StV 2004, 602, 603). Von den in den Jahren 1999 bis 2004 bei den Landeskriminalämtern, Zolltechnischen Prüf- und Lehranstalten und dem Bundeskriminalamt begutachteten Proben wiesen zwischen 62 und 64 % einen Wirkstoffanteil von weniger als 10 % auf (vgl. Weber, BtMG 3. Aufl., Anhang H Tab. 1.1 – Amphetamin). Soweit das Landgericht mit den offenkundig bedeutungsgleich verwendeten Bezeichnungen „mittlere Qualität“ und „durchschnittliche Qualität“ eine Wirkstoffkonzentration entsprechend der signifikanten Häufung von Wirkstoffkonzentrationen im Bereich von 10% gemeint haben sollte, wäre nicht erklärlich, warum bei dem Angeklagten A.    auch im Fall II. 1. b der Urteilsgründe (Rohmenge 300 bis 500 Gramm) die Annahme eines minder schweren Falles mit der Begründung verneint werden konnte, dass eine „deutlich nicht geringfügige Menge“ vorgelegen habe (UA 26).

10Auch die in Fall II. 7. der Urteilsgründe getroffenen Feststellungen zum Wirkstoffgehalt des sichergestellten Marihuanas („zumindest durchschnittliche Qualität“) sind unzureichend. Der Tetrahydrocannabinol-Anteil von Marihuana hat sich – insbesondere aufgrund neuer Zuchttechniken – in der jüngeren Vergangenheit ständig erhöht (vgl. Patzak/Goldhausen NStZ 2011, 76, 77 und NStZ 2007, 195, 196) und unterliegt lokalen Schwankungen. Dies macht auch hier eine konkrete Angabe des Wirkstoffgehalts unerlässlich (, NStZ-RR 2008, 319; Weber, BtMG 3. Aufl., vor §§ 29 ff. Rn. 836). Weitere rechtliche Bedenken gegen die Vorgehensweise des Landgerichts ergeben sich zudem aus der Tatsache, dass eine exakte Feststellung des Wirkstoffanteils durch ein entsprechendes Gutachten ohne Weiteres möglich gewesen wäre (, NStZ 1996, 498, 499).

11Der Senat vermag mit Rücksicht auf die festgestellten Rohmengen und die weiteren Umstände auszuschließen, dass der aufgezeigte Rechtsfehler den Schuldspruch gefährdet (vgl. , NStZ 1996, 498, 499).

12b) Der Strafausspruch im Fall II. 7. der Urteilsgründe leidet auch deshalb an einem durchgreifenden Rechtsfehler, weil das Landgericht weder bei der Erörterung eines minderschweren Falls gemäß § 30 Abs. 2 BtMG, noch bei der konkreten Strafbemessung berücksichtigt hat, dass das Marihuana vor der Durchführung des geplanten Umsatzes sichergestellt werden konnte. Zwar hat der Tatrichter nach § 267 Abs. 3 Satz 1 Hs. 2 StPO nur die bestimmenden Strafzumessungsgesichtspunkte mitzuteilen (, NStZ-RR 2008, 343), doch ist mit der Sicherstellung ein Strafmilderungsgrund unerwähnt geblieben, dessen Berücksichtigung sich aufdrängen musste (, BGHR BtMG § 29 Strafzumessung 10).

13c) Schließlich begegnet der Strafausspruch bei dem Angeklagten A.    in allen Fällen auch deshalb rechtlichen Bedenken, weil das Landgericht nur lückenhafte Feststellungen zu der von ihm geleisteten Aufklärungshilfe getroffen hat und das Revisionsgericht deshalb nicht überprüfen kann, ob eine Erörterung der Milderungsmöglichkeit des § 31 Satz 1 Nr. 1 BtMG rechtsfehlerfrei unterblieben ist.

14Das Landgericht hat dem Angeklagten A.    bei der Strafzumessung zugutegehalten, dass er „frühzeitig“ und umfassend geständig war. Ob ohne seine Angaben ein Tatnachweis möglich gewesen wäre, hält es für „ungewiss“. Auch wurden die deckungsgleichen Geständnisse der Mitangeklagten „möglicherweise“ erst infolge des Geständnisses des Angeklagten A.    abgegeben. Dies legt die Annahme nahe, dass der Angeklagte A.    durch seine Angaben die Voraussetzungen dafür geschaffen hat, dass gegen die Mitangeklagten mit Erfolg ein Strafverfahren geführt werden konnte. Danach wäre die Milderungsmöglichkeit des § 31 Satz 1 Nr. 1 BtMG jedenfalls dann zu erörtern gewesen (vgl. , NStZ-RR 2009, 320, 321; Urteil vom – 1 StR 187/97, NStZ-RR 1998, 25), wenn sich der Angeklagte noch vor dem nach § 31 Satz 2 BtMG iVm. §46b Abs. 3 StGB maßgeblichen Zeitpunkt (vgl. dazu Körner/Patzak, BtMG 7. Aufl. § 31 Rn. 27) geständig gezeigt hat. Konkrete Feststellungen hierzu lassen sich den Urteilsgründen jedoch nicht entnehmen.

15d) Die Aufhebung des Strafausspruches bei den nicht revidierenden Angeklagten P.    (Fällen II. 1. b und II. 7. der Urteilsgründe) und S.    (Fall II. 4. der Urteilsgründe) beruht auf § 357 Satz 1 StPO. Durch die Aufhebung der Verurteilung im Fall II. 5. der Urteilsgründe und der Einzelstrafen haben bei allen Angeklagten die Gesamtstrafenaussprüche ihre Grundlage verloren.

Ernemann                            Roggenbuck                                    Franke

                      Bender                                       Quentin

Fundstelle(n):
SAAAD-99880