BGH Urteil v. - 5 StR 417/11

Sexuelle Nötigung: Erheblichkeit sexueller Handlungen

Gesetze: § 184g Nr 1 StGB

Instanzenzug: Az: (511) 70 Js 150/09 KLs (25/10)

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Nötigung in sieben Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Gegen das Urteil wenden sich die Staatsanwaltschaft und hinsichtlich Fall 4 die Nebenklägerin K.     mit ihren jeweils auf die Sachrüge gestützten Revisionen. Die Rechtsmittel haben den aus dem Urteilstenor ersichtlichen Erfolg.

21. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

3a) Der zur Tatzeit 21-jährige, im elterlichen Haushalt lebende, "gehemmte und eigenwillig sperrige" (UA S. 5) Angeklagte fühlte sich nach der Trennung von seiner Freundin oft einsam. Er war auf der Suche nach körperlicher Nähe, die er besonders beim Küssen empfand. Aus diesem Grund näherte er sich in sieben Fällen zwischen dem und dem in seinem Wohnumfeld auf offener Straße jungen, ihm unbekannten Frauen, die ihn optisch ansprachen, umfasste sie jeweils von hinten und hielt sie fest. In einigen Fällen küsste er sie (Taten 1 und 3) oder verlangte, sie sollten ihn küssen (Tat 6), und berührte sie über der Kleidung an den Brüsten oder im Genitalbereich (Taten 2 bis 6). Er ließ jeweils von den Frauen ab, als sie sich wehrten oder Dritte auf das Geschehen aufmerksam wurden. Zwei der Frauen trugen leichte körperliche Verletzungen davon (Taten 3 und 7).

4b) Das Landgericht hat sämtliche Taten als Nötigung gemäß § 240 Abs. 1 und 2 StGB gewertet und in den Fällen 3 und 7 jeweils tateinheitlich hierzu eine vorsätzliche Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1 StGB angenommen. Eine Strafbarkeit wegen – vollendeter oder versuchter – sexueller Nötigung hat es in allen Fällen verneint. Eine sexuelle Handlung liege nicht vor, da es an der gemäß § 184g Nr. 1 StGB erforderlichen Erheblichkeit fehle. Bei den vom Angeklagten vorgenommenen Handlungen handele es sich um Zudringlichkeiten und nur ganz flüchtige Berührungen oberhalb der Bekleidung. Da der Angeklagte nicht mehr erstrebt habe als in Küssen und Umarmung bestehende Nähe, scheide auch eine Strafbarkeit wegen versuchter sexueller Nötigung aus. Von einer solchen wäre der Angeklagte im Übrigen in jedem der Fälle gemäß § 24 Abs. 1 StGB strafbefreiend zurückgetreten.

52. Das angefochtene Urteil begegnet schon deshalb durchgreifenden Bedenken, weil die Beweiswürdigung des Landgerichts hinsichtlich der vom Angeklagten verfolgten Ziele und damit zu seinem Tatvorsatz lückenhaft ist (vgl. , NJW 2006, 925, 928, insoweit in BGHSt 50, 299 nicht abgedruckt).

6Die Strafkammer ist der Einlassung des Angeklagten, er sei lediglich auf der Suche nach körperlicher Nähe ("Kuscheln", UA S. 3) gewesen, gefolgt, ohne dem widersprechende Umstände zu erwägen. Schon die vom Angeklagten durchweg gewählte Art der Kontaktaufnahme – überraschendes gewaltsames Umfassen der jungen ihm unbekannten Frauen auf offener Straße von hinten – war offensichtlich ungeeignet, das vom Angeklagten behauptete Handlungsziel zu erreichen. Zudem hat der Angeklagte Handlungen vorgenommen, die über das angegebene Ziel hinausgingen und ersichtlich auf eine sexuelle Annäherung ausgerichtet waren:

7In den Fällen 2 und 5 fasste er die Frauen an die Brust und den Genitalbereich, ohne dass ein von ihm erstrebtes Küssen als Ausdruck der körperlichen Nähe überhaupt angesprochen oder versucht wurde. Im Fall 4 umfasste er – seine Hose stand dabei offen – die Nebenklägerin K.     und berührte die Frau für wenige Sekunden an den Brüsten, ohne sie zu küssen oder dies zu versuchen. Das gleiche gilt im Fall 7, als er den Mund der Frau zuhielt. Im Fall 3 berührte er zunächst nach Öffnen eines Reißverschlusses die Brust der Frau und verlangte "richtiges Küssen" erst, nachdem er die Frau so fest gegen eine Wand gedrückt hatte, dass sie Hämatome davontrug.

83. Die Tatserie bedarf demnach neuer Aufklärung und Bewertung. Nachdem das Landgericht die Einlassung des Angeklagten fehlerhaft bewertet hat, muss der Senat auch die objektiven Feststellungen in den Fällen aufheben, in denen diese allein auf der Einlassung des Angeklagten beruhen.

9Das neue Tatgericht wird zu bedenken haben, dass als erheblich im Sinne des § 184g Nr. 1 StGB solche Handlungen zu werten sind, die nach Art, Intensität und Dauer eine sozial nicht mehr hinnehmbare Beeinträchtigung des im jeweiligen Tatbestand geschützten Rechtsguts besorgen lassen (, NJW 1992, 324). Bei der am Schutzgut der sexuellen Selbstbestimmung orientierten Bewertung sind auch die gesamten Begleitumstände des Tatgeschehens einzubeziehen und neben den näheren Umständen der Handlung die Beziehung zwischen den Beteiligten und die konkrete Tatsituation zu berücksichtigen (, StraFo 2006, 251; , NJW 1989, 3029; LK-Laufhütte/Roggenbuck, StGB, 12. Aufl., § 184g Rn. 12). Eine ergänzende Betrachtung des Gesamtzusammenhangs ist insbesondere dann geboten, wenn die Handlungen für sich genommen in ihrer sexuellen Ausprägung nicht besonders gravierend oder nachhaltig sind. In die Bewertung wird deshalb hier neben der (zum Teil eher geringen) Intensität der sexuellen Handlungen einzustellen sein, dass der Angeklagte jeweils ihm unbekannte Frauen überraschend und unvermittelt von hinten angriff und sie unter beträchtlicher Kraftentfaltung körperlich so heftig bedrängte, dass sich die Frauen ihm nur durch erhebliche körperliche Gegenwehr entziehen konnten.

10Aufgrund des engen Zusammenhangs der schon länger zurückliegenden Taten wird wiederum die Festsetzung einer die Einzelstrafen eng zusammenfassenden Gesamtstrafe geboten sein. Auch könnten die Erwägungen des angefochtenen Urteils zur Strafaussetzung zur Bewährung auch in Ansehung eines geänderten Schuldspruchs tragfähig bleiben.

Raum                                          Brause                                       Schaal

                    Schneider                                         König

Fundstelle(n):
IAAAD-98291