BGH Beschluss v. - XII ZB 317/11

Wiedereinsetzung: Umfang der Prüfungspflicht des Anwalts bei Vorlage der Handakte zur Wahrung der Beschwerdefrist

Leitsatz

Wird dem Rechtsanwalt die Handakte zur Wahrung der Beschwerdefrist vorgelegt, hat er stets auch die korrekte Notierung der Begründungsfrist zu prüfen (im Anschluss an die Senatsbeschlüsse vom , XII ZB 263/03, FamRZ 2004, 696 und vom , XII ZB 250/11) .

Gesetze: § 117 Abs 5 FamFG, § 233 ZPO

Instanzenzug: Brandenburgisches Az: 10 UF 102/11 Beschlussvorgehend AG Prenzlau Az: 7 F 91/10

Gründe

I.

1Die Parteien streiten um Kindesunterhalt.

2Der dem Antrag des Antragstellers teilweise stattgebende Beschluss des Amtsgerichts ist den Antragsgegnerinnen am zugestellt worden. Am haben sie hiergegen beim Amtsgericht Beschwerde eingelegt. Mit Schriftsatz vom , der an demselben Tag bei dem Beschwerdegericht eingegangen ist, haben sie Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist beantragt und die Beschwerde begründet.

3Zur Begründung ihres Wiedereinsetzungsantrags haben die Antragsgegnerinnen vorgetragen: Die Überwachung von Fristen sei im Büro ihrer Verfahrensbevollmächtigten so organisiert, dass diese vor Ausstellung des Empfangsbekenntnisses die Rechtsmittelfrist auf der Urteilsausfertigung vermerke und den Vorgang an die zuständige Büroangestellte weiterleite. Diese notiere die Frist in einem gesonderten Fristenkalender und trage zusätzlich eine Woche vor Fristablauf eine Vorfrist ein. Außerdem werde die Eintragung im Fristenkalender in den Handakten vermerkt. Bei Ablauf der Vorfrist werde die Sache der Verfahrensbevollmächtigten mit einem auffälligen Vermerk "Fristsache" gesondert vorgelegt. Am Morgen des Fristablaufs werde die Erledigung geprüft und die Sache, falls sie noch nicht erledigt sei, noch einmal mit einem auffälligen Aufkleber "heute Fristablauf" vorgelegt. Im vorliegenden Fall habe die mit der Eintragung und Kontrolle der Fristen betraute Büroangestellte versehentlich nur die Vorfrist notiert, was dazu geführt habe, dass die Verfahrensbevollmächtigte die Akte bei Ablauf der Vorfrist ohne den sonst üblichen Fristvermerk zusammen mit den normalen Vorlagen erhalten habe. Am Tag des Fristablaufs sei die Verfahrensbevollmächtigte deshalb auch nicht erinnert worden. Die Fristversäumnis sei erst am aufgefallen, als der entsprechende Hinweis des Beschwerdegerichts eingegangen sei.

4Das Beschwerdegericht hat die Beschwerde als unzulässig verworfen und die begehrte Wiedereinsetzung versagt. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerinnen.

II.

51. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG in Verbindung mit §§ 574 Abs. 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft. Sie ist jedoch nicht zulässig, weil die hier maßgeblichen Rechtsfragen durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs geklärt sind und das Beschwerdegericht hiernach zutreffend entschieden hat. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO liegen deshalb nicht vor.

62. Die Beschwerde ist nicht fristgerecht begründet worden. Nach § 117 Abs. 1 Satz 1 FamFG war die Beschwerde in der hier vorliegenden Familienstreitsache (§§ 112 Nr. 1, 231 Abs. 1 Nr. 1 FamFG) zu begründen. Die Frist zur Begründung beträgt zwei Monate und beginnt mit der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses, spätestens nach Ablauf von fünf Monaten nach Erlass des Beschlusses (§ 117 Abs. 1 Satz 3 FamFG). Da die Begründung erst am beim Oberlandesgericht einging, war die - bis zum (Dienstag nach Ostern) währende - Frist verstrichen.

73. Zu Recht hat das Berufungsgericht den Antragsgegnerinnen die begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt. Die Antragsgegnerinnen haben die Begründungsfrist nicht unverschuldet versäumt (§ 117 Abs. 5 FamFG i.V.m. § 233 ZPO). Ihre Verfahrensbevollmächtigte trifft an der Fristversäumnis ein Verschulden, das die Antragsgegnerinnen sich nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müssen.

8a) Zunächst hat es zwar die Büroangestellte der Verfahrensbevollmächtigten versäumt, die Rechtsmittelbegründungsfrist im Fristenkalender einzutragen; sie hat stattdessen lediglich eine Vorfrist vermerkt. Da die Akte der Verfahrensbevollmächtigten ohne Kennzeichnung als Fristsache vorgelegt wurde, konnte diese nicht ohne weiteres erkennen, dass die Bearbeitung fristgebunden war. Auf diesem Büroversehen beruht die Fristversäumnis indessen nicht allein, worauf das Beschwerdegericht entscheidend abgestellt hat.

9aa) Allerdings war die Verfahrensbevollmächtigte nicht verpflichtet, die Akte in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Vorlage darauf zu überprüfen, ob eine Frist eingetragen war und deren Ablauf bevorstand. Die an die Sorgfalt des Anwalts zu stellenden Anforderungen würden überspannt, wenn man von ihm verlangen würde, den Fristablauf oder die Erledigung von Fristnotierungen stets auch dann selbst zu prüfen, wenn ihm die Sache - wie hier - ohne Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung vorgelegt wird oder ohne dass Anhaltspunkte dafür bestehen, die zur Fristwahrung getroffenen Maßnahmen könnten versagt haben (Senatsbeschlüsse vom - XII ZB 69/07 - FamRZ 2008, 503 Rn. 12; vom - XII ZB 204/96 - FamRZ 1999, 649, 650 f.; - NJW 2003, 1815). Daraus folgt jedoch nicht, dass der Anwalt die Akte ohne zeitliche Einschränkung unbeachtet bei seinem Zutrag liegen lassen darf.

10bb) Zwar bestand nach der vorstehenden Rechtsprechung für die Verfahrensbevollmächtigte kein Anlass, sich in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Vorlage der Akten deren - anscheinend nicht fristgebundener - Bearbeitung zu widmen. Die Sorgfalt eines Rechtsanwalts erfordert es aber, sich auch in Sachen, die ihm als nicht fristgebunden vorgelegt werden, in angemessener Zeit durch einen Blick in die Akten wenigstens davon zu überzeugen, um was es sich handelt und wie lange er sich mit der Bearbeitung Zeit lassen kann. Auch in solchen Fällen darf der Anwalt die ihm vorgelegten Akten jedenfalls nicht eine Woche lang gänzlich unbeachtet lassen ( - NJW 1998, 461 und vom - VI ZB 25/10 - NJW 2011, 1600 Rn. 9). Ob die Verfahrensbevollmächtigte bereits nach diesen Maßstäben ein Verschulden an der Fristversäumnis trifft, obwohl hier in den betreffenden Zeitraum zwei Feiertage fielen, kann indessen dahinstehen.

11b) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat ein Rechtsanwalt den Ablauf von Rechtsmittelbegründungsfristen immer dann eigenverantwortlich zu prüfen, wenn ihm die Akten im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung, insbesondere zu deren Bearbeitung, vorgelegt werden (Senatsbeschlüsse vom - XII ZB 263/03 - FamRZ 2004, 696 und vom - XII ZB 164/03 - FamRZ 2005, 435, 436 jeweils mwN; zuletzt Senatsbeschluss vom - XII ZB 250/11 - zur Veröffentlichung bestimmt). In diesem Fall muss der Rechtsanwalt stets auch alle weiteren unerledigten Fristen einschließlich ihrer Notierung in den Handakten prüfen. Für die Beschwerdebegründungsfrist nach § 117 Abs. 1 Satz 3 FamFG ist ihm dies bei der Fristvorlage zur Wahrung der Beschwerdefrist möglich.

12Wäre die Verfahrensbevollmächtigte dieser Verpflichtung nachgekommen, hätte sie bei Fertigung der Beschwerdeschrift vom ohne weiteres feststellen können, dass auf dem Vorblatt der Handakte eine Rechtsmittelbegründungsfrist nicht vermerkt war. Dies hätte der Verfahrensbevollmächtigten Anlass zu einer Überprüfung der Notierung im Fristenkalender geben müssen, durch die das Versäumnis der Büroangestellten unschwer festzustellen und zu korrigieren gewesen wäre. In diesem Fall hätte die Beschwerdebegründungsfrist gewahrt werden können.

Dose                                           Weber-Monecke                                      Vézina

                    Schilling                                                        Günter

Fundstelle(n):
NJW 2011 S. 6 Nr. 51
NJW-RR 2012 S. 293 Nr. 5
ZAAAD-97231