BGH Beschluss v. - VII ZB 18/10

Leitsatz

Leitsatz:

Werden einem Anwalt die Akten im sachlichen oder zeitlichen Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung vorgelegt und gibt er zur Vorbereitung des von ihm zu fertigenden fristwahrenden Schriftsatzes noch Anweisungen an sein Personal, die es erfordern, dass die Akte noch einmal in den Kanzleibetrieb geht, kann er sich in aller Regel darauf verlassen, dass ihm die Akten rechtzeitig vor Ablauf der im Bürokalender eingetragenen Frist wieder vorgelegt werden. Besonderer Anweisungen, um die erneute Aktenvorlage sicherzustellen, bedarf es im Allgemeinen nicht (Anschluss an , NJW 1997, 3243).

Gesetze: ZPO § 85 Abs. 2, § 233 Fc

Instanzenzug: LG Duisburg, 3 O 136/09 vom OLG Düsseldorf, I-21 U 188/09 vom Veröffentlichungen: Amtliche Sammlung: nein; BGHR: ja; Nachschlagewerk: ja

Gründe

I. Die Nebenintervenientin der Klägerin hat gegen das am zugestellte Urteil des Landgerichts, mit dem die Klage abgewiesen worden ist, am Berufung eingelegt und gleichzeitig ihren Beitritt als Nebenintervenientin erklärt. Eine Berufungsbegründung ist innerhalb der am endenden Berufungsbegründungsfrist nicht eingegangen.

Auf die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist ist die Nebenintervenientin mit gerichtlicher Verfügung vom hingewiesen worden. Mit Schriftsatz vom hat die Nebenintervenientin beantragt, ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu gewähren. Sie hat dazu vorgetragen, dass die mit Fristsachen beauftragte, langjährige, zuverlässige Bürovorsteherin der Prozessbevollmächtigten der Nebenintervenientin versehentlich weder die Berufungsbegründungsfrist noch deren Vorfrist eingetragen habe, obwohl sie die Fristen und ihre Eintragung in den Fristenkalender handschriftlich auf der Handakte und dem Landgerichtsurteil vermerkt habe. Rechtsanwalt G., der Prozessbevollmächtigte der Nebenintervenientin, habe die Handakte zusammen mit den Gerichtsakten am zur Vorbereitung einer Besprechung mit der Mandantin vorgelegt bekommen und am die Fertigung von Kopien aus der Gerichtsakte und die anschließende Wiedervorlage der Handakte verfügt. Wegen des umfangreichen Jahresanfangsgeschäfts seien die Kopien erst am gefertigt und die Gerichtsakte zurückgesandt worden. Anschließend sei die Handakte Rechtsanwalt G. vorgelegt worden, der die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist festgestellt habe. Hierzu hat die Nebenintervenientin eine eidesstattliche Versicherung der Bürovorsteherin der Kanzlei vorgelegt.

Der Wiedereinsetzungsantrag und die Berufungsbegründung sind am beim Berufungsgericht eingegangen.

Das Berufungsgericht hat mit Beschlüssen vom die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt und die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen wendet sich die Nebenintervenientin mit der Rechtsbeschwerde.

II. 1. Die gemäß § 238 Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erforderlich ist (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Indem das Berufungsgericht der Nebenintervenientin zu Unrecht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist verweigert hat, hat es deren Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt.

2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet.

a) Das Berufungsgericht hat eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit der Begründung verweigert, den Prozessbevollmächtigten der Nebenintervenientin, Rechtsanwalt G., treffe ein eigenes Verschulden an der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist, das sich diese nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müsse.

Rechtsanwalt G. habe bei Übernahme des Mandats die Handakten und bei der ersten Vorlage der Gerichtsakten an ihn diese auf laufende Rechtsmittelfristen eigenverantwortlich prüfen müssen. Er habe den ermittelten Zustellungszeitpunkt festhalten und die rechtzeitige Wiedervorlage sicherstellen müssen. Insbesondere habe er prüfen müssen, ob die Frist vom Büropersonal im Kalender vorgemerkt worden sei.

Rechtsanwalt G. habe nicht sichergestellt, dass ihm die Akte rechtzeitig zur Berufungsbegründung oder zur eventuellen Beantragung der Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist vorgelegt werde. Nach der Besprechung mit der Nebenintervenientin am habe er lediglich verfügt, Kopien aus der Gerichtsakte zu fertigen. Obwohl er aus der Handakte den zeitnahen Ablauf der Berufungsbegründungsfrist habe erkennen können, habe er keine Wiedervorlage verfügt. Dies sei zu diesem Zeitpunkt jedoch erforderlich gewesen, um die Akte wegen der noch zu fertigenden Kopien rechtzeitig zur Fertigung der Berufungsbegründung wieder vorliegen zu haben.

b) Das hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand. Das Berufungsgericht hat der Nebenintervenientin der Klägerin zu Unrecht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist versagt.

aa) Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist der Anwalt zwar zur eigenständigen Fristenkontrolle, nicht aber zur Überprüfung der Eintragung dieser Fristen in den Fristenkalender verpflichtet. Diese Aufgabe kann er durch eindeutige Anweisungen seinem gut ausgebildeten und sorgfältig überwachten Büropersonal übertragen, wenn er durch geeignete organisatorische Maßnahmen dafür sorgt, dass Fristversäumnisse möglichst vermieden werden (BGH, Beschlüsse vom - VIII ZB 115/02, NJW 2003, 1815; vom - XII ZB 140/95, NJW-RR 1998, 1526 jeweils m.w.N.). Diesen Anforderungen genügt die durch eidesstattliche Versicherung der Bürovorsteherin glaubhaft gemachte Büroorganisation der Prozessbevollmächtigten der Nebenintervenientin. Rechtsanwalt G. war danach nicht gehalten, selbst die korrekte Eintragung der Berufungsbegründungsfrist in den Fristenkalender zu überprüfen. Er durfte auf die in der Handakte ausgewiesene Erledigung durch die bisher zuverlässig arbeitende Bürovorsteherin vertrauen (vgl. , MDR 2010, 400).

bb) Das Verhalten von Rechtsanwalt G. am im Zusammenhang mit der Anweisung der Fertigung von Kopien aus der Gerichtsakte begründet keinen Verschuldensvorwurf. Ausweislich der eidesstattlichen Versicherung der Bürovorsteherin hatte Rechtsanwalt G. die Fertigung von einzelnen Kopien aus der Gerichtsakte verfügt und sie angewiesen, ihm die Handakte nach Erledigung umgehend wieder vorzulegen. Trotz des aus den Akten unschwer erkennbaren Fristablaufs der Berufungsbegründung am durfte sich der Anwalt auf die rechtzeitige Wiedervorlage der Akte zur Fertigung der Berufungsbegründung oder zumindest zur rechtzeitigen erstmaligen Beantragung der Verlängerung der Frist zur Berufungsbegründung verlassen, ohne hierzu weitergehende konkrete Einzelanweisungen zur Wiedervorlage zu machen. Nach ständiger Rechtsprechung kann sich ein Rechtsanwalt grundsätzlich darauf verlassen, dass das von ihm ausreichend geschulte und überwachte Personal die Einhaltung der im Fristenkalender notierten Fristen beachtet und die Akten rechtzeitig vorlegt ( Ib ZR 69/66, NJW 1967, 2311, 2312; vom - VIII ZR 45/68, NJW 1968, 2244; Beschluss vom - VIII ZB 2/95, NJW 1995, 1682). Auch wenn dem Anwalt die Akte im sachlichen oder zeitlichen Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung vorgelegt wird und er zur Vorbereitung des von ihm zu fertigenden fristwahrenden Schriftsatzes noch Anweisungen an sein Personal gibt, die es erfordern, dass die Akte (z.B. zur Fertigung von Kopien) noch einmal in den Kanzleibetrieb geht, muss er keine Einzelanweisungen oder sonstige Vorkehrungen treffen, dass ihm die Akte nach Erledigung sofort und rechtzeitig vor Ablauf der Frist wieder vorgelegt wird. Der Anwalt darf sich auch in diesem Fall auf das Funktionieren seiner Maßnahmen zur Büroorganisation und damit auf die rechtzeitige erneute Vorlage aufgrund der im Fristenkalender notierten Frist verlassen, ohne dass er hierzu konkrete Einzelanweisungen zur sofortigen Wiedervorlage nach Erledigung treffen müsste, falls keine Anhaltspunkte für die Annahme bestehen, die zur Fristenwahrung getroffenen Maßnahmen könnten versagen (, NJW 1997, 3243; Urteil vom - Ib ZR 69/66, NJW 1967, 2311, 2312).

cc) Die Fristversäumung ist mithin allein auf das Verschulden der Bürovorsteherin der Prozessbevollmächtigten der Nebenintervenientin zurückzuführen und deshalb für diese als unverschuldet im Sinne des § 233 ZPO anzusehen.

3. Der Nebenintervenientin der Klägerin war somit unter Aufhebung des Beschlusses des Berufungsgerichts vom Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung zu gewähren. Damit ist die Verwerfung der Berufung als unzulässig gegenstandslos.

Fundstelle(n):
EAAAD-96493