Prozessführungsbefugnis des Insolvenzverwalters entfällt mit Beendigung des Insolvenzverfahrens; Unterbrechung ein die Insolvenzmasse betreffendes Einspruchsverfahren
Leitsatz
1. Mit Beendigung des Insolvenzverfahrens entfällt neben der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis zugleich die Prozessführungsbefugnis des Insolvenzverwalters. Das gilt auch dann, wenn er Adressat des angefochtenen Steuerbescheids war.
2. Wird das Insolvenzverfahren nach der Schlussverteilung aufgehoben, jedoch eine Nachtragsverteilung angeordnet, bleibt der Insolvenzverwalter ausnahmsweise befugt, anhängige Prozesse fortzusetzen und neue einzuleiten, mit denen die der Nachtragsverteilung vorbehaltenen Masseaktiva realisiert werden sollen. Die Anordnung einer Nachtragsverteilung ist auch im Verbraucherinsolvenzverfahren möglich.
3. Ein Einspruchsverfahren gegen einen Steuerbescheid, der die Insolvenzmasse betrifft, wird mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens analog § 239 ZPO unterbrochen.
Gesetze: InsO § 80 Abs. 1, InsO § 200 Abs. 1, InsO § 203 Abs. 1, InsO § 313 Abs. 1, AO § 125, FGO § 47, FGO § 122, FGO § 124
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf), ,
Gründe
1 I. Über das Vermögen des X (Schuldner) wurde am das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) zum Treuhänder bestellt.
2 Auf den Schuldner war ein Pkw zugelassen. Mit Bescheid vom setzte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) die Kraftfahrzeugsteuer für die Zeit ab auf jährlich 405 € fest. Hiergegen legte der Kläger am Einspruch ein. Am wurde das Insolvenzverfahren aufgehoben. Am wies das FA den Einspruch als unbegründet zurück. Hiergegen erhob der Kläger am Klage. Mit nach § 12 Abs. 2 Nr. 3 des Kraftfahrzeugsteuergesetzes geändertem Bescheid vom setzte das FA die Kraftfahrzeugsteuer für die Zeit vom bis auf 183 € fest. Der Änderungsbescheid war, ebenso wie der Bescheid vom und die Einspruchsentscheidung, an den Kläger als Treuhänder über das Vermögen des Schuldners adressiert.
3 Die Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) war der Auffassung, die Kraftfahrzeugsteuer sei keine Masseverbindlichkeit, weil das betreffende Fahrzeug nicht zur Insolvenzmasse gehört habe.
4 Mit der Revision rügt das FA eine Verletzung des § 55 Abs. 1 Nr. 1 der Insolvenzordnung in der bis geltenden Fassung (InsO). Das FG sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstandene Kraftfahrzeugsteuer für ein gemäß § 811 Abs. 1 Nr. 5 der Zivilprozessordnung (ZPO) unpfändbares Fahrzeug keine Masseverbindlichkeit i.S. des § 55 Abs. 1 InsO sei.
5 Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
6 Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
7 II. Die Revision ist teilweise begründet. Sie führt gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur teilweisen Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und zur Entscheidung in der Sache selbst, soweit das FG den Kraftfahrzeugsteuerbescheid vom aufgehoben hat (vgl. 1.). Soweit sich die Revision des FA gegen die Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom sowie des Änderungsbescheids vom durch das FG richtet, ist diese unbegründet (vgl. 2.).
8 1. Zu Unrecht hat das FG den Kraftfahrzeugsteuerbescheid vom aufgehoben. Mangels Prozessführungsbefugnis des Klägers war die Klage insoweit unzulässig.
9 a) Nach § 80 Abs. 1 InsO verliert der Schuldner mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Befugnis, sein zur Insolvenzmasse gehörendes Vermögen zu verwalten und über dasselbe zu verfügen. Gleichzeitig geht das Verwaltungs- und Verfügungsrecht auf den Insolvenzverwalter über. Mit dem Verwaltungs- und Verfügungsrecht erhält der Insolvenzverwalter die Befugnis, die Insolvenzmasse betreffende Prozesse zu führen. Im Prozess hat der Insolvenzverwalter kraft gesetzlicher Prozessstandschaft die uneingeschränkte Prozessführungsbefugnis unter Ausschluss des Schuldners. Der Schuldner ist nicht prozessführungsbefugt (, BFH/NV 2004, 1547, m.w.N.). Im vereinfachten Insolvenzverfahren (§§ 311 ff. InsO) nimmt nach § 313 Abs. 1 Satz 1 InsO der Treuhänder (§ 292 InsO) die Aufgaben des Insolvenzverwalters wahr (vgl. auch , Wertpapier-Mitteilungen 2003, 980, unter V.2.d).
10 b) Mit Beendigung des Insolvenzverfahrens entfällt neben der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis zugleich die Prozessführungsbefugnis des Insolvenzverwalters (vgl. , Zeitschrift für Wirtschaftsrecht und Insolvenzpraxis —ZIP— 2010, 102; s. auch , BFH/NV 1994, 186, zur Rechtslage nach der Konkursordnung —KO—). Die Prozessführungsbefugnis des Insolvenzverwalters entfällt auch dann, wenn er Adressat des angefochtenen Steuerbescheids war. Zwar sind als Masseverbindlichkeiten zu behandelnde Steuerforderungen durch einen an den Insolvenzverwalter gerichteten Steuerbescheid geltend zu machen. Dies betrifft aber lediglich die Geltendmachung der Steuerforderung; Steuerschuldner ist auch in diesen Fällen der Insolvenzschuldner als Rechtsträger der Insolvenzmasse (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 1994, 186, zur Rechtslage nach der KO).
11 c) Wird das Insolvenzverfahren nach der Schlussverteilung aufgehoben (§ 200 Abs. 1 InsO), jedoch eine Nachtragsverteilung angeordnet (§ 203 Abs. 1, 2 InsO), bleibt der Insolvenzverwalter ausnahmsweise befugt, anhängige Prozesse fortzusetzen und neue einzuleiten, mit denen die der Nachtragsverteilung vorbehaltenen Masseaktiva realisiert werden sollen (BGH-Urteil in ZIP 2010, 102). Denn mit der Anordnung der Nachtragsverteilung tritt eine erneute Insolvenzbeschlagnahme ein (vgl. , ZIP 2006, 340, unter III.3.). Die Anordnung einer Nachtragsverteilung ist auch im Verbraucherinsolvenzverfahren möglich (BGH-Beschlüsse vom IX ZB 17/04, ZIP 2006, 143; vom IX ZB 184/09, ZIP 2011, 135; MünchKommInsO/Hintzen, § 203 Rz 2).
12 d) Im Streitfall war der Kläger hinsichtlich des Kraftfahrzeugsteuerbescheids vom nicht prozessführungsbefugt, weil das Insolvenzverfahren bereits am aufgehoben wurde. Anhaltspunkte dafür, dass eine Nachtragsverteilung angeordnet und die Prozessführungsbefugnis des Klägers deshalb ausnahmsweise fortbestanden hat, ergeben sich weder aus den Feststellungen des FG noch aus den dem Senat vorliegenden Akten oder dem Vorbringen der Beteiligten.
13 Da das FG eine andere Auffassung zugrunde gelegt hat, war die Vorentscheidung, soweit sie den Bescheid vom betrifft, aufzuheben. Die Sache ist —soweit das FG-Urteil keinen Bestand hat— spruchreif. Die Klage ist insoweit unzulässig und daher abzuweisen.
14 2. Im Ergebnis zu Recht hat das FG der Klage bezüglich des Änderungsbescheids vom sowie der Einspruchsentscheidung vom stattgegeben und diese Verwaltungsakte aufgehoben. Die Einspruchsentscheidung und der Änderungsbescheid vom sind nichtig.
15 Nach § 125 Abs. 1 der Abgabenordnung ist ein Verwaltungsakt nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Im Zeitpunkt der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung war das Insolvenzverfahren bereits seit mehr als fünf Monaten aufgehoben. Der Kläger war deshalb nicht mehr Treuhänder im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners und kam daher deshalb als richtiger Bekanntgabe- oder Inhaltsadressat dieser Verwaltungsakte nicht mehr in Betracht (vgl. auch , BFHE 185, 190, BStBl II 1998, 480; Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 125 AO Rz 14). Der durch die Einspruchsentscheidung und den Änderungsbescheid erzeugte Rechtsschein einer wirksamen Regelung ist durch deren formale Aufhebung zu beseitigen (vgl. , BFH/NV 1996, 69; vom IV R 34/98, BFH/NV 2001, 409, m.w.N.).
16 3. Die Beteiligten werden hinsichtlich des weiteren Verfahrensablaufs darauf hingewiesen, dass mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens am das Einspruchsverfahren analog § 239 ZPO unterbrochen wurde. Danach tritt bei einer „Rechtsnachfolge” im weitesten Sinne, wozu auch das Erlöschen der Prozessstandschaft zählt, eine Unterbrechung des Einspruchsverfahrens bis zur Aufnahme des Verfahrens durch den vormaligen Insolvenzschuldner ein (hierzu vgl. , BFH/NV 1987, 111; Pahlke in Pahlke/Koenig, Abgabenordnung, 2. Aufl., § 363 Rz 66). Während der Verfahrensunterbrechung konnte die Einspruchsentscheidung dem Insolvenzschuldner nicht wirksam bekanntgegeben werden (Pahlke in Pahlke/Koenig, a.a.O., § 363 Rz 28; Birkenfeld in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 363 AO Rz 342) und die Klagefrist nicht zu laufen beginnen (§ 47 Abs. 1 Satz 1 FGO).
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
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Fundstelle(n):
BFH/NV 2012 S. 10 Nr. 1
StuB-Bilanzreport Nr. 24/2011 S. 967
BAAAD-95577