Militärische Verwendungsentscheidung; Konkurrentenstreit; Restdienstzeit als Auswahlkriterium
Leitsatz
Die Berücksichtigung einer hinreichenden Restdienstzeit (hier: drei Jahre) bei militärischen Verwendungsentscheidungen, die mit der Übertragung eines höher bewerteten Dienstpostens verbunden sind, stellt ein mit Art. 33 Abs. 2 GG und § 3 Abs. 1 SG vereinbares Auswahlkriterium dar.
Gesetze: Art 33 Abs 2 GG, § 3 Abs 1 SG
Tatbestand
Der Antragsteller ist Berufssoldat im Dienstgrad eines Oberstleutnants, der in eine Planstelle der Besoldungsgruppe A 15 eingewiesen ist. Er wendet sich im Rahmen eines Konkurrentenstreits dagegen, dass er bei der Besetzung zweier nach Besoldungsgruppe A 16 bewerteten Dienstposten nicht mitbetrachtet worden ist. Der Bundesminister der Verteidigung hat dazu vorgetragen, dass dem Antragsteller auf den angestrebten Dienstposten nicht mehr eine Restdienstzeit von drei Jahren zur Verfügung stehe und im übrigen für einen der beiden Dienstposten die Organisationsgrundentscheidung getroffen worden sei, nur Versetzungsbewerber (Offiziere im Dienstgrad Oberst) zu betrachten.
Das Bundesverwaltungsgericht hat den Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen die beiden Auswahlentscheidungen zurückgewiesen.
Gründe
...
24Der Antragsteller musste bei den Auswahlentscheidungen für die strittigen Dienstposten nicht mitbetrachtet werden, weil er die Voraussetzung einer hinreichenden Restdienstzeit auf einem für ihn förderlichen Dienstposten nicht erfüllte (nachfolgend a) und weil hinsichtlich des Dienstpostens X der Bewerberkreis zulässigerweise auf Versetzungsbewerber beschränkt war (nachfolgend b).
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26Nähere Einzelheiten des Verfahrens bei Auswahl- und Verwendungsentscheidungen für Dienstposten der Besoldungsgruppe A 16 (und B 3 ) sind nicht in speziellen gesetzlichen oder sonstigen normativen Regelungen festgelegt. Vielmehr bestimmt sich das diesbezügliche Verfahren ausschließlich nach Verwaltungsvorschriften, hier insbesondere nach den "Bestimmungen über die Personalberaterausschüsse" vom - R 7/03 - (BMVg PSZ I 1 <40> - Az.: 16-30-00/8) und nach der zitierten "Richtlinie für die langfristige Verwendungsplanung der Berufsoffiziere des Truppendienstes, des Sanitätsdienstes, des Militärmusikdienstes und des Geoinformationsdienstes der Bundeswehr" vom - R 5/03 - (BMVg PSZ I 1 - Az.: 16-30-00). Diese Verwaltungsvorschriften sind keine Rechtsnormen. Außenwirkung gegenüber dem einzelnen Soldaten erlangen Verwaltungsvorschriften nur mittelbar über den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG (stRspr, vgl. im Einzelnen BVerwG 1 WB 19.07 - Buchholz 449 § 3 SG Nr. 44, vom - BVerwG 1 WB 67.08 - DÖD 2010, 115 und vom - BVerwG 1 WB 7.09 - Buchholz 11 Art. 3 Abs. 1 GG Nr. 18). Mit derartigen Verwaltungsvorschriften bindet das Bundesministerium der Verteidigung das ihm bei der Verwendungsplanung sowie bei der näheren Ausgestaltung von Auswahlverfahren zustehende Planungs- und Organisationsermessen für sich und die nachgeordneten Stellen. Eine an Verwaltungsvorschriften orientierte ständige Verwaltungspraxis verpflichtet zur Gleichbehandlung gleichgelagerter Fälle; andererseits kann ein Soldat nur (und nicht mehr als) eine Behandlung entsprechend der gleichmäßig vollzogenen Verwaltungsvorschriften beanspruchen. Die tatsächlich geübte Verwaltungspraxis ist auch insofern von Bedeutung, als eine bestehende Ermessensbindung durch eine hiervon abweichende Praxis aus sachgerechten Erwägungen für die Zukunft geändert werden kann (Beschlüsse vom - BVerwG 1 WB 12.07 - Buchholz 449.2 § 40 SLV 2002 Nr. 3 und vom - BVerwG 1 WB 7.09 - a.a.O.). Ebenso ist die tatsächliche Verwaltungspraxis für die Auslegung von Bestimmungen in Verwaltungsvorschriften sowie auch dann maßgeblich, wenn sie eine Verwaltungsvorschrift auf bestimmte Sachverhalte nicht anwendet und so den Anwendungsbereich der Vorschrift einschränkt (Beschlüsse vom - BVerwG 1 WDS-VR 2.08 - und vom - BVerwG 1 WB 7.09 - a.a.O.). Wie sich die tatsächlich geübte Verwaltungspraxis bei der Anwendung einer Verwaltungsvorschrift darstellt, ist in der Regel durch eine Amtliche Auskunft des Bundesministeriums der Verteidigung zu klären ( BVerwG 1 WB 72.08 -).
27a) Nach der Amtlichen Auskunft des Bundesministeriums der Verteidigung - Referatsleiter PSZ I 1 - vom ist die Regelung in Nr. 3.2 der "Bestimmungen über die Personalberaterausschüsse" über die Vorstellung der zu beratenden Offiziere durch ständige Verwaltungspraxis dahin modifiziert, dass unter Berücksichtigung des Erlasses des Bundesministeriums der Verteidigung - PSZ I 1 - (Az. 16-32-00/4) vom das Personalamt der Bundeswehr und das Ministerium in ihren jeweiligen Zuständigkeitsbereichen Offiziere mit geringerer Restdienstzeit als drei Jahre grundsätzlich nicht in Personalberaterausschüssen für "förderungswürdige" (gemeint wohl: förderliche) Verwendungsentscheidungen vorstellen.
28Gegen diese Verwaltungspraxis bestehen unter dem Gesichtspunkt des Art. 33 Abs. 2 GG und des § 3 Abs. 1 SG keine rechtlichen Bedenken. Die Berücksichtigung einer noch hinreichenden Restdienstzeit bei Verwendungsentscheidungen, die mit der Übertragung eines höher bewerteten Dienstpostens verbunden sind, kann nach der Rechtsprechung des Senats ein zulässiges Auswahlkriterium darstellen, wenn - wie hier - generell an die Restdienstzeit und nicht an das individuelle Lebensalter des Bewerbers angeknüpft wird (vgl. z.B. Beschlüsse vom - BVerwG 1 WB 30.94 - und vom - BVerwG 1 WB 116.96 - BVerwGE 113, 76 = Buchholz 236.1 § 3 SG Nr. 15 = NZWehrr 1997, 116; vgl. zuvor schon BVerwG 1 WB 115.87 - BVerwGE 86, 169, <176>).
29An dieser Rechtsprechung hält der Senat aus folgenden Erwägungen fest:
Die dem Bundesminister der Verteidigung zustehende Organisations- und Personalhoheit berechtigt ihn und die in seinem Auftrag handelnden personalbearbeitenden Stellen, bei der Besetzung eines freien Dienstpostens vor der Auswahlentscheidung nach einem im Wesentlichen personalwirtschaftlich bestimmten Ermessen - in einer Organisationsgrundentscheidung - festzulegen, ob der Dienstposten im Wege einer förderlichen Besetzung (mit anschließender Beförderung in den dem Dienstposten entsprechenden Dienstgrad) oder mittels einer Versetzung ohne derartige Förderung oder durch Dienstpostenwechsel besetzt werden soll. ... (wird ausgeführt)
30Soldaten, die sich um eine für sie jeweils höherwertige Verwendung als sogenannte Förderungsbewerber bewerben, sind nach ständiger Rechtsprechung des Senats bei der Auswahlentscheidung in einen Eignungs- und Leistungsvergleich am Maßstab des Art. 33 Abs. 2 GG und des § 3 Abs. 1 SG einzubeziehen, wenn die entsprechende Organisationsgrundentscheidung dem nicht entgegen steht (vgl. Beschlüsse vom - BVerwG 1 WB 52.08 - DokBer 2010, 211 und vom - BVerwG 1 WB 37.09 - m.w.N.; ebenso zur beamtenrechtlichen Versetzung oder Umsetzung ohne Statusänderung BVerwG 2 C 17.03 - BVerwGE 122, 237 = Buchholz 11 Art. 33 Abs. 2 GG Nr. 31).
31Die Konkretisierung der unbestimmten Rechtsbegriffe der Eignung, Befähigung und Leistung und die Festlegung von Eignungskriterien und Eignungsanforderungen können - bei fehlender normativer Spezifizierung - durch den Bundesminister der Verteidigung oder die von ihm beauftragten Stellen erfolgen; diese Maßnahmen sind grundsätzlich durch Gesichtspunkte militärischer Zweckmäßigkeit (mit-)geprägt, die einer inhaltlichen Nachprüfung durch die Wehrdienstgerichte nicht unterliegen (Beschlüsse vom - BVerwG 1 WB 13.08 - Buchholz 449.2 § 30 SLV 2002 Nr. 1 und vom - BVerwG 1 WB 32.08 -). Art. 33 Abs. 2 GG enthält keine Richtlinien darüber, in welcher Weise der Leistungsgrundsatz zu verwirklichen ist, sofern nur das Prinzip selbst nicht in Frage gestellt ist; auf welche Weise der Dienstherr in diesem Rahmen dem Leistungsprinzip gerecht wird, unterliegt deshalb seinem Gestaltungsermessen (stRspr, Beschlüsse vom a.a.O. und vom - BVerwG 1 WB 32.08 -). Innerhalb dieses Gestaltungsermessens ist der Bundesminister der Verteidigung berechtigt, wenn er die personen- und dienstpostenbezogenen Eignungskriterien und Eignungsanforderungen festlegt und näher bestimmt, den Kreis der nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung zu vergleichenden Bewerber um einen bestimmten Dienstposten oder um eine bestimmte Art von Dienstposten aufgrund sachlicher Erwägungen einzuengen. Das entspricht der ständigen beamtenrechtlichen Rechtsprechung (vgl. BVerfG, Kammerbeschlüsse vom - 2 BvR 1992/99 - ZBR 2000, 377 = juris, Rn. 6 und vom - 2 BvR 2494/06 - NVwZ 2007, 693 = juris, Rn. 11 jeweils m.w.N.) und kann im Hinblick auf die insoweit vergleichbaren Strukturprinzipien der Auswahlentscheidungen auf Verwendungsentscheidungen im militärischen Bereich übertragen werden.
32Die in ständiger Verwaltungspraxis vom Bundesministerium der Verteidigung und vom Personalamt zugrunde gelegte Anforderung an Förderungsbewerber, dass diese auf förderlichen Dienstposten der Besoldungsgruppe A 16 oder B 3 noch eine hinreichende Restdienstzeit von jedenfalls drei Jahren aufweisen müssen, damit sie im Personalberaterausschuss vorgestellt werden können, stellt eine sachliche Erwägung für die Beschränkung des Kandidatenkreises dar, die nach den oben dargelegten Maßstäben rechtlich nicht zu beanstanden ist und insbesondere das Leistungsprinzip nicht in Frage stellt.
33Die Anforderung einer hinreichenden Restdienstzeit rechtfertigt sich inhaltlich vor allem aus dem Aspekt der erforderlichen Kontinuität und Effektivität der Aufgabenerfüllung auf dem höherwertigen Dienstposten. Bei höherwertigen Dienstposten gewinnen Kontinuität und Effektivität der Aufgabenerfüllung ein erheblich gesteigertes Gewicht, weil diese Dienstposten mit ihrer umfangreichen Funktions- und Verantwortungsbereite deutlich herausgehoben und deshalb besonders wichtig sind. Bei Dienstposten der Besoldungsgruppe A 16 kommt noch hinzu, dass sie in der Regel mit einer nicht zu unterschätzenden Außenwirkung verbunden sind. Bei der gebotenen typisierenden Betrachtung stellt eine zu kurze Restdienstzeit des Förderungsbewerbers die Möglichkeit in Frage, dass er auf einem förderlichen Dienstposten noch eine den erhöhten Anforderungen des Dienstpostens entsprechende nachhaltige Leistung zum Nutzen des Dienstherrn erbringen wird. Daher bezeichnet der Erlass des Bundesministeriums der Verteidigung vom eine zu kurze Restdienstzeit zutreffend als nicht "sinnvoll".
34Darüber hinaus ist es eine personalpolitisch sachgerechte Erwägung, auf förderlichen Dienstposten nicht nur eine Förderung, sondern auch eine ruhegehaltfähige Beförderung des jeweiligen Soldaten zu erreichen. Damit stellt die in der Amtlichen Auskunft mitgeteilte ständige Verwaltungspraxis zugleich ein adäquates Element der mittel- und langfristigen Personalsteuerung auf der Ebene höherwertiger Dienstposten dar. Das gilt für höherwertige Dienstposten grundsätzlich - unabhängig von einer bestimmten Besoldungsgruppe - auch dann, wenn ein Förderungsbewerber im Einzelfall nur Interesse an der Beförderung, nicht aber an deren Ruhegehaltswirksamkeit haben sollte. Der Bundesminister der Verteidigung kann seine Personalsteuerung so gestalten, dass sich auch der Aspekt der Ruhegehaltfähigkeit einer Beförderung bei der Personalauswahl auswirkt. Dann erfüllt die Bereitstellung förderlicher Dienstposten mit der Möglichkeit der ruhegehaltfähigen Statusänderung für geeignete Soldaten die Funktion eines gewissen Anreizes, sich um solche qualifizierten Verwendungen zu bemühen. Wird ein förderlicher Dienstposten hingegen auch für Soldaten mit sehr geringer Restdienstzeit zur Verfügung gestellt, entfällt bei deren Auswahl und nachfolgender Beförderung die "Anreizfunktion" des Dienstpostens, weil er für geeignete Soldaten mit längerer Restdienstzeit zunächst "blockiert" ist.
35Die in der Amtlichen Auskunft des Bundesministeriums der Verteidigung angegebene Dauer einer erforderlichen Restdienstzeit von drei Jahren begegnet ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken. Nach § 18 Abs. 1 SVG beträgt die Frist für die Ruhegehaltfähigkeit der Dienstbezüge eines Soldaten aus dem letzten Dienstgrad vor dem Eintritt in den Ruhestand zwei Jahre. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Regelung sind nicht ersichtlich (vgl. zur beamtenrechtlichen Regelung in § 5 Abs. 3 BeamtVG: BVerfG 2 BvL 11/04 - BVerfGE 117, 372 = NVwZ 2007, 679). Die Praxis einer geforderten "Vorlaufzeit" von einem Jahr vor der - ruhegehaltfähigen - Beförderung in den höheren Dienstgrad, der in der Besoldungshöhe dem förderlichen Dienstposten entspricht, lässt keine Ermessensfehler erkennen. Ihr liegt erkennbar die sachgerechte und plausible Einschätzung zugrunde, dass dieser Zeitraum erforderlich ist, um die notwendige Einarbeitung des Förderungsbewerbers auf dem neuen Dienstposten vor seiner Beförderung zu gewährleisten, um auf die unterschiedliche Dauer der Beförderungsverfahren flexibel zu reagieren und um auch den Aspekt eines sachgemäßen, nicht zu kurzatmigen Verwendungsaufbaus für den im Rahmen von Versetzungsketten eingeplanten Nachfolger auf dem höherwertigen Dienstposten zu berücksichtigen.
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39b) Der Antragsteller war für den Dienstposten X im Übrigen auch deshalb nicht in den Personalberaterausschüssen vorzustellen und daher vom Abteilungsleiter PSZ nicht zu berücksichtigen, weil hinsichtlich dieses Dienstpostens eine Organisationsgrundentscheidung des Bundesministers der Verteidigung bestand, nur Versetzungsbewerber (Offiziere im Dienstgrad Oberst) zu betrachten. ... (wird ausgeführt)
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
OAAAD-92518