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OFD Niedersachsen - FG 2026 - 31 - St 143

Entscheidungen durch den sog. konsentierten Einzelrichter (§ 79a Abs. 3 und 4 FGO)

1. Allgemeines

Entsprechend der Geschäftsverteilung des Senats (§ 21g GVG) wird der Rechtsstreit durch den Vorsitzenden einem Senatsmitglied oder ihm selbst als Berichterstatter zugeschrieben. Der Berichterstatter ist für die weitere Vorbereitung der Sache zuständig (vgl. §§ 79 ff. FGO).

Die Entscheidung des Rechtsstreits erfolgt entweder durch den Senat (gem. § 5 Abs. 3 FGO in der Besetzung mit drei Berufsrichtern und zwei ehrenamtlichen Richtern [Ausnahme: bei Gerichtsbescheiden gem. § 90a FGO]) oder in bestimmten Fällen, nach Übertragungsbeschluss, durch den (originären) Einzelrichter (§ 6 FGO). Anstelle des Senats kann mit Einverständnis der Beteiligten und ohne dass die Voraussetzungen des § 6 FGO vorzuliegen brauchen, der Vorsitzende bzw. nach Zuschreibung der Berichterstatter (als konsentierter Einzelrichter) allein entscheiden (§ 79a Abs. 3, 4 FGO).

Die Einverständniserklärung zu einer Entscheidung nach § 79a Abs. 3, 4 FGO muss von allen am Prozess Beteiligten (Hinweis auf § 57 FGO) abgegeben werden, wobei die Möglichkeit hierzu während des gesamten gerichtlichen Verfahrens besteht. Eine ggf. zuvor geäußerte gegenteilige Erklärung steht dem nicht entgegen; eine solche kann jederzeit – auch konkludent – widerrufen werden.

Die Einverständniserklärung ist eine einseitig gestaltende Prozesshandlung, die bereits mit Zugang beim Finanzgericht wirksam wird und als solche grundsätzlich nicht anfechtbar, bedingungsfeindlich und unwiderruflich ist. Ob ein Widerruf ausnahmsweise – entsprechend § 128 Abs. 2 ZPO – zulässig ist, wenn sich die Prozesslage maßgeblich verändert hat, hat der BFH bislang ausdrücklich offen gelassen.

Das Einverständnis der Beteiligten bedeutet nicht gleichzeitig, dass auch eine Verpflichtung zu einer Einzelrichterentscheidung besteht. Vielmehr besteht insoweit ein Ermessen (kann); die Entscheidungsbefugnis des Senats bleibt (konkurrierend) fortbestehen. Im Zuge dieser Ermessensentscheidung hat der Einzelrichter neben dem Beschleunigungs- und Entlastungszweck der Norm das Rechtsschutzinteresse der Beteiligten und das Allgemeininteresse an der Einheitlichkeit der Rechtssprechung abzuwägen. Denn anders als bei § 6 FGO kann eine Einzelrichterentscheidung auch zu schwierigen Rechtsfragen oder solcher von grundsätzlicher Bedeutung ergehen. Dies ist dadurch gerechtfertigt, dass es die Beteiligten selbst in der Hand haben, ob sie ihre Zustimmung zu einer Abweichung vom gesetzlichen Grundgedanken des Kollegialgerichts erteilen.

Eine Vorprägung der Ermessensentscheidung wird von der Literatur hingegen dann gesehen bzw. mehrheitlich bejaht, wenn eine Vorlage an das BVerfG beabsichtigt ist oder ein „positiver Kompetenzkonflikt” gegeben ist; in diesen Fällen soll (wieder) eine Entscheidung durch den Senat getroffen werden.

2. Umgang mit Anfragen des Finanzgerichts

Bei den Anfragen des Finanzgerichts, ob einer Entscheidung durch den Vorsitzenden oder Berichterstatter anstelle des Senats (§ 79a Abs. 3, 4 FGO; sog. konsentierter Einzelrichter) zugestimmt werden kann, ist künftig wie folgt zu verfahren:

Die Finanzämter haben generell als Beklagte sorgfältig das Für und Wider einer derartigen Erklärung unter Berücksichtigung der Bedeutung des Falles bzw. der streitigen Rechtsfrage(n) abzuwägen und ggf. zunächst den weiteren Fortgang des Verfahrens abzuwarten, bevor sie ihre Zustimmung zu einer – häufig bereits mit Übersendung der Klageschrift durch das Finanzgericht formularmäßig gestellten – entsprechenden Frage erteilen.

In diesem Zusammenhang ist auch – wie durch den Einzelrichter im Rahmen seiner Ermessensentscheidung – zu beachten, dass die Finanzgerichte grundsätzlich als Kollegialgerichte ausgestaltet sind (und Einzelrichterentscheidungen die Ausnahme bilden). Dem liegt die Annahme des Gesetzgebers zugrunde, dass Entscheidungen eines Kollegiums/des Senats eine höhere Richtigkeitsgewähr beizumessen ist als denen eines Einzelnen. Dies beruht zunächst darauf, dass das Finanzgericht – wie bspw. auch das Oberverwaltungsgericht oder Oberlandesgericht – als letzte Tatsacheninstanz eine Letztentscheidung hinsichtlich des Sachverhalts trifft. Dadurch werden besondere Sorgfaltspflichten begründet, die insbesondere durch das Kollegialprinzip gewährleistet werden. Damit geht ein nicht zu vernachlässigender Mehrwert an Rechtsschutz und Entscheidungsqualität einher.

Im Rahmen dieser Überlegungen sollten die Finanzämter in der ersten Stellungnahme darauf hinweisen, dass einer Übertragung auf den Einzelrichter gem. § 79a Abs. 3, 4 FGO (zunächst) nicht zugestimmt wird bzw. das Einverständnis ggf. zu einem späteren Zeitpunkt erfolgt. Eine Zustimmung ist Prozesshandlung und muss unmissverständlich sein, eine Auslegung (§ 133 BGB) kommt nur ausnahmsweise in Betracht.

Eine Zustimmung kann daher auch nicht konkludent unterstellt werden.

In Fällen von grundsätzlicher oder übergeordneter Bedeutung oder bei beabsichtigter bzw. absehbarer Vorlage an das BVerfG oder den EuGH durch das Niedersächsische Finanzgericht bitte ich, grundsätzlich keine Zustimmung zu einer Einzelrichterentscheidung gem. § 79a Abs. 3, 4 FGO zu erteilen, sondern auf einer Kollegial-/Senatsentscheidung zu bestehen.

Das Einverständnis kann weder erzwungen werden (Verbot der „aufgedrängten” Zustimmung), noch im Falle einer Verweigerung zu atmosphärischen Störungen führen und damit u. U. Einfluss auf die Prozessführung haben.

OFD Niedersachsen v. - FG 2026 - 31 - St 143

Fundstelle(n):
AO-Kartei NI § 79a FGO Karte 1 - 84 -
SAAAD-92414