BAG Urteil v. - 3 AZR 267/09

Betriebliche Altersversorgung - Direktversicherung - Insolvenz - Herausgabe des Versicherungsscheins

Gesetze: § 1b BetrAVG, § 30f BetrAVG, § 952 BGB, § 985 BGB, § 986 BGB, § 80 Abs 1 InsO

Instanzenzug: ArbG Eberswalde Az: 4 Ca 375/08 Urteilvorgehend LArbG Berlin-Brandenburg Az: 23 Sa 2149/08 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger als Insolvenzverwalter über das Vermögen der früheren Arbeitgeberin des Beklagten die Herausgabe des Versicherungsscheins über eine von dieser zugunsten des Beklagten zum Zweck der betrieblichen Altersversorgung abgeschlossene Lebensversicherung verlangen kann.

2Der Beklagte ist 1962 geboren. Er war vom bis zum bei der späteren Insolvenzschuldnerin, der B GmbH (künftig: Insolvenzschuldnerin), beschäftigt. Die Insolvenzschuldnerin schloss auf der Basis eines „Kollektiv-Vertrages“ ua. für den Beklagten mit Wirkung ab eine Direktversicherung bei der L a.G. (künftig: LV) ab. Die Beiträge wurden von der Insolvenzschuldnerin abgeführt.

In dem von der LV ausgestellten Versicherungsschein, von dem auch eine „Kopie für den Arbeitnehmer“ hergestellt wurde, ist als Versicherungsnehmer die Insolvenzschuldnerin bezeichnet und als versicherte Person der Beklagte angegeben. Ferner heißt es dort auszugsweise:

In Hinweisen der LV „zu Ihrem Versicherungsvertrag“ heißt es ua.:

§ 8 des Kollektiv-Vertrages lautet:

Im Übrigen lagen der Versicherung „Allgemeine Versicherungsbedingungen für die Rentenversicherung“ zugrunde, die auszugsweise wie folgt lauten:

Unter dem übersandte die Insolvenzschuldnerin mit Anschreiben ihres Geschäftsführers dem Beklagten den Versicherungsschein. Im Anschreiben heißt es:

8Mit Beschluss vom eröffnete das Amtsgericht Charlottenburg über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin mit Wirkung vom selben Tag das Insolvenzverfahren. Es bestellte den Kläger zum Insolvenzverwalter. Dieser widerrief gegenüber dem Beklagten das Bezugsrecht aus der Lebensversicherung und forderte ihn auf, den Versicherungsschein im Original herauszugeben. Gegenüber der Versicherung kündigte der Kläger den Vertrag und verlangte die Auszahlung des Rückkaufswertes. Dies machte die LV von der Vorlage des Versicherungsscheins abhängig.

9Der Kläger hat sein Verlangen auf Herausgabe des Versicherungsscheins im vorliegenden Verfahren weiter verfolgt und die Ansicht vertreten, die Rechte aus der Versicherung gehörten zur Masse.

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

11Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

12Er hat vorgebracht, der Kläger sei nicht berechtigt, die Rechte aus der Versicherung geltend zu machen. Die Lebensversicherung beruhe auf Entgeltumwandlung, so dass er eine unverfallbare Anwartschaft auf betriebliche Altersversorgung erworben habe. Zudem stünden ihm aufgrund der Übergabe des Versicherungsscheins die Rechte aus der Versicherung zu. Jedenfalls verstoße das Herausgabeverlangen gegen Treu und Glauben.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht ihr stattgegeben. Mit seiner Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter. Der Kläger begehrt die Zurückweisung der Revision.

Gründe

14Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage zu Recht unter Abänderung des klageabweisenden Urteils des Arbeitsgerichts stattgegeben. Der Beklagte ist nach § 985 BGB verpflichtet, den Versicherungsschein an den Kläger herauszugeben. Der Beklagte hat kein Recht zum Besitz an dem Versicherungsschein iSv. § 986 BGB.

15I. Nach § 952 BGB ist der Gläubiger der Versicherungsleistungen Eigentümer des Versicherungsscheins. Gläubiger der Versicherungsleistungen ist die Insolvenzschuldnerin. Deren Rechte übt nach § 80 Abs. 1 InsO der Kläger als Insolvenzverwalter aus. Er ist daher berechtigt, den aus dem Eigentum folgenden Herausgabeanspruch gegenüber dem Beklagten geltend zu machen.

161. Schließt der Arbeitgeber als Versicherungsnehmer zum Zwecke der betrieblichen Altersversorgung zugunsten des Arbeitnehmers eine Direktversicherung ab, ist zwischen dem Rechtsverhältnis des Arbeitgebers als Versicherungsnehmer zum Versicherer (Versicherungsverhältnis, Deckungsverhältnis) einerseits und dem Rechtsverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber (Versorgungsverhältnis, Valutaverhältnis) andererseits zu unterscheiden. Das Rechtsverhältnis des Arbeitgebers zum Versicherer richtet sich unabhängig von den im Arbeitsverhältnis bestehenden Verpflichtungen allein nach dem Versicherungsvertrag ( - Rn. 14, NZA-RR 2008, 32; vgl. auch  - zu II der Gründe, DB 2002, 2104;  1 C 20.92 - zu 2 c cc ccc der Gründe, BVerwGE 96, 160). Daher kann der Arbeitgeber die Rechte aus dem Versicherungsvertrag wahrnehmen, soweit er als Versicherungsnehmer Inhaber der Rechte aus dem Versicherungsvertrag ist. Er kann damit ein nach dem Versicherungsvertrag widerrufliches Bezugsrecht widerrufen. Er kann auch den Versicherungsvertrag kündigen und den Rückkaufswert in Anspruch nehmen. Soweit die Rechte aus dem Versicherungsvertrag dem Arbeitgeber zustehen, ist er nach § 952 BGB Eigentümer des Versicherungsscheins ( - Rn. 10 mwN; - 3 AZR 136/98 - zu B I der Gründe, BAGE 92, 1). Diese Grundsätze gelten auch in der Insolvenz des Arbeitgebers, da der Verwalter nach § 80 Abs. 1 InsO in die Rechtsposition des Arbeitgebers eintritt. Das Eigentum am Versicherungsschein steht der Masse zu, wenn nach der versicherungsrechtlichen Lage der Arbeitgeber berechtigt ist, die Rechte aus dem Versicherungsvertrag wahrzunehmen ( - Rn. 19, AP BetrAVG § 1 Lebensversicherung Nr. 31 = EzA BetrAVG § 1 Lebensversicherung Nr. 9; - 3 AZR 136/98 - zu B I der Gründe, aaO). Weitergehende Rechte aus § 103 InsO kann der Insolvenzverwalter dagegen nicht herleiten ( - Rn. 18, AP BetrAVG § 1b Nr. 12 = EzA BetrAVG § 1 Lebensversicherung Nr. 10).

17Für das Verhältnis zwischen dem Arbeitgeber und der Versicherung kommt es grundsätzlich nicht darauf an, welche Befugnisse dem Arbeitgeber - und in der Insolvenz des Arbeitgebers dem Verwalter - im Versorgungsverhältnis zum Arbeitnehmer zustehen. Dies kann dazu führen, dass der Arbeitgeber - und in der Insolvenz des Arbeitgebers der Verwalter - aus dem Versicherungsvertrag abgeleitete Rechte versicherungsrechtlich ausüben kann, obwohl er dies arbeitsrechtlich im Verhältnis zum Arbeitnehmer nicht darf. Versicherungsrechtlich ist in diesem Fall die Ausübung wirksam. Im Versorgungsverhältnis können jedoch Ansprüche des Arbeitnehmers, insbesondere Schadensersatzansprüche entstehen ( - Rn. 17, AP BetrAVG § 1 Lebensversicherung Nr. 31 = EzA BetrAVG § 1 Lebensversicherung Nr. 9;  - AP BetrAVG § 1 Lebensversicherung Nr. 25).

182. Danach steht im Streitfall das Eigentum an dem Versicherungsschein der Insolvenzschuldnerin und daher der Masse zu. Nach der zwischen der Insolvenzschuldnerin und der LV bestehenden Rechtslage war die Insolvenzschuldnerin trotz der Übersendung des Versicherungsscheins an den Beklagten weiterhin als Versicherungsnehmerin Inhaberin der Rechte aus dem Versicherungsvertrag und damit nach § 952 BGB auch Eigentümerin des Versicherungsscheins. Aufgrund seiner Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin (§ 80 Abs. 1 InsO) ist der Kläger daher berechtigt, nach der Insolvenzeröffnung den aus dem Eigentum resultierenden Anspruch auf Herausgabe des Versicherungsscheins nach § 985 BGB zugunsten der Masse geltend zu machen.

19a) Die Rechte aus dem Versicherungsvertrag stehen dem Beklagten entgegen seiner Auffassung nicht deshalb zu, weil die Insolvenzschuldnerin Treuhänderin für ihn gewesen wäre. Ein Treuhandverhältnis bestand nicht. Dies gilt auch dann, wenn die Rentenanwartschaft arbeitsvertraglich unverfallbar wäre oder der Direktversicherung eine Entgeltumwandlung zugrunde läge ( - Rn. 19, AP BetrAVG § 1 Lebensversicherung Nr. 31 = EzA BetrAVG § 1 Lebensversicherung Nr. 9). Es kann daher dahinstehen, ob eine derartige Fallgestaltung vorliegt.

20b) Die Insolvenzschuldnerin hat die Rechte aus dem Versicherungsvertrag und damit die Position als Versicherungsnehmerin nicht wirksam nach § 398 BGB an den Beklagten abgetreten.

21aa) Allerdings hat der Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin den Versicherungsschein an den Beklagten „zur weiteren Verwendung“ übersandt. Das Landesarbeitsgericht hat darin eine Abtretung der Rechte aus dem Versicherungsvertrag gesehen. Dies ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Soweit der Beklagte eine Verfahrensrüge mit der Begründung erhebt, das Landesarbeitsgericht habe der Erklärung zu Unrecht eine andere Bedeutung beigemessen, greift die Rüge schon aus diesem Grund nicht durch.

22bb) Diese Abtretungserklärung ist jedoch, wovon das Landesarbeitsgericht zu Recht ausgegangen ist, aufgrund der Regelung in § 14 Abs. 3 der dem Versicherungsvertrag zugrunde liegenden Allgemeinen Versicherungsbedingungen unwirksam.

23Nach dieser Bestimmung ist eine Abtretung „erst dann wirksam“, wenn sie gegenüber der Versicherung schriftlich angezeigt worden ist. Gegen die Zulässigkeit einer derartigen Regelung bestehen keine Bedenken nach dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Sie hält einer Inhaltskontrolle sowohl nach § 309 Nr. 13 BGB als auch nach § 307 BGB stand (vgl. zu den entsprechenden Vorschriften im früheren AGB-Gesetz:  - zu C II 2 der Gründe, NJW 1999, 1633). Unterbleibt die schriftliche Anzeige, ist die Abtretung absolut - nicht nur im Verhältnis zum Versicherer - unwirksam (vgl.  - zu B II der Gründe, aaO). Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ist eine schriftliche Anzeige der Abtretungserklärung gegenüber der LV nicht erfolgt. Diese Feststellungen sind nicht mit Verfahrensrügen angegriffen; der Senat ist daher an sie gebunden (§ 559 Abs. 2 ZPO).

24c) Zugunsten des Beklagten ist auch kein unwiderrufliches Bezugsrecht entstanden, das die Rechte der Insolvenzschuldnerin im Verhältnis zu der LV einschränken könnte.

25Nach der im Versicherungsschein enthaltenen Regelung über das Bezugsrecht steht dem Arbeitgeber als Versicherungsnehmer - und damit auch dem Kläger als Insolvenzverwalter - die Möglichkeit zu, das Bezugsrecht zu widerrufen, soweit die versicherte Person - also der Beklagte als früherer Arbeitnehmer - die gesetzlichen Unverfallbarkeitsvoraussetzungen nicht erfüllt hat. Gleiches ergibt sich aus § 8 des Kollektiv-Vertrages. Die vertraglichen Regelungen nehmen die gesetzlichen Bestimmungen des Betriebsrentengesetzes über die Unverfallbarkeit von Versorgungsanwartschaften in Bezug. Der Beklagte hat keine gesetzlich unverfallbare Versorgungsanwartschaft erworben. Da die Versorgungszusage dem Beklagten vor dem erteilt wurde, richtet sich die Unverfallbarkeit seiner Versorgungsanwartschaft nach § 30f Abs. 1 BetrAVG iVm. § 1b BetrAVG. Die dort geregelten Voraussetzungen für die gesetzliche Unverfallbarkeit liegen nicht vor.

26aa) § 1b Abs. 5 BetrAVG, nach dem bei Entgeltumwandlung die erworbenen Anwartschaften sofort unverfallbar sind, findet nach § 30f Abs. 1 Satz 2 BetrAVG im Streitfall keine Anwendung, da die Versorgungszusage vor dem erteilt wurde. Es kann daher offenbleiben, ob die betriebliche Altersversorgung durch Entgeltumwandlung erfolgt ist.

27bb) Die Versorgungszusage ist auch nicht - wie es § 30f Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 BetrAVG verlangt - deshalb gesetzlich unverfallbar, weil der Kläger bei seinem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis das 35. Lebensjahr vollendet hatte und die Versorgungszusage mindestens zehn Jahre oder bei mindestens 12jähriger Betriebszugehörigkeit mindestens drei Jahre bestanden hat. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt. Weder bestand die Versorgungszusage zehn Jahre noch das Arbeitsverhältnis zwölf und die Versorgungszusage drei Jahre.

28cc) Entgegen der Ansicht des Beklagten liegen auch die Voraussetzungen von § 30f Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 BetrAVG nicht vor. Danach bleibt die Anwartschaft erhalten, wenn die Zusage ab dem fünf Jahre bestanden hat und der Arbeitnehmer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses das 30. Lebensjahr vollendet hat. Hier hat die Versorgungszusage nicht mindestens fünf Jahre bestanden. Eine Versorgungszusage „besteht“ in diesem Sinne nur während der Dauer des Arbeitsverhältnisses. Während des Arbeitsverhältnisses zwischen der Insolvenzschuldnerin und dem Beklagten galt die Zusage jedoch lediglich vier Jahre und neun Monate. Darauf, dass der Versicherungsvertrag länger bestanden hat, kommt es nicht an.

29II. Der Beklagte hat kein Recht zum Besitz an dem Versicherungsschein nach § 986 Abs. 1 Satz 1 BGB.

30Es kann insoweit zugunsten des Beklagten unterstellt werden, dass sich die Insolvenzschuldnerin unabhängig von der gesetzlich noch nicht eingetretenen Unverfallbarkeit durch die Übersendung des Versicherungsscheins gegenüber dem Beklagten verpflichtet hatte, das Bezugsrecht nicht zu widerrufen. Das hat wegen der gebotenen Trennung der Rechtslage im Versicherungsverhältnis von der Rechtslage im Versorgungsverhältnis keine Auswirkungen auf das Versicherungsverhältnis. Ein Anspruch des Arbeitnehmers aus dem Versorgungsverhältnis gegen den Arbeitgeber, seine Rechte aus dem Versicherungsvertrag nur in bestimmter Weise auszuüben, führt nicht dazu, dass dem Arbeitnehmer im Versicherungsverhältnis unmittelbar Rechte zustehen. Das Eigentumsrecht am Versicherungsschein und damit auch der daraus folgende Herausgabeanspruch beruhen auf der versicherungsvertraglichen Rechtslage. Aus dem Versorgungsverhältnis kann sich daher kein Recht zum Besitz ergeben, das dem Herausgabeanspruch entgegengehalten werden könnte.

31Schadensersatzansprüche des Beklagten sind nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
DB 2011 S. 2555 Nr. 45
BAAAD-90467