BFH Urteil v. - II R 55/09

Anforderungen an eine schlüssige Aufklärungsrüge; Bestimmung des gemeinen Werts eines Grundstücks

Leitsatz

1. Bei einer ausschließlich auf Verfahrensmängel gestützten Revision ist grundsätzlich nur über die geltend gemachten Verfahrensmängel zu entscheiden. Eine Überprüfung des Finanzgerichtsurteils auf seine materielle Richtigkeit kommt in einem solchen Fall dann ausnahmsweise in Betracht, wenn zugleich die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 FGO vorliegen.
2. Wird eine Revision auf die Verletzung von Verfahrensvorschriften gestützt, muss die Revisionsbegründung die Tatsachen bezeichnen, die einen entsprechenden Verfahrensmangel ergeben. Eine schlüssige Aufklärungsrüge erfordert die genaue Bezeichnung der ermittlungsbedürftigen Tatsachen sowie die substantiierte Darlegung, inwiefern das Urteil des Finanzgerichts - ausgehend von der materiell-rechtlichen Auffassung des Gerichts - auf der unterlassenen Beweisaufnahme beruhen könne und was das voraussichtliche Ergebnis der Beweisaufnahme gewesen wäre.

Gesetze: FGO § 76, FGO § 96 Abs. 2, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2, FGO § 118 Abs. 3, FGO § 120 Abs. 3, BewG § 9 Abs. 2

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

1 I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind seit 1995 Eigentümer eines Grundstücks in A.

2 Nach Ausbau des Dachgeschosses nahm der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) auf den eine Artfortschreibung zum „gemischt genutzten Grundstück mit überwiegend gewerblichem Anteil” und zugleich eine Wertfortschreibung vor.

3 Die dagegen erhobene Klage blieb erfolglos.

4 Dagegen richtet sich die Revision der Kläger, mit der sie ausschließlich Verfahrensfehler rügen. Im Einzelnen führen sie aus, das Urteil des Finanzgerichts (FG) beruhe auf einem Verstoß gegen die gerichtliche Aufklärungspflicht (§ 76 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Das FG sei verpflichtet gewesen, zu klären, ob im Bereich des Dachgeschosses bereits vor Durchführung der Umbaumaßnahmen eine Wohnung vorhanden gewesen sei. Es habe auch versäumt, aufzuklären, dass keine Bauarbeiten vorgenommen worden seien, die dem Gebäude den Charakter eines Einfamilienhauses genommen oder zur Folge gehabt hätten, dass dieses nicht mehr als Altbau zu qualifizieren sei. Schließlich verletze das FG-Urteil das Recht der Kläger auf rechtliches Gehör (§ 96 Abs. 2 FGO i.V.m. Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes), weil das FG ihren Vortrag, dass die Wohnung im Dachgeschoss wegen der Nutzung des Erdgeschosses als Kindertagesstätte nicht isoliert vermietbar gewesen sei, nicht berücksichtigt habe.

5 Die Kläger beantragen, das Urteil des FG aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

6 Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

7 II. Die Revision ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).

8 1. Nach § 118 Abs. 3 Satz 1 FGO ist bei einer Revision, die ausschließlich auf Verfahrensmängel gestützt wird, grundsätzlich nur über die geltend gemachten Verfahrensmängel zu entscheiden. Eine Überprüfung des FG-Urteils auf seine materielle Richtigkeit kommt in einem solchen Fall zwar dann ausnahmsweise in Betracht, wenn zugleich die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 FGO vorliegen (vgl. dazu Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 118 Rz 72). So liegt der Streitfall indessen nicht, denn er wirft keine Rechtsfragen auf, die das Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berühren. Die Richtigkeit des FG-Urteils kann nur mit Blick auf die besonderen Umstände des Streitfalls und damit nur in einem Einzelfall geprüft werden. Inzwischen ist auch geklärt, dass die Vorschriften über die Einheitsbewertung des Grundvermögens trotz der verfassungsrechtlichen Zweifel, die sich aus den lange zurückliegenden Hauptfeststellungszeitpunkten des bzw. —im Beitrittsgebiet— des und den darauf beruhenden Wertverzerrungen ergeben, jedenfalls für Stichtage bis zum noch verfassungsgemäß sind (vgl. , BFHE 230, 78, BStBl II 2010, 897, und II R 12/09, BFHE 230, 93, BStBl II 2011, 48).

9 2. Die von den Klägern vorgebrachten Aufklärungsrügen (§ 76 FGO) genügen bereits nicht den Anforderungen des § 120 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. b FGO. Danach muss in Fällen, in denen die Revision auf die Verletzung von Verfahrensvorschriften gestützt wird, die Revisionsbegründung die Tatsachen bezeichnen, die einen entsprechenden Verfahrensmangel ergeben. Eine schlüssige Aufklärungsrüge erfordert die genaue Bezeichnung der ermittlungsbedürftigen Tatsachen (präzise Angabe der Beweisthemen) sowie die substantiierte Darlegung, inwiefern das Urteil des FG —ausgehend von der materiell-rechtlichen Auffassung des Gerichts— auf der unterlassenen Beweisaufnahme beruhen könne und was das voraussichtliche Ergebnis der Beweisaufnahme gewesen wäre (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom X B 174/01, BFH/NV 2002, 1486; vom V B 205/02, BFH/NV 2004, 964).

10 Diesen Anforderungen genügen die Einlassungen der Kläger nicht. Die Kläger haben sich allein darauf berufen, das FG habe es zu Unrecht unterlassen, aufzuklären, ob vor der Sanierung des Dachgeschosses dort bereits eine Wohnung vorhanden gewesen sei bzw. ob Bauarbeiten durchgeführt worden seien, die dem Gebäude den Charakter eines Einfamilienhauses in Form eines Altbaus genommen hätten. Sie haben damit keine hinreichenden Angaben zu den vom FG konkret zu ermittelnden Tatsachen sowie dem voraussichtlichen Ergebnis der Beweisaufnahme gemacht, obwohl sie selbst geltend machen, bereits vor dem Umbau in dem betroffenen Objekt gewohnt zu haben. Insofern wäre es Aufgabe der Kläger gewesen, vom FG zu ermittelnde Tatsachen (insbesondere zum Zustand des Objekts vor und nach dem Umbau sowie zum Umfang der Baumaßnahmen) sowie das voraussichtliche Ergebnis der Beweiserhebung im Einzelnen darzulegen.

11 3. Soweit das FG auf den Vortrag der Kläger, die Wohnung im Dachgeschoss sei wegen der Nutzung des Erdgeschosses als Kindertagesstätte nicht isoliert vermietbar gewesen, nicht eingegangen ist, liegt keine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor. Das FG bräuchte nämlich nicht auf diesen Vortrag einzugehen, weil er ersichtlich nicht zu einer anderen Entscheidung führen konnte. Nach § 9 Abs. 2 Satz 1 des Bewertungsgesetzes in der im Streitjahr maßgeblichen Fassung (BewG) wird der gemeine Wert durch den Preis bestimmt, der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach der Beschaffenheit des Wirtschaftsguts bei einer Veräußerung zu erzielen wäre. Dabei sind nach dem Satz 2 der Vorschrift zwar alle Umstände zu berücksichtigen, die den Preis beeinflussen. Ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse sind allerdings nach § 9 Abs. 2 Satz 3 BewG gerade nicht zu berücksichtigen. Dem Einheitswert als einem typisierten gemeinen Wert wohnt insofern die Eigenschaft eines objektiven Werts inne, der unter Außerachtlassen persönlicher Verhältnisse zu ermitteln ist (vgl. , BFH/NV 2008, 962). Ungewöhnliche und persönliche Umstände sind dabei solche, mit denen der Verkehr bei Abschätzung des Werts eines Wirtschaftsguts nicht zu rechnen pflegt und die lediglich in einem Einzelfall ausnahmsweise die Preisbildung beeinflusst haben; persönliche Verhältnisse weisen darüber hinaus die Besonderheit auf, dass sie in der Person des Käufers oder Verkäufers liegen (vgl. , BFH/NV 2007, 1277, und in BFH/NV 2008, 962). Die Nutzung des Erdgeschosses des streitbefangenen Grundstücks zum Betrieb einer Kindertagesstätte beruht in diesem Sinne auf einer persönlichen Entscheidung der Kläger, denen es ohne weiteres auch freigestanden hätte, das Erdgeschoss anderweitig zu nutzen.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2011 S. 1702 Nr. 10
VAAAD-90404