OFD Niedersachsen - S 2140 - 8 - St 244

Ertragsteuerliche Behandlung von Sanierungsgewinnen; Steuerstundung und Steuererlass aus sachlichen Billigkeitsgründen (§§ 163, 222, 227 AO)

Nach Aufhebung der Steuerfreiheit von Sanierungsgewinnen gem. § 3 Nr. 66 EStG durch das Gesetz zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform vom richtet sich die ertragsteuerliche Behandlung von Sanierungsgewinnen nach dem (BStBl 2003 I S. 240) – nachfolgend: BMF-Schreiben – [1].

Fälle der Planinsolvenz (§§ 217 ff. InsO) fallen originär unter den Anwendungsbereich des BMF-Schreibens. Auf Gewinne aus einer Restschuldbefreiung (§§ 286 ff. InsO) und aus einer Verbraucherinsolvenz (§§ 304 ff. InsO) ist es entsprechend anzuwenden, vgl. (BStBl 2010 I S. 18).

Gem. Rn. 8 des BMF-Schreibens bedeutet die Erhebung der Steuer auf einen nach Ausschöpfen der ertragsteuerrechtlichen Verlustverrechnungsmöglichkeiten verbleibenden Sanierungsgewinn für den Steuerpflichtigen aus sachlichen Billigkeitsgründen eine erhebliche Härte.

Ein Sanierungsgewinn ist die Erhöhung des Betriebsvermögens, die dadurch entsteht, dass Schulden zum Zwecke der Sanierung ganz oder teilweise erlassen werden. Schulden werden insbesondere erlassen

vgl. Rn. 3 des BMF-Schreibens.

Der Erlassvertrag kann enthalten sein in z. B.

Der Sanierungsgewinn entsteht grundsätzlich mit Vertragsabschluss. Ist die Sanierungsmaßnahme Bestandteil des gestaltenden Teils eines Insolvenzplans im Rahmen eines Planinsolvenzverfahrens, so entsteht der Sanierungsgewinn mit dem Zeitpunkt der Rechtskraft der Bestätigung des Insolvenzplans (§ 254 Abs. 1 Satz 1 InsO). Zur Feststellung des Zeitpunkts der Entstehung des Sanierungsgewinns und zur Prüfung, ob Nebenabreden (z. B. Besserungsschein) getroffen worden sind, hat der Steuerpflichtige die Vereinbarung über den Schulderlass vorzulegen.

Soweit es sich bei dem zu sanierenden Unternehmen um eine Personengesellschaft handelt, deren Gewinn einheitlich und gesondert festzustellen ist, erfolgt die Ermittlung des begünstigten Sanierungsgewinns durch das Betriebsfinanzamt (vgl. Rn. 6 des BMF-Schreibens). Befindet sich der Ort der Geschäftsleitung (§ 10 AO) eines Einzelunternehmens außerhalb des Finanzamtsbezirks des Wohnsitzfinanzamtes, ist eine gesonderte Feststellung durchzuführen; in diesen Fällen ist ebenfalls das Betriebsfinanzamt für die Ermittlung des begünstigten Sanierungsgewinns zuständig.

Nach der Rechtsprechung des BFH zu § 3 Nr. 66 EStG, die auch zur Anwendung des BMF-Schreibens herangezogen werden kann, sind unter einer Sanierung geeignete Maßnahmen, insbesondere zur finanziellen Gesundung eines Not leidenden, sanierungsbedürftigen Unternehmens zu verstehen (z. B. BStBl 1981 II S. 181). Begünstigt ist nur die unternehmensbezogene Sanierung (Rn. 1 und 2 des BMF-Schreibens; bestätigt durch BStBl 2010 II S. 916). Da gegen das vorgenannte Urteil Verfassungsbeschwerde eingelegt wurde (Az. BVerfG: ), ruhen hierauf gestützte Einsprüche gem. § 363 Abs. 2 Satz 2 AO kraft Gesetzes. Aussetzung der Vollziehung (§ 361 AO) ist wegen der im BMF-Schreiben zu Rn. 1 und 2 enthaltenen eindeutigen Verwaltungsauffassung nicht zu gewähren. Lediglich in Fällen der Restschuldbefreiung und Verbraucherinsolvenz ist Rn. 2 Satz 2 nicht anzuwenden (.

Voraussetzungen für die Annahme eines begünstigten Sanierungsgewinns sind die Sanierungsbedürftigkeit und Sanierungsfähigkeit des Unternehmens, die Sanierungseignung des Schulderlasses und die Sanierungsabsicht des Gläubigers, vgl. Rn. 4 des BMF-Schreibens. Maßgebend ist dabei der Zeitpunkt des Schulderlasses ( BStBl 1998 II S. 537). Liegt ein Sanierungs-/Insolvenzplan vor, kann davon ausgegangen werden, dass die Voraussetzungen erfüllt sind (Rn. 4 Satz 2 des BMF-Schreibens). Ansonsten hat der Steuerpflichtige das Vorliegen dieser Voraussetzungen darzulegen.

Für die Frage, ob ein Unternehmen objektiv sanierungsbedürftig ist, sind

  • die Ertragslage,

  • die Höhe des Betriebsvermögens vor und nach der Sanierung,

  • die Kapitalverzinsung durch die Erträge des Unternehmens,

  • die Möglichkeiten zur Bezahlung von Steuern und sonstigen Schulden,

  • die Gesamtleistungsfähigkeit des Unternehmens und

  • mit Einschränkungen die Höhe des Privatvermögens

maßgeblich (vgl. z. B. a. a. O.). Soweit Gläubiger Forderungen rückwirkend erlassen, ist für die Feststellung der Sanierungsbedürftigkeit grundsätzlich der Zeitpunkt des Schulderlasses, mithin der Zeitpunkt des Wegfalls der Verbindlichkeiten maßgeblich. Sanierungsbedürftigkeit ist zu bejahen, wenn das Unternehmen infolge Zahlungsunfähigkeit von der Insolvenz bedroht ist ( BFH/NV 1987 S. 493, und vom , BFH/NV 1987 S. 635). Sie muss objektiv bestanden haben und ist vom Steuerpflichtigen nachzuweisen ( BStBl 1964 III S. 128). Die Überschuldung allein ist kein Grund, die Sanierungsbedürftigkeit anzunehmen, wenn die übrigen Umstände (eigene Umsätze, Umsatzrendite und Bruttorendite) einen Zusammenbruch des Unternehmens ausschließen und nicht von einer drohenden Zahlungsunfähigkeit auszugehen ist ( BStBl 1990 II S. 955). Aus handelsrechtlichen oder gar nur steuerlichen Verlusten kann noch nicht auf die Sanierungsbedürftigkeit geschlossen werden.

Für die Frage der Sanierungsfähigkeit des Unternehmens und der Sanierungseignung des Schulderlasses sind alle Umstände zu berücksichtigen, die die Ertragsaussichten des Unternehmens beeinflussen können, z. B.

  • die Höhe der Verschuldung,

  • die Höhe des Erlasses,

  • die Gründe, die die Notlage bewirkt haben, und

  • die allgemeinen Ertragsaussichten.

Das BMF-Schreiben sieht mehrere Billigkeitsmaßnahmen vor (abweichende Steuerfestsetzung, Steuerstundung und Steuererlass):

In einem ersten Schritt ist die anteilig auf den Sanierungsgewinn entfallende Steuer zu ermitteln. Zu ihrer Ermittlung erfolgt gem. Rn. 8 vorrangig eine Verrechnung mit sämtlichen zur Verfügung stehenden Verlusten und negativen Einkünften. Eine Verrechnung von laufenden Verlusten mit Veräußerungsgewinnen derselben Einkunftsquelle ist erst nach vorrangiger Verrechnung mit dem Sanierungsgewinn vorzunehmen. Dieser Grundsatz gilt auch für die Verrechnung von Sanierungsgewinnen mit Veräußerungsverlusten. Dies gilt unbeschadet von gesetzlichen Ausgleichs- und Verrechnungsbeschränkungen (Rn. 8 Satz 3 des BMF-Schreibens). Insofern hat ggf. eine abweichende Steuerfestsetzung (§ 163 AO) zu erfolgen.

Bei zusammen veranlagten Ehegatten ist nur ein nach horizontalem und vertikalem Verlustausgleich verbleibender Verlust eines Ehegatten mit dem Sanierungsgewinn des anderen Ehegatten zu verrechnen. Die Wahl der getrennten Veranlagung durch die Ehegatten zur Vermeidung dieser Verrechnung steht einer Billigkeitsmaßnahme nicht entgegen.

Die danach auf den verbleibenden Sanierungsgewinn entfallende Steuer ist durch Gegenüberstellung des unter Einbeziehung des Sanierungsgewinns festgesetzten Steuerbetrages und des Steuerbetrages zu ermitteln, der sich in der „Schattenveranlagung” ohne Einbeziehung des (nach Verrechnung mit Verlusten und negativen Einkünften) verbleibenden Sanierungsgewinns ergibt.

In einem zweiten Schritt ist die auf den verbleibenden Sanierungsgewinn entfallende Steuer zum Zweck der Überwachung der Verlustverrechnungsmöglichkeiten, der Ausnutzung des Verlustrücktrages, Berücksichtigung von Zahlungen aufgrund eines Besserungsscheins oder Änderung der Steuerermäßigung nach § 35 EStG aufgrund von Billigkeitsmaßnahmen der jeweiligen Gemeinde (Rn. 15 Satz 2 des BMF-Schreibens) bis zur Durchführung der nächsten noch ausstehenden Veranlagung, längstens bis zu einem besonders zu benennenden Zeitpunkt zu stunden; ggf. sind Anschlussstundungen auszusprechen (Rn. 10 und 11 des BMF-Schreibens).

Die Stundungen sind nicht davon abhängig zu machen, dass Zahlungstermine eingehalten und künftig fällig werdende Steuern pünktlich bezahlt werden. Die Stundungsverfügung ist entsprechend abzuändern.

Nach abschließender Prüfung und nach Feststellung der endgültigen, auf den verbleibenden Sanierungsgewinn entfallenden Steuer ist diese in einem dritten Schritt zu erlassen (Rn. 12 des BMF-Schreibens). Die Liquidationsbesteuerung nach § 11 KStG ist durch Rn. 8 des BMF-Schreibens nicht berührt; die zu erlassenden Steuerbeträge sind deshalb auf Grundlage des Abwicklungszeitraums nach § 11 Abs. 1 KStG zu ermitteln.

Die Zuständigkeit für Billigkeitsmaßnahmen richtet sich nach A.II der gleichlautenden Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder vom (BStBl 2008 I S. 534). Dies gilt auch für die Stundung. Danach ist bei Steuerbeträgen über 20.000,00 EUR je Steuerart und Jahr zu berichten. Dem Bericht beizufügen sind

  • die Steuerakten,

  • der Antrag des Steuerpflichtigen auf Gewährung von Billigkeitsmaßnahmen,

  • die Vereinbarung über den Erlass und

  • die Berechnung der auf den Sanierungsgewinn entfallenden Steuer (Probeberechnung).

Für Stundung und Erlass der Gewerbesteuer ist die jeweilige Gemeinde zuständig (Rn. 15 Satz 1 des BMF-Schreibens). Zur gewerbesteuerlichen Behandlung von Sanierungsgewinnen verweise ich auf die GewSt-Karteiverfügung zu § 1 GewStG Karte 2.

Das bisherige Karteiblatt § 3 EStG Nr. 3.11 (Kontrollnummer 2210) ist durch dieses Karteiblatt zu ersetzen.

OFD Niedersachsen v. - S 2140 - 8 - St 244

Fundstelle(n):
ESt-Kartei NI § 3 EStG Karte 3.11 - 2216 -
XAAAD-89778

1Das (Az. Revision: ) zwar entschieden, dass dem BMF-Schreiben eine Rechtsgrundlage fehlt. Die Grundsätze des Urteils sind jedoch nicht anzuwenden.