Leitsatz
Leitsatz:
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Instanzenzug: LG Bochum vom
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit schwerem sexuellen Missbrauch eines Kindes sowie wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in 200 Fällen und schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in 100 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt. Ferner hat es die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet und bestimmt, dass ein Jahr der Freiheitsstrafe vor der Unterbringung zu vollstrecken ist.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit der Revision; er rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Sein Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
I. Den Verfahrensrügen, mit denen der Beschwerdeführer die Verletzung von § 244 Abs. 3 StPO beanstandet, bleibt aus den zutreffenden Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom der Erfolg versagt.
II. Soweit das Landgericht den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit schwerem sexuellen Missbrauch eines Kindes zum Nachteil der Nebenklägerin A. M. verurteilt hat (UA 6/7), hat die Nachprüfung des angefochtenen Urteils auf Grund der Sachrüge einen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler nicht ergeben.
Die Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in 200 Fällen und wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in 100 Fällen wegen der Taten zum Nachteil seiner Tochter C. S. begegnet jedoch durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
1. Das Landgericht hat insoweit folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
a) Spätestens ab dem (Vollendung des siebten Lebensjahres) kam es bis Ende 2000 zu einer Vielzahl von sexuellen Übergriffen des Angeklagten auf seine Tochter C. . Er suchte sie, in der Regel in alkoholisiertem Zustand, mindestens zweimal wöchentlich abends in dem Kinderzimmer auf, in dem sie und ihre Schwester J. schliefen, während seine Ehefrau entweder überhaupt nicht anwesend war oder, was häufig vorkam, im Wohnzimmer nächtigte. Er legte sich zu dem Kind ins Bett, zog es aus und berührte es am ganzen Körper, auch im Brust- und Genitalbereich. Ferner veranlasste er die Nebenklägerin, ihn ihrerseits im Genitalbereich anzufassen. Mindestens dreimal führte er in diesem Tatzeitraum auch den Finger in ihre Scheide ein. Im Jahr 2000 kam es dazu, dass der Angeklagte mehrfach wöchentlich entweder mit einem Finger in der Scheide seiner Tochter manipulierte oder diese veranlasste, seinen Penis in ihren Mund zu nehmen und an seinen Hoden zu lecken.
b) Der Angeklagte, zu dessen Gunsten das Landgericht eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit nicht ausschließen konnte, hat die ihm zur Last gelegten Tatvorwürfe bestritten. Die Strafkammer hat ihren Feststellungen die Angaben der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung zu Grunde gelegt, die, so die Urteilsgründe, "weitestgehend" den Aussagen der Geschädigten bei der Polizei und bei ihrer richterlichen Vernehmung entsprachen. Soweit der Angeklagte wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes verurteilt worden ist, hat das Landgericht einen Tatzeitraum vom bis 2000 zu Grunde gelegt und die Strafverfolgung durch Beschluss gemäß § 154 Abs. 2 StPO auf 200 Fälle in diesem Zeitraum beschränkt. Im Hinblick auf die drei Taten, in denen der Angeklagte, wie bereits dargelegt, auch seinen Finger in die Scheide der Nebenklägerin einführte, ist das Landgericht ebenfalls gemäß § 154 Abs. 2 StPO verfahren.
2. Die vom Landgericht zum Tatzeitraum getroffenen Feststellungen genügen nicht den Anforderungen, die gemäß § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO an die Urteilsgründe zu stellen sind.
In Fällen, in denen dem Angeklagten eine Vielzahl sexueller Übergriffe zur Last gelegt wird, die erst nach Jahren aufgedeckt werden, dürfen nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Vermeidung gewichtiger Strafbarkeitslücken an die Individualisierung der einzelnen Missbrauchshandlungen keine überzogenen Anforderungen gestellt werden (vgl. nur , BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 1 Mindestfeststellungen 5; Senatsbeschluss vom - 4 StR 485/94, BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 1 Sachdarstellung 9). So ist es grundsätzlich methodisch zulässig, wenn der Tatrichter, ausgehend vom Gesamtbild des Geschehensablaufs, für einen festliegenden Zeitraum die sichere Überzeugung von einer Mindestzahl nicht notwendig durch individuelle Merkmale voneinander unterscheidbarer Einzeltaten gewinnt (Senatsbeschluss aaO mwN).
Danach ist es im vorliegenden Fall im Grundsatz nicht zu beanstanden, dass sich das Landgericht auf der Grundlage der in tatrichterlicher Verantwortung geprüften und für sich genommen rechtsfehlerfrei bejahten Glaubhaftigkeit der Angaben der Geschädigten vor dem Hintergrund eines regelmäßig wiederkehrenden Geschehens im Kinderzimmer von einer bestimmten Anzahl an Einzeltaten überzeugt hat. Die Ausführungen zum Tatzeitraum begegnen indes durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Vor allem fehlt es an einem hinreichend bestimmten Endzeitraum. Das Landgericht hat lediglich festgestellt, dass es spätestens ab dem , dem Tag der Vollendung des siebten Lebensjahres der Geschädigten, bis "Ende 2000" zu einer Vielzahl sexueller Übergriffe kam. Sind damit ersichtlich zusammenfassend sämtliche sexuellen Übergriffe zum Nachteil der Geschädigten C. S. gemeint, beziehen sich die nachfolgenden Urteilsfeststellungen zunächst auf die 200 Fälle des sexuellen Missbrauchs eines Kindes. Sodann stellt das Landgericht für den Zeitpunkt "im Jahr 2000" ohne genauere Bestimmung eines Anfangs- und eines Endzeitpunktes fest, dass sich weitere 100 Fälle des schweren sexuellen Missbrauchs anschlossen. Diese Ausführungen genügen schon für sich genommen nicht den Anforderungen an die hinreichend präzise Feststellung eines Tatzeitraums; der Angeklagte ist dadurch in seinen Verteidigungsmöglichkeiten gegenüber den einzelnen Tatvorwürfen unangemessen beschränkt. Es kommt im vorliegenden Fall aber noch hinzu, dass der Tatzeitraum in der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage, die der Senat von Amts wegen zur Kenntnis zu nehmen hat, auf die "Zeit vom bis zum " festgelegt worden ist. Die Gründe für die Verkürzung des Tatzeitraums sind dem angefochtenen Urteil nicht zu entnehmen. Ob sie von der vom Landgericht in den Urteilsgründen erwähnten Beschränkung der Strafverfolgung gemäß § 154 Abs. 2 StPO gedeckt ist, kann der Senat in Ermangelung einer genaueren Begründung für die Einstellung nicht nachprüfen.
Wegen des Wegfalls der insoweit verhängten Einzelstrafen ist auch über die Höhe der Gesamtstrafe neu zu befinden.
3. Der Senat hebt zugleich den Ausspruch über die Maßregel auf.
a) Auf der Grundlage der zum Werdegang, zu den Vorstrafen und zu den abgeurteilten Taten getroffenen Feststellungen hat das Landgericht, sachverständig beraten, den gemäß § 64 Satz 1 StGB erforderlichen Hang, alkoholische Getränke im Übermaß zu sich zu nehmen, ebenso rechtsfehlerfrei bejaht wie den symptomatischen Zusammenhang zwischen Hang und Tat. Auch die Prognoseentscheidung der Strafkammer ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Indessen sind die Voraussetzungen für die gemäß § 64 Satz 2 StGB geforderte hinreichend konkrete Aussicht eines Behandlungserfolges nicht dargetan.
b) Zwar steht nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Tatsache, dass ein Täter bereits eine Therapie absolviert hat und rückfällig geworden ist, der Erfolgsaussicht einer neuen Therapie regelmäßig nicht entgegen (Senatsbeschluss vom - 4 StR 473/96, NStZ-RR 1997, 131). Es kann dahin stehen, ob bei einem mehrfachen Therapieabbruch oder einem Rückfall nach jeweils erfolgreicher Absolvierung mehrerer Therapien in der Regel eine andere rechtliche Bewertung veranlasst ist (vgl. dazu Senat aaO). Jedenfalls im vorliegenden Fall durfte sich das Landgericht nicht auf die bloße Mitteilung des Ergebnisses der Bewertung des Sachverständigen beschränken, es bestehe trotz der bisher erfolglosen Behandlungen die "hinreichende Aussicht, die Abhängigkeit des Angeklagten zu heilen". Der Beschwerdeführer hat über einen Zeitraum von nahezu zehn Jahren hinweg neben stationären Aufenthalten zur Behandlung psychischer Erkrankungen eine außergewöhnlich hohe Zahl stationärer Entwöhnungstherapien von unterschiedlicher Dauer ohne durchgreifenden Erfolg absolviert. Die gleichwohl für eine hinreichend konkrete Erfolgsaussicht sprechenden Gesichtspunkte, zu denen auch der - vom Landgericht nicht erörterte - Grad der Therapiewilligkeit des Angeklagten gehört (vgl. dazu , NStZ-RR 2010, 141), hätten daher einer eingehenderen Darlegung in den Urteilsgründen bedurft.
III. Für die neue Verhandlung und Entscheidung bemerkt der Senat:
1. Wenn die eine Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs tragenden Feststellungen, wie regelmäßig und auch im vorliegenden Fall, im Wesentlichen auf den Angaben des Tatopfers aus Anlass verschiedener Vernehmungen im Ermittlungsverfahren sowie auf der Einvernahme als Zeugin in der Hauptverhandlung beruhen, kann eine Wiedergabe des wesentlichen Inhalts der Aussagen etwa bei der polizeilichen Vernehmung und vor dem Ermittlungsrichter zweckmäßig sein, um dem Revisionsgericht eine nähere Überprüfung der Beweiswürdigung zu ermöglichen (, NStZ 2000, 496). Die Urteilsgründe müssen in solchen Fällen auch erkennen lassen, ob und in welchem Umfang von der rechnerisch ermittelten Gesamtzahl der Taten nach den besonderen Umständen des jeweiligen Falles Abzüge vorgenommen werden müssen (Senatsbeschluss vom aaO).
2. Sollte die zu neuer Verhandlung und Entscheidung berufene Strafkammer wiederum zur Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) kommen, wird bei der Bestimmung der Dauer des Vorwegvollzugs nach § 67 Abs. 2 Satz 2, 3 StGB zu beachten sein, dass eine Kürzung der Dauer des Vorwegvollzugs um die Dauer der erlittenen Untersuchungshaft nicht zulässig ist (Senatsbeschluss vom - 4 StR 504/09, NStZ-RR 2010, 171).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
UAAAD-85962