BGH Beschluss v. - 4 StR 22/11

Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr: Bedeutender Schaden

Gesetze: § 315b Abs 1 Nr 3 StGB

Instanzenzug: Az: (523/503) 67 Js 277/01 KLs (27/06) Urteil

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in acht Fällen, Betruges in drei Fällen und versuchten Betruges in sieben Fällen zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und wegen überlanger Verfahrensdauer sechs Monate dieser Freiheitsstrafe für vollstreckt erklärt. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

21. Die Verurteilung wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in den Fällen 1, 3, 7 und 15 der Urteilsgründe hat keinen Bestand.

3a) Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen hat der Angeklagte zwar die Verkehrsunfälle jeweils absichtlich herbeigeführt und dadurch die Sicherheit des Straßenverkehrs durch einen ähnlichen, ebenso gefährlichen Eingriff im Sinne des § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB beeinträchtigt (vgl. , BGHSt 48, 233, und vom   – 4 StR 90/99, NJW 1999, 3132). Der Straftatbestand des § 315b Abs. 1 StGB setzt aber darüber hinaus voraus, dass durch den tatbestandsmäßigen Eingriff Leib oder Leben eines anderen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert konkret gefährdet werden. Eine solche Gefährdung belegen die Urteilsgründe nicht.

4aa) Die zu den einzelnen Unfällen getroffenen Feststellungen geben keinen hinreichenden Anhalt dafür, dass in den genannten Fällen Leib und Leben eines anderen Menschen konkret gefährdet worden sind. Das Urteil enthält insbesondere keine Angaben zu den Geschwindigkeiten der Fahrzeuge im Zeitpunkt der Kollision (vgl. , NStZ 2010, 216), die Intensität des Aufpralls wird nicht mitgeteilt bzw. – im Fall 3 – als gering bezeichnet (UA 26: "leichter Anstoß“), und Verletzungen bei unfallbeteiligten Dritten sind ersichtlich nicht eingetreten.

5bb) Auch die Gefährdung einer fremden Sache von bedeutendem Wert ist nicht hinreichend belegt. Hierbei ist über den Gesetzeswortlaut hinaus erforderlich, dass der Sache von – im Urteil bereits nicht eindeutig festgestelltem – bedeutendem Wert auch ein bedeutender Schaden gedroht hat (vgl. , StV 2008, 580; vgl. auch Fischer, StGB, 58. Aufl., § 315b Rn. 16), dessen Höhe nach der am Marktwert zu messenden Wertminderung zu berechnen ist (vgl. , NStZ 2011, 215). Der maßgebliche Grenzwert lag im Tatzeitraum bei 1.500 DM (vgl. , BHGSt 48, 119; Beschluss vom – 4 StR 1/07, NStZ-RR 2008, 83).

6Der Senat kann weder anhand der mitgeteilten Schadensbilder noch aufgrund der Feststellungen zu den einzelnen Unfallabläufen beurteilen, ob den Fahrzeugen der Geschädigten in den vier Fällen infolge der vom Angeklagten provozierten Verkehrsunfälle ein Schaden von mindestens 1.500 DM drohte. Im Fall 1 liegt der tatsächlich entstandene Schaden mit 300 DM deutlich unter dieser Grenze, in den übrigen Fällen ist er nicht beziffert, wird aber vom Landgericht jeweils als "sehr gering“ (UA 61) bezeichnet und dürfte die Wertgrenze damit ebenfalls nicht erreichen. Zwar kann der tatsächlich eingetretene Schaden geringer sein als der für die Tatbestandsverwirklichung maßgebliche Gefährdungsschaden (vgl. , StV 2008, 580). Nach den mitgeteilten Schadensbildern (Fall 3: "geringfügiger Farbabrieb“, UA 27; Fall 7: "Lackabschürfungen und kleine Blechverformungen“, UA 13; Fall 15: "Schaden am Kotflügel und der Stoßstange“, UA 20) liegt es indes eher fern, versteht sich aber jedenfalls nicht von selbst, dass ein bedeutender Schaden drohte (vgl. , NStZ-RR 2008, 83); auch die Feststellungen zum jeweiligen Unfallhergang geben hierfür nichts her. Insbesondere kann auf einen bedeutenden Schaden an den Fahrzeugen der Geschädigten nicht aus der Höhe der vom Angeklagten bei den gegnerischen Haftpflichtversicherungen für die Beschädigung der von ihm geführten Fahrzeuge betrügerisch erlangten oder geforderten Beträge geschlossen werden (vgl. , StV 2008, 580).

7b) Die danach gebotene Aufhebung der Verurteilung wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in den genannten vier Fällen zieht nur die Aufhebung der zur Gefährdung von Leib und Leben anderer Personen, zur Gefährdung fremder Sachen von bedeutendem Wert und der insoweit zur inneren Tatseite getroffenen Feststellungen nach sich. Im Übrigen sind die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen, zur absichtlichen Herbeiführung der Verkehrsunfälle mit dem Ziel der Geltendmachung unberechtigter Schadenersatzansprüche und zum Schädigungsvorsatz des Angeklagten frei von Rechtsfehlern; sie können deshalb bestehen bleiben.

82. Die Annahme jeweils zweier (selbständiger) Taten des versuchten Betruges in den Fällen 10 und 11 einerseits sowie 13 und 14 andererseits hält rechtlicher Prüfung ebenfalls nicht stand.

9a) Nach den insoweit getroffenen Feststellungen hatte die gegnerische Haftpflichtversicherung in den Fällen 10 und 13 eine Regulierung des von dem Vater des Angeklagten als Halter des Unfallfahrzeugs jeweils geltend gemachten Schadens abgelehnt. Daraufhin brachte der Angeklagte "in weiterer Fortführung seines Tatplans“ (UA 16 bzw. 19) seinen Vater dazu, die gegen die Versicherung erhobenen Ansprüche im Klagewege geltend zu machen, was jedoch ebenfalls erfolglos blieb. Das Landgericht hat die außergerichtliche und die gerichtliche Geltendmachung jeweils als selbständige Taten des versuchten Betruges gewürdigt. Da aber beide Handlungen auf die Erlangung derselben Schadensersatzzahlung abzielten und der Angeklagte mit dem Betreiben des Zivilverfahrens seinen ursprünglichen Tatplan weiter verfolgte, liegt jeweils ein tateinheitlicher Betrugsversuch vor (vgl. , NStZ-RR 1999, 110; , Justiz 2002, 132).

10b) Die danach erforderliche Änderung des Schuldspruchs kann der Senat auch unter Berücksichtigung von § 265 StPO selbst vornehmen, da der Angeklagte sich gegen den geänderten Schuldvorwurf nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.

11c) Die Änderung des Konkurrenzverhältnisses bedingt hier die Aufhebung der Einzelstrafen für die Fälle 10 und 11 sowie 13 und 14, da der Schuldumfang, der den auf der Grundlage des neu gefassten Schuldspruchs festzusetzenden Einzelstrafen zugrunde zu legen ist, jeweils neu zu bestimmen ist. Der Aufhebung von Feststellungen bedarf es bei dem hier vorliegenden Rechtsfehler dagegen nicht. Der Senat weist darauf hin, dass das Verschlechterungsverbot des § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO der Verhängung von sechs Monate Freiheitsstrafe übersteigenden Einzelstrafen für die beiden Taten des versuchten Betruges wegen der sich ergebenden Erhöhung des Unrechtsgehalts nicht entgegensteht (, NStZ-RR 1999, 218; KK-Kuckein, StPO, 6. Aufl., § 358 Rn. 30). Es ist lediglich geboten, dass jeweils die Summe der beiden bisherigen Einzelstrafen bei der Bemessung der neu festzusetzenden Einzelstrafe nicht überschritten wird (vgl. , NStZ-RR 2008, 168).

123. Schließlich tragen die Feststellungen auch die Verurteilung wegen versuchten Betruges in den Fällen 6 und 18 der Urteilsgründe nicht. Das Landgericht hat – offenbar in Anwendung des Zweifelsgrundsatzes – angenommen, dass eine Schadensregulierung durch die Versicherung nicht erfolgt ist, und die Taten deshalb nur als versuchten Betrug gewürdigt. Es hat nicht geprüft, ob der Angeklagte von diesem Versuch jeweils strafbefreiend zurückgetreten ist. Hierzu bestand jedoch nach den getroffenen Feststellungen Anlass. Anders als bei der erfolglosen gerichtlichen Geltendmachung in den Fällen 10/11 und 13/14 und bei der endgültigen Ablehnung der Zahlung durch die Versicherung im Fall 16 liegt ein Fehlschlag des Versuchs, der die Möglichkeit eines Rücktritts ausschließt (st. Rspr.; vgl. nur , NStZ 2010, 690 m.w.N.), in diesen Fällen nicht auf der Hand. Das Landgericht hätte sich deshalb damit auseinandersetzen müssen, ob es dem Angeklagten nach seiner Vorstellung noch möglich war, eine Schadensregulierung zu erreichen, er aber von sich aus von der weiteren Verfolgung seines Ziels Abstand genommen hat.

134. Als Folge der Aufhebung der Einzelstrafen in den genannten Fällen entfällt auch der Ausspruch über die Gesamtstrafe.

Ernemann                                 Solin-Stojanović                                      Cierniak

                           Franke                                          Mutzbauer

Fundstelle(n):
RAAAD-83539