Arbeitsvertragliche Bezugnahme auf Tarifvertrag - Gleichstellungsabrede - Austritt des Arbeitgebers aus dem Arbeitgeberverband - Auslegung eines Personalüberleitungsvertrag
Gesetze: § 133 BGB, § 157 BGB, § 613a Abs 1 S 1 BGB, § 3 Abs 1 TVG
Instanzenzug: Az: 14 Ca 17221/07 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht München Az: 11 Sa 1000/08 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten, aufgrund einer Bezugnahmeklausel im Arbeitsvertrag oder aufgrund eines Personalüberleitungsvertrages Einmalzahlungen nach dem Tarifvertrag über eine Einmalzahlung im Jahr 2005 für den Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände - Tarifbereich West - vom (TV EZ), dem Tarifvertrag zur Überleitung der Beschäftigten der kommunalen Arbeitgeber in den TVöD und zur Regelung des Übergangsrechts (TVÜ-VKA) vom oder dem für den Bereich Bund geschlossenen Tarifvertrag über Einmalzahlungen für die Jahre 2005, 2006 und 2007 vom zu leisten.
2Die Klägerin ist seit dem bei der Beklagten in deren Krankenhausbetrieb als Krankenschwester beschäftigt.
§ 2 des Arbeitsvertrages vom lautet:
Zuvor hatte die Beklagte die Trägerschaft des Krankenhausbetriebs im Wege des Betriebsübergangs mit Wirkung vom übernommen. Anlässlich dieses Betriebsübergangs hatte sie mit der vormaligen Trägerin, der tarifgebundenen Landesversicherungsanstalt O (LVA), am einen Personalüberleitungsvertrag (PÜV) geschlossen, dessen § 1 wie folgt lautet:
5Vom bis zum war die Beklagte Vollmitglied des Kommunalen Arbeitgeberverbandes Bayern e. V. (KAV). Zum wandelte die Beklagte ihre Mitgliedschaft im KAV in eine Gastmitgliedschaft ohne Tarifbindung um.
6Mit Schreiben vom hat die Klägerin einen Anspruch auf Einmalzahlung in Höhe von 200,00 Euro für die Monate April und Juli 2005 erfolglos geltend gemacht, mit Schreiben vom in Höhe von weiteren 200,00 Euro für die Monate April und Juli 2006 und mit Schreiben vom in Höhe von 100,00 Euro für den Monat Oktober 2006.
7Mit ihrer Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie ist der Auffassung, die Verpflichtung zur Zahlung der Einmalzahlungen für die Jahre 2005 bis 2007 ergebe sich aus dynamischer Verweisung auf die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes in ihrem Arbeitsvertrag und daneben aus dem PÜV.
Die Klägerin hat beantragt,
9Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie ist der Auffassung, dass mit der Umwandlung ihrer Mitgliedschaft im KAV in eine Gastmitgliedschaft ohne Tarifbindung die arbeitsvertraglich in Bezug genommenen Tarifverträge nur noch statisch mit dem Stand nachwirken würden, weil die Bezugnahmeklausel als sog. Gleichstellungsabrede auszulegen sei. Der PÜV finde auf das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin bereits deshalb keine Anwendung, weil sie erst nach dem Betriebsübergang eingestellt worden sei. Zudem handele es sich dabei um einen unzulässigen Vertrag zu Lasten Dritter. Die Klägerin habe ihre Ansprüche außerdem zum Teil nicht innerhalb der sechsmonatigen Ausschlussfrist geltend gemacht.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Gründe
11Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.
12I. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, weil die Beklagte weder kraft Mitgliedschaft noch nach dem Arbeitsvertrag mit der Klägerin und auch nicht durch den PÜV an die streitgegenständlichen Tarifverträge gebunden sei. Diese Tarifverträge seien sämtlich nach Beendigung der Vollmitgliedschaft der Beklagten im KAV abgeschlossen worden, weshalb keine Bindung kraft Mitgliedschaft bestehe. Die Bezugnahmeklausel im Arbeitsvertrag sei noch nach der Rechtsprechung für Altverträge als Gleichstellungsabrede auszulegen und beinhalte deshalb nach Beendigung der Vollmitgliedschaft nur noch eine statische Bezugnahme auf die zu diesem Zeitpunkt bereits abgeschlossenen Tarifverträge. Aus dem PÜV ergebe sich für nach dem Betriebsübergang eingestellte Arbeitnehmer wie die Klägerin kein Anspruch, da sie nicht von seinem Anwendungsbereich erfasst würden. Dies zeige sowohl die Auslegung von § 1 PÜV wie auch die Überschrift „Personalüberleitungsvertrag“.
13II. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage im Ergebnis und in der Begründung zutreffend abgewiesen.
141. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht erkannt, dass die Klägerin nicht über die Bezugnahmeklausel in § 2 des Arbeitsvertrages der Parteien Anspruch auf Einmalzahlungen aus den streitgegenständlichen Tarifverträgen hat. Auf der Grundlage der früheren, aus Gründen des Vertrauensschutzes für vor dem geschlossene Verträge fortzuführenden Senatsrechtsprechung handelt es sich bei dieser Vertragsklausel um eine sogenannte Gleichstellungsabrede. Folge davon ist, dass die im Vertrag vorgesehene Dynamik der in den Arbeitsvertrag inkorporierten jeweiligen tariflichen Regelungen davon abhängig ist, dass die Arbeitgeberin die betreffenden Tarifverträge auch tarifrechtlich gegenüber den an diese Tarifverträge tarifgebundenen Arbeitnehmern anwenden muss. Nach Beendigung der Vollmitgliedschaft der Beklagten im KAV mit dem ist das nicht mehr der Fall. Die streitgegenständlichen Tarifverträge sind sämtlich nach diesem Datum abgeschlossen worden und deshalb nicht mehr von der arbeitsvertraglichen Bezugnahme erfasst.
15a) Wie das Landesarbeitsgericht richtig ausgeführt hat, wendet der Senat zwar für Arbeitsverträge, die nach dem Inkrafttreten der Schuldrechtsreform zum abgeschlossen worden sind („Neuverträge”), die Auslegungsregel der sogenannten Gleichstellungsabrede nicht mehr an. Jedoch bezieht er sie aus Gründen des Vertrauensschutzes weiterhin auf Bezugnahmeklauseln, die vor dem vereinbart worden sind (st. Rspr., vgl. nur - Rn. 18 und 22 jeweils mwN, AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 70 = EzA TVG § 3 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 43; - 4 AZR 285/08 - Rn. 49, AP TVG § 3 Nr. 45 = EzA TVG § 3 Nr. 32; - 4 AZR 652/05 - Rn. 29 ff., BAGE 122, 74; - 4 AZR 536/04 - Rn. 24 ff., BAGE 116, 326).
16b) Der Arbeitsvertrag der Klägerin wurde am abgeschlossen und ist somit noch an den Maßstäben der Rechtsprechung zur Gleichstellungsabrede zu messen.
17c) Nach der früheren Rechtsprechung des Senats galt die widerlegliche Vermutung, dass es einem an arbeitsvertraglich in Bezug genommene Tarifverträge gebundenen Arbeitgeber nur darum geht, durch die Bezugnahme die nicht organisierten Arbeitnehmer mit den organisierten hinsichtlich der Geltung des in Bezug genommenen Tarifwerks gleichzustellen. Der Senat ging davon aus, dass mit einer solchen von einem tarifgebundenen Arbeitgeber gestellten Vertragsklausel lediglich die möglicherweise fehlende Gebundenheit des Arbeitnehmers an die im Arbeitsvertrag genannten Tarifverträge ersetzt werden soll, um jedenfalls zu einer vertraglichen Anwendung des einschlägigen Tarifvertrages zu kommen und damit zu dessen Geltung für alle Beschäftigten (vgl. nur - AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 63 = EzA TVG § 3 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 38; - 4 AZR 50/04 - BAGE 113, 40, 42 f.; - 4 AZR 294/01 - BAGE 103, 9, 14; - 4 AZR 263/01 - BAGE 102, 275, 278 ff.).
18Daraus hat der Senat die Konsequenz gezogen, dass auch ohne weitere Anhaltspunkte im Vertragstext oder Begleitumständen bei Vertragsschluss bei Tarifgebundenheit des Arbeitgebers an die in Bezug genommenen Tarifverträge Bezugnahmeklauseln wie die im Arbeitsvertrag vom in aller Regel als sogenannte Gleichstellungsabreden auszulegen seien (vgl. nur - 4 AZR 881/07 - Rn. 18 mwN, AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 68; - 4 AZR 536/04 - Rn. 12 ff. mwN, BAGE 116, 326; - 4 AZR 50/04 - Rn. 15 ff. mwN, BAGE 113, 40; - 4 AZR 263/01 - Rn. 16 ff. mwN, BAGE 102, 275). Die Verweisung auf einen Tarifvertrag oder ein Tarifwerk in der jeweils geltenden Fassung wurde deshalb einschränkend dahin ausgelegt, dass die auf diese Weise zum Ausdruck gebrachte Dynamik nur so weit reicht, wie sie bei einem tarifgebundenen Arbeitnehmer reicht, also dann endet, wenn der Arbeitgeber wegen Wegfalls der eigenen Tarifgebundenheit nicht mehr normativ an künftige Tarifentwicklungen gebunden ist (vgl. im Einzelnen - Rn. 28, BAGE 130, 43). Ab diesem Zeitpunkt sind die in Bezug genommenen Tarifverträge nur noch statisch anzuwenden.
19d) Nach diesen Maßstäben handelt es sich vorliegend bei der Bezugnahmeklausel in § 2 des Arbeitsvertrages um eine sogenannte Gleichstellungsabrede. Da die im Arbeitsvertrag enthaltene dynamische Verweisung auf den BAT am vereinbart worden ist, kommt bei deren Auslegung weiterhin die frühere Senatsrechtsprechung zum Tragen. Die Klausel verweist auf die fachlich einschlägigen Tarifverträge, an die die Beklagte durch Mitgliedschaft im KAV gebunden war, aber nach dem nicht mehr gebunden ist. Damit endete die Dynamik und die seit dem abgeschlossenen Tarifverträge wie der TV EZ und der TVÜ-VKA sind nicht mehr von der Klausel erfasst.
202. Das Landesarbeitsgericht hat zudem zutreffend erkannt, dass die Klägerin auch aus dem PÜV keinen Anspruch für sich ableiten kann, da sie nicht von seinem Anwendungsbereich erfasst wird. Dies ergibt die Auslegung des PÜV (ebenso bezogen auf den vorliegenden PÜV bereits - Rn. 59 ff., BAGE 130, 286).
21a) Beim PÜV handelt es sich um einen sogenannten typischen Vertrag, da er ua. die Rechtsverhältnisse der von dem Betriebsübergang betroffenen Beschäftigten und damit eine Vielzahl von Fällen regelt ( - zu II 1 der Gründe; - 4 AZR 292/04 - zu A I 1 der Gründe, AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 35 = EzA TVG § 1 Auslegung Nr. 40). Seine Auslegung ist durch das Revisionsgericht unbeschränkt überprüfbar.
22Der Inhalt der Regelungen des PÜV ist nach den §§ 133, 157 BGB durch Auslegung zu ermitteln. Ausgehend vom Wortlaut der Klauseln ist deren objektiver Bedeutungsgehalt zu ermitteln (vgl. - Rn. 22, AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 68; - 3 AZR 232/73 - AP BGB § 133 Nr. 38 = EzA BGB § 133 Nr. 8; - 9 AZR 97/04 - AP BGB § 157 Nr. 33 = EzA TVG § 4 Altersteilzeit Nr. 14). Maßgebend ist dabei der allgemeine Sprachgebrauch unter Berücksichtigung des vertraglichen Regelungszusammenhangs. Ein übereinstimmender Wille der Parteien geht dabei dem Wortlaut des Vertrages und jeder anderweitigen Interpretation vor und setzt sich auch gegenüber einem völlig eindeutigen Vertragswortlaut durch ( - mwN, NJW-RR 1996, 1458). Von Bedeutung für das Auslegungsergebnis sind auch der von den Vertragsparteien verfolgte Regelungszweck und die Interessenlage der Beteiligten ( - Rn. 33 ff. mwN, BAGE 130, 286; - 4 AZR 881/07 - Rn. 22 mwN, aaO; - 4 AZR 292/04 - zu A I 1 der Gründe mwN, AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 35 = EzA TVG § 1 Auslegung Nr. 40) sowie die Begleitumstände der Erklärung, soweit sie einen Schluss auf den Sinngehalt der Erklärung zulassen ( - Rn. 22, aaO; - 2 AZR 519/69 - BAGE 22, 424). Die tatsächliche Handhabung des Vertragsverhältnisses kann ebenfalls Rückschlüsse auf dessen Inhalt ermöglichen ( - Rn. 22, aaO).
23b) Bereits die Bezeichnung des anlässlich des Betriebsübergangs auf die Arbeitgeberin geschlossenen Vertrages als „Personalüberleitungsvertrag“ weist darauf hin, dass sich dessen Anwendungsbereich nur auf dasjenige bei der LVA schon tätige Personal bezieht, welches von dem Betriebsübergang betroffen ist. Dem entspricht die Regelung in § 1 Abs. 1 PÜV, der von „Angestellten, Arbeiter(n) und Auszubildenden“ der - von der Arbeitgeberin erworbenen - Fachklinik handelt und damit die Bestimmung des relevanten Beschäftigtenkreises für die Regelungen des PÜV vornimmt (vgl. für den vorliegenden PÜV bereits - Rn. 59 ff., BAGE 130, 286). Die in § 1 Abs. 2 PÜV genannten „Arbeitnehmer“ sind diejenigen iSd. § 1 Abs. 1 PÜV. Denn § 1 Abs. 1 PÜV legt zugleich fest, dass der dort genannte Personenkreis „im folgenden Arbeitnehmer“ genannt wird. Anhaltspunkte dafür, dass im nachfolgenden Absatz ein weitergehender Beschäftigtenkreis erfasst werden soll, sind dem Wortlaut der Bestimmung nicht zu entnehmen. Entgegen der Auffassung der Klägerin spricht auch nichts im Wortlaut des § 4 Abs. 1 PÜV dafür, dass von § 1 Abs. 2 PÜV auch die erst in der Zukunft eingestellten Arbeitnehmer erfasst werden sollen.
24Es ist kein von diesem Wortlaut abweichender von den Vertragsparteien übereinstimmend verfolgter Regelungszweck erkennbar. Die Revision zeigt nicht näher auf, woraus sich ein Solcher ergeben soll. Soweit sie sich dafür auf ein Schreiben des Gesamtpersonalrats an die Belegschaft im Vorfeld der Verhandlungen zum PÜV bezieht, erschließt sich nicht, inwiefern dieses für die Einbeziehung der nach dem Betriebsübergang eingestellten Beschäftigten sprechen und warum dessen Sichtweise maßgebend sein soll für die Auslegung eines Vertrages, dessen Partei er nicht ist. Soweit behauptet wird, der Gesamtpersonalrat sei damals an den Verhandlungen beteiligt gewesen, handelt es sich dabei nicht nur um neuen Vortrag in der Revisionsinstanz, sondern es wird nicht näher ausgeführt, welche Bedeutung dies für die Auslegung des PÜV haben soll. Auch das Argument, dass regelungstechnisch in solch einem Fall konkret formuliert worden wäre, dass bei zukünftigen Einstellungen auch abweichend vom Tarifniveau eingestellt werden könne, trägt nicht zur Auslegung bei. Es ist keine Regel ersichtlich, nach der eine solche Formulierung üblich wäre und ihr Fehlen darauf hindeuten würde, dass das Gegenteil der Fall sei.
253. Entgegen der Auffassung der Revision ergibt sich nichts anderes, falls Beschäftigte der Beklagten, die zu den bei dem Betriebsübergang übernommenen Arbeitnehmern gehören, mit ihren Klagen Erfolg und auf der Grundlage des PÜV als wirksamer Vertrag zugunsten Dritter Anspruch auf eine weiterhin dynamische Tarifanwendung haben. Die Klägerin wäre dann nicht „(wie in der Vergangenheit) mit den Klägerinnen in den Parallelverfahren aufgrund der arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel gleichzustellen“. Für diese Auffassung einer „Gleichstellung“ bleibt die Revision eine nähere Begründung schuldig. Soweit damit ein Bezug zur früheren Rechtsprechung der Gleichstellungsabrede hergestellt werden soll, geht dieser fehl. Zentral für diese war der Anknüpfungspunkt der mitgliedschaftlichen Tarifgebundenheit des Arbeitgebers. Um diese geht es bei einer schuldrechtlichen Bindung auf der Grundlage des PÜV jedoch nicht.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Fundstelle(n):
BB 2011 S. 1524 Nr. 24
BB 2011 S. 1725 Nr. 27
NAAAD-82042