BGH Urteil v. - III ZR 81/10

Kapitalanlageberatung: Verjährung von Schadensersatzansprüchen des Anlegers bei mehreren voneinander abgrenzbaren Aufklärungs- oder Beratungsfehlern des Anlageberaters

Leitsatz

Der Grundsatz, dass bei mehreren voneinander abgrenzbaren Aufklärungs- oder Beratungsfehlern die Verjährung nicht einheitlich, sondern getrennt für jede einzelne Pflichtverletzung zu prüfen ist, setzt nicht voraus, dass die Pflichtverletzung jeweils eigene, von den anderen Fehlern und deren Folgen gesonderte Schäden zeitigt, sondern ist gerade auch anwendbar in den Fällen, in denen die Pflichtverletzungen denselben Schaden verursacht haben, nämlich jeweils für die Anlageentscheidung ursächlich waren .

Gesetze: § 199 Abs 1 Nr 2 BGB, § 675 BGB

Instanzenzug: Saarländisches Az: 5 U 338/09 - 83 Urteilvorgehend Az: 14 O 448/08 Urteil

Tatbestand

1Der Kläger verlangt Schadensersatz wegen behaupteter Beratungspflichtverletzungen des Beklagten anlässlich einer Beteiligung an der sogenannten "G. Gruppe".

2Die "G. Gruppe", die aus mehreren miteinander verbundenen Unternehmen bestand und zu der unter anderem die G. Gruppe Vermögens- und Finanzholding GmbH & Co. KG a.A. gehörte, beschäftigte sich seit den neunziger Jahren mit dem Erwerb, der Verwaltung und der Verwertung von Immobilien, Wertpapieren und Unternehmensbeteiligungen. Das hierfür erforderliche Kapital wurde durch die Gründung stiller Gesellschaften mit zahlreichen Kleinanlegern beschafft. Der Kläger beteiligte sich am als stiller Gesellschafter an der G. Beteiligungs-Aktiengesellschaft, zum einen mit einer Einlage von 10.000 DM zuzüglich eines Agios von 5 %, zum anderen mit einer in 120 Monatsraten zu erbringenden Einlage von 48.000 DM zuzüglich eines Agios von ebenfalls 5 %. Außerdem unterzeichnete der Kläger eine Vollmacht, wonach die G. Beteiligungs-Aktiengesellschaft mit anderen Gesellschaften weitere stille Gesellschaftsverträge abschließen durfte. Aufgrund dieser Vollmacht wurde für den Kläger 1998 eine atypische stille Beteiligung an der Securenta G. Immobilienanlagen und Vermögensmanagement AG Unternehmenssegment VII abgeschlossen. Im Jahre 2007 wurde das Insolvenzverfahren über die Vermögen der G. Gruppe Vermögens- und Finanzholding GmbH & Co. KG a.A. sowie der Securenta G. Immobilienanlagen und Vermögensmanagement AG eröffnet.

3Der Kläger hat den Beklagten wegen verschiedener behaupteter Beratungspflichtverletzungen im Zusammenhang mit der Zeichnung seiner Beteiligung an der "G. Gruppe" auf Schadensersatz in Anspruch genommen. Das Landgericht hat die Klage wegen Verjährung abgewiesen. Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg gehabt. Gegen das Urteil des Oberlandesgerichts richtet sich die vom Senat zugelassene Revision des Klägers, mit der dieser seine Ansprüche - den Zahlungsantrag zu Nummer 1 allerdings nur noch in Höhe von 17.482,36 € nebst Zinsen - weiterverfolgt.

Gründe

4Die zulässige Revision führt im Umfang der Anfechtung zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz.

I.

5Nach Auffassung des Oberlandesgerichts kann dahinstehen, ob dem Kläger gegen den Beklagten ein Anspruch auf Schadensersatz wegen schuldhaft begangener Beratungsfehler zusteht. Denn etwaige Ansprüche seien jedenfalls verjährt (Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 EGBGB, §§ 195, 199 Abs. 1 BGB).

6Wie das Landgericht zutreffend festgestellt habe, hätten beim Kläger die subjektiven Voraussetzungen des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB vor dem vorgelegen, so dass mit Ablauf des Jahres 2004 Verjährung eingetreten sei. Der Kläger habe spätestens im Jahre 2001 gewusst, dass es sich bei den von ihm gezeichneten Beteiligungen nicht um sichere Kapitalanlagen gehandelt habe. Insoweit sei ihm auch bewusst gewesen, dass der Beklagte ihn unrichtig beraten und nicht über das Verlustrisiko sowie eine eventuell bestehende Nachschusspflicht aufgeklärt habe. Diese Kenntnis beziehe sich nicht nur auf die Beratungspflichtverletzung, sondern auch auf den eingetretenen Schaden, nämlich die Vermögensminderung in Gestalt nicht wertgesicherter Anlagen.

7Der eventuelle Anspruch auf Schadensersatz sei auch nicht deshalb unverjährt, weil mehrere Beratungsfehler vorlägen, die dem Kläger erst sukzessive bekannt geworden seien. Zwar beginne die Verjährung, wenn sich ein Anspruch auf mehrere Pflichtverletzungen stützen lasse, jeweils gesondert zu laufen (, NJW 2008, 506). Dieser aus der früheren Rechtsprechung zu § 852 Abs. 1 BGB a.F. hergeleitete Grundsatz beruhe jedoch darauf, dass jede Handlung, die eigene Schadensfolgen erzeuge und dadurch zum Gesamtschaden beitrage, verjährungsrechtlich eine neue selbständige Schädigung darstelle und daher einen neuen Ersatzanspruch mit eigener Verjährungsfrist schaffe. Mit dem 8. Zivilsenat des Saarländischen -80, OLGR 2008, 983) sei daher davon auszugehen, dass der einzelne Beratungsfehler nur dann eine gesonderte kenntnisabhängige Verjährungsfrist auslöse, wenn er eine eigene Schadensfolge herbeigeführt habe. Im vorliegenden Fall lägen bereits nicht mehrere voneinander trennbare, sondern nur ein einheitlicher Beratungsfehler hinsichtlich der Sicherheit der ins Auge gefassten Anlage vor. Die einzelnen zu beachtenden Sicherheitsaspekte beträfen insoweit lediglich einzelne Ausprägungen der erforderlichen Gesamtbetrachtung, etwa das Risiko eines Totalverlusts, einer Nachschusspflicht oder die Verminderung der Gewinnerwartungen im Falle gewinnunabhängig möglicher Entnahmen. Über keinen dieser zusammen gehörenden Umstände habe der Beklagte beraten. Selbst wenn man hierin jedoch verschiedene Beratungsfehler sehen wollte, hätten diese lediglich eine einheitliche Schadensfolge ausgelöst, nämlich den Verlust der klägerischen Investitionen aufgrund unsicherer, nicht werthaltiger Beteiligungen. Dies bedeute, dass der Kläger schlicht die getätigten Einzahlungen ersatzlos verloren habe, ohne dass danach differenziert werden könne, bei welchen Teilbeträgen welcher Beratungsfehler ursächlich gewesen sei. Die Verjährung habe deshalb nicht mit jeder eventuellen späteren Kenntnis von weiteren Beratungsfehlern, deren Zeitpunkt im Übrigen auch nicht substantiiert dargelegt und unter Beweis gestellt worden sei, neu zu laufen begonnen.

II.

8Dies hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

91. Die hier in Rede stehenden Ansprüche wegen Beratungspflichtverletzung sind im Jahre 1996, nämlich mit der Beteiligung an der "G. Gruppe" entstanden (§ 198 Satz 1 BGB a.F.) und unterlagen zunächst der 30jährigen Verjährungsfrist nach § 195 BGB a.F. Zwar ist der für den Verjährungsbeginn maßgebliche Eintritt eines Schadens regelmäßig erst dann anzunehmen, wenn es zu einer konkreten Verschlechterung der Vermögenslage des Gläubigers gekommen ist; der Eintritt einer risikobehafteten Situation reicht dafür regelmäßig nicht (vgl. nur , BGHZ 73, 263, 265; vom - II ZR 190/86, BGHZ 100, 228, 231 f; und vom - IX ZR 21/93, BGHZ 124, 27, 30). Jedoch kann der auf einer Aufklärungs- oder Beratungspflichtverletzung beruhende Erwerb einer für den Anlageinteressenten nachteiligen, weil seinen konkreten Anlagezielen und Vermögensinteressen nicht entsprechenden Kapitalanlage bereits für sich genommen einen Schaden darstellen und ihn deshalb - unabhängig von der ursprünglichen Werthaltigkeit der Anlage - dazu berechtigen, im Wege des Schadensersatzes die Rückabwicklung zu verlangen; der Anspruch entsteht hierbei schon mit dem (unwiderruflichen und vollzogenen) Erwerb der Anlage (vgl. - jeweils mwN - nur , BGHZ 162, 306, 309 f; Senat, Urteil vom - III ZR 249/09, BGHZ 186, 152 Rn. 24). So liegt der Fall auch hier.

102. Gemäß Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 Satz 1 EGBGB gilt seit dem für bis dahin nicht verjährte Schadensersatzansprüche die dreijährige Regelverjährung nach § 195 BGB n.F. Hierbei setzt der Beginn der Frist allerdings das Vorliegen der subjektiven Voraussetzungen des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB voraus, das heißt der Gläubiger muss von den seinen Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt haben oder seine diesbezügliche Unkenntnis auf grober Fahrlässigkeit beruhen (vgl. nur , BGHZ 171, 1 Rn. 19 ff; und vom - XI ZR 504/07, BGHZ 179, 260 Rn. 46; Senat, Urteile vom - III ZR 169/08, BKR 2010, 118 Rn. 13, und vom aaO Rn. 25). Für eine dahingehende Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis trägt der Schuldner - hier also der Beklagte - die Darlegungs- und Beweislast (vgl. nur aaO Rn. 32; und vom - XI ZR 319/06, ZIP 2008, 1714 Rn. 25; Senat, Urteil vom aaO).

113. Geht es um den Vorwurf verschiedener Aufklärungs- oder Beratungsfehler sind die Voraussetzungen des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB getrennt für jede einzelne Pflichtverletzung zu prüfen. Wird ein Schadensersatzanspruch auf mehrere voneinander abgrenzbare Fehler bzw. offenbarungspflichtige Umstände gestützt, beginnt die Verjährung daher nicht einheitlich, wenn bezüglich eines Fehlers bzw. Umstands Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis vorliegt und dem Anleger insoweit eine Klage zumutbar wäre. Vielmehr ist jede Pflichtverletzung verjährungsrechtlich selbständig zu behandeln. Dem Gläubiger muss es in einem solchen Fall auch unbenommen bleiben, eine ihm bekannt gewordene Pflichtverletzung - selbst wenn eine darauf gestützte Klage auf Rückabwicklung des Vertrags erfolgversprechend wäre - hinzunehmen, ohne Gefahr zu laufen, dass deshalb Ansprüche aus weiteren, ihm zunächst aber noch unbekannten Pflichtverletzungen zu verjähren beginnen (vgl. , NJW 2008, 506 Rn. 14 ff; und vom - XI ZR 171/08, BKR 2009, 372 Rn. 14; Senat, Urteile vom aaO Rn. 14 f; und vom - III ZR 203/09, WM 2010, 1690 Rn. 13).

124. Mit diesen Grundsätzen ist die Entscheidung des Berufungsgerichts nicht vereinbar.

13a) Entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts liegt kein einheitlicher Beratungsfehler mit einer insoweit einheitlichen Verjährungsfrist vor. Die in den Gründen des angefochtenen Urteils angesprochenen Aspekte des Totalverlustrisikos, der Nachschusspflicht sowie der Verminderung der Gewinnerwartungen im Fall gewinnunabhängig möglicher Entnahmen wie auch die vom Kläger nach dem Tatbestand des angefochtenen Urteils weiter erhobenen Rügen - unter anderem im Zusammenhang mit der Fungibilität der Anlage, dem mangelnden Kapitalzuwachs und den Innenprovisionen - lassen sich nicht unter dem Oberbegriff der "Sicherheit der Anlage" zu einer Einheit zusammenfassen und insoweit als unselbständige Bestandteile einer einzigen Pflichtverletzung charakterisieren. Es handelt sich vielmehr um mehrere voneinander abgrenzbare Gesichtspunkte, die gegebenenfalls Gegenstand eigenständiger Aufklärungs- und Beratungspflichten sein können. Die gegenteilige "Gesamtbetrachtung" des Berufungsgerichts läuft im Ergebnis auch auf eine unzulässige Aushöhlung der zitierten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hinaus.

14b) Danach unterliegen mehrere Aufklärungs- oder Beratungsfehler, auch wenn sie nicht jeweils unterschiedliche eigenständige Schadensfolgen verursacht haben, sondern in demselben Schaden - hier: Erwerb der Kapitalanlage - münden, keiner einheitlichen, mit der Kenntnis vom ersten Fehler beginnenden Verjährung.

15Soweit das Berufungsgericht aus der in den Urteilen vom (Rn. 15 f) und (Rn. 15) erfolgten Bezugnahme auf die frühere Rechtsprechung zu § 852 BGB a.F. ableitet, dass eine neue Verjährungsfrist nur bei Verursachung eines gesonderten, von anderen Fehlern und deren Folgen abgrenzbaren Schadens in Gang gesetzt wird, ist dies unzutreffend. Abgesehen davon, dass sich dieser Schluss aus der früheren Rechtsprechung zu § 852 BGB a.F. nicht ziehen lässt, liegt der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB die gegenteilige Auffassung zugrunde. Mit der in den vom Berufungsgericht angesprochenen Entscheidungen verwandten Formulierung "eigene Schadensfolgen" sind insoweit nicht (nur) unterschiedliche Schäden gemeint (dass dann, wenn verschiedene Aufklärungs- und Beratungsfehler unterschiedliche Schadensfolgen verursachen, die sich hieraus ergebenden Schadensersatzansprüche auch unterschiedlich verjähren, hätte im Übrigen, weil selbstverständlich, keiner näheren Begründung bedurft); vielmehr wird auch und gerade der Fall erfasst, dass die Pflichtverletzungen denselben Schaden verursachen, also auch weitere Beratungs- oder Aufklärungsfehler ursächlich für die Anlageentscheidung gewesen sind. Dies zeigen die in den Urteilen vom , 23. Juni und sowie erfassten Fallgestaltungen. Die Verjährung beginnt danach für jeden abgrenzbaren Beratungsfehler gesondert zu laufen, und zwar, wenn der Anleger die Umstände, insbesondere die wirtschaftlichen Zusammenhänge kennt, aus denen sich die jeweilige Rechtspflicht des Beraters oder Vermittlers zur Aufklärung ergibt ( aaO Rn. 17; Senat, Urteil vom aaO Rn. 15).

16Die gegenteilige Auffassung des Berufungsgerichts würde vor dem Hintergrund, dass Beratungsfehler im Zusammenhang mit einer Kapitalanlage regelmäßig die im Erwerb der Anlage liegende Schadensfolge verursachen, dazu führen, dass die in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs aufgestellten Grundsätze praktisch leer liefen.

175. Das angefochtene Urteil wird auch nicht von der - letztlich mehr beiläufigen - Bemerkung des Berufungsgerichts getragen, der Zeitpunkt einer eventuellen späteren Kenntnis von weiteren Beratungsfehlern sei im Übrigen nicht substantiiert dargelegt und unter Beweis gestellt. Denn es ist grundsätzlich Sache des Beklagten und nicht des Klägers, die für den Beginn der Verjährungsfrist maßgebenden Tatsachen vorzutragen und zu beweisen (vgl. nur aaO Rn. 32; und vom aaO Rn. 25; Senat, Urteil vom aaO Rn. 25).

186. Da das Berufungsgericht keine Feststellungen zu den Voraussetzungen und zur Höhe des geltend gemachten Schadensersatzanspruchs getroffen hat, ist die Sache nicht zur Endentscheidung reif. Sie ist deshalb unter Aufhebung des angefochtenen Urteils an die Vorinstanz zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 und 3 ZPO).

Schlick                                   Herrmann                                  Wöstmann

                     Hucke                                          Seiters

Fundstelle(n):
DStR 2011 S. 1290 Nr. 27
DStRE 2011 S. 1106 Nr. 17
NJW-RR 2011 S. 842 Nr. 12
NWB-Eilnachricht Nr. 22/2011 S. 1857
WM 2011 S. 874 Nr. 19
ZIP 2011 S. 1012 Nr. 21
FAAAD-81599