BFH Beschluss v. - II B 141/10

Vorliegen eines Verfahrensfehlers bei Entscheidung über eine zulässige Klage durch Prozessurteil; Beginn der Rechtsbehelfsfrist bei Zustellung durch Empfangsbekenntnis

Gesetze: AO § 122 Abs. 1, FGO § 47, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3, VwZG § 5

Instanzenzug:

Gründe

1 I. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) lehnte den Antrag des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger), die entstandenen Säumniszuschläge zur Erbschaftsteuer über den bereits erfolgten Teilerlass hinaus in vollem Umfang zu erlassen, durch Bescheid vom ab und wies den Einspruch durch Einspruchsentscheidung vom als unbegründet zurück. Die Einspruchsentscheidung wurde dem damaligen Bevollmächtigten des Klägers, einem Steuerberater, ausweislich des von diesem datierten, unterzeichneten und an das FA zurückgesandten Empfangsbekenntnisses am zugestellt.

2 Mit dem an das FA gerichteten Schreiben vom , das den Eingangsstempel von diesem Tag erhielt, beantragte der Kläger persönlich erneut den Erlass der Säumniszuschläge. Mit ebenfalls an das FA gerichtetem Schreiben vom beantragte der Kläger „nunmehr im Klageweg”, ihm die Hälfte der seit aufgelaufenen Säumniszuschläge zu erlassen. Ferner erhob der Kläger Klage wegen Erbschaftsteuer.

3 Das Finanzgericht (FG) wies diese Klagen nach Verfahrensverbindung ab. Die auf Erlass der Säumniszuschläge gerichtete Klage sah das FG wegen Versäumung der Klagefrist von einem Monat als unzulässig an. Die zulässigerweise dem Bevollmächtigten des Klägers zugestellte Einspruchsentscheidung sei dem Bevollmächtigten ausweislich des Empfangsbekenntnisses am zugegangen und gelte gemäß § 122 Abs. 2 Halbsatz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) als am bekanntgegeben. Die Klagefrist von einem Monat sei daher beim Eingang des Schreibens vom bereits abgelaufen gewesen. Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand seien weder vorgetragen worden noch ersichtlich. Das Schreiben vom könne nicht als Klage gewertet werden.

4 Der Kläger macht mit der auf die Abweisung der Klage wegen des Erlasses der Säumniszuschläge beschränkten Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision geltend, das FG habe die Klage zu Unrecht als unzulässig angesehen. Das Schreiben vom an das FA sei als Klage auszulegen und dem FA innerhalb der Klagefrist zugegangen. Da die Einspruchsentscheidung nach § 122 Abs. 2 Halbsatz 1 Nr. 1 AO erst am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post, mithin am , als dem Kläger zugegangen gelte, sei die Klagefrist erst am , einem Montag, abgelaufen.

5 Das FA vertritt die Auffassung, die Klagefrist habe mit Ablauf des geendet, so dass das Schreiben vom nicht innerhalb der Frist eingegangen sei.

6 II. Die Beschwerde ist unbegründet.

7 Es liegt zwar ein Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) vor, wenn das FG zu Unrecht durch Prozess- anstatt durch Sachurteil entschieden und dadurch auch den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt hat (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs —BFH— vom X S 20/10 (PKH), BFH/NV 2011, 49, und vom II B 55/10, BFH/NV 2011, 295, jeweils m.w.N.).

8 Ein solcher Verfahrensmangel ist im Streitfall aber nicht gegeben. Selbst wenn das Schreiben des Klägers vom als gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 FGO beim FA angebrachte Klage zu verstehen sein sollte, wurde die Klagefrist, die gemäß § 47 Abs. 1 FGO einen Monat beträgt und mit der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung beginnt, nicht gewahrt.

9 Die vom FA nach § 122 Abs. 5 Satz 1 AO angeordnete Zustellung der Einspruchsentscheidung vom richtete sich gemäß § 122 Abs. 5 Satz 2 AO nach den Vorschriften des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG). Zum Nachweis der vom FA nach § 2 Abs. 3 Satz 1 VwZG gewählten Zustellung gegen Empfangsbekenntnis (§ 5 VwZG), genügte gemäß § 5 Abs. 7 Satz 1 i.V.m. Abs. 4 VwZG das vom seinerzeitigen Bevollmächtigten des Klägers, einem Steuerberater, mit Datum und Unterschrift versehene Empfangsbekenntnis. Die Zustellung an den Bevollmächtigten mit Wirkung für den Kläger beruhte auf § 122 Abs. 1 Satz 3 AO i.V.m. § 80 Abs. 1 Sätze 1 und 2, Abs. 3 Satz 1 AO und § 7 Abs. 1 Satz 1 VwZG. Die vom FG und vom Kläger angeführte Vorschrift des § 122 Abs. 2 Halbsatz 1 Nr. 1 AO ist bei einer Zustellung durch Empfangsbekenntnis nicht anwendbar; sie betrifft lediglich die Übermittlung schriftlicher Verwaltungsakte durch die Post ohne förmliche Zustellung.

10 Die Klagefrist begann somit mit Ablauf des , an dem der Bevollmächtigte des Klägers das Empfangsbekenntnis unterzeichnet hatte (vgl. , BFHE 193, 392, BStBl II 2001, 156), und endete nach § 54 Abs. 2 FGO i.V.m. § 222 Abs. 1 der Zivilprozessordnung und § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 Alternative 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs mit Ablauf des . Das Schreiben vom ist erst danach beim FA eingegangen. Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumens der Klagefrist (§ 56 Abs. 1 FGO) sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
AO-StB 2011 S. 212 Nr. 7
BFH/NV 2011 S. 1006 Nr. 6
WAAAD-81041