BSG Urteil v. - B 4 AS 78/10 R

Grundsicherung für Arbeitsuchende - Einkommensberücksichtigung - Absetzung der durch Jugendamtsurkunde titulierten Unterhaltszahlungen

Leitsatz

Vom Einkommen eines Hilfebedürftigen nach dem SGB 2 ist der in einer Jugendamtsurkunde titulierte Unterhaltsanspruch regelmäßig in der dort festgelegten Höhe unabhängig von seiner Pfändbarkeit abzusetzen, wenn mit ihm gesetzliche Unterhaltspflichten erfüllt werden.

Gesetze: § 11 Abs 1 S 1 SGB 2, § 11 Abs 2 S 1 Nr 7 SGB 2, § 2 Abs 1 S 1 SGB 2, § 48 Abs 1 S 1 SGB 1, § 1601 BGB, §§ 1601ff BGB, § 1603 Abs 2 BGB, § 59 Abs 1 S 1 Nr 3 SGB 8, § 59 Abs 3 SGB 8, § 60 SGB 8, § 323 Abs 4 ZPO

Instanzenzug: SG Freiburg (Breisgau) Az: S 4 AS 3239/08 Urteilvorgehend Landessozialgericht Baden-Württemberg Az: L 7 AS 5458/09 Urteil

Tatbestand

1Streitig ist die Höhe der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II, insbesondere die Absetzbarkeit von Unterhaltszahlungen vom laufenden Erwerbseinkommen für den Zeitraum vom 1.4. bis und - im Zusammenhang mit einer teilweisen Aufhebung der SGB II-Bewilligung - für März 2008.

2Der 1969 geborene Kläger bezieht seit März 2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Zuletzt bewilligte die Beklagte ihm für die Zeit vom bis SGB II-Leistungen in Höhe von 592,96 Euro monatlich, die sich aus der Regelleistung in Höhe von 347 Euro und Kosten für Unterkunft und Heizung (KdU) in Höhe von 245,56 Euro zusammensetzten (Bescheid vom ). Seit Januar 2008 ist er geschieden; sein am geborener Sohn P lebt bei der geschiedenen Ehefrau. Am schloss der Kläger einen Arbeitsvertrag über eine Teilzeitbeschäftigung bei einer Privatschule in H ab . Im streitgegenständlichen Zeitraum beliefen sich seine monatlichen Einkünfte auf 600 Euro brutto bzw 496,47 Euro netto. Anlässlich seines am gestellten Antrags auf Fortzahlung der Leistungen nach dem SGB II legte der Kläger die von ihm am beim Jugendamt des Landkreises B unterzeichnete Unterhaltsurkunde vor, in der er sich ua verpflichtet hatte, in der Zeit vom 1.3. bis Unterhalt an seinen Sohn in Höhe von 245 Euro zu zahlen. Wegen der Erfüllung der Verbindlichkeit hatte er sich zugleich der sofortigen Zwangsvollstreckung unterworfen.

3Mit Änderungsbescheid vom bewilligte die Beklagte für die Zeit vom 1. bis zum nur noch Leistungen in Höhe von insgesamt 353,62 Euro, die sich aus Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 108 Euro und für Unterkunft und Heizung in Höhe von 245,56 Euro zusammensetzten. Dabei legte sie unter Berücksichtigung verschiedener Absetzbeträge als anrechenbares Einkommen einen Betrag in Höhe von 238,94 Euro zugrunde und hob die Bewilligung von SGB II-Leistungen teilweise auf. Die Unterhaltsverpflichtung des Klägers sei nicht einkommensmindernd zu berücksichtigen, weil er unterhaltsrechtlich nicht leistungsfähig sei. Er könne eine Herabsetzung des Unterhalts auf "Null" beantragen. Für die Zeit vom 1.4. bis zum bewilligte die Beklagte - wie bereits für März 2008 - Leistungen in Höhe von 353,62 Euro ohne Berücksichtigung der monatlichen Unterhaltszahlungen (Bescheid vom ; Widerspruchsbescheid vom ).

4Das SG hat den Bescheid vom in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom (betreffend die Aufhebung der SGB II-Bewilligung für März 2008) aufgehoben und den weiteren Bescheid vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom "abgeändert mit der Maßgabe, dass die Beklagte monatlich einen Betrag in Höhe von 245 Euro zusätzlich von dem anzurechnenden Einkommen absetzt" (Urteil vom ). Das LSG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom ). Der Bescheid vom , mit dem die Beklagte die Leistungen für die Zeit vom 1. bis neu berechnet habe, sei rechtswidrig. Zwar habe der Kläger seit dem ein eigenes Einkommen erzielt; dieses habe aber nicht zum Wegfall oder zur Minderung seines Anspruchs geführt. Die Beklagte habe bei der Berechnung der Leistungen nach dem SGB II auch für den Monat März 2008 kein Einkommen in Höhe von 238,94 Euro anrechnen dürfen. Die tatsächlichen Unterhaltszahlungen des Klägers an seinen Sohn seien nach § 11 Abs 2 Satz 1 Nr 7 SGB II vom Einkommen abzusetzen. Dem stehe nicht entgegen, dass er im streitigen Zeitraum bereits seinen eigenen Lebensunterhalt nicht aus seinem Einkommen habe bestreiten können und auf Leistungen der Beklagten angewiesen gewesen sei. § 11 Abs 2 Satz 1 Nr 7 SGB II verlange für die Abzugsfähigkeit der Unterhaltsforderung zunächst nur, dass diese tituliert sei und die Zahlungshöhe innerhalb des durch die Titulierung vorgegebenen Rahmens liege. Die Frage, ob der titulierte Unterhaltsanspruch im konkreten Fall erfolgreich gepfändet werden könne, sei für dessen Berücksichtigung im Rahmen des § 11 Abs 2 Satz 1 Nr 7 SGB II irrelevant. Der auf den Unterhaltstitel gezahlte Betrag sei dem Kläger im hier maßgeblichen Zeitraum auch nicht wegen unterlassener Selbsthilfe entgegenzuhalten und in Konsequenz dessen als Absetzbetrag unberücksichtigt zu lassen. Angesichts der Rechtsprechung zum Unterhaltsrecht könne nicht davon ausgegangen werden, dass eine Änderung des Unterhaltstitels ohne Weiteres möglich wäre. Der Kläger sei gegenüber seinem minderjährigen Sohn gesteigert unterhaltspflichtig. Die Leistungsfähigkeit eines Unterhaltspflichtigen werde dabei nicht allein durch dessen tatsächlich vorhandenes Einkommen, sondern auch durch seine Erwerbsfähigkeit und -möglichkeiten bestimmt; demzufolge könne ihm ein fiktives Einkommen zugerechnet werden, wenn er eine ihm mögliche und zumutbare Erwerbstätigkeit unterlasse, obwohl er diese "bei gutem Willen" hätte ausüben können. Da der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum lediglich einer Teilzeitbeschäftigung nachgegangen sei, erscheine die Anrechnung fiktiver Einkünfte bei der (unterhaltsrechtlichen) Bemessung seiner Leistungsfähigkeit - auch angesichts seines Lebensalters - zumindest nicht ausgeschlossen. Unter Berücksichtigung der Unterhaltszahlung in Höhe von 245 Euro verbleibe kein den Bedarf minderndes Einkommen. Daher sei auch der Bescheid vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom für die Zeit vom 1.4. bis teilweise rechtswidrig.

5Mit ihrer Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 11 Abs 2 Satz 1 Nr 7 SGB II. Die titulierten und geleisteten Unterhaltszahlungen könnten nicht vom Erwerbseinkommen abgesetzt werden, wenn der Unterhaltsverpflichtete - wie hier der Kläger - aus leistungsrechtlicher Sicht gar nicht in der Lage sei, die Unterhaltsverpflichtungen zu erfüllen, ohne sich in diesem Umfang bedürftig zu machen. Der Kläger habe den für seinen Sohn zu zahlenden Unterhaltsbetrag in dem vollen Bewusstsein festsetzen und titulieren lassen, dass er diese Unterhaltsverpflichtung nicht allein durch sein zu erwartendes Einkommen erfüllen könne. Der Gesetzgeber sei davon ausgegangen, dass jeder titulierte Unterhaltsbetrag auch tatsächlich pfändbar sei. Dies sei aber nicht immer der Fall. Bei einem nicht leistungsfähigen Unterhaltsverpflichteten könne es tatsächlich nie zu einer Pfändung kommen, weil dieser den Unterhaltstitel bereits vor der Pfändung herabgesetzt habe oder einer solchen im Rahmen einer Vollstreckungsabwehrklage gemäß § 767 ZPO entgegentrete. Der Aufforderung, einen Antrag auf Herabsetzung seiner Unterhaltsverpflichtung zu stellen, sei der Kläger bis heute nicht nachgekommen. Der Annahme des LSG, dass ungenutzte Selbsthilfemöglichkeiten nicht relevant würden, wenn die bloße Möglichkeit einer langwierigen Durchsetzung des Rechts bestehe, könne nicht gefolgt werden.

6Die Beklagte beantragt,das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom in der Fassung des Urteils des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom aufzuheben und die Klage abzuweisen.

7Der Kläger beantragt,die Revision zurückzuweisen.

8Das LSG habe dezidiert und substantiiert dargelegt, dass ihn die Unterhaltspflicht im streitgegenständlichen Zeitraum sehr wohl getroffen habe. Entsprechend sei das Berufungsgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass kein Raum für eine teleologische Reduktion des § 11 Abs 2 Satz 1 Nr 7 SGB II bestehe und er sich auch nicht dadurch kostenersatzpflichtig iS des § 34 SGB II gemacht habe, dass er sich der Unterhaltsverpflichtung zugunsten seines Sohnes unterworfen habe.

Gründe

91. Die zulässige Revision der Beklagten ist nicht begründet. Das LSG hat die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Freiburg vom zu Recht zurückgewiesen.

102. Gegenstand des Verfahrens ist zum einen der Bescheid vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom , mit dem die Beklagte den Bewilligungsbescheid vom wegen der Berücksichtigung von Erwerbseinkommen des Klägers für den Monat März 2008 teilweise aufgehoben hat. Hiergegen wendet sich der Kläger zu Recht nur mit der reinen Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 SGG), weil mit der Aufhebung dieses Bescheids die im Bewilligungsbescheid vom enthaltene Verfügung über die Bewilligung von SGB II-Leistungen für die Zeit vom bis wirksam bleibt. Zum anderen ist der Bescheid vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom Gegenstand des Verfahrens, mit dem die Beklagte das Einkommen des Klägers aus seiner Teilzeitbeschäftigung in Höhe von 238,94 Euro bedarfsmindernd ohne Abzug der tatsächlichen Unterhaltszahlungen des Klägers an seinen Sohn berücksichtigt hat. Gegen diesen Bescheid wendet sich der Kläger in zulässiger Weise mit einer (kombinierten) Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 4 SGG). Die Vorinstanzen sind zu Recht davon ausgegangen, dass die mit der Urkunde des Jugendamtes des Landkreises B vom titulierten Unterhaltsansprüche einkommensmindernd zu berücksichtigen sind und auch unter Beachtung der sonstigen Absatzbeträge kein anrechenbares Einkommen verbleibt.

113. Die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom , mit dem die Beklagte die Bewilligung von SGB II-Leistungen vom bis teilweise aufgehoben hat, misst sich an § 40 Abs 1 Satz 1 SGB II iVm § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X und § 330 Abs 3 SGB III. Hiernach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung - hier der Bescheid vom - mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Der Verwaltungsakt ist mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben, soweit nach Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde. Eine wesentliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse liegt nicht vor. Der Kläger hat auch im März 2008 weiterhin Anspruch auf SGB II-Leistungen in der vom LSG ermittelten Höhe unter Berücksichtigung angemessener KdU in Höhe von 245,56 Euro ohne Berücksichtigung des Einkommens aus der Teilzeitbeschäftigung, weil neben den weiteren Absetzbeträgen auch die Unterhaltsverpflichtung gegenüber seinem Sohn in vollem Umfang einkommensmindernd zu berücksichtigen ist.

124. Nach Maßgabe der §§ 11 Abs 2 SGB II, 30 SGB II sowie § 6 der Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld (Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung <Alg II-V> vom <BGBl I 2942>) hat die Beklagte den vom Nettoeinkommen des Klägers in Höhe von 496,97 Euro abzusetzenden Betrag in Höhe von 502,53 Euro zutreffend ermittelt. Sie hat neben dem Freibetrag bei Erwerbstätigkeit nach § 11 Abs 2 Satz 1 Nr 6 SGB II iVm § 30 SGB II in Höhe von 100 Euro einen Pauschbetrag für private Versicherungen in Höhe von 30 Euro (§ 6 Abs 1 Nr 1 Alg II-V), eine allgemeine Werbungskostenpauschale in Höhe von 15,33 Euro monatlich (§ 6 Abs 1 Nr 3 Buchst a Alg II-V) und 112,20 Euro monatlich an pauschalierten Fahrtkosten berücksichtigt (§ 6 Abs 1 Nr 3 Buchst b Alg II-V). Dabei hat sie die Entfernung des Klägers zwischen seinem Zweitwohnsitz in L und der Arbeitsstelle (37,4 km), 15 Fahrtage pro Monat und 0,20 Euro für jeden Entfernungskilometer zugrunde gelegt. Ergänzend zu dem so errechneten Absetzbetrag in Höhe von 157,53 Euro sind der Grundfreibetrag in Höhe von 100 Euro (vgl § 30 SGB II) und die Unterhaltszahlungen des Klägers in Abzug zu bringen, sodass sich ein Gesamtbetrag in Höhe von 502,53 Euro ergibt, der das Nettoeinkommen des Klägers in Höhe von 496,47 Euro übersteigt.

135. a) Die Unterhaltszahlungen des Klägers an seinen Sohn sind von seinem Erwerbseinkommen abzuziehen. Insofern bestimmt § 11 Abs 2 Satz 1 Nr 7 SGB II, dass Aufwendungen zur Erfüllung gesetzlicher Unterhaltsverpflichtungen bis zu dem in einem Unterhaltstitel oder in einer notariell beurkundeten Unterhaltsvereinbarung festgelegten Betrag vom Einkommen abzusetzen sind. Nach den Feststellungen des LSG hat der Kläger den in der Unterhaltsurkunde festgelegten Unterhalt im streitigen Zeitraum tatsächlich geleistet (zu diesem Erfordernis: - SozR 4-4200 § 11 Nr 16 RdNr 24). Dies hat seine geschiedene Ehefrau mit schriftlicher Erklärung vom bestätigt. Bei der vor dem Jugendamt des Landkreises B unterzeichneten Unterhaltsurkunde vom handelt es sich um einen Unterhaltstitel iS des § 11 Abs 2 Satz 1 Nr 7 SGB II (b). Die Unterhaltszahlungen des Klägers erfolgten auch zur Erfüllung gesetzlicher Unterhaltspflichten (c). Die Absetzbarkeit der Unterhaltsbeträge nach § 11 Abs 2 Satz 1 Nr 7 SGB II hängt nicht davon ab, ob und ggf in welchem Umfang das im Rahmen des SGB II zu berücksichtigende Einkommen wegen der titulierten Unterhaltsverpflichtungen pfändbar ist (d). Die Nichtberücksichtigung der tatsächlichen Unterhaltszahlungen ergibt sich auch nicht daraus, dass der Kläger auf eine Abänderung des Unterhaltstitels hinwirken muss (e).

14b) Ein Unterhaltstitel iS des § 11 Abs 2 Satz 1 Nr 7 SGB II liegt auch vor, wenn sich der Unterhaltsschuldner - wie hier - mit einer Jugendamtsurkunde zur Zahlung von Kindesunterhalt verpflichtet. Den Gesetzesmaterialien ist der gesetzgeberische Wille zu entnehmen, auch beim Jugendamt kostenfrei zu beschaffende Unterhaltstitel gleichwertig zu anderen Unterhaltstiteln zu berücksichtigen (BT-Drucks 16/1410 S 20). Nach § 59 Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB VIII ist die Urkundsperson beim Jugendamt befugt, die Verpflichtung zur Erfüllung von Unterhaltsansprüchen eines Abkömmlings zu beurkunden, sofern die unterhaltsberechtigte Person zum Zeitpunkt der Beurkundung das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet hat. § 60 SGB VIII bestimmt, dass aus Urkunden, die eine Verpflichtung nach § 59 Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB VIII zum Gegenstand haben, die Zwangsvollstreckung stattfindet, wenn die Erklärung die Zahlung einer bestimmten Geldsumme betrifft und der Schuldner sich in der Urkunde der sofortigen Zwangsvollstreckung unterworfen hat (Satz 1). Auf die Zwangsvollstreckung sind die Vorschriften, die für die Zwangsvollstreckung aus gerichtlichen Urkunden nach § 794 Abs 1 Nr 5 ZPO gelten, grundsätzlich anwendbar (§ 60 Satz 3 SGB VII). Entsprechend diesen gesetzlichen Regelungen geht die zivilgerichtliche Rechtsprechung davon aus, dass Jugendamtsurkunden - unabhängig von der Frage, ob ihnen eine von den Parteien getroffene Unterhaltsvereinbarung oder ein einseitig verpflichtendes Schuldversprechen des Unterhaltsschuldners zugrunde liegt - Unterhaltstitel sind, die (ggf nur bei Änderung der tatsächlichen Grundlagen des abzuändernden Titels, vgl hierzu Harms in JurisPR-FamR 12/2008 Anm 2) im Wege einer Abänderungsklage nach § 323 Abs 4 ZPO verändert werden können ( - NJW 2003, 3770; - FamRZ 2003, 304 ff; IVb ZR 21/83 - FamRZ 1984, 997 ff).

15c) aa) Der hier in der Unterhaltsurkunde vom für die Zeit ab vereinbarte Unterhalt in Höhe von 245 Euro dient der Erfüllung gesetzlicher Unterhaltsverpflichtungen iS des § 11 Abs 2 Satz 1 Nr 7 SGB II, weil der Kläger seinem Sohn gegenüber nach den Regelungen des Verwandtenunterhalts nach den §§ 1601 ff BGB zum Unterhalt verpflichtet ist. Insofern bringt die Verknüpfung der in einem Unterhaltstitel fixierten Unterhaltsbeträge mit dem Erfordernis der "gesetzlichen Unterhaltsverpflichtungen" in § 7 Abs 2 Satz 1 Nr 7 SGB II zum Ausdruck, dass jedenfalls "freiwillige Unterhaltszahlungen" ohne Titulierung ( B 7b AS 2/06 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 4 RdNr 21) und titulierte Unterhaltszahlungen, die nicht auf einer gesetzlichen Verpflichtung beruhen, nicht als Absetzbeträge vom Einkommen berücksichtigt werden können (vgl B 14/7b AS 10/07 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 18 RdNr 25).

16bb) Die grundsätzliche Anknüpfung der Höhe des abzusetzenden Unterhaltsbetrags an den titulierten Unterhaltsanspruch folgt aus dem Wortlaut des § 11 Abs 2 Satz 1 Nr 7 SGB II. Indem der Gesetzgeber des SGB II für die Höhe des vom Einkommen abzusetzenden Unterhaltsbetrags an den in einem Unterhaltstitel festgesetzten Unterhaltsanspruch als Obergrenze für die Berücksichtigung der Unterhaltszahlungen als Abzugsbetrag anknüpft, unterstellt er im Sinne einer verwaltungspraktischen Anwendbarkeit der SGB II-Vorschriften zur Einkommensberücksichtigung typisierend, dass ein nach Maßgabe der §§ 1601 ff BGB gegebener Unterhaltsanspruch auch in der festgelegten Höhe besteht. Es bedarf daher regelmäßig keiner eigenen Feststellungen des Trägers der Grundsicherung für Arbeitsuchende oder der Sozialgerichte zur Höhe des Unterhaltsanspruchs.

17Diese nach der gesetzgeberischen Konzeption des § 11 Abs 2 Satz 1 Nr 7 SGB II vorgesehene Anknüpfung an einen Unterhaltstitel für die Ermittlung der vom Einkommen absetzbaren Unterhaltszahlungen entspricht der Rechtsprechung des BSG zur Abzweigung nach § 48 SGB I. Nach § 48 Abs 1 Satz 1 SGB I können laufende Geldleistungen, die der Sicherung des Lebensunterhalts zu dienen bestimmt sind, in angemessener Höhe an den Ehegatten oder die Kinder des Leistungsberechtigten ausgezahlt werden, wenn er ihnen gegenüber seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht nachkommt. Konkrete Feststellungen der Sozialleistungsträger bzw der Gerichte zur Unterhaltspflicht, insbesondere zur Leistungsfähigkeit des Hilfebedürftigen, erfolgen nur dann, wenn keine gerichtliche Entscheidung oder verbindliche Vereinbarung über den zu leistenden Unterhalt vorliegt ( - SozR 4-1200 § 48 Nr 3, RdNr 15; BSGE 93, 203 = SozR 4-1200 § 48 Nr 1, jeweils RdNr 17; - BSGE 104, 65 ff = SozR 4-1200 § 48 Nr 4, jeweils RdNr 14). Dagegen bestimmt und begrenzt ein rechtskräftiger Unterhaltstitel gleichzeitig die gesetzliche Unterhaltspflicht iS des § 48 SGB I ( - BSGE 93, 203 = SozR 4-1200 § 48 Nr 1, jeweils RdNr 16; SozR 1200 § 48 Nr 3;).

18Die Anknüpfung an den titulierten Anspruch gilt auch für durch Jugendamtsurkunden titulierte Unterhaltsansprüche. Zwar ist - anders als bei Titulierung eines Unterhaltstitels durch ein Urteil - bei Aufnahme einer Unterhaltsverpflichtung in einer Urkunde des Jugendamtes eher denkbar, dass Unterhaltspflichten als verbindlich fixiert werden, ohne dass deren genaue Höhe im konkreten Einzelfall gerichtlich abschließend geklärt und festgelegt worden ist (vgl II-13 UF 2/09, 13 UF 2/09 - NJW 2009, 3446 ff). Dies hat der Gesetzgeber mit dem Bezug auf einen vorliegenden Unterhaltstitel und Verweis auf die kostenfreie Titulierung von Unterhaltspflichten durch die Inanspruchnahme von Jugendämtern jedoch ausdrücklich in Kauf genommen (vgl BT-Drucks 16/1410 S 20). Hierbei dürfte auch zu berücksichtigen sein, dass nur von dem Jugendamt konkret nach § 59 Abs 3 SGB VIII ermächtigte Mitarbeiter zur Beurkundung von Unterhaltsverpflichtungen nach § 59 Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB II berechtigt sind. Diese Befugnis kann nur Beamten oder Angestellten übertragen sein, die wegen ihrer Kenntnisse des deutschen und ausländischen Familienrechts (Greßmann in Hauck/Noftz, SGB VIII, § 59 RdNr 44 f, Stand September 2009) dafür geeignet sind (§ 59 Abs 3 SGB VIII).

19cc) Es ist hier nicht zu entscheiden, ob von dieser grundsätzlichen Anknüpfung an den Inhalt eines Unterhaltstitels eine Ausnahme zu machen ist, wenn der titulierte Unterhalt offenbar dem Grunde oder seiner Höhe nach nicht der Erfüllung einer gesetzlichen Unterhaltspflicht dienen kann. Im zu entscheidenden Fall liegen hierfür keine Anhaltspunkte vor. Der Kläger hat seinem minderjährigen Sohn gegenüber eine gesteigerte Unterhaltspflicht nach § 1603 Abs 2 BGB. Diese führt dazu, dass auch an seine Erwerbsobliegenheit besonders strenge Anforderungen zu stellen sind und der Verstoß gegen diese Obliegenheiten familienrechtlich zur Annahme einer unterhaltsrechtlichen Leistungsfähigkeit durch Anrechnung fiktiver Einkünfte führen kann (vgl zB - FamRZ 2008, 594; vgl zur Aufrechterhaltung einer nur auf der Grundlage der Zurechnung eines fiktiven Erwerbseinkommens angenommenen Leistungsfähigkeit: - FamRZ 2008, 872). Auch die Höhe des von dem Kläger mit der Unterhaltsurkunde des Jugendamtes des Landkreises B vom anerkannten Unterhaltsbetrags weicht nicht offenbar von gesetzlichen Vorgaben ab. Der festgesetzte Betrag entspricht seiner Höhe nach dem untersten Betrag der - nach Praxis der Familiengerichte (vgl Wendl/Staudigl, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 7. Aufl 2008, § 2 RdNr 122, 195, 205) - heranzuziehenden Düsseldorfer Tabelle (Stand ) sowie dem Regelbetrag nach der bis geltenden Regelbetrag-Verordnung auf der Grundlage des § 1612a BGB aF in der Altersstufe des Sohnes des Klägers (ab in Höhe von 245 Euro). Der in der Urkunde des Jugendamtes fixierte Betrag liegt damit unterhalb des ab geltenden Mindestunterhalts nach § 1612a BGB iVm § 36 Nr 4 Buchst b EGZPO für minderjährige Kinder in Höhe von 322 Euro.

20d) Der Abzug der in der Urkunde des Jugendamts vom titulierten Unterhaltsbeträge erfolgt unabhängig von ihrer konkreten Pfändbarkeit. Der Wortlaut des § 11 Abs 2 Satz 1 Nr 7 SGB II sowie auch dessen Entstehungsgeschichte gibt für die zusätzliche Berücksichtigung der Pfändbarkeit des Unterhaltsanspruchs im Sinne eines weiteren "hinzuzudenkenden Tatbestandsmerkmals" keine Anhaltspunkte. § 11 Abs 2 Satz 1 Nr 7 SGB II fordert nach seinem Wortlaut allein die Titulierung von Unterhaltsansprüchen. Die (nur) titulierten Unterhaltsansprüche werden bereits gepfändeten Aufwendungen zur Erfüllung von Unterhaltspflichten, die von vorneherein nicht als verfügbares Einkommen zu berücksichtigen sind (Brühl in LPK-SGB II, 3. Aufl 2009, § 11 RdNr 55), gleichgestellt (Hohm/Klaus in GK-SGB II, § 11 RdNr 325, Stand Oktober 2008). Insofern ergibt sich aus der gesetzgeberischen Konzeption des § 11 Abs 2 Satz 1 Nr 7 SGB II, dass hinsichtlich der durch einen Unterhaltstitel festgelegten gesetzlichen Unterhaltsverpflichtungen davon auszugehen ist, dass diese Beträge - tatsächliche Unterhaltszahlungen vorausgesetzt (vgl zu diesem Erfordernis - SozR 4-4200 § 11 Nr 16 RdNr 24) - insoweit als gebundene Teile des Einkommens auch unabhängig von ihrer Pfändbarkeit angesehen werden sollen.

21In der ursprünglichen Fassung des § 11 Abs 2 SGB II bei Inkrafttreten des SGB II zum hatte der Gesetzgeber zunächst keine Regelungen zur einkommensmindernden Berücksichtigung von tatsächlichen Unterhaltszahlungen an Dritte aufgenommen. Ausweislich der Gesetzesmaterialien wollte er sich bei der Schaffung der Vorschriften des SGB II zur Einkommensberücksichtigung an den bislang im Sozialhilferecht geltenden Regelungen orientieren (vgl BT-Drucks 15/1516 S 53 zu § 11). Unter Geltung des § 76 Abs 2, Abs 2a BSHG war in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung anerkannt, dass "bloß" titulierte Unterhaltsverpflichtungen nicht abgesetzt werden konnten. Lediglich bereits zu Gunsten eines Unterhaltsanspruchs gepfändetes Einkommen wurde als nicht "bereites Mittel" angesehen. Die Privilegierung des gepfändeten Einkommens wurde zudem daran geknüpft, dass eine Abwehr der Pfändung aus Rechtsgründen überhaupt nicht oder allenfalls im Wege eines langwierigen Rechtsmittelverfahrens möglich war ( V C 35.77 - BVerwGE 55, 148 ff, 151 f; - NDV 1994, 41 f; Hessischer - FEVS 35, 447; - info also 2002, 129). Gleichfalls wies das BVerwG darauf hin, dass ein Unterschied abhängig davon bestehen könne, ob der Unterhaltspflichtige die Mittel (das anrechenbare Einkommen) von Anfang an ungeschmälert in der Hand gehabt habe und vor der Frage stehe, sich in Erfüllung seiner Unterhaltspflicht durch Leistung des Unterhalts hilfebedürftig zu machen oder ob er das anrechenbare Einkommen infolge einer Pfändung ungemindert in die Hand bekomme (BVerwGE 55, 148, 153).

22Vor dem Hintergrund der im SGB II neu geschaffenen Bedarfsgemeinschaft ist die Absetzbarkeit von Unterhaltsansprüchen vom Einkommen nach Inkrafttreten des SGB II am von der sozialgerichtlichen Rechtsprechung zunächst unterschiedlich bewertet worden (vgl zB AS ER, RdNr 3 gegen die Berücksichtigung von "nur" titulierten Unterhaltsansprüchen; aA AS ER). Im politischen Raum wurde thematisiert, ob nicht eine dem Kindeswohl unzuträgliche Belastung zwischen den Eltern eines Kindes aus einer vorangegangenen Partnerschaft aber auch dem unterhaltspflichtigen Elternteil und dem nicht in der Bedarfsgemeinschaft lebenden Kind dadurch eintreten könne, dass dem Unterhalt für ein Kind aus einer vorherigen Partnerschaft eine untergeordnete Priorität im Vergleich zu dem "tatsächlichen Unterhalt" durch die Bedarfsgemeinschaft eingeräumt werde (BT-Drucks 15/3694 S 19 f). Im Anschluss hat der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom (BGBl I 1706) mit Wirkung zum die jetzige Regelung des § 11 Abs 2 Satz 1 Nr 7 SGB II in das Gesetz aufgenommen. Wie sich der Gesetzesbegründung entnehmen lässt, sollen auch nicht gepfändete Ansprüche, "die aber wegen eines titulierten Unterhaltsanspruchs jederzeit gepfändet werden können" (vgl BT-Drucks 16/1410 S 20) das Erwerbseinkommen mindern. Eine zeitbezogene Differenzierung der Absetzbarkeit von Unterhaltsansprüchen im Hinblick auf den Zeitpunkt des Eintritts der Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II hat der Gesetzgeber trotz der bekannten Rechtsprechung des BVerwG nicht in die Vorschrift aufgenommen. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass er mit § 11 Abs 2 Satz 1 Nr 7 SGB II jedenfalls auch den Vorrang von nur titulierten gesetzlichen Unterhaltsverpflichtungen gerade gegenüber leiblichen minderjährigen Kindern außerhalb einer Bedarfsgemeinschaft gegenüber dem Einsatz des Einkommens in einer Bedarfsgemeinschaft sicherstellen wollte (vgl auch - BSGE 102, 76 ff = SozR 4-4200 § 9 Nr 7, jeweils RdNr 42).

23e) Entgegen der Auffassung der Beklagten lässt sich ein Außerbetrachtlassen der Unterhaltsverpflichtung des Klägers auch nicht aus seiner Pflicht zur Eigenaktivität nach § 2 SGB II bzw dem Subsidiaritätsgrundsatz des § 3 Abs 3 SGB II ableiten. Nach § 2 Abs 1 Satz 1 SGB II haben Hilfebedürftige in eigener Verantwortung alle Möglichkeiten zu nutzen, ihren Lebensunterhalt aus eigenen Kräften und Mitteln zu bestreiten. Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts dürfen nach § 3 Abs 3 SGB II nur erbracht werden, soweit die Hilfebedürftigkeit nicht anderweitig beseitigt werden kann. Es kann hier dahingestellt bleiben, ob und ggf inwieweit diesen Normen eine von den weiteren Vorschriften des SGB II unabhängige Sanktions- bzw Kürzungsmöglichkeit entnommen werden kann, weil § 11 Abs 2 Satz 1 Nr 7 SGB II die von dem Kläger gewählte Gestaltungsform ausdrücklich zulässt.

24Zwar kann § 11 Abs 2 Satz 1 Nr 7 SGB II - wie vorliegend der Fall - bewirken, dass ein nur auf der Grundlage einer familienrechtlichen Zurechnung eines fiktiven Erwerbseinkommens bestehender titulierter Unterhaltsanspruch durch dessen Absetzbarkeit vom Einkommen zu höheren SGB II-Leistungen für den Hilfebedürftigen und die Mitglieder seiner Bedarfsgemeinschaft (vgl § 9 Abs 2 Satz 1 und 2 SGB II) führt, wenn die Anforderungen des Trägers der Grundsicherung für Arbeitsuchende an die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit geringer sind als die familienrechtlichen Anforderungen an eine Erwerbsobliegenheit bei gesteigerter Unterhaltspflicht gegenüber minderjährigen Kindern nach § 1603 Abs 2 BGB (vgl zum Umfang der Erwerbsobliegenheiten zB - FamRZ 2009, 314 ff). Dies wird jedoch mit einer allein auf die Titulierung abstellenden typisierenden Regelung in Kauf genommen. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass mit dem Erfordernis der Titulierung durch fachkundige familienrechtliche Stellen regelmäßig die Beachtung unterhaltsrechtlicher Grundsätze, nach denen dem Unterhaltspflichtigen jedenfalls der Betrag verbleiben muss, der seinen eigenen Lebensbedarf nach sozialhilfe- bzw grundsicherungsrechtlichen Grundsätzen sicherstellt ( - FamRZ 2008, 594; - BGHZ 166, 351, 356 = FamRZ 2006, 683, 684; BVerfG FamRZ 2001, 1685 f), angenommen werden kann.

256. Da unter Berücksichtigung der Absetzbeträge und der Unterhaltszahlungen kein anrechenbares Einkommen verbleibt, ist die Revision der Beklagten auch zurückzuweisen, soweit sie sich dagegen wehrt, dass die Vorinstanzen dem Kläger bei einem weiterhin in gleicher Höhe bestehenden Bedarf für den Bewilligungszeitraum vom 1.4. bis Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in voller Höhe zugesprochen haben.

26Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2010:091110UB4AS7810R0

Fundstelle(n):
QAAAD-75662