BFH Urteil v. - X R 43/05

Keine Verfassungswidrigkeit von EStG-Normen: Kostenpauschale für Abgeordnete; keine Verpflichtung zur Nachbesserung des Sonderausgabenabzugs; Besteuerung der Einkünfte aus Kapitalvermögen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG

Leitsatz

1. Die Kostenpauschale für Abgeordnete kann nicht auf andere Steuerpflichtige übertragen werden.
2. Der Gesetzgeber ist für Veranlagungszeiträume vor 2005 zu einer "Nachbesserung" des die Altersvorsorge betreffenden Sonderausgabenabzugs nicht verpflichtet. Das BVerfG hat zwar in Bezug auf die Abziehbarkeit von Krankenversicherungsbeiträgen mit Beschluss v. - 2 BvL 1/06 entschieden, dass § 10 Abs. 3 EStG eine hinreichende steuerliche Entlastung nicht gewährleiste; das BVerfG hat aber zugleich die bis zum befristete Fortgeltung der angegriffenen Normen angeordnet.
3. Die Besteuerung der Einkünfte aus Kapitalvermögen im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG ist auch in den Veranlagungszeiträumen seit 1994 nicht verfassungswidrig.
4. § 1 Abs. 2 StraBEG setzt auf seiner Tatbestandsseite voraus, dass einkommensteuerpflichtige Einnahmen auf Grund unrichtiger, unvollständiger oder unterlassener Angaben zu Unrecht bei der Festsetzung der Einkommensteuer der Veranlagungszeiträume 1993 bis 2002 nicht einbezogen worden sind.

Gesetze: EStG § 3 Nr. 12, EStG § 10 Abs. 3, EStG § 20 Abs. 1 Nr. 7

Instanzenzug: ,

Gründe

1I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die für das Streitjahr 2000 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. In dem entsprechenden Einkommensteuerbescheid berücksichtigte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) verschiedene Aufwendungen nicht als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit bzw. bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung. In ihrem nach erfolglosem Vorverfahren vor dem Finanzgericht (FG) geführten Rechtsstreit machten die Kläger unter anderem geltend, ein Drittel ihrer Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit sei entsprechend der Regelung über die für Bundestagsabgeordnete geltende Kostenpauschale steuerfrei zu lassen. Alternativ seien entsprechend in § 1 Abs. 2 des Strafbefreiungserklärungsgesetzes (StraBEG) 40 % ihrer einkommensteuerpflichtigen Einnahmen unberücksichtigt zu lassen. Ferner seien die Beiträge für die Altersversorgung in voller Höhe als Werbungskosten anzuerkennen. Das FG wies die Klage ab.

2Mit ihrer Revision machen die Kläger geltend, das angefochtene Urteil sei aufzuheben. Zur Begründung der Revision tragen sie vor, der Rechtsstreit betreffe die Anerkennung von pauschalen Werbungskosten im Zusammenhang mit den Berufseinnahmen der Kläger und die unbeschränkte Berücksichtigung von Krankenversicherungsbeiträgen und Altersvorsorgeaufwendungen. Der Sachverhalt ergebe sich aus der angefochtenen Entscheidung ab Seite 7 ff. Abschnitt B und C. Darauf werde zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen. Die von den Klägern begehrten Kostenpauschalen in Höhe von 33,33 % („adäquat Bundestagsabgeordnete”) wie auch in Höhe von 40 % („analog StraBEG”) seien ebenso wie die offenbar verfassungswidrige Beschränkung des Sonderausgabenabzugs von Krankenversicherungsbeiträgen und Beiträgen zur Altersversorgung Gegenstand obergerichtlicher Entscheidungen.

3Die Kläger beantragen sinngemäß,

das Urteil der Vorinstanz und die Einspruchsentscheidung des FA vom aufzuheben sowie den angefochtenen Einkommensteuerbescheid 2000 (zuletzt) vom in der Weise abzuändern, dass die Einkommensteuer 2000 auf 50 930 DM (26 040 €) herabgesetzt wird.

4Das FA beantragt sinngemäß,

die Revision zu verwerfen.

5Der Senat hat mit Beschluss vom X R 43/05 das Ruhen des Verfahrens angeordnet, bis die von den Klägern in ihrem Schriftsatz vom genannten beim Bundesfinanzhof (BFH) anhängigen Verfahren VI R 63/04, X R 20/04 (vgl. hierzu Vorlagebeschluss des erkennenden Senats an das Bundesverfassungsgericht —BVerfG— vom , BFHE 211, 350, BStBl II 2006, 312) und die beim BVerfG anhängigen Verfahren 2 BvR 2299/04 und 2 BvL 14/05 abgeschlossen seien.

6II. 1. Die Gründe für das Ruhen sind entfallen, so dass das Verfahren fortgesetzt werden kann.

7a) Mit Urteil vom VI R 63/04 (BFH/NV 2008, 2018) hat der BFH entschieden, dass die Kostenpauschale für Abgeordnete nicht auf andere Steuerpflichtige übertragen werden könne. Die Verfassungsbeschwerde gegen diese Entscheidung ist nicht zur Entscheidung angenommen worden (, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung —HFR— 2010, 1108).

8b) Das (BVerfGE 120, 125) entschieden, dass § 10 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) eine hinreichende steuerliche Entlastung nicht gewährleiste (dort unter D.IV.2.c der Gründe); das BVerfG hat aber unter E.II. der Gründe die bis zum befristete Fortgeltung der angegriffenen Normen angeordnet, so dass im Streitjahr 1997 kein weiterer Abzug von Vorsorgeaufwendungen in Betracht komme. Der erkennende Senat ist dieser Beurteilung im Beschluss vom X R 20/04 (BFH/NV 2009, 382) gefolgt; die Verfassungsbeschwerde gegen diesen Beschluss wurde nicht zur Entscheidung angenommen (, nicht veröffentlicht).

9c) Mit Beschluss vom 2 BvL 14/05 (HFR 2008, 756) hat das BVerfG die Vorlage des FG Köln gegen die Besteuerung der Kapitaleinkünfte in den Jahren 2000 bis 2002 als unzulässig verworfen. Ebenso hat das BVerfG die Verfassungsbeschwerde 2 BvR 2299/04 durch Beschluss vom verworfen; eine erneute Vorlage an das BVerfG zur Verfassungsmäßigkeit des Abzugs von Vorsorgeaufwendungen vor 2005 sei nicht zulässig.

102. Das angefochtene Urteil ist bereits aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben, da der Einkommensteuerbescheid 2000 mit Bescheid vom während des Revisionsverfahrens geändert wurde. Gemäß § 68 Satz 1 FGO wird, wenn der angefochtene Verwaltungsakt nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung geändert oder ersetzt wird, der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens. Damit liegt dem FG-Urteil ein nicht mehr existierender Bescheid zu Grunde mit der Folge, dass auch das FG-Urteil insoweit keinen Bestand haben kann (siehe dazu , BFHE 201, 269, BStBl II 2004, 43). Das finanzgerichtliche Verfahren leidet nicht an einem Verfahrensmangel, so dass die vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen durch die Aufhebung des Urteils nicht weggefallen sind; sie bilden daher nach wie vor die Grundlage für die Entscheidung des Senats (BFH-Urteil in BFHE 201, 269, BStBl II 2004, 43). Da sich durch den Steuerbescheid 2000 vom der bisherige Streitstoff nicht verändert hat und weil keine weiteren tatsächlichen Feststellungen notwendig sind (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 127 Rz 2 f.), bedarf es keiner Zurückverweisung der Sache an das FG gemäß § 127 FGO. Der Senat entscheidet in der Sache selbst.

113. Die Klage, die sich nunmehr gegen den im Laufe des Revisionsverfahrens ergangenen geänderten Bescheid richtet, wird als unbegründet abgewiesen.

12a) Die Beschränkung des Sonderausgabenabzugs können die Kläger nicht mit Erfolg geltend machen.

13Nach der Rechtsprechung sowohl des BVerfG und als auch des BFH (vgl. u.a. , 2 BvR 410/05, BVerfGE 120, 169, unter B.I.1.c; , BFHE 216, 47, BStBl II 2007, 574 —dazu —; vom X R 72/01, BFH/NV 2005, 513; BFH-Bescheidungen vom III R 55/03, BFHE 206, 260, BStBl II 2006, 291; vom IV B 185/02, BFH/NV 2004, 1245 —dazu BVerfG-Beschluss in BVerfGE 120, 169—; vom IV B 2/05, BFH/NV 2006, 1283) kommt eine verfassungsrechtliche Überprüfung der steuerlichen Behandlung der Altersvorsorgebeiträge nicht mehr im Betracht. Der Gesetzgeber ist für Veranlagungszeiträume vor 2005 zu einer „Nachbesserung” des die Altersvorsorge betreffenden Sonderausgabenabzugs nicht verpflichtet. Das BVerfG hat zwar in Bezug auf die Abziehbarkeit von Krankenversicherungsbeiträgen mit Beschluss in BVerfGE 120, 125 entschieden, dass § 10 Abs. 3 EStG eine hinreichende steuerliche Entlastung nicht gewährleiste; das BVerfG hat aber zugleich die bis zum befristete Fortgeltung der angegriffenen Normen angeordnet, so dass auch im Streitjahr 2000 kein weiterer Abzug von Vorsorgeaufwendungen in Betracht kommt.

14b) Ebenso scheidet ein Abzug von Rentenversicherungsbeiträgen als vorweggenommene Werbungskosten aus. Mit Urteil vom X R 45/07 (BFH/NV 2010, 421) hat der erkennende Senat entschieden, dass die gesetzliche Zuweisung der Altersvorsorgeaufwendungen zu den Sonderausgaben in § 10 EStG verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei, obwohl die Altersvorsorgeaufwendungen ihrer Rechtsnatur nach in erster Linie vorweggenommene Werbungskosten bei den sonstigen Einkünften i.S. des § 22 EStG seien.

15c) Auch können die Kläger nicht die sog. Kostenpauschale für Abgeordnete in Anspruch nehmen. Mit Urteil in BFH/NV 2008, 2018 hat der BFH entschieden, dass die Kostenpauschale für Abgeordnete nicht auf andere Steuerpflichtige übertragen werden könne. Die Verfassungsbeschwerde gegen diese Entscheidung ist nicht zur Entscheidung angenommen worden (BVerfG-Beschluss in HFR 2010, 1108). Der Tatbestand des § 3 Nr. 12 EStG ist daher im Falle der Kläger nicht anwendbar.

16d) Mit Beschluss in HFR 2008, 756 hat das BVerfG die Vorlage des 10 K 1880/05 (Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst 2005, 1398) mit der u.a. gerügt worden war, dass steuerehrlichen Steuerpflichtigen gleichheitswidrig die Begünstigungen des StraBEG vorenthalten worden seien, für unzulässig erklärt.

17In dem Urteil vom VIII R 90/04 (BFHE 211, 183, BStBl II 2006, 61) hat der VIII. Senat des BFH die Besteuerung der Einkünfte aus Kapitalvermögen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG auch in den Veranlagungszeiträumen seit 1994 für nicht verfassungswidrig gehalten. In diesem Urteil hat der BFH an seiner bisherigen Rechtsprechung und den darin dargestellten verfassungsrechtlichen Maßstäben ausdrücklich festgehalten. Das BVerfG hat in der Entscheidung in HFR 2008, 756 mehrfach auf dieses Urteil Bezug genommen; ebenso hat der BFH unter mehrfacher Bezugnahme auf dieses Urteil seine Rechtsprechung in der Folgezeit in mehreren Beschlüssen (z.B. vom VIII B 170/06, BFH/NV 2008, 580) fortgeführt und inhaltlich bestätigt.

18Entgegen der Auffassung der Kläger sind daher —in Übereinstimmung mit der Rechtsauffassung des FG— nicht 40 % ihrer Einnahmen nach § 1 Abs. 2 StraBEG als steuerfrei zu behandeln. § 1 Abs. 2 StraBEG setzt auf seiner Tatbestandsseite voraus, dass einkommensteuerpflichtige Einnahmen auf Grund unrichtiger, unvollständiger oder unterlassener Angaben zu Unrecht bei der Festsetzung der Einkommensteuer der Veranlagungszeiträume 1993 bis 2002 nicht einbezogen worden sind. Die Einnahmen der Kläger sind bei der Einkommensteuerveranlagung 2000 jedoch vollständig erfasst worden, so dass § 1 Abs. 2 StraBEG nicht zum Zuge kommt (vgl. dazu , Der Betrieb 2010, 2427).

194. Auch im Übrigen ist der Sache nach die Entscheidung des FG nicht zu beanstanden. Die Saldierung geltend gemachter Werbungskosten und weiterer Kosten durch das FG haben die Kläger nicht angegriffen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
BFH/NV 2011 S. 772 Nr. 5
DB 2011 S. 623 Nr. 11
EAAAD-62777