Leitsatz
Leitsatz:
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Instanzenzug: LG Frankfurt/Oder vom
Tenor
Das Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom wird mit den Feststellungen aufgehoben, und zwar auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin J. D., soweit der Angeklagte freigesprochen worden ist, auf die Revision des Angeklagten, soweit er verurteilt worden ist.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Jugendschutzkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
- Von Rechts wegen -
G r ü n d e
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes, betreffend die Nebenklägerin V. T. (Einsatzstrafe von drei Jahren Freiheitsstrafe), und zweier Fälle des sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen, betreffend die Nebenklägerinnen Je. und Ja. D. (Einzelfreiheitsstrafen von jeweils einem Jahr), zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Vom Anklagevorwurf zweier weiterer Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes, betreffend die Nebenklägerin J. D. , hat das Landgericht den Angeklagten freigesprochen. Die jeweils auf die Freisprüche beschränkten, vom Generalbundesanwalt vertretenen Revisionen der Staatsanwaltschaft und der letztgenannten Nebenklägerin haben ebenso mit der Sachrüge umfassend Erfolg wie die Revision des Angeklagten hinsichtlich seiner Verurteilung.
1. Die Freisprüche des Angeklagten halten sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand.
a) Der weder eingestellte noch abgetrennte Vorwurf des schweren sexuellen Missbrauchs zum Nachteil seiner 9-jährigen Tochter J. durch Oralverkehr und Beischlaf an einem Tag zwischen dem 10. April und dem (Fall 1 der Anklage) wird in den Urteilsgründen überhaupt nicht abgehandelt, so dass der Freispruch mangels nachprüfbarer Begründung durch das Revisionsgericht keinen Bestand haben kann.
b) Nichts anderes gilt im Ergebnis, soweit das Landgericht den entsprechenden Vorwurf des Einführens eines Fingers in die Scheide seiner Tochter J. am späten Abend des (Fall 3 der Anklage) aus tatsächlichen Gründen nach der Zeugnisverweigerung dieser Nebenklägerin in der Hauptverhandlung für nicht erwiesen erachtet hat. Hier fehlt jede Erörterung der von der Nebenklägerin V. T. geschilderten Beobachtung sexueller Handlungen an J. (UA S. 9). Die damals 11-jährige V. übernachtete nach den Urteilsfeststellungen in der Tatnacht neben ihrer Freundin J. auf derselben Couch, der Angeklagte legte sich zwischen die Mädchen, wandte sich zunächst J. zu und missbrauchte unmittelbar anschließend V. durch Lecken an ihrer Scheide, Einführen eines Fingers und anschließenden Beischlaf (Fall 4 der Anklage). Nachdem deswegen aufgrund der als glaubhaft erachteten Zeugenaussage der Nebenklägerin V. T. gegen den in der Hauptverhandlung pauschal bestreitenden Angeklagten der Schuldspruch nach § 176a StGB ergangen ist, bleibt ohne Auswertung der von derselben Zeugin bekundeten unmittelbar zuvor erfolgten Beobachtung der Tat zum Nachteil J. s der Freispruch wegen dieses Geschehens ebenfalls unzulänglich begründet.
2. Auch die Schuldsprüche haben aus sachlichrechtlichen Gründen keinen Bestand.
a) Dies muss für den Schuldspruch nach § 176a StGB wegen der Tat zum Nachteil von V. T. schon deshalb gelten, weil die Annahme des Landgerichts von der Zuverlässigkeit ihrer Zeugenaussage unvollständig begründet bleibt, wenn es der von derselben Zeugin nach den Urteilsgründen klar und eindeutig geschilderten Beobachtung eines unmittelbar zuvor begangenen Missbrauchs zum Nachteil J. s nicht folgt. Hierin liegt ein mangels jeglicher Begründung unauflösbarer Widerspruch.
b) Abgesehen von dem engen zeitlichen und situativen Zusammenhang zwischen sämtlichen angeklagten Taten, der schon für sich eine Aufhebung auch der Schuldsprüche nach § 176 StGB - jeweils wegen Leckens an der Scheide der 7-jährigen Tochter Ja. am (Fall 2 der Anklage) und der 8-jährigen Tochter Je. am (Fall 5 der Anklage) - nahelegt, erweist sich insoweit zudem die Beweisdecke nach der Zeugnisverweigerung auch dieser Nebenklägerinnen und dem pauschalen Bestreiten des Angeklagten vor dem Hintergrund der sonstigen Urteilslücken als nicht ganz ausreichend (vgl. im Einzelnen UA S. 23 f.).
3. Bei dieser Sachlage bedarf die Frage keiner abschließenden Klärung, ob die Verfahrensrüge nach § 338 Nr. 5 StPO i.V.m. § 247 StPO wegen fortdauernder Abwesenheit des Angeklagten während der Entlassung der in seiner Abwesenheit zeugenschaftlich vernommenen Nebenklägerin V. T. im Anschluss an den Beschluss des Großen Senats für Strafsachen des (NJW 2010, 2450, zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt) Erfolg haben müsste. Nach der von der Revision mitgeteilten - aus dem Protokoll nicht hinreichend deutlich ersichtlichen - Videoübertragung der Vernehmung an den aus dem Sitzungssaal entfernten Angeklagten (vgl. dazu , BGHSt 51, 180; Beschluss vom - 5 StR 437/01, BGHR StPO § 247 Abwesenheit 25; Urteil vom - 4 StR 46/01, StV 2002, 10; aber auch Beschluss vom - 3 StR 269/05, BGHR StPO § 247 Abwesenheit 29; ferner Graf/Berg, StPO, § 247 Rn. 16; Becker in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 247 Rn. 48; jeweils mwN) könnte dessen Verzicht auf eine Befragung der Zeugin eine Heilung des Verstoßes (, NJW 2010, 2450 Rn. 25) begründen, wenngleich er vor der Unterrichtung nach § 247 Satz 4 StPO erklärt wurde.
Das neue Tatgericht wird zu beachten haben, dass die Urteilswendung zu fehlenden Anhaltspunkten für eine erhebliche Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten (UA S. 7) bei den Hinweisen auf dessen Trunkenheit in der Zeugenaussage der Nebenklägerin V. T. (UA S. 9) und im Entschuldigungsschreiben des Angeklagten (UA S. 23) durchgreifend bedenklich ist.
Die Sachbehandlung durch das Landgericht gibt dem Senat Anlass für den nachdrücklichen Hinweis, dass gerade in Jugendschutzsachen Nachlässigkeiten bei der Verfahrensgestaltung nach § 247 StPO und bei deren Protokollierung wie bei der Urteilsfassung unbedingt zu vermeiden sind. Sie können allein zur Ursache von Neuverhandlungen werden, die regelmäßig mit einer besonderen Belastung kindlicher Zeugen einhergehen.
Möglicherweise wird sich eine solche hier verringern lassen, wenn der Angeklagte eingedenk der - im angefochtenen Urteil naheliegend nur unzulänglich ausgewerteten - Beweislage sein bisheriges Einlassungsverhalten überdenkt und dies zur Vermeidung die Nebenklägerinnen belastender Zeugenvernehmungen rechtzeitig vor der erneuten Hauptverhandlung signalisiert. Andernfalls wird das Prozessverhalten der Töchter des Angeklagten im Rahmen der Nebenklage zu überdenken sein; es erscheint wenig konsequent, wenn sie einerseits - wie auch die erfolgreiche Nebenklagerevision erweist - eine Verurteilung des Angeklagten anstreben, andererseits das Zeugnis verweigern und sich lediglich mit der beweismäßig von vornherein deutlich schwächeren Verwertung früherer Angaben einverstanden erklären, die zwar den Grundsätzen von , BGHSt 45, 203, entspricht, indes nicht einmal unumstritten ist (vgl. Sander/Cirener in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 252 Rn. 22 f. mwN; Basdorf in NJW-Festheft Tepperwien, 2010, S. 5).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
YAAAD-61648