BGH Beschluss v. - IX ZB 120/10

Leitsatz

Kündigt der Insolvenzverwalter/Treuhänder die Mitgliedschaft des Schuldners in einer Wohnungsgenossenschaft, um damit das der Masse gebührende Auseinandersetzungsguthaben zu realisieren, hat der Schuldner keinen Anspruch auf Auskehrung des Teils des Guthabens, den er als Kaution für die von ihm bewohnte Wohnung benötigt .

Gesetze: § 35 InsO, § 36 InsO, § 765a ZPO

Instanzenzug: LG Dresden Az: 5 T 1045/09 Beschlussvorgehend AG Dresden Az: 561 IK 1485/09 Beschluss

Gründe

I.

1Der Beschwerdeführer wurde vom Amtsgericht Dresden durch Beschluss vom zum Treuhänder über das Vermögen der Schuldnerin bestellt. Am kündigte er deren Genossenschaftsanteile bei der Wohnungsgenossenschaft G. e.G. Diese kündigte daraufhin die von der Schuldnerin genutzte Wohnung und bot ihr an, einen Mietvertrag abzuschließen und die Wohnung gegen Leistung einer Mietkaution von 585 € zu behalten. Die Mietsicherheit finanzierte die Schuldnerin durch ein Darlehn der A. D., die dafür monatlich 25 € von der der Schuldnerin gewährten Hilfe zum Lebensunterhalt einbehält. Am hat die Schuldnerin beantragt, ihr für einen Teilbetrag in Höhe von 585 € des im Frühjahr 2010 fälligen Auseinandersetzungsguthabens Vollstreckungsschutz gemäß § 765a ZPO zu bewilligen.

2Das Amtsgericht - Insolvenzgericht - hat den Antrag abgelehnt. Auf die sofortige Beschwerde der Schuldnerin hat das Landgericht den Insolvenzbeschlag des Anspruchs auf Auszahlung des Auseinandersetzungsguthabens in Höhe eines Teilbetrags von 585 € aufgehoben und die Drittschuldnerin zur Auszahlung an die Schuldnerin verpflichtet. Hiergegen richtet sich der Treuhänder mit seiner vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde.

II.

3Die Rechtsbeschwerde ist begründet.

41. Das Beschwerdegericht meint, der Schuldnerin sei Pfändungsschutz zu gewähren, weil das Vorgehen des Treuhänders im Ergebnis dem Nachrang der Sozialhilfe widerspreche und sogar dazu führe, dass dieser nicht einmal der sozialhilferechtliche Grundbedarf verbleibe. Dies sei mit den guten Sitten nicht zu vereinbaren. Das Auseinandersetzungsguthaben dürfe nicht vollständig zur Masse gezogen werden, wenn der Schuldner eine anderweitige Mietsicherheit nur von der Sozialhilfe oder durch Verzicht auf den sozialhilferechtlich notwendigen Lebensunterhalt aufbringen könne.

52. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Allein die Notwendigkeit, zur Sicherung des Lebensunterhalts Sozialhilfe in Anspruch nehmen zu müssen, begründet keine sittenwidrige Härte. Die Anwendung des § 765a ZPO ermöglicht es nicht, der Masse kraft Gesetzes ausdrücklich zugewiesene Gegenstände wieder zu entziehen.

6a) Der Insolvenzverwalter kann die Mitgliedschaft des Schuldners in einer Wohnungsgenossenschaft mit dem Ziel, den zur Insolvenzmasse gehörigen Anspruch des Schuldners auf Auszahlung des Auseinandersetzungsguthabens (§ 73 GenG) zu realisieren, kündigen. Das insolvenzrechtliche Kündigungsverbot für gemieteten Wohnraum ist auf diesen Fall nicht entsprechend anwendbar (, BGHZ 180, 185 Rn. 5 ff; v. - IX ZR 63/09, ZInsO 2009, 2104 Rn. 5).

7b) Das Auseinandersetzungsguthaben aus der Kündigung des Genossenschaftsanteils fällt in die Insolvenzmasse. Eine entsprechende Anwendung des § 765a ZPO über § 4 InsO kommt nicht in Betracht. Die Vorschrift ermöglicht es nicht, der Masse ausdrücklich kraft Gesetzes (§§ 35, 36 InsO) zugewiesene Vermögenswerte wieder zu entziehen (, ZInsO 2008, 40 Rn. 21). Das Beschwerdegericht hat ausdrücklich festgestellt, dass das Guthaben nicht unter § 850f Abs. 1 Buchst. a ZPO fällt und auch sonst kein Pfändungsschutz außerhalb des § 765a ZPO eingreift. Unpfändbarkeit im Sinne des § 36 Abs. 1 InsO ist damit ausgeschlossen.

8c) Soweit das Beschwerdegericht meint, § 765a ZPO sei einschlägig, weil dies der Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe gebiete, steht diese Auffassung im Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs.

9aa) § 765a ZPO ermöglicht den Schutz gegen Vollstreckungsmaßnahmen, die wegen ganz besonderer Umstände eine Härte für den Schuldner bedeuten, die mit den guten Sitten nicht zu vereinbaren ist. Die Vorschrift ist als Ausnahmevorschrift eng auszulegen. Anzuwenden ist § 765a ZPO nur dann, wenn im Einzelfall das Vorgehen des Gläubigers nach Abwägung der beiderseitigen Belange zu einem untragbaren Ergebnis führen würde. Die Notwendigkeit, zur Sicherung des Lebensunterhalts Sozialhilfe in Anspruch nehmen zu müssen, begründet als solche keine sittenwidrige Härte. Auf Sozialhilfe besteht ein gesetzlicher Anspruch (vgl. § 17 Abs. 1 Satz 1 SGB XII). Die Antragstellung ist daher für Schuldner keine besondere Zumutung; die Sozialhilfe ermöglicht dem Bezieher ein menschenwürdiges Dasein. Der Umstand, dass ein Schuldner infolge der Zwangsvollstreckung Sozialhilfe beantragen muss, reicht deshalb für die Anwendbarkeit des § 765a ZPO nicht aus ( IXa ZB 228/03, BGHZ 161, 371, 374 ff m.w.N.).

10bb) Hiernach hätte das Beschwerdegericht den Insolvenzbeschlag des Anspruchs auf Auszahlung eines erstrangigen Teilbetrags von 585 € nicht aufheben und nicht anordnen dürfen, dass dieser an die Schuldnerin ausgezahlt wird.

III.

11Der Senat hat in der Sache selbst zu entscheiden, weil die Aufhebung der Entscheidung nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Rechts auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und die Sache zur Endentscheidung reif ist (§ 577 Abs. 5 Satz 1 ZPO).

Kayser                                Raebel                                 Lohmann

                   Pape                                 Möhring

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
WM 2011 S. 134 Nr. 3
ZIP 2011 S. 90 Nr. 2
DAAAD-59410