BFH Beschluss v. - XI S 18/10 (PKH)

Kein Vertretungszwang bei Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe vor dem BFH; Vorliegen eines Verfahrensmangels bei Entscheidung durch Prozessurteil statt durch Sachurteil

Gesetze: FGO § 62 Abs. 2, FGO § 62 Abs. 4, FGO § 142 Abs. 1, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3, FGO § 96 Abs. 2, ZPO § 114, ZPO § 117, GG Art. 103

Instanzenzug:

Gründe

1 I. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage des Antragstellers wegen Umsatzsteuer 2003 wegen Versäumung der Klagefrist als unzulässig ab.

2 Innerhalb der Beschwerdefrist beantragte der nicht vertretene Antragsteller Prozesskostenhilfe (PKH) für eine noch einzulegende Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision im FG-Urteil. Er macht geltend, das FG habe zu Unrecht die Klage als unzulässig abgewiesen. Er habe die Klagefrist nicht versäumt, weil ihm die Einspruchsentscheidung verspätet zugegangen sei. Beweispflichtig für den Zugang der Einspruchsentscheidung sei der Beklagte (das Finanzamt —FA—); das FG habe die gesetzliche Beweislast umgekehrt. Ferner habe das FG seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.

3 Eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (§ 142 der FinanzgerichtsordnungFGO— i.V.m. § 117 Abs. 2 der ZivilprozessordnungZPO—) hat der Antragsteller innerhalb der Beschwerdefrist vorgelegt.

4 II. Der Antrag auf PKH wird abgelehnt.

5 1. Der Antrag auf PKH ist zulässig. Dem steht nicht entgegen, dass der Antragsteller im Streitfall nicht durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten wird.

6 a) Zwar müssen sich die Beteiligten nach § 62 Abs. 4 FGO vor dem Bundesfinanzhof (BFH) grundsätzlich durch einen Rechtsanwalt, Steuerberater oder einen anderen Bevollmächtigten i.S. des § 62 Abs. 2 Satz 1 FGO vertreten lassen. Das gilt nach Abs. 4 der Regelung auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem BFH eingeleitet wird. Darunter fällt aber nicht die Stellung des Antrags auf Bewilligung von PKH (BFH-Beschlüsse vom II S 19/08 (PKH), nicht veröffentlicht —n.v.—; vom V S 18/08 (PKH), n.v.; vom IV S 3/09 (PKH), Zeitschrift für Steuern und Recht —ZSteu— 2009, R679; vom III S 28/09 (PKH), n.v.; im Ergebnis gl.A. Spindler in Hübschmann/Hepp/ Spitaler —HHSp—, § 62 FGO Rz 101; ebenso ständige Rechtsprechung zu der bis zum anzuwendenden Regelung in § 62a FGO, vgl. z.B. (PKH), BFH/NV 2004, 356; Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 142 Rz 63, m.w.N.).

7 b) Soweit für § 62 Abs. 4 FGO eine andere Auffassung vertreten wird (Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 62 FGO Rz 44; vgl. auch Spindler, Der Betrieb 2008, 1283, 1286 f.), folgt der Senat dem nicht. Wie der IV. Senat des BFH im Beschluss in ZSteu 2009, R679 zutreffend ausführt, erfordert der Wortlaut von § 62 Abs. 4 FGO wegen der Besonderheiten des Verfahrens zur Bewilligung von PKH eine solche Auslegung nicht. Sie wird auch dem Zweck der Regelung des PKH-Verfahrens nicht gerecht, dem Unbemittelten einen Rechtsschutz zu sichern, der demjenigen eines Bemittelten wenigstens annähernd entspricht. Die Gegenauffassung ist deshalb verfassungsrechtlich bedenklich (Spindler in HHSp, § 62 FGO Rz 101). Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber die bisherige Rechtslage ausdrücklich nicht ändern wollte (BTDrucks 16/3655, S. 99 f.).

8 2. Der Antrag ist jedoch nicht begründet.

9 a) Gemäß § 142 Abs. 1 FGO i.V.m. § 114 ZPO wird einem Beteiligten, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH gewährt, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. In dem Antrag ist das Streitverhältnis unter Angabe der Beweismittel darzustellen (§ 117 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Dazu muss in einem Rechtsmittelverfahren ein nicht rechtskundig vertretener Antragsteller zumindest erkennen lassen, in welchen Punkten und in welchem Umfang das angegriffene Urteil angefochten werden soll (Gräber/Stapperfend, a.a.O., § 142 Rz 69, m.w.N.).

10 b) Die vom Antragsteller mit der Nichtzulassungsbeschwerde beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet keine Aussicht auf Erfolg. Zwar ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH ein Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO gegeben, wenn das FG zu Unrecht durch Prozess- anstatt durch Sachurteil entschieden und dadurch auch den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt hat (vgl. BFH-Beschlüsse vom VI B 114/01, BFHE 198, 1, BStBl II 2002, 306, und vom VII B 98/04, BFH/NV 2007, 1345). Ein solcher Verfahrensmangel ist im Streitfall jedoch nicht festzustellen.

11 Das FG hat die Klage wegen Versäumung der einmonatigen Klagefrist nach § 47 Abs. 1 FGO zu Recht als unzulässig abgewiesen. Der Antragsteller hat zwar den Zugang der mit einfachem Brief übermittelten Einspruchsentscheidung vom bestritten und vorgetragen, diese erst nach der Vollstreckungsankündigung am erhalten zu haben, so dass die Klage am noch rechtzeitig erhoben worden sei. Entgegen der Auffassung des Antragstellers durfte das FG im Streitfall aber von dem Grundsatz abweichen, wonach im Zweifel das FA den Zugang und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen hat (z.B. Tipke in Tipke/Kruse, a.a.O., § 122 AO Rz 57, 58, m.w.N.). Denn das FG ist unter Würdigung des Gesamtverhaltens des Antragstellers angesichts der besonderen Umstände des Einzelfalls mit einem ausreichenden Grad an Gewissheit zu dem Schluss gelangt, dass der Antragsteller die Einspruchsentscheidung tatsächlich schon im Juli 2006 mit einfachem Brief erhalten hat (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom V B 173/98, BFH/NV 1999, 1442, und vom VII B 207/98, BFH/NV 1999, 1581).

12 3. Der Beschluss ergeht gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 2, § 3 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes i.V.m. dem Kostenverzeichnis der Anlage 1 gerichtsgebührenfrei.

Fundstelle(n):
WAAAD-54632