Langzeitstudiengebühr; Antrag auf "Hinausschieben"; Anschlussberufung
Gesetze: § 127 Abs 2 S 2 VwGO, § 127 Abs 4 VwGO, § 112 Abs 1 HSchulG ST, § 112 Abs 4 HSchulG ST, § 112 Abs 7 HSchulG ST, § 111 Abs 8 S 4 HSchulG ST, § 29 HSchulG ST
Instanzenzug: Sächsisches Oberverwaltungsgericht Az: 3 L 282/07 Urteil
Gründe
1Die Beschwerde, die sich auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung, der Divergenz und - sinngemäß - des Verfahrensmangels stützt, ist zulässig. In der Sache hat sie aber nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
21. Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache nur, wenn für die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz eine konkrete, fallübergreifende und bislang ungeklärte Rechtsfrage des revisiblen Rechts von Bedeutung war, deren Klärung in einem Revisionsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Den Darlegungen der Beschwerde lässt sich nicht entnehmen, dass diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall erfüllt sind.
3Im Hinblick auf die von der beklagten Universität ab dem Wintersemester 2005/06 bis zum Ende des Studiums durch Dauerbescheid festgesetzte Langzeitstudiengebühr will die Beschwerde geklärt wissen: "Konnte die Beklagte die Gebühr wegen Überschreitung der Regelstudienzeit ohne gesonderte gesetzliche oder satzungsrechtliche Grundlage als Dauerverwaltungsakt erlassen?" Damit zeigt sie keine klärungsbedürftige Frage des revisiblen Rechts auf.
4Das Oberverwaltungsgericht hat angenommen, dass § 112 Abs. 1 des Hochschulgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt - HSG LSA - in der auf den Streitfall anwendbaren Fassung vom (GVBl LSA S. 256) - zwar nicht ausdrücklich zum Erlass eines Studiengebührenbescheides in der Form eines Dauerbescheides ermächtige, eine solche Ermächtigung dem Gesetz aber unter Berücksichtigung seines Zwecks und seiner Systematik im Wege der Auslegung entnommen werden könne: Der Studiengebührenbescheid sei nach dem einschlägigen Recht wesensmäßig auf Dauer angelegt, wie sich insbesondere aus § 29 HSG LSA ergebe, der mit der Immatrikulation ein grundsätzlich unbefristetes Rechts- und Pflichtenverhältnis zwischen Student und Hochschule begründe, welches den Hintergrund (auch) für die Gebührenerhebung bilde. Ob diese Auslegung des § 112 Abs. 1 HSG LSA in der Sache zutrifft oder nicht, ist eine Frage des irrevisiblen Landesrechts, die sich der Beurteilung durch das Revisionsgericht entzieht.
5Von grundsätzlicher Bedeutung ist die vorgenannte Fragestellung auch nicht, soweit sich der Beschwerde sinngemäß entnehmen lässt, dass sie die Auslegung des Oberverwaltungsgerichts im Hinblick auf das bundesverfassungsrechtliche Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) sowie die Rechtsschutzgarantie (Art. 19 Abs. 4 GG) für fehlerhaft hält. Die Rüge der Nichtbeachtung von Bundesrecht bei der Anwendung und Auslegung von Landesrecht vermag die Zulassung der Revision nur dann zu begründen, wenn die Auslegung der - gegenüber dem Landesrecht als korrigierender Maßstab angeführten - bundesrechtlichen Norm ihrerseits ungeklärte Fragen von grundsätzlicher Bedeutung aufwirft. Das Darlegungsgebot des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO verlangt, die angeblichen bundesrechtlichen Maßgaben, deren Tragweite und Klärungsbedürftigkeit im Hinblick auf die einschlägigen landesrechtlichen Regelungen sowie die Entscheidungserheblichkeit ihrer Klärung in dem anhängigen Verfahren in der Beschwerdebegründung im Einzelnen aufzuzeigen (stRspr, s. nur BVerwG 6 B 7.08 - Buchholz 451.20 § 12 GewO Nr. 1 Rn. 9 m.w.N.). Daran fehlt es hier. Insbesondere ist offensichtlich und bedarf nicht der Klärung in einem Revisionsverfahren, dass die in dem angefochtenen Urteil erwähnten Regelungen der §§ 48, 49 und 51 VwVfG - namentlich der Wiederaufgreifensanspruch bei Änderung der Sach- und Rechtslage (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG) - grundsätzlich geeignet sind, einen ausreichenden Rechtsschutz gegenüber einem Dauerverwaltungsakt zu gewährleisten.
62. Demgegenüber hat die Beschwerde Erfolg, soweit sich ihr in Bezug auf die Verwerfung der Anschlussberufung der Klägerin - gerichtet auf die Verpflichtung der Beklagten zum "Hinausschieben" der umstrittenen Studiengebühr - sinngemäß die Rüge eines Verfahrensfehlers (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) entnehmen lässt, auf dem das angefochtene Urteil beruht. In der Entscheidung durch Prozessurteil statt durch Sachurteil liegt ein Verfahrensmangel, wenn ihr eine fehlerhafte Anwendung der prozessualen Vorschriften zugrunde liegt (s. nur Beschlüsse vom - BVerwG 8 B 110.67 - BVerwGE 30, 111 <113> = Buchholz 448.0 § 34 WPflG Nr. 7 S. 6 und vom - BVerwG 6 B 61.06 - Buchholz 310 § 113 Abs. 1 VwGO Nr. 24 Rn. 2, jeweils m.w.N.). Das ist hier in Bezug auf den auf ein "Hinausschieben" gerichteten Antrag der Fall, den das Oberverwaltungsgericht nur für den Zeitraum ab dem Sommersemester 2006 in der Sache beschieden, für das Wintersemester 2005/06 aber als unzulässig angesehen hat.
7Die Beschwerde wendet sich zu Recht gegen die fehlerhafte Anwendung des § 127 VwGO über die Anschlussberufung. Das Oberverwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass die von der Klägerin rechtzeitig innerhalb der Frist des § 127 Abs. 2 Satz 2 VwGO eingelegte Anschlussberufung - bezogen auf das Wintersemester 2005/06 - gleichwohl unzulässig sei, da das angefochtene Urteil insoweit mangels Zulassung der Berufung bereits rechtskräftig sei. Dem ist nicht zu folgen. Zwar ist die Anschlussberufung, wie das Oberverwaltungsgericht insoweit zu Recht ausführt, dann unstatthaft, wenn derjenige Teil des Rechtsstreits, den der Anschlussberufungsführer im Wege der Anschließung zum Gegenstand des Berufungsverfahrens machen will, vom Berufungsgericht durch Ablehnung eines darauf gerichteten Zulassungsantrages (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO) bereits rechtskräftig abgeschlossen worden ist (vgl. BVerwG 4 B 30.07 - Buchholz 310 § 127 VwGO Nr. 15 Rn. 4). Dem steht aber die hier vorliegende Fallkonstellation, in der der in erster Instanz teilweise unterlegene Kläger keinen Antrag auf Zulassung der Berufung gegen den klageabweisenden Teil des erstinstanzlichen Urteils gestellt hat, entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts nicht gleich.
8Die Anschließung ermöglicht es dem zuvor "friedfertigen" Berufungsbeklagten, auch dann noch selbst in den Prozess einzugreifen, wenn er auf das Rechtsmittel des Gegners mit einem selbstständigen eigenen Rechtsmittel wegen Ablaufs der Rechtsmittelfrist nicht mehr reagieren kann. Dies ergibt sich aus § 127 Abs. 4 VwGO, wonach die Anschlussberufung keiner Zulassung bedarf, und zusätzlich aus dem Zweck der Norm; dieser verbindet den Gesichtspunkt der Waffengleichheit mit dem der Prozesswirtschaftlichkeit und soll insbesondere vermeiden, dass eine Partei, die sich mit dem erlassenen Urteil zufriedengeben will, nur wegen eines erwarteten Rechtsmittelangriffs des Gegners vorsorglich selbst Rechtsmittel einlegt (vgl. BVerwG 4 C 4.01 - BVerwGE 116, 169 <172 f.> = Buchholz 310 § 127 VwGO Nr. 11 S. 5 ff. und vom - BVerwG 3 C 52.04 - BVerwGE 125, 44 Rn. 15 ff. = Buchholz 451.90 Sonstiges Europ. Recht Nr. 206). Daraus folgt, dass der teils obsiegende, teils unterlegene Beteiligte nach Zulassung der (Haupt-)Berufung des anderen Beteiligten den ihn beschwerenden Teil des Urteils nachträglich zur Überprüfung stellen kann, falls nur zwischen den mehreren, in demselben Prozess verfolgten Ansprüchen - wie hier in Bezug auf zeitabschnittsweise festgesetzte Studiengebühren - ein sachlicher Zusammenhang besteht (s. Urteile vom a.a.O. S. 174 bzw. S. 7 f. und vom a.a.O. Rn. 16).
9Liegt somit in der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts über die Anschlussberufung durch Prozessurteil statt durch Sachurteil ein Verfahrensmangel, auf dem sie im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO beruht, kommt es nicht mehr darauf an, ob derselbe Mangel außerdem der Beschwerde unter dem Gesichtspunkt der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zum Erfolg verhilft.
103. Der Verfahrensverstoß ist auch nicht deshalb unbeachtlich, weil sich die vom Berufungsgericht getroffene Entscheidung im Ergebnis als richtig erweist. Zwar wirkt der dem § 144 Abs. 4 VwGO zugrunde liegende Rechtsgedanke bereits auf das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde vor, falls die vom Berufungsgericht zu Unrecht als unzulässig behandelte Anschlussberufung auf der Grundlage der im angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen als unbegründet zurückgewiesen werden müsste (s. auch BVerwG 2 B 56.97 - juris Rn. 3; insoweit in Buchholz 310 § 88 VwGO Nr. 25 nicht abgedruckt). Eine derartige Konstellation liegt hier aber nicht vor.
11Das Oberverwaltungsgericht ist ersichtlich davon ausgegangen, dass der von der Klägerin hilfsweise geltend gemachte Anspruch auf ein "Hinausschieben" der Gebührenpflicht (§ 112 Abs. 4 HSG LSA) einen im Verhältnis zu dem Anspruch auf Aufhebung des Gebührenbescheides selbständigen Streitgegen-stand bildet. Es hat weiter angenommen, dass Umstände, die nicht in der Sphäre des Studenten, sondern in der Sphäre der Hochschule liegen, von vornherein nicht unter § 112 Abs. 4 HSG LSA fallen. Unter dieser Prämisse ist aber zu prüfen, ob ein Antrag auf "Hinausschieben" der Gebührenpflicht sinngemäß als Erlassantrag zu werten ist; nach § 112 Abs. 7 Satz 2 i.V.m. § 111 Abs. 8 Satz 4 HSG LSA kann die Gebühr auf Antrag ganz oder teilweise erlassen werden, wenn ihre Einziehung im Einzelfall zu einer unbilligen Härte führen würde. Abgesehen vom Fehlen insoweit einschlägiger Feststellungen gehört die vorgenannte Härtefallvorschrift, obwohl sie im Grundsatz bundesverfassungsrechtlich geboten ist (s. BVerfG, Beschlüsse vom - 1 BvR 1750/01 und 1 BvR 1771/01 - BVerfGK 7, 465 bzw. 477), in ihrer konkreten Ausgestaltung dem irrevisiblen Landesrecht an. Der Senat übt das ihm insoweit in entsprechender Anwendung des § 563 Abs. 4 ZPO i.V.m. § 173 VwGO eingeräumte Ermessen dahin aus, dass er die Auslegung und Anwendung der landesrechtlichen Regelung zunächst dem Oberverwaltungsgericht überlässt.
124. Gemäß § 133 Abs. 6 VwGO macht der der Senat von der Möglichkeit Gebrauch, die angefochtene Entscheidung teilweise aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung über die Anschlussberufung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.
13Dieser Verfahrensweise steht nicht der Umstand entgegen, dass sich die Klägerin in Bezug auf die vom Oberverwaltungsgericht für unzulässig erachtete Anschlussberufung - über die sinngemäß erhobene Verfahrensrüge hinaus -ausdrücklich auf eine Abweichung (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) des angefochtenen Urteils von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts beruft. Denn eine neben einer Verfahrensrüge erhobene Divergenzrüge steht einer Zurückverweisung nach § 133 Abs. 6 VwGO nicht entgegen, wenn sie sich ausschließlich auf Verfahrensrecht bezieht (vgl. in diesem Sinne: Beschlüsse vom - BVerwG 6 B 32.95 - Buchholz 448.6 § 5 KDVG Nr. 7, vom - BVerwG 6 B 34.03 - Buchholz 448.6 § 14 KDVG Nr. 28 S. 4 und vom - BVerwG 6 B 38.04 - juris Rn. 8 f.), zumal wenn sie dieselbe Rechtsfrage betrifft, die mit der Entscheidung über die Verfahrensrüge in der Sache mit bindender Wirkung für die Vorinstanz (§ 144 Abs. 6 VwGO) schon abschließend beantwortet ist.
145. Die Kostenentscheidung folgt, soweit über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden war, aus § 154 Abs. 2 VwGO. Im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde entsteht eine Gerichtsgebühr nur, soweit die Beschwerde verworfen oder zurückgewiesen wird. Die sonstigen Kosten des Beschwerdeverfahrens, namentlich die außergerichtlichen Kosten, sind verhältnismäßig zu teilen, und zwar in der Weise, dass die Klägerin die Kosten in dem Maße ihres Unterliegens trägt und die Entscheidung über diejenigen Kosten, die dem Anteil der erfolgreichen Beschwerde am gesamten Beschwerdeverfahren entsprechen, der Kostenentscheidung in der Hauptsache folgt (s. BVerwG 7 B 95.05 - juris Rn. 52). Die Festsetzung des Streitwertes für das Beschwerdeverfahren ergibt sich aus § 47 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 52 Abs. 3 GKG. Dabei bewertet der Senat das Interesse der Klägerin an der Aufhebung des Gebührenbescheides vom , soweit im Hinblick auf den nicht angegriffenen Teil des Urteils des Verwaltungsgerichts sowie auf den Aufhebungsbescheid der Beklagten vom noch strittig, mit 1 500 € und das Interesse der Klägerin am "Hinausschieben" bzw. Erlass der Studiengebühr ab dem Wintersemester 2005/06 für mindestens vier Semester mit 2 000 €.
Fundstelle(n):
WAAAD-54551