Leitsatz
Leitsatz:
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Instanzenzug: OVG Nordrhein-Westfalen, OVG 3d A 1460/08. BDG vom Veröffentlichungen: Amtliche Sammlung: nein; Fachpresse: nein
Gründe
Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
1. Der beklagte Postamtsrat wurde wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern (§ 176 Abs. 1 StGB) in drei Fällen durch rechtskräftigen Strafbefehl zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr (mit Bewährung) verurteilt. Im sachgleichen Disziplinarklageverfahren hat das Berufungsgericht auf Entfernung aus dem Dienst erkannt.
2. Die vom Beklagten geltend gemachte rechtsgrundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 69 BDG i.V.m. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt der Sache nicht zu.
Der Beklagte hält für grundsätzlich klärungsbedürftig, wie das Dienstvergehen des außerdienstlichen sexuellen Missbrauchs eines Kindes nach seiner Schwere bei der prognostischen Gesamtwürdigung zu gewichten sei, insbesondere in welchen Fallgestaltungen unter Zugrundelegung der bisherigen Rechtsprechung des Disziplinarsenats von der Höchstmaßnahme abzusehen sei bzw. unter welchen Umständen die vom Berufungsgericht verneinten Milderungsgründe zu relativieren seien.
Diese Ausführungen rechtfertigen nicht die Zulassung der Revision. Der Senat hat mit BVerwG 2 C 83.08 - (zur Veröffentlichung vorgesehen) entschieden, dass die Schwere des Dienstvergehens gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 BDG richtungweisend für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme ist. Sie indiziert bei einem außerdienstlichen sexuellen Missbrauch eines Kindes gemäß § 176 Abs. 1 StGB, der mit einer Freiheitsstrafe geahndet wurde, die Höchstmaßnahme, wenn es in der Gesamtheit an hinreichend gewichtigen entlastenden Gesichtspunkten fehlt (Urteil vom a.a.O. Rn. 18 und LS).
Dies entbindet die Gerichte jedoch nicht davon, die Umstände des Einzelfalls ausreichend zu würdigen. Für die Zumessungsentscheidung müssen die in § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG genannten Bemessungskriterien mit dem ihnen zukommenden Gewicht ermittelt und eingestellt werden. Dieses Erfordernis beruht auf dem im Disziplinarverfahren geltenden Schuldprinzip und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (stRspr, vgl. zuletzt - NVwZ 2008, 669 f., m.w.N. BVerwG 2 C 9.06 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 3 Rn. 30). Danach muss die gegen den Beamten ausgesprochene Disziplinarmaßnahme unter Berücksichtigung aller belastenden und entlastenden Umstände des Einzelfalls in einem gerechten Verhältnis zur Schwere des Dienstvergehens stehen, die maßgebend auch vom Verschulden des Beamten abhängt. Insbesondere entfällt die Indizwirkung dann, wenn sich im Einzelfall aufgrund des Persönlichkeitsbildes des Beamten Entlastungsgründe von solchem Gewicht ergeben, dass die prognostische Gesamtwürdigung den Schluss rechtfertigt, der Beamte habe das Vertrauensverhältnis noch nicht vollständig zerstört. So kommt insbesondere bei erheblich verminderter Schuldfähigkeit im Sinne von §§ 20, 21 StGB die Höchstmaßnahme grundsätzlich nicht mehr in Betracht (Urteil vom a.a.O.).
Ungeachtet der Schwere des mit einer Freiheitsstrafe geahndeten sexuellen Missbrauchs eines Kindes im Sinne des § 176 Abs. 1 StGB können über das Eigengewicht der Tat hinaus weitere erschwerende Umstände hinzutreten. Darauf kommt es an, wenn dem Beamten nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" mildernde Umstände von erheblichem Gewicht zugute kommen. Irrelevant sind dabei solche Umstände, die das mit einer Freiheitsstrafe geahndete in § 176 Abs. 1 StGB erfasste Tatgeschehen kennzeichnen, da diese die Schwere des Dienstvergehens begründen und deshalb nicht zusätzlich ins Gewicht fallen. Bemessungsrelevant sind dagegen solche Umstände, die auch nach der Wertung im Strafrecht zu berücksichtigen sind - etwa die Intensität und Häufigkeit der sexuellen Beziehungen und die Folgen für das Kind - wie dies durch die § 176 Abs. 3, § 176a und § 176b StGB zum Ausdruck kommt. Weniger schwerwiegend sind etwa die in § 176 Abs. 4 und 5 StGB beschriebenen Straftaten (Urteil vom a.a.O.).
Vor diesem Hintergrund werden auch mit den Grundsatzrügen zu den Milderungsgründen keine verallgemeinerungsfähigen Rechtssätze aufgezeigt, die darüber hinaus im Rahmen eines Revisionsverfahrens beantwortet werden könnten. Letztlich greift die Beschwerde mit ihren Ausführungen zu den "Milderungsgründen" die einzelfallbezogene Würdigung des Berufungsgerichts an.
3. Die vom Beklagten gerügten Verfahrensfehler im Sinne des § 69 BDG, § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO liegen nicht vor.
a) Der Beklagte wendet sich, ohne Verfahrensmängel im Sinne des § 69 BDG, § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO aufzuzeigen, gegen die Feststellung im Berufungsurteil,
|er habe wiederholt seine Unterhose ausgezogen, wenn die Kinder an seiner Wohnungstür geschellt hätten, um ihnen mit nacktem Unterkörper die Tür zu öffnen.
Diese Feststellung beruht auf der Anhörung des Beklagten in der mündlichen Berufungsverhandlung, wie sich aus dem Urteilszusammenhang und dem sonstigen Akteninhalt ergibt. Unerheblich ist, dass sie nicht im Protokoll der mündlichen Verhandlung festgehalten ist, denn dieses muss nur den wesentlichen Inhalt enthalten (§ 106 VwGO i.V.m. § 160 ZPO).
Die in diesem Zusammenhang erhobenen Rügen gehen an der gesetzlichen Systematik der Zumessungskriterien nach § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG vorbei. Der Senat hat den Bedeutungsgehalt der nach § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG bemessungsrelevanten Umstände im BVerwG 2 C 12.04 - (BVerwGE 124, 252 <258 ff.> = Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 1) näher bestimmt:
Maßgebendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 BDG ist die Schwere des Dienstvergehens. Sie beurteilt sich zum einen nach Eigenart und Bedeutung der verletzten Dienstpflichten, Dauer und Häufigkeit der Pflichtenverstöße und den Umständen der Tatbegehung (objektive Handlungsmerkmale), zum anderen nach Form und Gewicht des Verschuldens und den Beweggründen des Beamten für sein pflichtwidriges Verhalten (subjektive Handlungsmerkmale) sowie nach den unmittelbaren Folgen für den dienstlichen Bereich und für Dritte, insbesondere nach der Höhe des entstandenen Schadens. Das Dienstvergehen eines außerdienstlichen sexuellen Missbrauchs eines Kindes gemäß § 176 Abs. 1 StGB, der mit einer Freiheitsstrafe geahndet wurde, indiziert aufgrund seiner Schwere die Höchstmaßnahme (Urteil vom a.a.O.).
Das Bemessungskriterium "Persönlichkeitsbild des Beamten" gemäß § 13 Abs. 1 Satz 3 BDG erfasst dessen persönliche Verhältnisse und sein sonstiges dienstliches Verhalten vor, bei und nach der Tatbegehung. Es erfordert eine Prüfung, ob das festgestellte Dienstvergehen mit dem bisher gezeigten Persönlichkeitsbild des Beamten übereinstimmt oder etwa als persönlichkeitsfremdes Verhalten in einer Notlage oder einer psychischen Ausnahmesituation davon abweicht. In diesem Zusammenhang kann - gegebenenfalls muss - das Gericht Feststellungen auch zu Verhaltensweisen des Beklagten treffen, die nicht Gegenstand des zur Last gelegten Dienstvergehens sind. Ein Verfahrensfehler liegt darin nicht.
Das Bemessungskriterium "Umfang der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit" gemäß § 13 Abs. 1 Satz 4 BDG erfordert eine Würdigung des Fehlverhaltens des Beamten im Hinblick auf seinen allgemeinen Status, seinen Tätigkeitsbereich innerhalb der Verwaltung und seine konkret ausgeübte Funktion. Der sexuelle Missbrauch eines Kindes, der mit einer Freiheitsstrafe geahndet wurde, ist allerdings - unabhängig vom konkreten Amt, das der Beamte innehat - geeignet, das Ansehen des Berufsbeamtentums derart schwerwiegend zu beeinträchtigen, dass als Richtschnur für die Maßnahmebemessung die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis bzw. die Aberkennung des Ruhegehalts zugrunde gelegt werden kann (Urteil vom a.a.O). Deshalb kann eine Würdigung eines solchen Fehlverhaltens im Hinblick auf den allgemeinen Status des Beamten, seinen Tätigkeitsbereich innerhalb der Verwaltung und seine konkret ausgeübte Funktion nur in Ausnahmefällen zu einer anderen Wertung führen.
b) Die Beschwerde rügt einen Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO mit der Behauptung, dass das Berufungsgericht dem Beklagten nicht abgegebene Erklärungen unterstellt oder den Inhalt seiner Angaben verzerrt habe.
Mit diesen Ausführungen richtet sich die Beschwerde gegen die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Berufungsgerichts, die dem materiellen Recht zuzurechnen ist und grundsätzlich nicht mit Verfahrensrügen angegriffen werden kann (stRspr; vgl. Beschlüsse vom - BVerwG 9 B 710.94 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 266, vom - BVerwG 8 B 98.96 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 270).
Einen Verfahrensfehler, der die Revisionszulassung eröffnet, kann nur eine solche Sachverhaltswürdigung ergeben, die auf einer unzutreffenden oder unzureichenden Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen oder auf einem Verstoß gegen die Denkgesetze beruht. Keine dieser Voraussetzungen ist von der Beschwerde dargelegt worden. Insbesondere ist nicht dargelegt, dass das Berufungsgericht nicht abgegebene Erklärungen unterstellt hat. Der Hinweis des jetzigen Prozessbevollmächtigten, er sei nicht in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht zugegen gewesen, und wisse daher nicht, ob die zugrunde gelegte Erklärung abgegeben worden sei, genügt nicht den Anforderungen an eine Substantiierung seines Vorwurfs. Ein Verstoß gegen die Denkgesetze liegt nur vor, wenn eine Schlussfolgerung aus Gründen der Logik schlechthin nicht gezogen werden kann. Es reicht nicht aus, dass das Gericht andere Schlüsse gezogen hat, als sie nach Auffassung eines der Verfahrensbeteiligten hätten gezogen werden müssen. Dies gilt selbst dann, wenn die von diesem favorisierte Schlussfolgerung näher liegen sollte als diejenige des Gerichts ( BVerwG 2 B 122.07 - ZBR 2008, 257 <260> insoweit nicht veröffentlicht in Buchholz 235.1 § 55 BDG Nr. 2). Auch einen derartigen Verstoß hat die Beklagte nicht dargelegt. Vielmehr setzt der Beklagte der Beweis- und Sachverhaltswürdigung des Berufungsgerichts seine eigene Beweis- und Sachverhaltswürdigung entgegen, indem er aus den von der Beschwerde in den Mittelpunkt gestellten Aussagen ihm günstigere Schlussfolgerungen zieht.
Soweit die Beschwerde weiter meint, es verstoße gegen die Hinweis- und Fürsorgepflicht des Gerichts im Rahmen eines fairen Verfahrens (Art. 20 Abs. 3 GG), wenn das Berufungsgericht den Beklagten in der mündlichen Verhandlung - für ihn völlig überraschend - aufgefordert habe, sich frei zur Sache zu äußern, so liegt auch hierin kein Verfahrensfehler. Dieses Verhalten des Berufungsgerichts entsprach den prozessualen Regeln. Es war zudem geboten, weil das Gericht die bemessungsrelevanten Umstände nach § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG zu ermitteln hatte. Es stand dem anwaltlich vertretenen Beklagten jederzeit frei, sich nicht zu äußern.
c) Die Beschwerde rügt weiter, das Berufungsgericht verletze die Unschuldsvermutung aus Art. 103 Abs. 2 GG, Art. 6 EMRK, § 108 VwGO, indem es die vorliegenden Milderungsgründe relativiert habe und der Rechtsprechung des Disziplinarsenats in den Urteilen vom - BVerwG 1 D 104.78 - und vom - BVerwG 1 D 141.86 - widerspreche.
Auch diese Ausführungen richten sich gegen die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Berufungsgerichts, die dem materiellen Recht zuzurechnen sind und grundsätzlich nicht mit Verfahrensrügen angegriffen werden kann.
Dies wäre nur dann entscheidungsrelevant, wenn den mildernden Umständen allein, in der Zusammenschau oder gemeinsam mit anderen mildernden Umständen ein derart erhebliches Gewicht zukäme, dass die Höchstmaßnahme, die ein außerdienstlicher sexueller Missbrauch eines Kindes gemäß § 176 Abs. 1 StGB, der mit einer Freiheitsstrafe geahndet wurde, indiziert, nicht mehr gerechtfertigt ist. Hierfür fehlt es aber an jedem konkreten Anhaltspunkt sowohl in den Feststellungen des Berufungsurteils als auch in den Ausführungen der Beschwerde.
Soweit die Beschwerde als Verstoß gegen den Grundsatz in dubio pro reo rügt, das Berufungsgericht lasse unbeachtet, dass über schädliche Folgen für die Opfer nichts bekannt sei, sondern stelle darauf ab, dass sich nicht verlässlich beurteilen lasse, ob solche später noch aufträten, wird auch hiermit kein Verfahrensfehler aufgezeigt. Die insoweit von der Beschwerde nur verkürzt wiedergegebenen Ausführungen des Berufungsgerichts entsprechen zudem der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom a.a.O.).
Schließlich liegt auch der von der Beschwerde gerügte Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 VwGO) und gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) nicht vor. Die Beschwerde behauptet, es sei unerklärlich, wieso das Berufungsgericht entgegen der Ausführungen des Beklagten und des Attestes seines behandelnden Arztes bezweifle, dass seine sexuellen Vorstellungen Gegenstand der Therapie seien. Diese Behauptung beruht auf einer verkürzten, aus dem Zusammenhang gerissenen Darstellung der Ausführungen des Berufungsgerichts. Das Berufungsgericht bemerkt, es habe nicht den Eindruck, der Beklagte habe selbst einen erheblichen Therapiebedarf gesehen. Mit dem Satz: "Zwar mögen auch seine sexuellen Vorstellungen und Verhaltensweisen von und gegenüber Kindern Gegenstand der Psychotherapie sein, wie er es in der mündlichen Verhandlung erklärt hat", stellt das Gericht die Therapie entgegen dem Beschwerdevorbringen nicht in Abrede.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 69 BDG, § 133 Abs. 5 Satz 2 VwGO ab.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 77 Abs. 4 BDG, § 154 Abs. 2 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 78 Abs. 1 Satz 1 BDG a.F. gerichtskostenfrei.
Fundstelle(n):
YAAAD-47807