BGH Urteil v. - 4 StR 126/10

Jugendstrafrecht: Zulässigkeit der Anordnung des Verfalls oder des Wertersatzverfalls gegen Jugendliche

Leitsatz

Die Anordnung des Verfalls oder des Verfalls des Wertersatzes gegen Jugendliche oder Heranwachsende, auf die Jugendstrafrecht angewendet wird, ist zulässig; das gilt auch, wenn der Wert des Erlangten nicht mehr im Vermögen des Täters vorhanden ist .

Gesetze: § 73 StGB, § 73a StGB, § 73c StGB, § 2 Abs 2 JGG, § 6 JGG, § 8 Abs 3 JGG

Instanzenzug: LG Bochum Az: 8 KLs 47 Js 65/08 - 6 Ss 28/10 Urteil

Gründe

1Das Landgericht hat die Angeklagten des bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 30 Fällen (R.) bzw. in 29 Fällen (E. und V.), R. und E. darüber hinaus des Diebstahls schuldig gesprochen. Es hat den Angeklagten E. zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und neun Monaten, die Angeklagten R. und V. jeweils zu einer Jugendstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. „Insbesondere“ gegen die Nichtanordnung des Verfalls bzw. des Verfalls des Wertersatzes richten sich die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen der Staatsanwaltschaft. Die vom Generalbundesanwalt vertretenen Rechtsmittel haben im Umfang der Anfechtung Erfolg.

I.

2Die Rechtsmittel sind auf die Nichtanordnung des Verfalls bzw. des Verfalls von Wertersatz beschränkt. Nach dem Revisionsantrag wendet sich die Staatsanwaltschaft "insbesondere" gegen das Unterlassen der entsprechenden Anordnungen. In der Revisionsbegründung legt die Rechtsmittelführerin näher dar, aus welchen Gründen sie die unterbliebene Anordnung von Maßnahmen nach §§ 73 ff. StGB für rechtsfehlerhaft hält; anderweitige Beanstandungen erhebt sie nicht. Eine auch an Nr. 156 Abs. 2 RiStBV orientierte sachgerechte Auslegung des Angriffsziels der Staatsanwaltschaft ergibt daher, dass sie das Rechtsmittel insoweit beschränkt hat.

3Die Beschränkung ist wirksam (§ 2 Abs. 2 JGG, § 344 Abs. 1 StPO). Eine isolierte Anfechtung der unterbliebenen Anordnung des Verfalls oder des Wertersatzverfalls ist grundsätzlich zulässig (, NStZ 2000, 480; Beschl. vom - 5 StR 542/96, NStZ-RR 1997, 270, 271; BayObLG NStZ-RR 1999, 269, 270; Meyer-Goßner StPO 52. Aufl. § 318 Rdn. 22). Das gilt auch im Jugendstrafrecht (; vgl. auch Senat, Beschl. vom - 4 StR 502/99 zu Jugendstrafe und Maßregel nach §§ 69, 69 a StGB sowie Eisenberg JGG 14. Aufl. § 55 Rdn. 17). Zwar ist eine Rechtsmittelbeschränkung nach den allgemeinen Grundsätzen nur dann wirksam, wenn der angefochtene Teil der Entscheidung losgelöst vom übrigen Urteilsinhalt selbständig geprüft und beurteilt werden kann und die nach dem Teilrechtsmittel stufenweise entstehende Gesamtentscheidung frei von inneren Widersprüchen bleibt (, NStZ-RR 2005, 104). So verhält es sich aber auch im vorliegenden Fall. Das Landgericht hat die Jugendstrafen so bemessen, dass eine erzieherische Einwirkung auf die Angeklagten möglich ist (UA 36, 37). Der Senat schließt aus, dass die Jugendkammer die - ohnehin eher milden - Strafen noch niedriger festgesetzt hätte, hätte sie daneben den Verfall (von Wertersatz) angeordnet; dieser ist keine Strafe und auch keine strafähnliche Maßnahme (, BGHSt 47, 369, 370 ff.). Ob der Staat Zahlungsansprüche überhaupt gegen die Angeklagten wird durchsetzen können, steht hingegen nicht fest (vgl. , NStZ 2001, 312).

II.

41. Nach den Feststellungen des Landgerichts verbrachten die Angeklagten als führende Mitglieder einer Bande in 29 bzw. 30 Fällen insgesamt 19,4 kg (R.) bzw. 18,8 kg (E. und V.) zum Handeltreiben bestimmtes Marihuana von den Niederlanden in die Bundesrepublik; sie veräußerten das Rauschgift anschließend gewinnbringend an ihre Abnehmer.

5Bei seiner Festnahme führte der Angeklagte E. 535 € aus dem vorangegangenen Verkauf einer Teilmenge des Marihuanas mit sich, welches durch die letzte, als Fall 31 der Urteilsgründe abgeurteilte Einkaufsfahrt eingeführt worden war. Im Übrigen konnte die Jugendkammer die Einlassung der Angeklagten, von den - in einer gemeinsamen Kasse verwalteten (UA 11) - Erlösen aus den Betäubungsmittelverkäufen sei kein Geld übrig geblieben, nicht widerlegen (UA 28). Alle Angeklagten wohnten im Zeitpunkt der tatrichterlichen Hauptverhandlung jeweils noch bei ihren Eltern; sie waren arbeitslos und ohne Einkommen. Die Finanzermittlungen haben lediglich ergeben, dass R. über einen Sparvertrag mit einem Guthaben in Höhe von 6.327 € verfügt, auf den im Wesentlichen seine Eltern Geld eingezahlt haben.

62. Das Landgericht hat auf alle Angeklagten gemäß § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG - bei E. in Verbindung mit § 32 JGG - Jugendstrafrecht angewendet. Die Anordnung des Verfalls der sichergestellten 535 € sowie des Verfalls von Wertersatz hat die Jugendkammer abgelehnt. Die Maßnahmen nach §§ 73 ff. StGB seien auf Jugendliche und Heranwachsende, auf die Jugendstrafrecht Anwendung finde, nicht anwendbar. Die Anordnung des Verfalls von Wertersatz entfalte dieselben "Auswirkungen" wie eine Geldstrafe. Eine Rechtsfolge, die zu einer "Reduzierung der Tragweite des Erziehungsgedankens i.S.d. Vergeltungsprinzips" führe, sei mit der Systematik des Jugendstrafrechts nicht vereinbar. Den Verfallsvorschriften könne nicht die Ermächtigung entnommen werden, einen weiter gehenden Vermögensverlust der vom Verfall betroffenen Jugendlichen oder Heranwachsenden herzustellen. Darauf, dass die Härteklausel des § 73 c StGB die Jugendlichen oder Heranwachsenden ausreichend schütze, könne nicht abgestellt werden. Die Einräumung der hiermit verbundenen Ermessensentscheidung verstoße gegen die Grundprinzipien des Jugendstrafrechts. Im Übrigen würde die Jugendkammer von einer Ermessensreduzierung auf Null ausgehen. Die Angeklagten seien hier tatsächlich entreichert, weil die sichergestellten 535 € durch die den Angeklagten auferlegten Gerichtskosten in dem staatlichen Zahlungsanspruch aufgingen und im Übrigen die erzielten Rauschgifterlöse nicht mehr vorhanden seien.

73. Die Ablehnung der Anordnung des Verfalls und des Wertersatzverfalls hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

8a) Die Vorschriften der §§ 73 ff. StGB sind über die Verweisung in § 2 Abs. 2 JGG auch im Jugendstrafrecht anwendbar (Altenhain in MünchKomm/StGB § 2 JGG Rdn. 7; Eser in Schönke/Schröder StGB 27. Aufl. vor § 73 Rdn. 11). Hieran knüpft § 8 Abs. 3 JGG an, wonach der Richter neben Jugendstrafe auf die nach dem Jugendgerichtsgesetz zulässigen Nebenstrafen und Nebenfolgen erkennen kann. Damit sind auch die im Siebenten Titel des 3. Abschnitts des Strafgesetzbuchs genannten Maßnahmen des Verfalls und der Einziehung (§ 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB) gemeint (Altenhain aaO § 8 Rdn. 3; vgl. zur Einziehung nach § 74 Abs. 1 und 2 Nr. 1 StGB). Hiervon nimmt § 6 JGG lediglich die dort genannten Nebenfolgen aus (Altenhain aaO § 6 JGG Rdn. 6). Diese gesetzgeberische Entscheidung kann nicht unter Berufung auf erzieherische Interessen unterlaufen werden; § 6 JGG ist eine Ausnahmevorschrift (vgl. Dallinger/Lackner JGG 2. Aufl. § 6 Rdn. 10). Deshalb ist nicht nur die Anordnung des Verfalls, sondern auch diejenige des Verfalls des Wertersatzes zulässig (Altenhain aaO Rdn. 8; unklar Eisenberg aaO § 6 Rdn. 5).

9b) Für dieses Ergebnis streiten auch systematische Erwägungen: Das Jugendgerichtsgesetz geht in § 76 Satz 1 JGG selbst von der Zulässigkeit der Anordnung des Verfalls aus. Die Anordnung des Wertersatzverfalls entspricht auch nicht der Verhängung einer - im Jugendgerichtsgesetz nicht vorgesehenen - Geldstrafe. Zwar wird die vom Gericht bestimmte Geldsumme wie eine Geldstrafe beigetrieben (§ 459 g Abs. 2 StPO); dem zu Wertersatzverfall Verurteilten droht jedoch im Falle der Uneinbringlichkeit keine Ersatzfreiheitsstrafe (Meyer-Goßner aaO § 459 g Rdn. 7; vgl. demgegenüber , BGHSt 6, 258 zu § 401 Abs. 2 RAbgO). Das Jugendgerichtsgesetz sieht zudem verschiedentlich die Auferlegung von Geldzahlungen vor (vgl. nur § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 4 JGG) und bewehrt deren schuldhafte Nichterfüllung mit Jugendarrest (§ 15 Abs. 3 Satz 2 JGG). Insbesondere ermächtigt das Jugendgerichtsgesetz auch zur Abschöpfung des strafbar erlangten Gewinns durch Zahlung eines Geldbetrages (§ 15 Abs. 2 Nr. 2 JGG; vgl. dazu Eisenberg aaO § 15 Rdn. 18).

10c) Daher ist die Verhängung der in §§ 73 ff. StGB vorgesehenen Maßnahmen auch bei Jugendlichen und solchen Heranwachsenden zulässig, auf die Jugendstrafrecht angewendet wird, und zwar, wie sich schon aus § 73 a StGB ergibt, unabhängig davon, ob der Wert noch im Vermögen des Jugendlichen vorhanden ist (Altenhain aaO; a.A. Diemer in Diemer/Schoreit/Sonnen JGG 5. Aufl. § 6 Rdn. 3; wohl auch Brunner/Dölling JGG 11. Aufl. § 6 Rdn. 3, 6, 7). Der Vermeidung von Härten dient allein § 73 c StGB.

11d) Der Bundesgerichtshof ist dementsprechend wiederholt ohne weiteres von der Zulässigkeit der Anordnung des Verfalls von Wertersatz neben der Verhängung von Jugendstrafe ausgegangen und hat lediglich die Anwendung der Härtevorschrift des § 73 c StGB näher geprüft (BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 21/01, NJW 2001, 1805 und vom - 2 StR 76/09, NJW 2009, 2755).

12e) Unabhängig davon geht die Annahme des Landgerichts, der Anordnung des Verfalls der sichergestellten 535 € stünde auch entgegen, dass dieser Betrag "durch die den Angeklagten auferlegten Gerichtskosten in dem staatlichen Zahlungsanspruch" aufginge, fehl. Das Gesetz sieht eine derartige Verknüpfung staatlicher Zahlungsansprüche mit der Folge der Verdrängung des Verfalls nicht vor.

III.

131. Der aufgezeigte Rechtsfehler nötigt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, soweit das Landgericht davon abgesehen hat, den Verfall (von bis zu 535 €) und den Verfall des Wertersatzes anzuordnen. Der nicht weiter begründete Hinweis der Kammer, sie würde - wohl im Rahmen des § 73 c Abs. 1 Satz 2 StGB - von einer Ermessensreduzierung auf Null ausgehen, vermag das Beruhen des Urteils auf dem Rechtsfehler nicht auszuschließen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofs sind Hilfserwägungen zur Rechtsfolgenentscheidung unzulässig (RGSt 70, 400, 403; 71, 101, 104; , BGHSt 7, 359; , NStZ 1998, 305, 306; Beschl. vom - 2 StR 386/08). Wegen des von der Jugendkammer angenommenen Verstoßes einer auf § 73 c StGB gestützten Ermessensentscheidung gegen die Grundprinzipien des Jugendstrafrechts besorgt der Senat darüber hinaus, dass das Landgericht bei seinen Erwägungen die - auch erzieherische - Bedeutung der nach dem Gesetz zulässigen Gewinnabschöpfung rechtsfehlerhaft nicht hinreichend bedacht hat. Der ergänzende Hinweis auf die Belastung "mit einer so exorbitant hohen Geldforderung" lässt im Übrigen befürchten, dass das Landgericht die Möglichkeit einer bloßen Reduzierung der Höhe des Verfalls (von Wertersatz) gemäß § 73 c Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB ("soweit"; vgl. , NJW 2001, 1805, 1806 m.w.N.) übersehen hat.

142. Der neue Tatrichter wird nunmehr - ausgehend vom Bruttoprinzip (vgl. , BGHSt 47, 369, 370 ff.) - die Höhe der Erlöse aus den Betäubungsmittelverkäufen für jeden Angeklagten gesondert festzustellen haben. Die bei mehreren Tatbeteiligten erforderliche Erlangung der (faktischen) wirtschaftlichen Mitverfügungsgewalt (Senat, Urt. vom - 4 StR 544/06 m.w.N.; vgl. zur gesamtschuldnerischen Haftung , NStZ 2008, 623) ist auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen zu bejahen; allerdings wird zu beachten sein, dass in den Fällen acht bis zehn der Urteilsgründe nicht alle Angeklagten beteiligt waren, so dass insoweit eine Verfallsanordnung gegen die Nichtbeteiligten nicht auf § 73 StGB (und daran anknüpfend § 73 a StGB) gestützt werden kann (vgl. Senat, Urt. vom - 4 StR 386/08). Sodann wird für jeden der Angeklagten zu prüfen sein, ob nach § 73 c StGB ganz oder teilweise von der Anordnung des Verfalls der 535 € und des Wertersatzverfalls abzusehen ist. Insoweit verweist der Senat auf die Grundsätze im Senatsurteil vom - 4 StR 153/08, NStZ-RR 2009, 234).

153. Vorsorglich bemerkt der Senat, dass die auf § 353 Abs. 2 StPO beruhende Aufhebung der dem Verfall zuzuordnenden Feststellungen nicht die sogenannten doppelrelevanten Tatsachen erfasst, die auch den Schuld- oder Strafausspruch tragen (z.B. die Feststellungen zu den Einkaufs- und Verkaufspreisen; vgl. näher Meyer-Goßner aaO Einl. 187; § 353 Rdn. 20); insoweit sind nur ergänzende Feststellungen zulässig, die den bindend gewordenen nicht widersprechen dürfen.

Fundstelle(n):
NJW 2010 S. 3106 Nr. 42
wistra 2010 S. 441 Nr. 11
WAAAD-47303