BGH Beschluss v. - II ZB 12/09

Leitsatz

Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, nach der die Frist zur Nachholung der Berufungsbegründung für die mittellose Partei erst mit der Mitteilung der Entscheidung über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist beginnt (BGH, , XI ZR 40/06, BGHZ 173, 14 Tz. 9; 13; Sen.Beschl. v. , II ZB 19/07, NJW-RR 2008, 1306 Tz. 16), stellt eine Ausnahme von den getroffenen gesetzlichen Regeln dar, weil sie allein auf der Besonderheit beruht, dass eine verfassungsrechtlich problematische Benachteiligung der mittellosen Partei bei der Bestimmung der im Wiedereinsetzungsrecht geltenden Rechtsmittelbegründungsfristen zu vermeiden ist; eine Übertragung dieser Rechtsprechung auf Anträge über die Wiedereinsetzung einer nicht mittellosen Partei kommt danach nicht in Betracht .

Gesetze: § 234 Abs 1 S 2 ZPO, § 234 Abs 2 ZPO, § 236 Abs 2 S 2 ZPO

Instanzenzug: OLG Frankfurt Az: 5 U 25/09 Beschlussvorgehend LG Frankfurt Az: 3/5 O 267/08nachgehend Az: II ZB 12/09 Beschluss

Gründe

I.

1Der Rechtsbeschwerdeführer ist als Aktionär der Beklagten dieser als Nebenintervenient in einem Rechtsstreit beigetreten, in dem die Beklagte von zwei Aktionären im Wege der Anfechtungsklage wegen eines Hauptversammlungsbeschlusses in Anspruch genommen wird. Mit der Rechtsbeschwerde wendet sich der Rechtsbeschwerdeführer dagegen, dass das Berufungsgericht seine Berufung sowie seinen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Fristversäumung als unzulässig verworfen hat.

2Ein auf der Hauptversammlung der Beklagten vom gefasster Beschluss über eine Kapitalerhöhung wurde mit Anfechtungsklagen zweier Aktionäre, den Klägern, angegriffen. Mit Beschluss vom verband die Kammer für Handelssachen die beiden Verfahren und bestimmte mit Verfügung vom gleichen Tag die Durchführung eines frühen ersten Termins für den . Mit Schriftsatz vom trat die G. AG als Aktionärin dem Rechtsstreit auf Seiten der Beklagten als Nebenintervenientin bei.

3Die Beklagte erkannte sodann mit Schriftsatz vom den mit den Klagen geltend gemachten Anspruch an und verzichtete auf Rechtsmittel. Das Landgericht erließ am ein Anerkenntnisurteil und hob den anberaumten Termin zur mündlichen Verhandlung vom auf. Das Anerkenntnisurteil wurde der Beklagten und der auf ihrer Seite als Nebenintervenientin beigetretenen G. AG jeweils am zugestellt.

4Mit Schriftsatz vom erklärte der Rechtsbeschwerdeführer seinen Beitritt als Nebenintervenient auf Seiten der Beklagten. Am9. Januar 2009 schrieb der Vorsitzende der Kammer für Handelssachen des Landgerichts an die Prozessbevollmächtigten des Rechtsbeschwerdeführers:

"In pp werden Sie darauf hingewiesen, dass das Verfahren hier durch rechtskräftiges Anerkenntnisurteil gegen die Beklagte vom beendet ist."

5Dieses Schreiben wurde am abgesandt. Am Vormittag desselben Tages, einem Montag, wurde der Prozessbevollmächtigte des Rechtsbeschwerdeführers von der Geschäftsstelle des Landgerichts telefonisch darüber informiert, dass die Verfügung vom übersandt werde, der Verhandlungstermin am nicht stattfinde und bereits ein rechtskräftiges Urteil vorliege. Am ging das am richterlich verfügte Schreiben bei dem Prozessbevollmächtigten des Rechtsbeschwerdeführers ein.

6Am erhielt der Prozessbevollmächtigte des Rechtsbeschwerdeführers die Gerichtsakten zur Einsicht. Am ging beim Berufungsgericht die Berufungsschrift vom selben Tage ein, mit der der Rechtsbeschwerdeführer gegen das Anerkenntnisurteil Berufung einlegte und hilfsweise für den Fall einer etwaigen Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragte. Mit bei Gericht am eingegangenen Schriftsatz vom begründete der Rechtsbeschwerdeführer seine Berufung.

7Das Oberlandesgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung zurückgewiesen und die Berufung des Beklagten als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Rechtsbeschwerdeführers.

II.

81. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO), aber unzulässig, weil es an den Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO fehlt. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2, 2. Alt. ZPO) nicht erforderlich, da das Oberlandesgericht die Berufung des Rechtsbeschwerdeführers im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen hat.

92. Allerdings rügt die Rechtsbeschwerde mit Recht, dass das Berufungsgericht den Antrag des Rechtsbeschwerdeführers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist zu Unrecht verworfen hat.

10Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist das Hindernis für eine fristgerechte Einlegung der Berufung, nämlich die Unkenntnis des Umstandes, dass ein am erlassenes Anerkenntnisurteil verkündet und am der Beklagten und ihrer bereits in erster Instanz beigetretenen Nebenintervenientin zugestellt worden war, nicht durch die Zustellung der richterlichen Verfügung vom vom - bzw. durch den entsprechenden telefonischen Hinweis vom durch die Geschäftsstelle des Landgerichts - beseitigt worden. Der richterliche Hinweis, das Verfahren sei "durch rechtskräftiges Anerkenntnisurteil gegen die Beklagte vom beendet", war - wie das Berufungsgericht mit Recht ausgeführt hat - rechtlich unzutreffend, weil Anerkenntnis und Rechtsmittelverzicht der Beklagten für ihre bereits in erster Instanz beigetretene streitgenössische Nebenintervenientin keine Bindungswirkung entfalten konnten, eine formelle Rechtskraft mithin erst nach Ablauf der durch Zustellung des Anerkenntnisurteils in Lauf gesetzten, noch bis zum und damit über den Tag der richterlichen Hinweisverfügung vom hinaus reichenden Berufungsfrist eintreten konnte. Der richterliche Hinweis war deshalb nicht geeignet, dem Rechtsbeschwerdeführer die notwendigen Kenntnisse zu vermitteln, um ihn in die Lage zu versetzen, nunmehr binnen der zweiwöchigen Frist des § 234 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 ZPO Berufung einzulegen. Im Gegenteil musste der Prozessbevollmächtigte auf der Grundlage der richterlichen Informationen, das Verfahren sei rechtskräftig beendet, davon ausgehen, dass eine Berufungsfrist bereits abgelaufen, der Beitritt also zu spät erfolgt (§ 66 Abs. 2 ZPO) und eine Berufungseinlegung mithin unzulässig war. Der Prozessbevollmächtigte des Rechtsbeschwerdeführers war auch nicht gehalten, auf Grund des Hinweises Akteneinsicht zu nehmen, um seine Richtigkeit zu überprüfen. Er konnte vielmehr dem Hinweis des Gerichts vertrauen, dass das Anerkenntnisurteil rechtskräftig sei. Umstände, die Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der richterlichen Auskunft begründen könnten und deshalb eigene Nachforschungen erforderlich machten (dazu Musielak/Grandel, ZPO 7. Aufl. § 233 Rdn. 51), waren für den Rechtsbeschwerdeführer nicht ersichtlich.

113. Die angefochtene Entscheidung wird von der Begründung des Oberlandesgerichts nicht getragen, sie ist allerdings aus anderen Gründen richtig (§ 577 Abs. 3 ZPO). Denn die Berufung musste wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist gemäß § 520 Abs. 2 ZPO als unzulässig verworfen werden. Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass insoweit eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht in Betracht kommt, weil der Rechtsbeschwerdeführer die Berufungsbegründung entgegen § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO nicht innerhalb der einmonatigen Frist zur Wiedereinsetzung (§ 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO) nachgeholt hat.

12a) Die Frist zur Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist beginnt gemäß § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO an dem Tag, an dem das Hindernis behoben ist. Im Streitfall begann diese Frist am , dem Tag der Einsichtnahme in die Gerichtsakten durch den Prozessbevollmächtigten des Rechtsbeschwerdeführers. Denn das Hindernis für eine fristgerechte Einlegung und Begründung der Berufung lag hier darin, dass dem Rechtsbeschwerdeführer bis zur Akteneinsicht unbekannt war, dass ein Urteil des Landgerichts ergangen und am der Beklagten und ihrer bereits in erster Instanz beigetretenen Nebenintervenientin zugestellt worden war. Die Berufungsbegründung ging jedoch erst am und damit nach Ablauf der Monatsfrist gemäß §§ 234 Abs. 1 Satz 2, 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO ein.

13b) Nicht einschlägig ist hier die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, nach der die Frist zur Nachholung der Berufungsbegründung für die mittellose Partei erst mit der Mitteilung der Entscheidung über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist beginnt (BGHZ 173, 14 Tz. 9, 13; Sen.Beschl. v. - II ZB 19/07, NJW-RR 2008, 1306 Tz. 16). Diese Rechtsprechung stellt eine Ausnahme von den getroffenen gesetzlichen Regeln dar, weil sie auf der Besonderheit beruht, dass eine verfassungsrechtlich problematische Benachteiligung der mittellosen Partei bei der Bestimmung der im Wiedereinsetzungsrecht geltenden Rechtsmittelbegründungsfristen zu vermeiden ist (vgl. dazu BGHZ 173, 14 Tz. 11 ff.; Zöller/Greger, ZPO 28. Aufl. § 234 Rdn. 7a; MünchKommZPO/Gehrlein 3. Aufl. § 234 Rdn. 9; Musielak/Grandel, ZPO 7. Aufl. § 234 Rdn. 4, § 236 Rdn. 6;Prütting/Gehrlein/Milger, ZPO § 234 Rdn. 8 ff.). Eine Übertragung dieser Rechtsprechung auf Anträge über die Wiedereinsetzung einer nicht mittellosen Partei kommt nicht in Betracht. Ihr steht das gerade bei der Auslegung gesetzlicher Vorschriften über Fristen besonders gewichtige Gebot der Rechtsmittelklarheit (dazu , NJW 2008, 1164 Tz. 8; v. - XII ZB 184/05, NJW-RR 2008, 1313 Tz. 22) ebenso entgegen, wie sie wegen der völlig anderen Lage einer nicht mittellosen Partei sachlich nicht gerechtfertigt wäre.

Goette                               Strohn                              Caliebe

                  Reichart                            Löffler

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
ZIP 2010 S. 1821 Nr. 37
HAAAD-46268