BFH Urteil v. - IV R 24/07

Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens bei verfahrensfehlerhafter Entscheidung des FG durch Teilurteil; Teilurteil über die Höhe des Steuermessbetrags nach dem Gewerbeertrag nicht statthaft; keine Umdeutung eines unstatthaften Teilurteils in ein Zwischenurteil

Leitsatz

Ein Teilurteil im Sinne des § 98 FGO darf nur zu einem abtrennbaren Teil des Streitgegenstandes ergehen. Ein Teil eines einheitlichen Streitgegenstands ist abtrennbar, wenn er einer gesonderten tatsächlichen und rechtlichen Würdigung zugänglich ist.
Hat das Finanzgericht verfahrensfehlerhaft durch Teilurteil entschieden, liegt darin ein von Amts wegen zu berücksichtigender Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens.
Über die Höhe des Steuermessbetrags nach dem Gewerbeertrag darf nicht durch Teilurteil entschieden werden.
Die Umdeutung eines unstatthaften Teilurteils in ein Zwischenurteil im Sinne des § 99 Abs. 2 FGO ist nicht möglich, weil bei Ergehen eines Zwischenurteils den Beteiligten - anders als bei einem Teilurteil - nach § 99 Abs. 2 FGO ein Widerspruchsrecht zusteht, auf das sie vom Gericht hingewiesen werden müssen.

Gesetze: FGO § 98, FGO § 99 Abs. 2, AO § 157 Abs. 2, GewStG § 14

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

1 I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine GmbH & Co. KG, deren Gesellschaftszweck der Erwerb des Erbbaurechts an bestimmten Grundstücken der Stadt X sowie die Errichtung einer Tiefgarage, deren Vermietung oder Veräußerung ist. Mit notariellem Erbbaurechtsvertrag vom bestellte die Stadt X der Klägerin für die Dauer von 50 Jahren ein Erbbaurecht an den betreffenden Grundstücken. Die Klägerin verpflichtete sich darin zum Bau einer Tiefgarage. Am selben Tag schlossen die KG und die Stadt X einen Mietvertrag über die von der Klägerin zu errichtende Tiefgarage. Das Mietverhältnis sollte mit der Übernahme des Mietobjekts durch die Mieterin, spätestens zum , beginnen. Die Mietdauer sollte 22 Jahre betragen. In dem Mietvertrag bot die Klägerin der Stadt X den Abschluss eines Kaufvertrags über das Erbbaurecht mit Tiefgarage an. Das Angebot konnte von der Stadt X zum Ablauf des Mietverhältnisses angenommen werden; als Kaufpreis wurden die noch nicht durch die Mieten amortisierten Gesamtkosten einschließlich etwaiger rückständiger Leistungen zum Zeitpunkt des Verkaufs vereinbart.

2 Die Klägerin erklärte in ihrer Gewerbesteuererklärung für das Streitjahr 1991 einen Verlust, der u.a. aus Absetzungen für Abnutzung (AfA) auf das Erbbaurecht und auf die Tiefgarage resultierte, und nahm die erweiterte Kürzung nach § 9 Nr. 1 Sätze 2 bis 5 des Gewerbesteuergesetzes in der für das Streitjahr geltenden Fassung (GewStG) in Anspruch. Nach einer Außenprüfung erkannte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) die AfA nicht mehr an, weil die Stadt X wirtschaftliche Eigentümerin des Erbbaurechts sei. Auch eine Kürzung des Gewerbeertrags nach § 9 Nr. 1 Sätze 2 bis 5 GewStG lehnte das FA ab. Außerdem berücksichtigte es, dass eine geänderte Feststellung des Einheitswerts des Betriebsvermögens auf den ergangen war. Dementsprechend änderte das FA den Bescheid über den einheitlichen Gewerbesteuermessbetrag 1991. Der hiergegen gerichtete Einspruch blieb ohne Erfolg. Über den Einspruch der Klägerin gegen den Bescheid über die Feststellung des Einheitswerts des Betriebsvermögens auf den hat das FA noch nicht entschieden.

3 Das Finanzgericht (FG) entschied auf die gegen den Bescheid über den einheitlichen Gewerbesteuermessbetrag 1991 gerichtete Klage durch Teilurteil, dass der Steuermessbetrag nach dem Gewerbeertrag für 1991 unter Berücksichtigung der AfA auf das Erbbaurecht und auf die Tiefgarage sowie der erweiterten Kürzung des Gewerbeertrags nach § 9 Nr. 1 Sätze 2 bis 5 GewStG festgesetzt wird; das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2007, 1836 veröffentlicht. Die Klage sei dahin auszulegen, dass die Klägerin auch die Höhe des Steuermessbetrags nach dem Gewerbekapital angreife, weil sonst ohnehin nicht auf die begehrte Herabsetzung des einheitlichen Steuermessbetrags auf 0 DM erkannt werden könne. Dessen Höhe hänge jedoch vom Ausgang des Einspruchsverfahrens gegen die Feststellung des Einheitswerts des Betriebsvermögens auf den ab. Da der Rechtsstreit jedoch hinsichtlich der Höhe des Steuermessbetrags nach dem Gewerbeertrag zur Entscheidung reif sei, sei es sachgerecht, durch Teilurteil über diesen Streitgegenstand zu entscheiden.

4 Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung des § 39 Abs. 2 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO).

5 Es beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

6 Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Revision zurückzuweisen.

7 II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—).

8 Das FG hat verfahrensfehlerhaft durch Teilurteil entschieden. Darin liegt ein von Amts wegen zu berücksichtigender Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens (, BFH/NV 2000, 966; vgl. auch , BFH/NV 1998, 1197, m.w.N., zum Grundurteil).

9 1. Nach § 98 FGO kann das Gericht ein Teilurteil erlassen, wenn nur ein Teil des Streitgegenstandes zur Entscheidung reif ist. Der Erlass eines Teilurteils setzt voraus, dass der Streitgegenstand teilbar ist (, BFHE 173, 204, BStBl II 1994, 403, m.w.N.). Ein Teilurteil darf nur zu einem abtrennbaren Teil des Streitgegenstandes ergehen (vgl. , BFH/NV 1993, 316, unter 1.b aa der Gründe; , Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2004, 1036, m.w.N.; sowie Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler —HHSp—, § 98 FGO Rz 9). Ein Teil eines einheitlichen Streitgegenstands ist abtrennbar, wenn er einer gesonderten tatsächlichen und rechtlichen Würdigung zugänglich ist (vgl. Clausing in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO § 110 Rz 4, m.w.N.).

10 2. Nach diesen Maßstäben durfte das FG über die Höhe des Steuermessbetrags nach dem Gewerbeertrag nicht durch Teilurteil entscheiden.

11 a) Die Klägerin hat mit ihrer Klage den Bescheid über den einheitlichen Gewerbesteuermessbetrag für 1991 angefochten; denn sie begehrte die Herabsetzung des einheitlichen Gewerbesteuermessbetrags für 1991 auf Null. Streitgegenstand ist bei einer Anfechtungsklage gegen einen Bescheid über den einheitlichen Gewerbesteuermessbetrag allein die Rechtmäßigkeit des durch ihn festgesetzten einheitlichen Steuermessbetrags (vgl. , BFHE 144, 386, BStBl II 1986, 17, unter II. der Gründe; Beschluss des Großen Senats des , BFHE 91, 393, BStBl II 1968, 344, unter III.4. der Gründe). Die Steuermessbeträge nach dem Gewerbeertrag und nach dem Gewerbekapital werden zwar nach den §§ 7 ff. und §§ 12 f. GewStG getrennt ermittelt (Selder in Glanegger/Güroff, GewStG, 7. Aufl., § 14 Rz 1). Festgesetzt wird aber (nur) der einheitliche Steuermessbetrag, der durch die Zusammenrechnung der Steuermessbeträge nach dem Gewerbeertrag und nach dem Gewerbekapital gebildet wird (vgl. § 14 GewStG). Die beiden Steuermessbeträge sind ebenso wie die zu ihrer Feststellung führenden einzelnen Besteuerungsmerkmale nach § 157 Abs. 2 AO nicht selbständig anfechtbare Teile des Bescheids über den einheitlichen Gewerbesteuermessbetrag (Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 91, 393, BStBl II 1968, 344, unter III.4. der Gründe).

12 b) Die Höhe des Steuermessbetrags nach dem Gewerbeertrag ist als unselbständige Besteuerungsgrundlage i.S. des § 157 Abs. 2 AO einer gesonderten tatsächlichen und rechtlichen Würdigung nicht zugänglich; über unselbständige Besteuerungsgrundlagen kann nicht durch Teilurteil entschieden werden (, BFH/NV 2004, 527; Lange in HHSp, § 98 FGO Rz 10; Tipke in Tipke/Kruse, Finanzgerichtsordnung, § 98 FGO Rz 2; Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 98 Rz 2; Woerner, Betriebs-Berater 1968, 1030, 1032; Gräber, Deutsches Steuerrecht 1968, 491, 492; vgl. auch Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 91, 393, BStBl II 1968, 344, unter III.3.c der Gründe). Das FG hat im Rahmen des Klagebegehrens die Rechtmäßigkeit des festgesetzten einheitlichen Steuermessbetrags ohne Rücksicht auf die —nach Auffassung der Verfahrensbeteiligten bestehenden oder fehlenden— Besteuerungsgrundlagen zu prüfen (vgl. Beschluss des Großen Senats des BFHE 129, 117, BStBl II 1980, 99, unter C.II.1. der Gründe, zum Steuerbescheid). Eine Herabsetzung (Erhöhung) des Steuermessbetrags nach dem Gewerbeertrag kann daher mit einer entsprechenden Erhöhung (Herabsetzung) des Steuermessbetrags nach dem Gewerbekapital saldiert werden (vgl. BFH-Urteil in BFHE 144, 386, BStBl II 1986, 17, unter II. der Gründe).

13 3. Die Umdeutung des unstatthaften Teilurteils in ein Zwischenurteil i.S. des § 99 Abs. 2 FGO ist nicht möglich, weil bei Ergehen eines Zwischenurteils den Beteiligten —anders als bei einem Teilurteil— nach § 99 Abs. 2 FGO ein Widerspruchsrecht zusteht, auf das sie vom Gericht hingewiesen werden müssen. Die Möglichkeit, dieses Recht wahrzunehmen, würde eingeschränkt, wenn das Gericht ein Teilurteil erließe, das wahlweise als Zwischenurteil aufgefasst werden könnte (BFH-Urteil in BFH/NV 2004, 527, m.w.N; Lange in HHSp, § 99 FGO Rz 52).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
AO-StB 2010 S. 203 Nr. 7
BFH/NV 2010 S. 1491 Nr. 8
PAAAD-44641