BVerwG Beschluss v. - 8 B 118/09

Grundrechtsschutz bei Versorgungswerk mit offener Deckungsplanverfahrensfinanzierung

Gesetze: Art 14 Abs 1 GG, Art 20 Abs 1 GG, Art 20 Abs 3 GG

Instanzenzug: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Az: 9 S 665/08 Urteil

Gründe

1Die auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

2Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den Einzelfall hinausgehenden klärungsbedürftigen Rechtsfrage des revisiblen Rechts zu erwarten ist. Daran fehlt es.

3Die Beschwerde meint, dass der vorliegende Rechtsstreit die grundsätzlich bedeutsame Rechtsfrage aufwirft, ob ein berufsständisches Versorgungswerk aufgrund des grundgesetzlichen Vertrauensschutzes dazu verpflichtet ist, eine Übergangsregelung für über 55-jährige Teilnehmer des Versorgungswerks zu schaffen, wenn eine jahrzehntelang gewährte freie Zuzahlungsmöglichkeit für über 55-jährige durch eine Satzungsänderung für diese Altersgruppe beschränkt wird. Die aufgeworfene Frage sei entscheidungserheblich. Sie sei auch klärungsbedürftig, weil sie die formale Frage des Gestaltungsspielraums des Satzungsgebers aufwerfe und ob bzw. inwieweit zu Gunsten einer Entscheidung des Klägers für die Altersvorsorge durch jahrelange freiwillige Zuzahlungen ein Vertrauensschutz entstehen könne, der vom Satzungsgeber im Rahmen des Proportionalitätsgedankens zu berücksichtigen sei.

4Die aufgeworfene Frage würde sich zum einen in einem Revisionsverfahren so nicht stellen und lässt sich zum anderen anhand der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts beantworten.

5Nach den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs, die den Senat binden (§ 137 Abs. 2 VwGO), werden die tatsächlich erbrachten Beitragsleistungen durch die Satzungsänderung nicht berührt. Die eingezahlten Zuzahlungsbeträge sind auch weiterhin voll ruhegehaltswirksam. Dem Kläger wird durch die Satzungsänderung ab 2005 die Möglichkeit genommen, weiterhin eine Zuzahlung bis zu 100 % der Durchschnittsabgabe leisten zu können. Zusätzliche Abgaben sind nach der Satzungsänderung nur noch bis zu 10 % der jährlichen Pflichtabgabe möglich. Die darüber hinausgehende Auffüllung auf die jährliche Durchschnittsabgabe ist für die Jahre ausgeschlossen, in denen der Teilnehmer das 55. Lebensjahr bereits vollendet hat. Der Kläger erreicht mit seiner zusätzlich geleisteten Abgabe 67,29 % der Durchschnittsabgabe statt wie bisher 100 % der jährlichen Durchschnittsabgabe.

6Es geht im vorliegenden Rechtsstreit somit nicht um die im Versorgungswerk der Beklagten bereits erworbene Anwartschaft auf Leistungen, der grundsätzlich Eigentumsschutz zukommt, sondern um das Fortbestehen der Aussicht, durch Zahlung höherer zusätzlicher Abgaben an das Versorgungswerk der Beklagten eine höhere Altersversorgung zu erlangen. Diese Aussicht ist eigentumsrechtlich nicht geschützt (vgl. - NZS 2005, 253 f.). Nichts anderes folgt im Ergebnis aus dem rechtsstaatlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes, der für vermögenswerte Güter bei Eingriffen in das Eigentumsrecht eine eigene Ausprägung in Art. 14 GG erfahren hat (vgl. u.a. - BVerfGE 45, 142 <186>; Urteil vom - 1 BvL 17/77 u.a. - BVerfGE 53, 257 <309>; Beschlüsse vom - 1 BvR 874/77 u.a. - BVerfGE 58, 81 <120 f.>, vom - 1 BvR 820/79 - BVerfGE 64, 87 <104> und vom - 1 BvL 10/00 - BVerfGE 117, 272 <294>). Da die vor der Satzungsänderung bestehende Möglichkeit einer Zuzahlung in Höhe von 100 % der jährlichen Durchschnittsabgabe nicht dem Schutz des Art. 14 GG unterliegt, ist anhand dieser Verfassungsnorm auch nicht zu prüfen, ob das Vertrauen der vom Kläger repräsentierten Personengruppe dadurch verletzt ist, dass keine Übergangsregelung geschaffen wurde.

7Selbst wenn man unterstellt, dass die Aussicht des Klägers durch Zahlung höherer Beiträge eine für ihn ertragsreichere Altersversorgung zu erlangen, unter den Schutz von Art. 14 Abs. 1 GG fiele, so schließt auch die Eigentumsgarantie grundsätzlich eine Anpassung an veränderte Bedingungen nicht aus (vgl. Urteil vom - 1 BvL 32/95 u.a. - BVerfGE 100, 1 <37 f.>). Auch wenn in schon bestehende Anwartschaften eingegriffen wird, ist zu berücksichtigen, dass in ihnen von vornherein die Möglichkeit von Änderungen in gewissen Grenzen angelegt ist. Solche Eingriffe müssen allerdings einem Gemeinwohlzweck dienen und verhältnismäßig sein (stRspr, u.a. - a.a.O. <293>; - BVerfGE 70, 101 <111> und Urteil vom - 1 BvL 32/95 u.a. - a.a.O. <38>). Knüpft der Gesetzgeber an ein bereits bestehendes Versicherungsverhältnis an und verändert er die in dessen Rahmen begründete Anwartschaft zum Nachteil des Versicherten, so ist darüber hinaus ein solcher Eingriff am rechtsstaatlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes in der für Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG maßgeblichen Ausprägung zu messen (stRspr, BVerfG, Beschlüsse vom - 1 BvL 5, 6, 9/70 - BVerfGE 36, 281 <293>, vom - 1 BvR 874/77 u.a. - a.a.O. <120>, vom - 1 BvR 820/79 - a.a.O., vom - 1 BvL 7/83 - BVerfGE 71, 1 <11 f.> und vom - 1 BvR 488, 1220, 628, 1278/86 u.a. - BVerfGE 76, 220 <244 f.>). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stellt jedenfalls das 55. Lebensjahr in der Versicherungsbiografie unter dem Gesichtspunkt des verfassungsrechtlichen Bestandsschutzes einer rentenrechtlichen Anwartschaft keine eigentumsrelevante Zäsur dar (vgl. - BVerfGE 117, 272 <294 f.>).

8Nichts anderes gilt für den Fall der vom Satzungsgeber vorgenommenen nachträglichen Beschränkung der Möglichkeit von höheren Zuzahlungen in einem berufsständischen Versorgungswerk. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist der Grundrechtsschutz bei einem Versorgungswerk, dessen Finanzierungssystem auf einem offenen Deckungsplanverfahren beruht, nicht geringer als im umlagefinanzierten gesetzlichen Rentensystem ( BVerwG 6 C 3.05 - Buchholz 11 Art. 14 GG Nr. 350). Die Gestaltungsfreiheit des Satzungsgebers bei der Beschränkung von Rentenansprüchen und -anwartschaften verengt sich allerdings in dem Maße, in dem Rentenansprüche oder -anwartschaften durch den personalen Bezug des Anteils eigener Leistungen der Versicherten geprägt sind.

9Maßnahmen, die die bisher erworbene Rechtsposition nicht tangieren und für die Zukunft die weitere Zusatzleistung - allerdings begrenzt - aufrechterhalten und die der finanziellen Stabilität des Versorgungssystems dienen, stellen sich in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht als unverhältnismäßig dar. Es ist verfassungsrechtlich nicht geboten, dem Vertrauen in deren weiteren Bestand Vorrang einräumen (vgl. 1 BvR 564, 684, 877, 886, 1134, 1636, 1711/84 - BVerfGE 75, 78 <104 f.>). Es ist nicht ersichtlich, dass sich insoweit für den Bereich von berufsständischen Versorgungswerken aus dem Grundgesetz Unterschiede ergeben sollten und dass insoweit ein weiterer rechtsgrundsätzlicher Klärungsbedarf besteht.

10Auch wenn man im vorliegenden Zusammenhang den Vertrauensschutz nicht nur in Art. 14 GG, sondern daneben auch im Rechts- und Sozialstaatsgebot (Art. 20 Abs. 1 und 3 GG) „verortet“ sieht, führt dies nicht zu einem rechtsgrundsätzlichen Klärungsbedarf und damit nicht zur Zulassung der Revision. Denn ein verfassungsrechtlich geschütztes Vertrauen des Klägers darauf, dass auch für die Zukunft ohne Beschränkung höhere zusätzliche Abgaben an das Versorgungswerk geleistet werden können, ist nicht erkennbar. Die erfolgte Neuregelung diente einem von Verfassung wegen nicht zu beanstandenden Regelungsziel. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs, gegen die keine Verfahrensrügen erhoben wurden und die den Senat binden (§ 137 Abs. 2 VwGO), führen die Versorgungsabgaben der Teilnehmer nach der Satzung zu Rentenansprüchen, ohne dass bei deren Berechnung das Alter berücksichtigt wird, in dem die Abgaben geleistet wurden. Die vom Kläger angegriffenen Vorkehrungen gegen - aus Sicht des Versorgungswerkes - übermäßige Zuzahlungen kurz vor Eintritt des Rentenalters wurden maßgeblich durch die Neufassung der Altersgrenze in der Satzung der Beklagten angestoßen. Mit dieser Novellierung wurde die Altersgrenze für die Teilnahme am Versorgungssystem der Beklagten aus europarechtlichen Gründen von 45 auf 65 Jahre angehoben. Durch die Streichung der ursprünglich bestehenden Altersgrenze wäre, was auch der Kläger nicht bestreitet, möglich gewesen, dass ein Berechtigter erst in höherem Lebensalter in die Versorgungsanstalt eintritt und demgemäß nur für einen relativ kurzen Zeitraum Versorgungsabgaben entrichtet. Durch die dadurch für das Versorgungswerk entstehenden relativen Zinsnachteile würden nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs die versicherungsmathematisch errechneten Versorgungsleistungen potentiell zu Lasten der jüngeren Mitglieder verschlechtert. Um dies zu verhindern, sei eine nachführende Begrenzung der Zuzahlungen in höherem Alter erforderlich, um der Generationengerechtigkeit der im Versorgungssystem der Beklagten bestehenden Solidargemeinschaft Rechnung zu tragen und damit die finanzielle Stabilität des Versorgungswerkes zu sichern.

11Dem Interesse des Klägers würde nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs dadurch Rechnung getragen werden, dass die Möglichkeit einer Zuzahlung in der Satzung nicht gänzlich aufgehoben wurde, sondern dass er weiterhin über die jährliche Abgabe hinaus eine Zuzahlung von 10 % der Durchschnittsabgabe erbringen kann, die 67,29 % der Durchschnittsabgabe statt wie bisher 100 % erreicht.

12Ob die durch die angegriffene Vorschrift bewirkte Umgestaltung versorgungsrechtlicher Rechtspositionen zum Nachteil des Klägers darüber hinaus am Maßstab des Art. 2 Abs. 1 GG zu messen ist (wohl bejahend - BVerfGE 97, 271 <285 f.>) mag dahinstehen, weil das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit nur in den Schranken des Art. 2 Abs. 1 Halbs. 2 GG gewährleistet ist. Art. 2 Abs. 1 GG ist nicht verletzt, wenn die Eingriffsnorm formell und materiell verfassungsgemäß ist, insbesondere dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und den rechtsstaatlichen Anforderungen des Vertrauensschutzgebotes entspricht ( - a.a.O.). Es gelten somit die gleichen Maßstäbe.

13Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.

Fundstelle(n):
HAAAD-43731