OFD Niedersachsen - S 0622 - 226 - St 141

Rücknahme von Einsprüchen

1. Rücknahme durch die Einspruchsführer

Die Rücknahme ist vom Einspruchsführer zu erklären. Beim Wechsel des Einspruchsführers – z. B. nach Aufnahme des Verfahrens durch den Insolvenzverwalter – ist nur der neue Einspruchsführer rücknahmeberechtigt. Ist ein Vorerbe anstelle des verstorbenen Einspruchsführers in das Einspruchsverfahren eingetreten, so kann er ohne Zustimmung des Nacherben den Einspruch zurücknehmen. [1]

2. Rücknahme durch Beteiligte

Legen mehrere Beteiligte einen Einspruch ein, so kann zwar jeder von ihnen für seine Person den Einspruch zurücknehmen. Kann aber die Entscheidung ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen, so ist es zur Beendigung des Verfahrens erforderlich, dass alle Beteiligten die Rücknahme erklären. Bleibt der Einspruch auch nur eines Beteiligten anhängig, so sind zu diesem Verfahren die übrigen Beteiligten hinzuzuziehen (§ 360 Abs. 3 AO). [2]

Die nach § 360 AO zum Verfahren zugezogenen Beteiligten sind nicht berechtigt, einen Einspruch zurückzunehmen.

3. Rücknahme durch Bevollmächtigte

Hat der Einspruchsführer einen Dritten bevollmächtigt, ihn im Einspruchsverfahren zu vertreten, so ist grundsätzlich davon auszugehen, dass der Bevollmächtigte auch berechtigt ist, den Einspruch zurückzunehmen. Das gilt nicht, wenn der Bevollmächtigte erstmals im Einspruchsverfahren auftritt, keine schriftliche Vollmacht vorlegt und der Einspruchsführer in den vorangegangenen Verhandlungen mit dem Finanzamt deutlich zu erkennen gegeben hat, dass er nicht gewillt sei, den Einspruch zurückzunehmen. [3] Der Einspruchsführer kann die Befugnis zur Rücknahme eines Einspruchs von der Vollmacht ausschließen. [4] Eine derartige Beschränkung der Vollmacht ist aber nur wirksam, wenn sie vor der Rücknahme dem Finanzamt gegenüber ausgesprochen worden ist. [5] Es genügt, wenn der Einspruchsführer dem Finanzamt erklärt, eine Rücknahme des Einspruchs komme nicht in Betracht; er bestehe vielmehr darauf, dass über den Einspruch entschieden werde. [6] Andernfalls kann sich der Einspruchsführer nicht mit Erfolg darauf berufen, dass er seinem Bevollmächtigten die Rücknahme des Einspruchs nicht gestattet habe, es sei denn, das Finanzamt hätte diese interne Einschränkung gekannt oder kennen müssen (§ 173 BGB). Wenn der Einspruchsführer mit der Sachbehandlung durch seinen Bevollmächtigten nicht einverstanden ist, muss er sich mit diesem ggf. zivilrechtlich auseinander setzen.

4. Zeitliche Begrenzung der Rücknahme

Der Einspruch kann bis zur Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung zurückgenommen werden. Die Rücknahme ist somit noch zulässig, wenn die Entscheidung bereits abschließend gezeichnet, dem Einspruchsführer aber noch nicht zugestellt worden ist.

5. Form der Rücknahmeerklärung

Es gelten die gleichen Formvorschriften wie für die Einlegung des Einspruchs (§ 362 Abs. 1 Satz 2 AO i. V. m. § 357 Abs. 1 und 2 AO). Die Rücknahme ist somit schriftlich einzureichen oder zur Niederschrift zu erklären. [7] Aus dem Schriftstück muss hervorgehen, wer die Rücknahme erklärt und dass ein bestimmter Einspruch zurückgenommen wird.

6. Inhalt der Rücknahmeerklärung

Wegen ihrer weitreichenden Folgen muss die Rücknahmeerklärung eindeutig sein. Bestehen Zweifel, ob der Einspruchsführer seinen Einspruch zurücknehmen wollte, muss er – ggf. unter Hinweis auf die Rechtswirkungen einer Rücknahme – veranlasst werden, sich unmissverständlich zu äußern. Ist eine solche Äußerung nicht zu erhalten, muss die Erklärung nach den allgemeinen Grundsätzen ausgelegt werden. [8] Dabei ist nicht allein auf den Wortlaut der Erklärung abzustellen, sondern sie ist im Zusammenhang mit den zugehörigen Umständen zu würdigen. [9]Wenn es auch nicht erforderlich ist, dass der Einspruch ausdrücklich zurückgenommen wird, so muss doch eine als Rechtsbehelfsrücknahme zu wertende Erklärung schon im Hinblick auf die mit der Rücknahme verbundene Folge des Verlustes des eingelegten Einspruchs mit hinreichender Deutlichkeit darauf schließen lassen, dass das Einspruchsbegehren nicht weiter verfolgt wird. [10]Entscheidend ist, wie das Finanzamt als Erklärungsempfänger den objektiven Erklärungswert des Rücknahmeschreibens verstehen musste; dabei sind auch Umstände in Betracht zu ziehen, die sich nicht aus dem Rücknahmeschreiben selbst ergeben, die jedoch der entscheidenden Behörde und ggf. den anderen Verfahrensbeteiligten bekannt sind. [11]So ist in Wirklichkeit eine Rücknahme nicht gewollt, wenn der Einspruchsführer den Einspruch zurücknimmt, damit der angefochtene Bescheid nach § 172 Abs. 1 Nr. 2 AO geändert werden kann. [12]

Bestehen auch nach den erforderlichenfalls durchzuführenden Ermittlungen Zweifel, ob der Einspruch zurückgenommen werden sollte, so ist die Erklärung nicht als Rücknahme anzusehen.

Als Prozesshandlung darf die Rücknahme an keinerlei Vorbehalte oder Bedingungen geknüpft werden, sonst ist sie unwirksam. Erklärt der Einspruchsführer etwa, er nehme seinen Einspruch unter der Voraussetzung zurück, dass ihm ein Teil der Steuer erlassen werde, so liegt keine wirksame Rücknahme vor. Lautet die Erklärung dahin, der Einspruch werde unter der Bedingung zurückgenommen, dass das Finanzamt den Steuerfall wie besprochen erledige, so hat der Einspruchsführer den Einspruch nicht unter einer Bedingung zurückgenommen, sondern lediglich die Zustimmung zu einer Änderung nach § 172 AO erteilt. Eine Einspruchsrücknahme, die unter ausdrücklicher Bezugnahme auf einen zur Erledigung des Einspruchsverfahrens unterbreiteten Änderungsvorschlag des Finanzamts erklärt wird, steht unter der (zulässigen) „unechten” Bedingung des Erlasses eines Abhilfebescheides und ist daher nur im Fall des Bescheiderlasses wirksam. [13]

Die teilweise Rücknahme eines Einspruchs gegen einen unteilbaren Verwaltungsakt ist grundsätzlich nicht zulässig. Sie hat nicht die Wirkung, dass der Rechtsstreit insoweit erledigt ist. [14] Die Erklärung des Einspruchsführers, er nehme seinen Einspruch in bestimmten Streitpunkten zurück, kann aber dahin ausgelegt werden, dass er insoweit sein Einspruchsbegehren einschränke und einer Erledigung nach § 172 AO zustimme.

Keine Teilrücknahme, sondern volle Einspruchsrücknahme liegt vor, wenn ein Einspruch gegen mehrere in einem Schriftstück verbundene Verwaltungsakte (z. B. ESt-Änderungsbescheid für mehrere Jahre) eingelegt worden ist und danach der Einspruch gegen einen der Verwaltungsakte zurückgenommen wird. [15]

7. Empfangsbehörde

Die Rücknahme eines Einspruchs kann bei jeder Behörde erklärt werden, bei der der Einspruch nach § 357 Abs. 2 AO angebracht werden konnte. Wird die Rücknahmeerklärung bei einer unzuständigen Behörde angebracht, so ist die Erklärung nur wirksam, wenn sie innerhalb der Frist des § 362 Abs. 1 Satz 1 AO bei der Einspruchsbehörde eingeht.

8. Wirkungen der Rücknahme

Die Rücknahme hat nur den Verlust des eingelegten Einspruchs zur Folge. Solange die für den Einspruch geltende Frist läuft, kann ein neuer Einspruch wirksam eingelegt werden. [16] Mit der Rücknahme des Einspruchs nach Ablauf der ursprünglichen Einspruchsfrist ist der Verwaltungsakt unanfechtbar.

Die Rücknahme des Einspruchs hat nicht zur Folge, dass der Rechtsstreit als nicht anhängig gewesen gilt. Die Anhängigkeit entfällt erst mit dem Eingang der wirksamen Rücknahmeerklärung bei der Einspruchsbehörde. [17] Erst zu diesem Zeitpunkt endet auch die Hemmung der Verjährung z. B. nach § 171 Abs. 3 a AO. Gleichzeitig endet die Voraussetzung für eine etwaige Aussetzung der Vollziehung. [18]

9. Unwirksamkeit der Rücknahme

Die Rücknahmeerklärung ist eine verfahrensrechtliche Willenserklärung (Prozesshandlung). Sie kann nicht widerrufen oder zurückgenommen und auch nicht wegen Irrtums oder arglistiger Täuschung angefochten werden. [19] Die Rücknahme ist jedoch unwirksam, wenn das Finanzamt den Einspruchsführer bei seinem Entschluss, den Einspruch zurückzunehmen, in unzulässiger Weise beeinflusst hat. [20]

Nicht nur die Anwendung unlauterer Mittel (Drohung, bewusste Täuschung) ist als eine solche unzulässige Beeinflussung anzusehen. Sie liegt bereits vor, wenn das Finanzamt aus eigenem Antrieb einen rechtsunkundigen Einspruchsführer durch eine Auskunft, die nach dem Stand des Verfahrens und nach den Erkenntnissen zur Zeit ihrer Erteilung unrichtig ist, zur Rücknahme des Einspruchs veranlasst. Das gilt vor allem für die unrichtige Belehrung, der Einspruch sei aussichtslos. [21] Dagegen wird die Entschließungsfreiheit eines Einspruchsführers durch eine unrichtige Belehrung über die Rechtslage nicht entscheidend beeinträchtigt, wenn er selbst rechtskundig oder durch einen fachkundigen Bevollmächtigten vertreten ist. [22] Ob die Auskunft schriftlich oder nur mündlich erteilt wurde, hat lediglich für die Frage ihres Nachweises Bedeutung. Auch die unrichtige Auskunft eines Sachbearbeiters führt zur Unwirksamkeit der Rücknahme. [23] Das Finanzamt muss hiernach während des Einspruchsverfahrens alles vermeiden, was auch nur den Anschein einer unzulässigen Einwirkung auf die Freiheit der Willensentscheidung des Einspruchsführers erwecken könnte. Bevor es den Einspruchsführer über die Aussichten seines Einspruchs belehrt, muss es alle Mittel zur Klärung der Sach- und Rechtslage ausgeschöpft haben. Hält das Finanzamt danach den Einspruch für unzulässig oder für unbegründet, so darf es den Einspruchsführer nicht etwa ersuchen oder auffordern, den Einspruch zurückzunehmen, sondern ihm lediglich anheim stellen, ob er den Einspruch aufrecht erhalten oder zurücknehmen will. Damit kann der Hinweis verbunden werden, dass das Finanzamt nach Ablauf der Äußerungsfrist beabsichtigt, über den Einspruch nach Lage der Akten zu entscheiden. Bedenklich wäre es, den Einspruchsführer durch den Hinweis auf die Möglichkeit von Billigkeitsmaßnahmen zur Rücknahme eines Einspruchs zu veranlassen. So darf das Finanzamt den Einspruchsführer nicht dadurch aus dem Einspruchsverfahren drängen, dass es einen Erlass in Aussicht stellt oder aber als aussichtsvoll bezeichnet. Hierzu besteht umso weniger Anlass, als auch während des Einspruchsverfahrens schon erlassen werden kann. [24] Keine unzulässige Beeinflussung liegt vor, wenn das Finanzamt dem Einspruchsführer die Zurückweisung des Einspruchs mit der zutreffenden Begründung in Aussicht stellt, die Vorschriften, die er als verfassungswidrig bezeichnet, seien noch in Kraft und vom Finanzamt zu beachten. [25]

Hat sich das Finanzamt bei seiner Auskunft auf die bisherige Rechtsprechung gestützt und hat der Einspruchsführer daraufhin seinen Einspruch zurückgenommen, so wird die Wirksamkeit der Rücknahme nicht dadurch berührt, dass diese Rechtsprechung später aufgegeben wird. [26] Ebenso wenig ist eine Rücknahme unwirksam, die der Einspruchsführer ausgesprochen hat, weil er seinen Einspruch wegen bestehender Verwaltungsanweisungen nicht für aussichtsreich gehalten hat, auch wenn später die betreffende Verwaltungsanweisung für rechtsungültig erklärt wird.

10. Verfahren bei Streit über die Rechtswirksamkeit der Rücknahme

Macht der Einspruchsführer geltend, die von ihm erklärte Rücknahme eines Einspruchs sei unwirksam, so ist darüber nicht in einem besonderen Verfahren zu entscheiden; vielmehr ist das ursprüngliche Einspruchsverfahren fortzusetzen. [27] Ist der Einwand der Unwirksamkeit begründet, so muss eine Sachentscheidung ergehen, als ob der Einspruch noch anhängig wäre. Erachtet das Finanzamt die Rücknahme für wirksam und fehlt es mithin an einer Sachentscheidungsvoraussetzung, so ist der Einspruch als unzulässig zu verwerfen. [28]

Nach Ablauf eines Jahres seit der Rücknahme des Einspruchs kann sich der Einspruchsführer auf ihre Unwirksamkeit nicht mehr berufen, außer, wenn dies vorher infolge höherer Gewalt unmöglich war (§ 362 Abs. 2 Satz 2 AO i. V. m. § 110 Abs. 3 AO).

Das bisherige Karteiblatt § 362 AO Karte 2 (Kontroll-Nr. 229) ist auszusondern.

OFD Niedersachsen v. - S 0622 - 226 - St 141

Fundstelle(n):
AAAAD-42530

1 BStBl 1969 II S. 622

2vgl. AO-Kartei § 352 AO Karte 3 und § 360 AO Karte 3

3, DB 1962 S. 1558

4 HFR 1965 S. 484

5 BStBl 1953 III S. 288

6 BStBl 1960 III S. 526

7im Übrigen vgl. AEAO zu § 357, Nr. 1

8 BStBl 1968 II S. 202

9 BStBl 1965 III S. 332

10 BFH/NV 1987 S. 344

11 BStBl 2001 II S. 162

12 BStBl 1966 III S. 325

13FG Düsseldorf, rkr. Urteil vom , EFG 2009 S. 1090

14 BStBl 1957 III S. 106

15 BStBl 1974 II S. 113

16vgl. AEAO zu § 362, Nr. 1

17 BStBl 1970 II S. 855

18vgl. AEAO zu § 361, Nr. 8.2.1

19 BStBl 1969 II S. 733, 734 Sp. 2

20 BStBl 1952 III S. 241

21 BStBl 1959 III S. 294

22 BStBl 1969 II S. 52

23 BStBl 1962 III S. 107

24 BStBl 1958 III S. 118

25 BStBl 1963 III S. 601

26 BStBl 1959 III S. 116

27 BStBl 1967 III S. 182

28vgl. AEAO zu § 362, Nr. 2