BVerwG Beschluss v. - 1 WB 28/09

Wehrbeschwerdeverfahren; Besorgnis der Befangenheit eines ehrenamtlichen Richters

Leitsatz

1. Die "organisatorische Nähe" des von einem ehrenamtlichen Richter geleiteten Referats zu dem im Verfahren im Auftrag des Bundesministers der Verteidigung mitwirkenden Prozessreferat rechtfertigt nicht die Annahme, der ehrenamtliche Richter sei gegenüber dem Antragsteller befangen.

2. Der Umstand, dass ein als ehrenamtlicher Richter herangezogener Soldat dem Abteilungsleiter unterstellt ist, dessen Entscheidung Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung ist, lässt bei der erforderlichen objektiven Betrachtung für sich allein nicht den Schluss zu, dieser ehrenamtliche Richter werde in der Sache nicht unparteilich, unvoreingenommen oder unbefangen entscheiden.

Gesetze: § 23a Abs 1 WBO, § 23a Abs 2 WBO, § 77 Abs 2 Nr 1 Alt 1 WDO 2002, § 77 Abs 2 Nr 2 WDO 2002, § 77 Abs 2 Nr 3 WDO 2002, § 54 Abs 1 VwGO, § 54 Abs 2 VwGO, § 42 ZPO

Tatbestand

Mit gerichtlichem Schreiben vom wurde Oberst i.G. W. als ehrenamtlicher Richter für eine Sitzung des 1. Wehrdienstsenats herangezogen. Daraufhin teilte er Folgendes mit:

"...

Ergänzend mache ich rein vorsorglich darauf aufmerksam, dass ich mich als Leiter des Referats PSZ I 8 in organisatorischer Nähe zum Referat PSZ I 7 als Vertreter der Beklagtenseite befinde.

Das Referat PSZ I 8 ist zuständig für Teilbereiche der Themen Personallage und Personalstruktur, Personalorganisation, Personalbewirtschaftung und Grundsatzangelegenheiten von Reservistinnen und Reservisten. Ich bin mit den zu verhandelnden Fällen nicht persönlich befasst, kenne keine Einzelheiten der zugrundeliegenden Sachverhalte und halte mich daher persönlich auch nicht für befangen."

Der Senat hat die Selbstanzeige als nicht begründet qualifiziert.

Gründe

3Oberst i.G. W. ist weder kraft Gesetzes von der Ausübung des Amtes als ehrenamtlicher Richter ausgeschlossen noch hat er mit seinem Schreiben vom von einem Verhältnis Anzeige gemacht, das seine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit rechtfertigt.

4Über die Ausschließung und Ablehnung von Gerichtspersonen ist im Antragsverfahren vor den Wehrdienstgerichten nach den entsprechend anwendbaren Vorschriften des § 54 VwGO i.V.m. §§ 41 bis 49 ZPO zu entscheiden (vgl. Beschlüsse vom - BVerwG 1 WB 41.07 - und vom - BVerwG 1 WB 39.08, 1 WB 40.08, 1 WB 41.08, 1 WB 44.08, 1 WB 45.08 - jeweils m.w.N.).

5Die durch das Gesetz zur Änderung wehrrechtlicher und anderer Vorschriften (Wehrrechtsänderungsgesetz 2008) vom (BGBl I S. 1629) in die Wehrbeschwerdeordnung eingefügte und am in Kraft getretene Bestimmung des § 23a WBO hat daran nichts geändert. § 23a Abs. 2 WBO ordnet für die gerichtlichen Antragsverfahren nach §§ 17, 21, 22 sowie §§ 22a und 22b WBO n.F. ausdrücklich die entsprechende Anwendung der Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung (und des Gerichtsverfassungsgesetzes) an, soweit nicht die Eigenart des Beschwerdeverfahrens entgegensteht. § 23a Abs. 2 VwGO stellt hinsichtlich der Ausschließung und Ablehnung von Gerichtspersonen die speziellere Regelung dar, die der allgemeinen Verweisung auf die Vorschriften der Wehrdisziplinarordnung durch § 23a Abs. 1 VwGO vorgeht; die letztgenannte Vorschrift konzentriert - gerade auch für den Bereich möglicher Befangenheit - ihren Geltungsbereich auf das vorgerichtliche Beschwerdeverfahren vor dem Disziplinarvorgesetzten (vgl. Dau, WBO, 5. Aufl. 2009, § 23a Rn. 2; ebenso: BVerwG 1 WB 48.07 - BVerwGE 134, 59 = Buchholz 449 § 2 SLV 2002 Nr. 14). Soweit die Verwaltungsgerichtsordnung keine bundeswehrspezifischen Regelungen für den Ausschluss von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes enthält, gilt gemäß § 23a Abs. 1 WBO außerdem § 77 WDO in entsprechender Anwendung ( BVerwG 1 WB 39.08, 1 WB 40.08, 1 WB 41.08, 1 WB 44.08, 1 WB 45.08 -).

6Ein Ausschließungsgrund liegt nicht vor.

7Nach dem Inhalt der vorgelegten Akten sind in der Person des Oberst i.G. W. keine gesetzlichen Ausschließungsgründe nach § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 41 ZPO, nach § 54 Abs. 2 VwGO oder nach § 77 WDO gegeben. Auch die vom Gericht angehörten Verfahrensbeteiligten machen Ausschließungsgründe im Sinne dieser Vorschriften nicht geltend.

8Ferner sind keine Gründe ersichtlich oder vorgetragen, die gemäß § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 42 ZPO eine Ablehnung von Oberst i.G. W. wegen Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen könnten.

9Wegen Besorgnis der Befangenheit findet die Ablehnung statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines (ehrenamtlichen) Richters zu rechtfertigen (§ 42 Abs. 2 ZPO). Ein solcher Grund kann sich - unter anderem - aus besonderen Beziehungen des Richters zu einem Verfahrensbeteiligten oder aus seinem persönlichen Verhalten im Hinblick auf den Verfahrensgegenstand ergeben; maßgeblich ist, ob der ehrenamtliche Richter bei verständiger Würdigung den Eindruck erweckt, er werde dem Antragsteller gegenüber möglicherweise eine nicht unvoreingenommene innere Haltung einnehmen (vgl. Dau, WBO, 5. Aufl. 2009, § 18 Rn. 13 m.w.N.).

10Die "organisatorische Nähe" des von Oberst i.G. W. geleiteten Referats PSZ I 8 zu dem im vorliegenden Verfahren im Auftrag des Bundesministers der Verteidigung mitwirkenden (Prozess-)Referat PSZ I 7 rechtfertigt hiernach nicht die Annahme, Oberst i.G. W. sei gegenüber dem Antragsteller befangen. Ausschließlich strukturell bedingte Nähe-Aspekte begründen nach Wortlaut und Schutzzweck der im vorliegenden Verfahren zu beachtenden Normen über die Ausschließung und Befangenheit für sich allein nur dann die - unwiderlegliche - Vermutung fehlender Unparteilichkeit eines (ehrenamtlichen) Richters, wenn dieser bei dem vorausgegangenen Verwaltungsverfahren mitgewirkt hat oder Disziplinarvorgesetzter des Antragstellers ist, in dieser Funktion oder als Vertrauensperson im Verfahren des Antragstellers tätig war oder Angehöriger desselben Bataillons oder Truppenteils bzw. derselben Dienststelle wie der Antragsteller ist. Insoweit enthalten § 54 Abs. 2 VwGO und § 77 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1, Nr. 2 und 3 WDO abschließende Ausschließungs-Regelungen, die einer erweiternden Interpretation z.B. bei anderen strukturell bedingten Nähebeziehungen nicht zugänglich sind (vgl. auch Meissner, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand Juli 2009, § 54 Rn. 17, 23 f. m.w.N.).

11Andere strukturell bedingte Nähebeziehungen können nur dann die Ausübung des Richteramtes in Frage stellen, wenn zusätzlich individuelle Befangenheitsaspekte ersichtlich sind oder von den Verfahrensbeteiligten geltend gemacht werden. Das ist hinsichtlich der Person von Oberst i.G. W. nicht der Fall.

12Die Tatsache, dass im vorliegenden Verfahren unter anderem die auf Empfehlung des Personalberaterausschusses ergangene Entscheidung des Leiters der Abteilung PSZ im Bundesministerium der Verteidigung vom Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung ist, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Der Umstand, dass ein als ehrenamtlicher Richter herangezogener Soldat dem Abteilungsleiter PSZ unterstellt ist, lässt bei der erforderlichen objektiven Betrachtung für sich allein nicht den Schluss zu, dieser ehrenamtliche Richter werde in der Sache nicht unparteilich, unvoreingenommen oder unbefangen entscheiden (vgl. dazu im Einzelnen: BVerwG 1 WB 59.92 - NZWehrr 1993, 205). Die auch zu diesem Gesichtspunkt vom Gericht angehörten Beteiligten des Verfahrens haben insoweit ebenfalls keine Bedenken gegen die Mitwirkung des Oberst i.G. W. geltend gemacht.

Fundstelle(n):
UAAAD-41307