BGH Beschluss v. - 5 StR 62/10

Leitsatz

Leitsatz:

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt. Die hiergegen mit einer Verfahrensrüge und der Sachrüge geführte Revision des Angeklagten vermag zum Schuldspruch aus den zutreffenden Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts nicht durchzudringen. Jedoch kann der Rechtsfolgenausspruch keinen Bestand haben.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts stach der beträchtlich alkoholisierte Angeklagte (Blutalkoholkonzentration: rund 2,) dem Geschädigten in den frühen Morgenstunden des mit dem abgeschlagenen Flaschenhals einer Likörflasche mindestens zweimal wuchtig in den Hals. Dadurch durchtrennte er die linke Halsschlagader vollständig und die linke Drosselvene fast vollständig. Das Opfer verstarb binnen weniger Minuten.

Den tödlichen Stichen war ein auf Provokationen des Geschädigten zurückzuführendes Kampfgeschehen vorausgegangen. Der Geschädigte (Blutalkoholkonzentration: rund ), bei dem es sich um einen Alkoholiker und "notorischen Straftäter" handelte (UA S. 16), hatte sich über die Tätowierungen am Körper des Angeklagten lustig gemacht, diesen als "Knacki" bezeichnet, sich herablassend über dessen Wohnsituation in einem Wohnheim für sozial schwache Personen und über dessen Stand als "Hartz IV-Empfänger" geäußert. Außerdem hatte er gedroht, dass er, wenn er den Angeklagten "nicht kriege", eben dessen Frau und Kind "wegmachen" werde.

2. Das Landgericht hat einen minder schweren Fall des Totschlags nach § 213 StGB im Wesentlichen mit der Begründung abgelehnt, die Drohung gegenüber der früheren Lebenspartnerin des Angeklagten und dessen Kind habe dieser nicht ernst genommen. Er habe diese Worte vielmehr so interpretiert, dass das Opfer sich mit ihm zu schlagen wünsche. Sich darauf einzulassen, sei für ihn eher eine Genugtuung gewesen, habe ihn doch der Geschädigte u.a. mit dem Gerede über seine soziale Lage "genervt" und wütend gemacht, weshalb es an der Zeit gewesen sei, ihn in die Schranken zu weisen (UA S. 57 f.).

3. Die diesen Ausführungen zugrunde liegende Beweiswürdigung ist nicht frei von Rechtsfehlern. Der Angeklagte hatte sich in seiner polizeilichen Beschuldigtenvernehmung dahin eingelassen, aufgrund der vom Opfer geäußerten Bedrohung gegenüber seiner Familie "ausgeklinkt" zu sein und "den platt gemacht" zu haben (UA S. 42). Ähnlich hatte er sich gegenüber dem Sachverständigen geäußert (UA S. 43: "Ich hab' sehr ernst genommen, dass der ein Killer ist"; "Ich hab' in dem Moment einfach das Bild gesehen, was der hätte machen können"; siehe auch u.a. S. 47, 51).

Die Strafkammer sieht hierin eine Ausflucht. Der Angeklagte habe die Drohung des Opfers nicht ernst genommen, weil er dem Geschädigten körperlich überlegen gewesen sei (UA S. 42). Damit lässt das Landgericht außer Acht, dass eine körperliche Überlegenheit zwar beim Angeklagten, nicht aber bei seinem 2002 geborenen Sohn und dessen Mutter gegeben war, und dass die Überlegenheit des Angeklagten nicht gewährleistete, den Geschädigten von Übergriffen gegen die Genannten in seiner Abwesenheit abzuhalten. Letztlich beruhen die diesbezüglichen Darlegungen der Strafkammer deshalb auf nicht durch konkrete Tatsachen belegten Vermutungen (vgl. BGHR StPO § 261 Vermutung 3, 6, 7, je m.w.N).

Mag die Ablehnung eines minder schweren Falls des Totschlags nach § 213 StGB 1. Alternative trotz der durch den Geschädigten ausgesprochenen Kränkungen und der von ihm verübten Misshandlung, zu der auch die versuchte Körperverletzung zu rechnen ist (BGHR StGB § 213 Alternative 1 Misshandlung 5), im Ergebnis im Blick auf auch gegebene eigene Schuld des Angeklagten noch vertretbar sein, so sind bei dieser Sachlage jedenfalls die Voraussetzungen des sonst minder schweren Falles nach § 213 StGB 2. Alternative nicht tragfähig ausgeschlossen. In die erforderliche Gesamtbewertung (vgl. Fischer, StGB 57. Aufl. § 213 Rdn. 12) waren über die angesprochenen Umstände hinaus die von der Strafkammer zugrunde gelegte verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten sowie die bei ihm diagnostizierte Persönlichkeitsstörung einzustellen. Einer vom Angeklagten als real empfundenen Bedrohung des Lebens seines Kindes und seiner ehemaligen Lebenspartnerin würde in diesem Rahmen beträchtliches zusätzliches Gewicht zukommen.

Das neue Tatgericht wird die Voraussetzungen des § 213 StGB demnach unter Erhebung eigener Feststellungen neu zu prüfen haben. Dass ein die Schuldfähigkeit aufhebender Affekt gegeben sein könnte, schließt der Senat aus.

4. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

a) Das Landgericht hat eine Verminderung der Schuldfähigkeit des Angeklagten im Sinne des § 21 StGB nicht auszuschließen vermocht, jedoch die Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB unter dem Gesichtspunkt der selbstverschuldeten Trunkenheit versagt (zu den hier zu beachtenden Grundsätzen BGHSt 49, 239). Dafür hat es maßgebend in alkoholisiertem Zustand begangene Gewalttaten herangezogen, derentwegen der Angeklagte in den Jahren 1996 und 1997 verurteilt worden ist. Das neue Tatgericht wird sich mit dem Umstand auseinanderzusetzen haben, dass der Angeklagte in den folgenden mehr als zehn Jahren nicht mehr in gleicher Weise straffällig geworden ist. Bei Annahme eines minder schweren Falls des Totschlags nach § 213 StGB wird eine Doppelmilderung (vgl. Fischer a.a.O. § 213 Rdn. 17 ff.) allerdings eher fern liegen.

b) Das angefochtene Urteil würdigt straferschwerend, die vom Angeklagten eingesetzte Kraft und die wuchtig geführten Stiche seien Ausdruck erheblicher Brutalität und Aggressivität. Dies begegnet bei der hier vorliegenden Tötungshandlung unter dem Blickwinkel des § 46 Abs. 3 StGB Bedenken.

c) Das neue Tatgericht wird ferner neu zu prüfen haben, ob eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) in Betracht kommt. Den Urteilsgründen ist zu entnehmen, dass bei dem Angeklagten Alkoholmissbrauch zum Alltag gehört (vgl. u.a. S. 56). Deswegen musste er aus der Wohnung seiner früheren Lebenspartnerin ausziehen (UA S. 9) und verlor hierdurch seine soziale Einbindung. Damit liegt das Merkmal des Hangs im Sinne von § 64 StGB nahe. Kurzfristige Phasen der Abstinenz, auf die das angefochtene Urteil seine gegenteilige Auffassung maßgebend stützt, stehen der Feststellung des Hangs dabei nicht entgegen (vgl. BGH NStZ-RR 2009, 137; Fischer a.a.O. § 64 Rdn. 7).

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Fundstelle(n):
MAAAD-40637