BFH Beschluss v. - V B 113/08

Vertragsauslegung durch FG als Tatsacheninstanz; Abgrenzung zwischen einheitlichen und selbständigen Leistungen ist geklärt; keine Feststellungsklage für Vorfragen

Gesetze: FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1, FGO § 118 Abs. 2, FGO § 41, BGB § 133, BGB § 157

Instanzenzug:

Gründe

1 I. Streitig ist die Frage, ob die von den Klägern und Beschwerdeführern (Kläger) erbrachten Leistungen gemäß § 4 Nr. 8 Buchst. f des Umsatzsteuergesetzes 1999 (UStG) steuerfrei sind.

2 Der Kläger zu 1. hatte zunächst als Einzelunternehmer gegenüber der A-GmbH die Vermittlung von Anlageprodukten übernommen. Die Vermittlung erfolgte teilweise mit eigenen Vermittlern des Klägers, teilweise wurden dem Kläger Vermittler unterstellt, die einen eigenen Vertriebsvertrag mit der A-GmbH abgeschlossen hatten.

3 Bezüglich der Provisionen bestimmt Anlage 1 zum Vertriebsvertrag unter Ziffer 5:

4 „Wenn und soweit dem Vermittler von der Auftraggeberin weitere Vermittler unterstellt sind oder werden, die einen eigenen Vertriebsvertrag mit der Auftraggeberin abgeschlossen haben, erhält der Vermittler für die umfassende Betreuung dieser Vermittler eine Differenzprovision, deren Voraussetzungen und Höhe sich aus den Bestimmungen in Anlage D ergeben.”

5 Anlage D zum Vertriebsvertrag bestimmt wiederum:

6 „1. Hat der Vermittler der Auftraggeberin andere Vermittler zugeführt, die mit der Auftraggeberin einen gesonderten Vertriebsvertrag abgeschlossen haben, und sind diese zugeführten Vermittler von der Auftraggeberin dem Vermittler zur Betreuung unterstellt, so erhält der Vermittler in Abhängigkeit von der Tätigkeit der ihm unterstellten Vermittler eine Differenzprovision.

7 2. Der Vermittler hat nach Maßgabe der folgenden Regelungen Anspruch auf Differenzprovision für jeden Vertrag, der von einem ihm unterstellten und ihm betreuten Vermittler vermittelt wird.

8 3. Die Höhe der Provision ergibt sich aus der Differenz zwischen den in den besonderen Provisionsbedingungen zu diesem Vertriebsvertrag festgelegten Provisionssätzen des Vermittlers für Vermittlungsprovisionen und Betreuungsgebühren und den entsprechenden —geringeren— Provisionssätzen des jeweiligen unterstellten Vermittlers. Soweit die Provisionssätze identisch sind, entfällt eine Differenzprovision.”

9 Zum brachte der Kläger zu 1. sein Einzelunternehmen in die Klägerin zu 2. ein, die danach die Vermittlungstätigkeit ausübte. Die Vereinbarungen mit der A-GmbH über die Abrechnung von Differenzpositionen änderten sich nicht.

10 Die Kläger erklärten für die Streitjahre (1999 bis 2001) ausschließlich steuerfreie Umsätze. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) folgte den Umsatzsteuererklärungen zunächst. Im Anschluss an eine steuerliche Außenprüfung vertrat das FA die Auffassung, steuerfrei seien allein die Provisionen für Eigenvermittlungen der Kläger.

11 Die Klage hatte keinen Erfolg. Zur Begründung führte das Finanzgericht (FG) im Wesentlichen aus, die streitigen Umsätze seien nicht nach § 4 Nr. 8 Buchst. f UStG steuerfrei. Nach § 4 Nr. 8 Buchst. f UStG seien steuerfrei die Umsätze und die Vermittlung der Umsätze von Anteilen an Gesellschaften und anderen Vereinigungen. Aus der Regelung in Ziffer 5 der Anlage 1 zum Vertriebsvertrag folge, dass die sog. Differenzprovisionen allein für die umfassende Betreuung der Vermittler gezahlt worden seien. Der Wortlaut der Vereinbarung enthalte keine Anhaltspunkte dafür, dass die Differenzprovisionen auch für die Anteilsvermittlung gezahlt worden seien.

12 Auch aus der Anlage D ergebe sich nichts anderes. Zwar sei es zutreffend, dass den Klägern keine Differenzprovisionen zustünden, wenn die ihnen unterstellten Vermittler keine Anteile vermittelten und deshalb eine kausale Verknüpfung zwischen Anteilsvermittlung und Zahlung der Differenzprovision besteht. Dies mache die Differenzprovision aber nicht zur Anteilsvermittlungsprovision. Aus dem letzten Halbsatz der Ziffer 5 ergebe sich, dass sich die Differenzprovision lediglich dem Grunde und der Höhe nach nach den Anteilsvermittlungsprovisionen der den Klägern unterstellten Vertreter bemesse. Der Umstand, dass die Zahlung von Anteilsprovisionen an die Vertreter einen Bemessungsfaktor für die an die Kläger gezahlten Provisionen darstelle, macht diese selbst noch nicht zu Anteilsvermittlungsprovisionen. Auch aus Ziffer 2 der Anlage D ergebe sich nichts anderes, weil auch diese Regelung nur die Bemessung der für die Betreuung der Vertreter gezahlten Provisionen zum Gegenstand habe.

13 Aus der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) in der Rechtssache Ludwig vom C-453/05 (Slg. 2007, I-5083, BFH/NV Beilage 2007, 398) könnten die Kläger für ihre Ansicht nichts herleiten, weil diese Entscheidung voraussetze, dass Provisionen zumindest auch für die Vermittlung von Krediten gezahlt würden. Das sei vorliegend aber nicht der Fall. Das Entgelt für die Betreuung könne nicht Nebenleistung zu einer Hauptleistung „Vermittlung von Kapitalanlagen” sein, weil eine entsprechende Hauptleistung nicht abgerechnet worden sei.

14 Mit der auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—) gestützten Beschwerde wenden sich die Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision. Zur Begründung tragen die Kläger vor, die Differenzprovisionen seien sowohl für die Vermittlung mit den unterstellten Vermittlern als auch für deren Betreuung gezahlt worden. Soweit die Provision auf die Betreuungsleistungen entfalle, habe es sich dabei um eine umsatzsteuerfreie Nebenleistung gehandelt. Die Auslegung des streitgegenständlichen Vertrages durch das FG binde den Bundesfinanzhof (BFH) vorliegend ausnahmsweise nicht nach § 118 Abs. 2 FGO, weil die Auslegung unter Missachtung der gesetzlichen Auslegungsregelungen und der zu ihnen entwickelten allgemein anerkannten Auslegungsgrundsätze erfolgt sei. Das FG habe nicht alle für die Auslegung erheblichen Umstände umfassend gewürdigt und nicht alle Umstände gegeneinander abgewogen. Es bestünden auch Zweifel, ob die Rechtsprechung des BFH, wonach für die Beantwortung der Frage der Umsatzsteuerfreiheit von Anteilsvermittlungsprovisionen auf eine Gesamtbetrachtung im Hinblick auf den „Kern der Tätigkeit” abzustellen sei, in Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH stehe, der zufolge Anteilsvermittlungsprovisionen nur dann umsatzsteuerpflichtig seien, wenn die Tätigkeit eines Vermittlers auf „Sacharbeit” „beschränkt” sei.

15 Von grundsätzlicher Bedeutung seien folgende Fragen:

16 „1. ob die Rechtsprechung des (BFHE 221, 92, BStBl II 2008, 641), die für die Beurteilung der Umsatzsteuerfreiheit von Anteilsvermittlungsprovisionen auf eine Gesamtbetrachtung im Hinblick auf den 'Kern der Tätigkeit' abstelle im Widerspruch zum Urteil des EuGH Ludwig in Slg. 2007, I-5083, BFH/NV Beilage 2007, 398 steht, wonach Anteilsvermittlungsprovisionen nur dann umsatzsteuerpflichtig sind, wenn die Tätigkeit des Vermittlers auf Sacharbeit beschränkt ist,

17 2. nach welchen Kriterien umsatzsteuerfreie Nebenleistungen von umsatzsteuerpflichtigen Teilleistungen abzugrenzen sind,

18 3. wann Nebenleistungen dazu führen, dass die Gesamtleistung umsatzsteuerpflichtig wird,

19 4. ob neben einer Gestaltungs- und Leistungsklage (§ 41 Abs. 2 FGO) ein Feststellungsantrag (§ 41 Abs 1 FGO) statthaft und zulässig ist, um aus Gründen des gemeinschaftsrechtlichen effektiven Rechtsschutzes die Feststellungsklage auf Feststellung der dem Bürger aus dem Gemeinschaftsrecht erwachsenden Rechte im deutschen Prozessrecht zuzulassen und ggf. ob auch gemeinschaftsrechtliche Vorfragen Gegenstand eines solchen Feststellungsklageantrages sein können.”

20 II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

21 Die von den Klägern genannten Rechtsfragen haben keine grundsätzliche Bedeutung. Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) kommt nur wegen einer klärungsbedürftigen und in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähigen Rechtsfrage in Betracht.

22 1. Die von den Klägern genannte Rechtsfrage zu 1. hat keine grundsätzliche Bedeutung, weil sie nicht entscheidungserheblich ist und deshalb in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht geklärt werden könnte (BFH-Beschlüsse vom VI B 84/08, BFH/NV 2009, 1657; vom VI B 33/07, BFH/NV 2008, 44). Die Rechtsfragen würden sich erst stellen, wenn die Differenzprovisionen nicht nur für die Betreuung der Vermittler, sondern zumindest auch für die Anteilsvermittlung gezahlt worden wären. Das FG hat aber mit für den BFH bindender Wirkung (§ 118 Abs. 2 FGO) festgestellt, dass die Provisionen ausschließlich für die Betreuung der Vermittler gezahlt wurden.

23 Die Bindungswirkung des § 118 Abs. 2 FGO entfällt —entgegen der Ansicht der Kläger— nicht. Die Auslegung von Verträgen obliegt grundsätzlich dem FG als Tatsacheninstanz. Wenn sie den Auslegungsgrundsätzen der §§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuchs entspricht und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt, d.h. wenn sie zumindest möglich ist, bindet sie den Senat (, BFH/NV 2009, 1268; vom IX R 22/06, BFH/NV 2007, 1836; vom V R 11/03, BFHE 211, 50, BStBl II 2007, 63; vom I R 94/03, BFHE 210, 398, BStBl II 2006, 20).

24 Diese Anforderungen erfüllt die Auslegung durch das FG. Das FG ist vom Wortlaut der Anlage 1 Ziffer 5 des Vertriebsvertrages ausgegangen, der besagt:

„Wenn und soweit dem Vermittler von der Auftraggeberin weitere Vermittler unterstellt sind oder werden, die einen eigenen Vertriebsvertrag mit der Auftraggeberin abgeschlossen haben, erhält der Vermittler für die umfassende Betreuung dieser Vermittler eine Differenzprovision, deren Voraussetzungen und Höhe sich aus den Bestimmungen in Anlage D ergeben.”

25 Das FG hat diese Vereinbarung dahingehend ausgelegt, dass der Zahlungsgrund „die umfassende Betreuung dieser Vermittler” ist und die Regelungen in Anlage D sich nur auf die Voraussetzungen und die Höhe der Provision beziehen. Diese Auslegung entspricht dem Wortlaut der vertraglichen Regelung und ist daher ohne Weiteres möglich. Es ist weder von den Klägern dargelegt noch anderweitig erkennbar, gegen welchen Auslegungsgrundsatz das FG damit verstoßen haben soll.

26 2. Den Fragen der Kläger zu 2. und 3. kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu, weil sie durch die Rechtsprechung bereits geklärt sind. Für die Abgrenzung, ob nur eine einheitliche oder mehrere selbständige Leistungen vorliegen, sind im Wesentlichen folgende gemeinschaftsrechtlich geklärten Grundsätze zu berücksichtigen (vgl. z.B. , Card Protection Plan Ltd., CPP, Slg. 1999, I-973 Rdnrn. 28 ff.; vom C-41/04, Levob, Slg. 2005, I-9433 Rdnrn. 19 ff., und Ludwig in Slg. 2007, I-5083, BFH/NV Beilage 2007, 398 Rdnrn. 17 f.; , BFH/NV 2008, 624; vom V R 50/02, BFHE 210, 182, BStBl II 2006, 98, m.w.N.).

27 Zum einen ist jede Leistung in der Regel als eigene, selbständige Leistung zu betrachten, zum anderen darf eine wirtschaftlich einheitliche Leistung im Interesse eines funktionierenden Mehrwertsteuersystems nicht künstlich aufgespalten werden. Daher ist das Wesen des fraglichen Umsatzes zu ermitteln, um festzustellen, ob der Steuerpflichtige dem Verbraucher mehrere selbständige Hauptleistungen oder eine einheitliche Leistung erbringt. Dabei ist auf die Sicht des Durchschnittsverbrauchers abzustellen. Eine einheitliche Leistung liegt insbesondere dann vor, wenn ein oder mehrere Teile die Hauptleistung, ein oder mehrere andere Teile dagegen Nebenleistungen darstellen, die das steuerliche Schicksal der Hauptleistung teilen. Darüber hinaus ist eine Leistung als Nebenleistung zu einer Hauptleistung anzusehen, wenn sie für die Kundschaft keinen eigenen Zweck, sondern das Mittel darstellt, um die Hauptleistung des Leistungserbringers unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen. Maßgebend ist eine Gesamtbetrachtung aller Umstände, unter denen der Umsatz erfolgt (z.B. BFH-Urteile in BFH/NV 2008, 624, und in BFHE 210, 182, BStBl II 2006, 98, m.w.N.). Gesichtspunkte, die eine erneute Entscheidung über die Abgrenzung von Haupt- und Nebenleistungen erforderlich erscheinen lassen, sind weder vorgetragen noch erkennbar.

28 3. Auch die Frage 4 ist durch die Rechtsprechung geklärt. Nach dem , Unibet (Slg. 2007, I-2271, Neue Juristische Wochenschrift 2007, 3555) ist geklärt, dass es Sache der Mitgliedstaaten ist, „... die Verfahrensmodalitäten für Klagen zu regeln, die den Schutz der dem Bürger aus dem Gemeinschaftsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen…Etwas anderes würde nur gelten, wenn es nach dem System der betreffenden Rechtsordnung keinen Rechtsbehelf gäbe, mit dem wenigstens inzident die Wahrung der dem Einzelnen aus dem Gemeinschaftsrecht erwachsenden Rechte gewährleistet werden könnte” (Rdnrn. 39, 41). Gemäß Art. 234 Abs. 3 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft vom (BGBl II 1957, 766) ist der BFH als einzelstaatliches Gericht, dessen Entscheidungen nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, zur Anrufung des EuGH verpflichtet, wenn in einem Verfahren eine der Vorabentscheidung durch den EuGH unterliegende Frage gestellt wird. Das genügt den Anforderungen der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Unibet in Slg. 2007, I-2271. Eine Feststellungsklage hinsichtlich von Vorfragen sieht das deutsche Verfahrensrecht in § 41 Abs. 1 FGO nicht vor (, BFH/NV 1989, 54).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
BFH/NV 2010 S. 939 Nr. 5
UR 2010 S. 414 Nr. 11
LAAAD-40082