Antrag auf Anhörung eines Sachverständigen zur Erläuterung seines schriftlichen Gutachtens
Gesetze: FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3, FGO § 116, GG Art. 103 Abs. 1, ZPO § 397, ZPO § 402
Instanzenzug:
Gründe
1 I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) und der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) streiten in der Sache u.a. darüber, ob im Streitjahr 2001 der fortgeführte Buchwert für ein zum Anlagevermögen des Klägers gehörendes Grundstück gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes aufgrund eines niedrigeren Teilwerts zu berichtigen ist.
2 Das Finanzgericht (FG) hat am beschlossen, durch Einholung eines Sachverständigengutachtens über den Verkehrswert des Grundstücks Beweis zu erheben.
3 Der Sachverständige hat sein Gutachten schriftlich erstattet. Hiergegen hat der Kläger in einem Schriftsatz unter dem zahlreiche Einwände vorgetragen. Der Sachverständige hat mit Schriftsatz unter dem eine ergänzende Stellungnahme abgegeben.
4 Auf Nachfrage des Berichterstatters vom erklärte der Kläger mit Schriftsatz unter dem , er halte eine Anhörung des Gutachters im Termin zur mündlichen Verhandlung für erforderlich.
5 Der Sachverständige wurde zur mündlichen Verhandlung am geladen und dessen persönliches Erscheinen angeordnet.
6 Wegen einer Erkrankung des Sachverständigen wurde dessen Ladung später aufgehoben.
7 Im Termin zur mündlichen Verhandlung am beantragte der Kläger ausweislich der Sitzungsniederschrift erneut, den Sachverständigen anzuhören.
8 Das FG entschied in der Sache, ohne zu vertagen. Es gab der Klage in geringem Umfang statt und wies sie im Übrigen als unbegründet ab. In den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils führte das FG aus, der Sachverständige sei nicht anzuhören gewesen. Es hat sich hierbei auf den (BFH/NV 1998, 1505) gestützt. Der Antrag, den Sachverständigen anzuhören, sei verspätet gestellt worden, da der Kläger die Fragen, die er an den Sachverständigen habe richten wollen, nicht vorab formuliert habe. Hierzu habe Anlass bestanden, weil der Sachverständige bereits eine ergänzende schriftliche Stellungnahme abgegeben und sich zu den Argumenten des Klägers eingehend geäußert habe. Der Kläger habe seinen Antrag, den Sachverständigen anzuhören, auch nicht nochmals bekräftigt, als er von dessen Abladung Kenntnis erhalten habe.
9 Der Kläger hat gegen das Urteil des FG Nichtzulassungsbeschwerde erhoben. Er macht neben anderen Zulassungsgründen geltend, das FG habe einen Verfahrensfehler begangen, indem es in der Sache entschieden habe, ohne seinem in der mündlichen Verhandlung wiederholten Antrag zu entsprechen, den Sachverständigen anzuhören.
10 Der Kläger beantragt,
die Revision gegen das zuzulassen.
11 Das FA beantragt,
die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.
12 II. Die Beschwerde hat Erfolg. Das angefochtene Urteil wird aufgehoben und der Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen (§ 116 Abs. 6 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Dem FG ist ein Verfahrensfehler gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO unterlaufen. Es hat das Gebot, rechtliches Gehör zu gewähren (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes), verletzt, indem es in der Sache entschieden hat, ohne dem Antrag des Klägers nachzugehen, den Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung anzuhören.
13 1. Der vom Kläger —gemäß § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO— hinreichend dargelegte Verfahrensfehler liegt vor.
14 a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs —BGH— (vgl. z.B. Beschluss vom VIII ZR 295/08, Neue Juristische Wochenschrift-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht —NJW-RR— 2009, 1361, m.w.N.) ist dem Antrag einer Partei auf Ladung eines Sachverständigen zur Erläuterung seines schriftlichen Gutachtens grundsätzlich zu entsprechen. Dies gilt auch, wenn das Gericht das schriftliche Gutachten für überzeugend hält und selbst keinen weiteren Erläuterungsbedarf sieht. Ein Beteiligter hat nach den in der Rechtsprechung des BGH zur Gewährleistung rechtlichen Gehörs §§ 397, 402 der Zivilprozessordnung (ZPO) entwickelten Grundsätzen einen Anspruch darauf, dem Sachverständigen die Fragen, die er zur Erläuterung der Sache für erforderlich hält, zur mündlichen Beantwortung vorzulegen. Dies gilt auch, wenn der Sachverständige —wie im Streitfall— bereits eine ergänzende schriftliche Stellungnahme vorgelegt hat (vgl. z.B. , Monatsschrift für Deutsches Recht 2005, 1308 mit Anmerkung M. Stürner, jurisPR-BGHZivilR 31/2005, Anm. 6).
15 b) Beschränkungen des Antragsrechts können sich allenfalls aus dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs oder der Prozessverschleppung ergeben. Ein beabsichtigter Rechtsmissbrauch liegt insbesondere nicht vor, wenn der Antragsteller dem Gericht nicht vorab mitteilt, welche Fragen dem Sachverständigen gestellt werden sollen (vgl. , NJW-RR 2003, 208). Es könne —so der BGH in NJW-RR 2003, 208— von der Partei, die einen Antrag auf Ladung des Sachverständigen stelle, nicht verlangt werden, die Fragen, die sie an den Sachverständigen zu richten beabsichtige, im Voraus konkret zu formulieren. Ausreichend sei, wenn sie allgemein angebe, in welcher Richtung sie durch ihre Fragen eine weitere Aufklärung herbeizuführen wünsche. Auch das Bundesverwaltungsgericht folgt den Grundsätzen der Rechtsprechung des BGH, wenn im verwaltungsgerichtlichen Verfahren rechtzeitig der Antrag gestellt wird, einen Sachverständigen anzuhören und diesem Antrag, —ohne dass vorab konkrete Fragen formuliert werden müssen,— entnommen werden kann, in welche Richtung eine weitere Aufklärung herbeigeführt werden soll (vgl. z.B. Beschluss vom 6 B 16/80, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1983, 78)
16 c) Im finanzgerichtlichen Verfahren gelten die Regelungen der §§ 397, 402 und 411 Abs. 3 ZPO gemäß §§ 82, 83 Satz 2 FGO und damit die vorstehenden in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze ebenfalls. Etwas anderes folgt nicht aus dem vom FG angeführten BFH-Beschluss in BFH/NV 1998, 1505. Der BFH hat in diesem Beschluss in Einklang mit den dargelegten Rechtsprechungsgrundsätzen entschieden, dass ein erstmals in der mündlichen Verhandlung gestellter (verspäteter oder missbräuchlicher) Anhörungsantrag zurückgewiesen werden darf.
17 d) Das FG hätte nach Maßgabe der vorstehenden Grundsätze dem in der mündlichen Verhandlung wiederholten Antrag des Klägers, den Sachverständigen anzuhören, nachgehen müssen. Die Gründe des FG, den Anhörungsantrag abzulehnen, sind mit den in der Rechtsprechung anerkannten Vorgaben nicht vereinbar.
18 aa) Das FG behandelt den Antrag des Klägers zu Unrecht wie einen verspäteten Antrag. Diese Rechtsauffassung vermag der Senat angesichts des Verfahrensverlaufs nicht zu teilen. Es ist nicht ersichtlich, weshalb die allein auf eine krankheitsbedingte Verhinderung des Sachverständigen gestützte Abladung den Kläger hätte veranlassen sollen, die —vom FG selbst zunächst bejahte— Notwendigkeit der Anhörung zu verneinen. Das FG konnte von dem in der mündlichen Verhandlung wiederholten Anhörungsantrag des Klägers nicht überrascht sein. Es musste vielmehr davon ausgehen, dass der Kläger an seinem Antrag festhalten wollte, zumal er nach der Abladung des Sachverständigen durch nichts zu erkennen gegeben hatte, dass er die Anhörung nunmehr für entbehrlich halten könnte.
19 bb) Auch das weitere Argument des FG, es sei vom Kläger nicht konkretisiert worden, welche weitere Aufklärung er nach der ergänzenden schriftlichen Stellungnahme des Sachverständigen noch habe betreiben wollen, rechtfertigt die Ablehnung des Anhörungsantrags nicht. Es trifft zwar zu, dass der Kläger keine weitere Erklärung in diesem Sinne abgegeben hat. Nach dem Prozessverlauf und den schriftlich vorgetragenen Einwendungen des Klägers gegen das Sachverständigengutachten lag es trotz der ergänzenden Gegenäußerung durch den Sachverständigen auf der Hand, dass der Kläger seine bereits vorgebrachten und dem FG bekannten Einwendungen bei der Anhörung vertiefen und den Sachverständigen damit persönlich konfrontieren wollte. Die vom FG im Streitfall aufgestellte Anforderung an einen zulässigen Anhörungsantrag, der Kläger habe auf der Grundlage des ergänzenden Sachverständigengutachtens seinen Aufklärungsbedarf nochmals darlegen müssen, missachtet den Grundsatz, dass einem Anhörungsbegehren grundsätzlich auch dann zu entsprechen ist, wenn das Gericht selbst —wie im Streitfall— keinen Erläuterungsbedarf mehr sieht (vgl. hierzu oben unter II.1.a).
20 2. Das angefochtene Urteil beruht auf dem Verfahrensfehler (vgl. § 119 Nr. 3 FGO).
21 3. Der Senat hält es gemäß § 116 Abs. 6 FGO für ermessensgerecht, die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
22 4. Über die weiteren in der Beschwerdebegründung vorgebrachten Zulassungsgründe ist nicht mehr zu entscheiden.
Fundstelle(n):
BFH/NV 2010 S. 910 Nr. 5
TAAAD-39577