BFH Urteil v. - III R 70/07

Zeitraum von der Beendigung des betrieblichen Ausbildungsverhältnisses bis zur Wiederholungsprüfung als Ausbildungszeit

Leitsatz

Der Zeitraum von der Beendigung des betrieblichen Ausbildungsverhältnisses bis zur nicht bestandenen Wiederholungsprüfung kann als Ausbildungszeit im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG zu berücksichtigen sein. Erforderlich dazu ist, dass sich das Kind währenddessen hinreichend auf die Wiederholungsprüfung vorbereitet hat. War das Kind in dieser Zeit arbeitsunfähig krank geschrieben, hat es sich durch geeignete und angesichts der Krankheit zumutbare Anstrengungen (insbesondere Selbststudium) auf die Prüfung vorzubereiten.

Gesetze: EStG § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2a

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

1

I. Der im März 1984 geborene Sohn des Klägers und Revisionsbeklagten (Kläger) befand sich vom bis zum in einer Berufsausbildung zum Chemielaboranten. Da er die Abschlussprüfungen nicht bestanden hatte, nahm er im Winter 2005/2006 an Wiederholungsprüfungen teil. Diese bestand er wiederum nicht. Vom bis zum war er arbeitsunfähig krank.

2

Die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) hob die Festsetzung des Kindergeldes ab September 2005 auf, weil der Sohn seine Berufsausbildung beendet habe. Den Einspruch, mit dem der Kläger den Anspruch auf Kindergeld für die Zeit von September bis Dezember 2005 unter Hinweis auf die Erkrankung seines Sohnes weiterverfolgte, wies die Familienkasse als unbegründet zurück.

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Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Es entschied mit Urteil vom 10 K 4278/06 Kg (Entscheidungen der Finanzgerichte 2007, 1529), bei der Vorbereitungszeit auf eine Wiederholungsprüfung außerhalb eines Ausbildungsverhältnisses handele es sich um eine Berufsausbildung i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a des Einkommensteuergesetzes (EStG). Die Berufsausbildung sei durch die Krankheit des Sohnes nicht unterbrochen worden, da sie nicht so schwerwiegend gewesen sei, dass sie ein Erreichen des Ausbildungsziels voraussichtlich verhindern würde.

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Zur Begründung der Revision trägt die Familienkasse vor, eine Ausbildung dürfe nicht überwiegend in der Gestaltungsfreiheit des Auszubildenden liegen, sondern erfordere eine Einbindung in eine Organisation mit einer gewissen Lernkontrolle. Der Sohn des Klägers habe sich dagegen außerhalb eines Ausbildungsverhältnisses und vollständig eigeninitiativ auf die Wiederholungsprüfung vorbereitet. Das FG habe keine Nachweise dafür verlangt, dass dies ernsthaft geschehen sei; derartige Nachweise habe der Sohn auch nicht von sich aus erbracht. Folge man der Auffassung des FG, dann müssten alle Zeiträume bis zu einer Nachprüfung als Ausbildung anerkannt werden, was jedoch dem Willen des Gesetzgebers widerspreche.

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Die Familienkasse beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

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Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

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II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur Zurückverweisung der nicht spruchreifen Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—).

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1. Für ein volljähriges Kind besteht nach § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG —unter weiteren hier nicht streitigen Voraussetzungen— Anspruch auf Kindergeld, wenn es für einen Beruf ausgebildet wird.

9

a) In Berufsausbildung befindet sich, wer sein Berufsziel noch nicht erreicht hat, sich aber ernsthaft und nachhaltig darauf vorbereitet. Dieser Vorbereitung dienen alle Maßnahmen, bei denen Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen erworben werden, die als Grundlagen für die Ausübung des angestrebten Berufs geeignet sind (ständige Rechtsprechung, , BFHE 224, 546, BFH/NV 2009, 1502, und vom III R 3/03, BFHE 206, 413, BStBl II 2006, 294, jeweils m.w.N.). Maßgebend für diese weite Auslegung des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG ist die Erwägung, dass die steuerliche Leistungsfähigkeit der Eltern auch dann gemindert ist, wenn sich ihr Kind unabhängig von vorgeschriebenen Ausbildungsgängen in Ausbildung befindet und von ihnen unterhalten wird (Senatsurteil in BFHE 206, 413, BStBl II 2006, 294, m.w.N.).

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b) Schließt die Berufsausbildung mit einer Prüfung ab, ist das Berufsziel erst mit dem Bestehen der Prüfung, spätestens mit der Bekanntgabe des Prüfungsergebnisses erreicht (, BFHE 191, 557, BStBl II 2000, 473, m.w.N.). Das gilt auch dann, wenn das Kind erst die Wiederholungsprüfung besteht. Entgegen der Auffassung der Familienkasse dauert die Berufsausbildung aber nicht nur dann bis zur Wiederholungsprüfung fort, wenn das Berufsausbildungsverhältnis entsprechend § 21 Abs. 3 des Berufsausbildungsgesetzes verlängert wird oder das Kind in der Zeit bis zur Wiederholungsprüfung (weiter) die Berufsschule besucht. Vielmehr reicht es aus, dass sich das Kind ernsthaft und nachhaltig auf die Wiederholungsprüfung vorbereitet.

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c) Bereitet sich ein Kind ohne regelmäßigen Besuch einer Ausbildungsstätte selbstständig auf Prüfungen vor, sind an die Ernsthaftigkeit der Vorbereitung und deren Nachweis strenge Anforderungen zu stellen. Zweifel gehen nach den Regeln der objektiven Beweislast (Feststellungslast) zu Lasten des Kindergeldberechtigten. Meldet sich das Kind aber nach Beendigung seines Ausbildungsverhältnisses zur erstmöglichen Wiederholungsprüfung und besteht diese sodann, kann in der Regel unterstellt werden, dass es sich ernsthaft und nachhaltig darauf vorbereitet hat. Weitere Ermittlungen zu Art und Intensität der Prüfungsvorbereitung erübrigen sich dann (Senatsurteil in BFHE 224, 546, BFH/NV 2009, 1502).

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d) Krankheitsbedingte oder durch Beschäftigungsverbote des Gesetzes zum Schutze der erwerbstätigen Mutter verursachte Unterbrechungen der Ausbildung sind grundsätzlich unschädlich (, BFHE 203, 106, BStBl II 2003, 848).

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2. Das FG ist in Übereinstimmung mit dem Senatsurteil in BFHE 224, 546, BFH/NV 2009, 1502 davon ausgegangen, dass der Zeitraum von der Beendigung des betrieblichen Ausbildungsverhältnisses bis zur nicht bestandenen Wiederholungsprüfung als Ausbildungszeit i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG zu berücksichtigen sein kann. Es hat jedoch nicht festgestellt, dass sich der Sohn des Klägers währenddessen auch hinreichend auf die Wiederholungsprüfung vorbereitet hat. Dies war nicht wegen der Krankschreibung vom 29. Juni bis zum entbehrlich. Denn das FG ist davon ausgegangen, dass die Erkrankung —eine Gelenkentzündung— die Ausbildungsfähigkeit nicht beeinträchtigt hatte. Dies steht im Einklang mit dem Erfahrungssatz, dass nicht jede Krankheit, die Arbeitsunfähigkeit bewirkt, auch die Vorbereitung einer Prüfung durch z.B. die Lektüre von Fachbüchern oder das Lösen theoretischer Übungsaufgaben hindert.

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Die Entscheidung des Streitfalles hängt daher davon ab, inwieweit sich der Sohn des Klägers trotz seiner Erkrankung durch geeignete und angesichts der Krankheit zumutbare Anstrengungen auf die Prüfung vorbereiten konnte, und ob festgestellt werden kann, dass er die ihm möglichen Ausbildungsbemühungen (insbesondere Selbststudium) auch unternommen hat.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2010 S. 617 Nr. 4
OAAAD-37347