BFH Beschluss v. - III B 50/08

Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts erst mit Zustellung wirksam; keine neue Tatsache

Gesetze: AO § 173, EStG § 32 Abs. 4 Satz 2

Instanzenzug:

Gründe

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I. Die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) lehnte den Antrag des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) vom auf Kindergeld für das Kalenderjahr 2004 mit Bescheid vom ab, weil die Einkünfte und Bezüge des Sohnes (S) den maßgeblichen Jahresgrenzbetrag in Höhe von 7.680 € (§ 32 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes i.d.F. für das Jahr 2004 —EStG—) überschritten hätten. Dieser Bescheid wurde bestandskräftig.

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Einen weiteren Antrag des Klägers vom auf Kindergeld für das Jahr 2004 unter Berufung auf die Entscheidung des (BVerfGE 112, 164, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260) lehnte die Familienkasse mit Bescheid vom ab, da der Ablehnungsbescheid vom bestandskräftig geworden sei und die Voraussetzungen für eine Änderung nach §§ 172 ff. der Abgabenordnung (AO) bzw. § 70 Abs. 2 bis 4 EStG nicht vorlägen.

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Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger Einspruch. Außerdem legte er mit demselben Schreiben Einspruch gegen den Bescheid vom ein und beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 110 AO). Er habe die Einspruchsfrist versäumt, da er zu diesem Zeitpunkt nicht gewusst habe, dass aufgrund der Entscheidung des BVerfG in BVerfGE 112, 164, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260 die Sozialversicherungsbeiträge des S von dessen Einkünften und Bezügen abzuziehen seien. Der Einspruch blieb erfolglos.

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Das Finanzgericht (FG) wies die dagegen erhobene Klage ab. Der Bescheid vom sei mangels rechtzeitigen Einspruchs bestandskräftig geworden. Korrekturvorschriften seien nicht einschlägig. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei nicht zu gewähren, da der Kläger die einmonatige Einspruchsfrist nicht ohne Verschulden versäumt habe. Die Revision ließ das FG nicht zu.

5

Mit seiner Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision beruft sich der Kläger auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—) und die Erforderlichkeit einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO). Die Entscheidung des BVerfG sei vor Erlass des Ablehnungsbescheids vom ergangen, aber der Familienkasse erst danach bekannt geworden. Zu klären sei, ob eine Entscheidung des BVerfG eine Tatsache sei, die bei nachträglichem Bekanntwerden eine Änderung nach § 173 Abs. 1 AO ermögliche. Zudem sei die Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO) zuzulassen, weil das FG von dem (BFH/NV 2003, 1144) abweiche. Danach erstrecke sich die Entscheidung eines Zivil- oder Verwaltungsgerichts nur auf die Prozessbeteiligten und könne deshalb grundsätzlich keine neue Tatsache sein. Im Umkehrschluss ergebe sich, dass Entscheidungen des BVerfG wegen ihrer „inter-omnes-Wirkung” grundsätzlich Tatsachen i.S. des § 173 AO seien. Zudem beruhe das FG-Urteil auf einem Rechtsfehler, der geeignet sei, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu schädigen.

6

II. Die Beschwerde ist unbegründet und durch Beschluss zurückzuweisen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 FGO).

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1. Die Revision ist weder wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) noch zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO) zuzulassen.

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Die vom Kläger aufgeworfene Rechtsfrage, ob eine Entscheidung des BVerfG eine Tatsache i.S. des § 173 Abs. 1 AO sein kann, ist nicht entscheidungserheblich. Denn eine Gerichtsentscheidung könne jedenfalls erst dann als Tatsache beurteilt werden, wenn sie existent ist. Auch eine Entscheidung des BVerfG wird aber noch nicht mit der gerichtsinternen Beschlussfassung (hier ), sondern erst mit der Zustellung an die Beteiligten wirksam. Bei Erlass des Ablehnungsbescheids am war der Beschluss den Beteiligten aber noch nicht bekannt gegeben (Senatsurteil vom III R 31/06, BFH/NV 2007, 392) und damit noch nicht „in der Welt”.

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2. Die Revision ist auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO) zuzulassen.

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a) Es besteht keine Divergenz zu dem BFH-Urteil in BFH/NV 2003, 1144. Denn selbst wenn man diesem Urteil im Umkehrschluss den abstrakten Rechtssatz entnehmen könnte, Entscheidungen des BVerfG könnten wegen ihrer „inter-omnes-Wirkung” Tatsachen i.S. des § 173 AO sein, würde das FG-Urteil hiervon nicht in entscheidungserheblicher Weise abweichen, da zum Zeitpunkt des Ablehnungsbescheids der Beschluss des BVerfG noch nicht existent war.

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b) Das Urteil des FG beruht auch nicht auf einem die Zulassung rechtfertigenden schwerwiegenden Rechtsfehler. Der Ablehnungsbescheid entsprach zum Zeitpunkt seines Ergehens der Auslegung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG durch den BFH. Die Entscheidung ist zwar aufgrund der Entscheidung des BVerfG objektiv rechtswidrig geworden. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats rechtfertigt aber die Rechtswidrigkeit eines Bescheids, die allein auf der unterschiedlichen Auslegung einer Rechtsnorm durch das BVerfG beruht, nicht die Änderung eines bestandskräftigen Bescheids (z.B. Senatsurteil vom III R 13/06, BFHE 214, 287, BStBl II 2007, 714). Das gilt auch dann, wenn die Entscheidung des BVerfG noch innerhalb der Rechtsbehelfsfrist bekannt gegeben wird.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
BFH/NV 2010 S. 644 Nr. 4
UAAAD-37345