BGH Beschluss v. - VIII ZB 64/09

Berufungsschrift: Fehlende Bezeichnung der Berufungskläger

Gesetze: § 519 Abs 2 Nr 2 ZPO

Instanzenzug: LG Verden Az: 2 S 101/09 Beschlussvorgehend AG Syke Az: 9 C 669/08

Gründe

I.

1Die Kläger begehren von dem Beklagten nach Beendigung des Mietvertrages die Rückzahlung der von ihnen geleisteten Mietkaution. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Gegen dieses Urteil haben die erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Kläger Berufung eingelegt. Die mit dem Briefkopf der Rechtsanwaltssozietät des Klägervertreters versehene Berufungsschrift, der eine Ablichtung des erstinstanzlichen Urteils anlag, hat folgenden Wortlaut:

"Geschäftszeichen: 9 C 669/08

S. R. und Herrn K.

Bevollmächtigte RAe: K. und Kollegen

gegen

J. P.

Bevollmächtigte RAe: B. & H.

legen wir hiermit gegen das Urteil vom

Berufung

ein.

Eine Ablichtung des erstinstanzlichen Urteils haben wir in der Anlage mit beigefügt."

2Das Landgericht hat die Berufung der Kläger als unzulässig verworfen, weil die Berufungsschrift nicht erkennen lasse, für wen - für die Klägerin zu 1, den Kläger zu 2 oder beide - das Rechtsmittel eingelegt werde. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Kläger.

II.

31. Die Rechtsbeschwerde ist kraft Gesetzes statthaft (§ 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) und im Übrigen auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§ 575 ZPO). Sie ist nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert. Der angefochtene Beschluss verletzt das Verfahrensgrundrecht der Kläger auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip). Dieses verbietet es den Gerichten, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl. dazu BVerfGE 77, 275, 284; 74, 228, 234; BVerfG, NJW 2005, 814, 815; BVerfG, NJW 2003, 281; BVerfG NJW 1991, 3140; Senatsbeschluss vom - VIII ZB 105/04, NJW 2005, 3775, unter II 1; BGHZ 151, 221, 227; , NJW 2004, 367, unter II 1 bb; , NJW 2003, 437, unter II 3 b). Indem das Berufungsgericht zu Unrecht (dazu unter 2) davon ausgegangen ist, dass die Berufungsschrift auch durch Auslegung nicht erkennen lasse, für wen das Rechtsmittel eingelegt werde, hat es den Klägern den Zugang zur Berufungsinstanz ungerechtfertigt verwehrt.

42. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Das Berufungsgericht hat die Berufung zu Unrecht nach § 522 Abs. 1 ZPO als unzulässig verworfen.

5a) Das Berufungsgericht ist allerdings in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zutreffend davon ausgegangen, dass zum notwendigen Inhalt der Berufungsschrift gemäß § 519 Abs. 2 ZPO auch die Angabe gehört, für und gegen welche Partei das Rechtsmittel eingelegt wird. Aus der Berufungsschrift muss entweder für sich allein oder mit Hilfe weiterer Unterlagen bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist eindeutig zu erkennen sein, wer Berufungskläger und wer Berufungsbeklagter sein soll. Dabei sind vor allem an die eindeutige Bezeichnung des Rechtsmittelführers strenge Anforderungen zu stellen; bei verständiger Würdigung des gesamten Vorgangs der Rechtsmitteleinlegung muss jeder Zweifel an der Person des Rechtsmittelklägers ausgeschlossen sein. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die erforderliche Klarheit über die Person des Berufungsklägers ausschließlich durch dessen ausdrückliche Bezeichnung zu erzielen wäre; sie kann auch im Wege der Auslegung der Berufungsschrift und der etwa sonst vorliegenden Unterlagen gewonnen werden. Dabei sind, wie auch sonst bei der Ausdeutung von Prozesserklärungen, alle Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu berücksichtigen. Die Anforderungen an die zur Kennzeichnung der Rechtsmittelparteien nötigen Angaben richten sich nach dem prozessualen Zweck dieses Erfordernisses, also danach, dass im Falle einer Berufung, die einen neuen Verfahrensabschnitt vor einem anderen als dem bis dahin mit der Sache befassten Gericht eröffnet, zur Erzielung eines auch weiterhin geordneten Verfahrensablaufs aus Gründen der Rechtssicherheit die Parteien des Rechtsmittelverfahrens, insbesondere die Person des Rechtsmittelführers, zweifelsfrei erkennbar sein müssen (Senatsbeschlüsse vom - VIII ZB 58/06, NJW-RR 2008, 1161, Tz. 5, und vom - VIII ZB 30/05, juris, Tz. 4; , NJW-RR 2007, 413, Tz. 8; , FamRZ 2007, 903, Tz. 7; jeweils m.w.N.).

6b) Gemessen an diesen Grundsätzen hat das Berufungsgericht zu Unrecht angenommen, es sei innerhalb der Berufungsfrist nicht erkennbar gewesen, für wen mit dem Schriftsatz vom Berufung eingelegt worden sei.

7aa) Die Auslegung von Prozesshandlungen und damit auch der Berufungsschrift unterliegt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der freien revisionsrechtlichen Nachprüfung (Senatsbeschluss vom - VIII ZR 203/91, NJW 1992, 2413, unter I 2 a; , NJW-RR 2004, 862, unter II 3 a; jeweils m.w.N.). Sie orientiert sich an dem Grundsatz, dass im Zweifel dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und dem recht verstandenen Interesse entspricht. Lediglich theoretisch mögliche Zweifel, für die tatsächliche Anhaltspunkte nicht festgestellt sind, können bei der Auslegung der Berufungsschrift nicht ausschlaggebend sein ( aaO).

8bb) In der hier zu beurteilenden Berufungsschrift werden zwar die Parteirollen nicht genannt. Der Berufungsschrift war jedoch eine Abschrift der angefochtenen Entscheidung beigefügt. Diesem vom Berufungsgericht nicht berücksichtigten Umstand kommt entscheidende Bedeutung zu. Denn die in der Sollvorschrift des § 519 Abs. 3 ZPO vorgesehene Vorlage einer Ausfertigung oder beglaubigten Abschrift des angefochtenen Urteils ist zwar nicht der einzige Umstand, aufgrund dessen sich eine fehlende Angabe in der Berufungsschrift als unschädlich erweisen kann; sie stellt indessen ein geeignetes Mittel und letztlich den sichersten Weg dar, um Zweifelsfälle zu vermeiden (vgl. BGHZ 165, 371, 373; , NJW-RR 2007, 935, Tz. 8). Im vorliegenden Fall lässt sich durch einen Abgleich der Berufungsschrift mit der beigefügten Abschrift des erstinstanzlichen Urteils jeder vernünftige Zweifel hinsichtlich der Frage, ob für beide oder nur für einen Kläger Berufung eingelegt werden soll, ausräumen.

9Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts besteht kein Zweifel, dass mit der Berufungsschrift das Rechtsmittel für beide Kläger eingelegt worden ist. Im Eingang des angefochtenen Urteils des Amtsgerichts wird als Prozessbevollmächtigter beider Kläger die Rechtsanwaltssozietät genannt, zu der der Klägervertreter gehört und unter deren - auch seinen Namen aufweisenden - Briefkopf er die Berufungsschrift gefertigt hat. Hinzu kommt, dass die genannte Rechtsanwaltssozietät auch im Rubrum der Berufungsschrift als Prozessbevollmächtigte der Kläger aufgeführt wird. Ferner ergibt sich aus der Urteilsformel des Amtsgerichts, dass die Klage in vollem Umfang abgewiesen worden ist. Vernünftige Zweifel, dass das Rechtsmittel für beide Kläger eingelegt worden ist, können bei dieser Sachlage - zumal beide Kläger in der Berufungsschrift aufgeführt sind und sich der Berufungsschrift auch ansonsten keine Anhaltspunkte für eine Beschränkung der Rechtsmitteleinlegung auf einen der Kläger entnehmen lassen - nicht aufkommen (vgl. , BGHReport 2005, 1216, unter III 2 b).

103. Nach alledem kann der angefochtene Beschluss keinen Bestand haben. Er ist daher aufzuheben, und die Sache ist zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Ball                                  Dr. Frellesen                                    Dr. Milger

              Dr. Fetzer                                        Dr. Bünger

Fundstelle(n):
KAAAD-37289