BVerwG Beschluss v. - 2 WD 36.09

Leitsatz

Leitsatz:

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gründe

I

Der 26 Jahre alte ledige Soldat trat - nachdem er bis neun Monate Grundwehrdienst geleistet hatte - am als Freiwilliger (wieder) in die Bundeswehr ein und wurde mit Wirkung vom in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit berufen. Seine Dienstzeit wurde zuletzt auf acht Jahre festgesetzt, sodass sie voraussichtlich mit Ablauf des enden wird. Der Soldat wurde regelmäßig befördert, zuletzt am zum Stabsunteroffizier. Straf- und disziplinarrechtlich ist er nicht vorbelastet.

II

1. Der Kommandeur der ... Panzerdivision hat gegen den Soldaten mit Verfügung vom , zugestellt am , das gerichtliche Disziplinarverfahren eingeleitet. Die Anhörung der Vertrauensperson fand am statt; die darüber gefertigte Niederschrift wurde in der Hauptverhandlung vor dem Truppendienstgericht, in der der Soldat anwesend war, verlesen. Nach Akteneinsicht seines Verteidigers äußerte dieser sich am für den Soldaten und beantragte, das Verfahren einzustellen.

2. Mit Anschuldigungsschrift der Wehrdisziplinaranwaltschaft für den Bereich der ... Panzerdivision vom , zugestellt am , wird dem Soldaten folgender Sachverhalt als außerdienstliches Dienstvergehen (§ 17 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 23 Abs. 1 SG) zur Last gelegt:

"Am gegen 21.45 Uhr nahm der Soldat während des Public Viewing der Fußball-Europameisterschaft 2008 auf dem ...platz in S... eine von deren Eigentümerin Katrin-Anne M... auf dem Boden neben einem Baum abgelegte Handtasche an sich, entnahm daraus wenig später das der Geschädigten M... gehörende Mobiltelefon der Marke Sony Ericson S 500 und steckte dieses in Zueignungsabsicht in seine Hosentasche."

3. Das gegen den Soldaten eingeleitete sachgleiche Strafverfahren wegen Diebstahls wurde von der Staatsanwaltschaft S... am gemäß § 153a Abs. 1 StPO endgültig eingestellt, nachdem der Soldat den ihm auferlegten Geldbetrag in Höhe von 400 EUR zugunsten der Staatskasse gezahlt hatte. Im Ermittlungsverfahren waren neben dem beschuldigten Soldaten die Freundinnen der Geschädigten, W... und Wie..., als Tatzeuginnen polizeilich vernommen worden.

4. Die 6. Kammer des Truppendienstgerichts Süd hat den Soldaten durch Urteil vom vom Vorwurf, ein Dienstvergehen begangen zu haben, freigesprochen. Aufgrund der Einlassungen des Soldaten, soweit diesen gefolgt werden könne, der Strafakte der Staatsanwaltschaft S... sowie der Bekundungen der in der Hauptverhandlung angehörten Tatzeugin We... sowie eines Leumundszeugen hat die Truppendienstkammer folgende Feststellungen getroffen und diese wie folgt disziplinarrechtlich gewürdigt:

"Am Abend des hatten sich auf dem ...platz ca. 80.000 Besucher eingefunden, um dort im Rahmen einer öffentlichen Übertragung, einem sogenannten ,Public Viewing' das Fußballländerspiel zwischen Deutschland und Spanien anlässlich der Fußballeuropameisterschaft 2008 verfolgen zu können. Unter den Besuchern waren der Soldat sowie die Zeugin W..., welche sich in Begleitung ihrer Freundinnen Katrin Anne M... und Marie-Therese W... und ihrem Freund befand. Im Verlaufe des Abends war der Soldat in den Besitz der Handtasche der Katrin Anne M... gelangt. Wie dies geschehen ist, hat im Rahmen der Hauptverhandlung nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden können. Entweder hat er, wie angeschuldigt, die am Boden liegende Handtasche an sich genommen oder aber, so jedenfalls seine Einlassung, hat die spätere Geschädigte M... ihm die Tasche für die Dauer eines Toilettenganges anvertraut.

Weil insoweit bestehende Zweifel nicht ausgeräumt werden konnten, war zu Gunsten des Soldaten davon auszugehen, dass ihm die Tasche übergeben worden war.

Weil Frau M... nicht wie vom Soldaten erwartet alsbald zu ihm zurückkehrte, um ihre Tasche wieder an sich zu nehmen, hat er in dieselbe hineingeschaut und dabei das darin befindliche Mobiltelefon entdeckt. Er hoffte nun, durch einen Anruf mit diesem Telefon bei guten Bekannten der Tascheneigentümerin von diesen erfahren zu können, wo er diese Dame denn finden könnte. Dieses Vorhaben konnte er jedoch deshalb nicht verwirklichen, weil das Telefon ausgeschaltet war und nur mit der entsprechenden persönlichen Identifikationsnummer (PIN) zu aktivieren war. Deswegen steckte er dieses Mobiltelefon wieder weg und zwar so, wie er es gewohnt war, in seine linke Hosentasche. Um die Hände frei zu haben, hat er nachfolgend die Damenhandtasche an seinem Gürtel befestigt und sich so weiter auf dem ...platz aufgehalten. Dabei kam er auch wieder in die Nähe der Zeugin W..., an eine Stelle also, an welcher er sich im früheren Verlauf des Abends schon mal eine gewisse Zeit aufgehalten hatte.

Frau M... war in der Zwischenzeit zu ihrer Freundin W... zurückgekehrt und scheint in der Zwischenzeit vergessen zu haben, dass sie ihre Tasche dem unbekannten jungen Mann zum Halten übergeben hatte. Jedenfalls verlangte sie von der Zeugin W... die Herausgabe ihrer Handtasche, damit sie ihren Geldbeutel in derselben verwahren konnte. Die Zeugin W... war etwas überrascht und verwirrt, weil ihr nicht bewusst gewesen war, dass sie auf die Handtasche ihrer Freundin hätte achtgeben sollen. Herausgeben konnte sie diese Tasche natürlich nicht.

Kurz danach tauchte der Soldat in der Nähe der beiden jungen Frauen auf, die Handtasche wurde erkannt und letztendlich nach Einschalten von Sicherheitspersonal wurde der Soldat zu den Einsatzkräften der Bereitschaftspolizei verbracht. Die Durchsuchung der Kleidung des Soldaten durch die Beamten brachte die beiden in seiner linken Hosentasche verwahrten Mobiltelefone hervor, wobei es der Frau M... selbstverständlich möglich war, mittels Eingabe der PIN das ausgeschaltete Mobiltelefon zu aktivieren. Deswegen wurden ihr das Telefon und die Tasche zurückgereicht.

Es mag zwar unwahrscheinlich sein, dass eine Frau für die Dauer eines Toilettenganges ihre Handtasche weggibt, ausgeschlossen ist dies jedoch nicht. Auch insoweit war nach dem Prinzip in dubio pro reo von der für den Soldaten günstigeren Fallkonstellation auszugehen.

Da nach dem anzunehmenden Geschehensablauf weder eine Wegnahme noch eine Zueignungsabsicht ableitbar ist, war der Soldat von dem gegen ihn erhobenen Tatvorwurf freizustellen."

5. Die Wehrdisziplinaranwaltschaft für den Bereich der ... Panzerdivision hat gegen das ihr am zugestellte Urteil am in vollem Umfang Berufung eingelegt mit dem Antrag, den Soldaten wegen eines Dienstvergehens zu verurteilen. Im Wesentlichen wird eine mangelhafte Würdigung der Aussage der Zeugin W... sowie eine nur unzureichende Sachverhaltsaufklärung gerügt. Hätte die Kammer die Beweismittel ausgeschöpft, wäre ein anderer Sachverhalt festgestellt worden.

III

Das von der Wehrdisziplinaranwaltschaft eingelegte, nach § 115 Abs. 1 Satz 1, § 116 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 WDO zulässige Rechtsmittel der unbeschränkten Berufung hat insoweit Erfolg, als das erstinstanzliche Urteil aufzuheben und die Sache an eine andere Kammer des Truppendienstgerichts Süd zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen ist, weil ein schwerer, aber behebbarer Mangel des Verfahrens vorliegt und weitere Aufklärungen erforderlich sind (§ 120 Abs. 1 Nr. 2 WDO). Die Entscheidung ergeht durch Beschluss außerhalb der Hauptverhandlung und in der Besetzung mit drei Richtern (§ 80 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 WDO).

1. Weitere Aufklärungen sind im Sinne des § 120 Abs. 1 Nr. 2 WDO erforderlich, wenn es in dem angefochtenen Urteil des Truppendienstgerichts ganz oder teilweise an hinreichenden tatsächlichen Feststellungen fehlt, die für die Entscheidung erheblich sind. Dies kann auch dann der Fall sein, wenn eine unbeschränkte Berufung eingelegt worden ist und der Wehrdienstsenat damit an sich die notwendigen Sachverhaltsfeststellungen selbst treffen könnte (vgl. dazu BVerwG 2 WD 5.08 - NVwZ-RR 2009, 522 Rn. 15; Dau, WDO, 5. Aufl. 2009, § 120 Rn. 5 m.w.N.). Ein schwerer Mangel des Verfahrens im Sinne des § 120 Abs. 1 Nr. 2 WDO liegt vor, wenn gegen eine Verfahrensvorschrift verstoßen worden ist, deren Verletzung schwerwiegend und für den Ausgang des Verfahrens (noch) von Bedeutung ist. Ein schwerwiegender Verstoß gegen eine Verfahrensvorschrift ist regelmäßig dann gegeben, wenn die Rechte eines Verfahrensbeteiligten wesentlich beeinträchtigt worden sind oder wenn der Verfahrensverstoß den Zweck einer Formvorschrift wesentlich vereitelt. Als schwerwiegender Mangel des Verfahrens im dargelegten Sinne ist in der Rechtsprechung u.a. das Fehlen von ausreichenden und widerspruchsfreien Feststellungen zur Tat- und Schuldfrage anerkannt (vgl. u.a. BDH, Beschluss vom - BDH 3 D 53/65 - BDHE 7, 37; BVerwG 2 WD 36.78 - BVerwGE 63, 72 <74> = NZWehrr 1979, 32 und BVerwG 2 WD 1.07 - BVerwGE 130, 12 Rn. 27 = Buchholz 450.2 § 120 WDO 2002 Nr. 2; Dau, a.a.O. § 120 Rn. 7).

Im gerichtlichen Disziplinarverfahren muss der Tatrichter den entscheidungserheblichen Sachverhalt von Amts wegen erforschen (§ 106 Abs. 1 WDO) und nach Maßgabe der prozessrechtlichen Vorschriften feststellen sowie diesen und die daraus gezogenen rechtlichen Schlussfolgerungen in den Urteilsgründen darlegen und die erhobenen Beweise würdigen. Die Beweiswürdigung muss auf eine verstandesmäßig einsichtige Tatsachengrundlage gestützt und muss erschöpfend sein. § 261 StPO i.V.m. § 91 Abs. 1 WDO verpflichtet, alle in der Hauptverhandlung erhobenen Beweise zu würdigen und dem Urteil zugrunde zu legen, sofern nicht im Einzelfall ein Beweisverwertungsverbot entgegensteht. Der Tatrichter ist gehalten, sich mit den von ihm festgestellten Tatsachen unter allen für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten auseinanderzusetzen, wenn sie geeignet sind, das Beweisergebnis zugunsten oder zuungunsten des Angeschuldigten zu beeinflussen.

Erfüllt ein Urteil nach seinen Entscheidungsgründen diese Anforderungen an die Sachverhaltsaufklärung und an die Beweiswürdigung nicht, liegt ein Aufklärungsmangel und zugleich ein schwerwiegender Mangel des Verfahrens vor (vgl. zuletzt BVerwG 2 WD 7.09 - m.w.N.).

2. Ein solcher Fall ist hier gegeben. Die Truppendienstkammer hat den dem Tatvorwurf zugrunde liegenden entscheidungserheblichen Sachverhalt nicht im erforderlichen Umfang aufgeklärt und ist auch nicht den genannten Anforderungen an eine umfassende, objektivierbare und logisch nachvollziehbare Beweiswürdigung gerecht geworden.

Das Truppendienstgericht hat den Freispruch des Soldaten letztlich auf das "Prinzip in dubio pro reo" gestützt (UA S. 4 und 5). Es habe in der Hauptverhandlung nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden können, wie der Soldat in den Besitz der Handtasche der Katrin Anne M... gelangt sei. Entweder habe er, wie angeschuldigt, die am Boden liegende Handtasche an sich genommen oder aber, so seine Einlassung, habe die spätere Geschädigte Meister ihm die Tasche für die Dauer eines Toilettenganges anvertraut. Es möge zwar unwahrscheinlich sein, dass eine Frau für die Dauer eines Toilettengangs ihre Handtasche weggebe; ausgeschlossen sei dies jedoch nicht. Weil insoweit bestehende Zweifel nicht hätten ausgeräumt werden können, sei zugunsten des Soldaten davon auszugehen, dass ihm die Tasche übergeben worden sei.

Diese Beweiswürdigung des Truppendienstgerichts stellt einen schweren, aber behebbaren Verfahrensmangel dar; denn sie beruht auf einer fehlerhaften Anwendung des Grundsatzes "im Zweifel für den Angeklagten".

Aus Art. 6 Abs. 2 EMRK und dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) folgt der Grundsatz der Unschuldsvermutung, der auch im gerichtlichen Disziplinarverfahren gilt (vgl. für das Wehrdisziplinarrecht zuletzt BVerwG 2 WD 17.08 -; für das Beamtendisziplinarrecht z.B. BVerwG 1 D 68.98 - BVerwGE 111, 43 <44 f.> = Buchholz 235 § 18 BDO Nr. 1 S. 2 f., jeweils m.w.N.). Danach ist jeder Soldat oder Beamte bis zum verfahrensmäßigen Abschluss eines Disziplinarverfahrens grundsätzlich als unschuldig anzusehen. Diese Unschuldsvermutung verlangt, dass dem Beschuldigten eine schuldhafte Verletzung seiner Dienstpflichten nachgewiesen werden muss (vgl. dazu auch BVerwG 1 D 19.00 - BVerwGE 114, 140 <146> = Buchholz 232 § 54 Satz 3 BBG Nr. 28 S. 35 m.w.N.). Der aus dem Rechtsstaatsprinzip und der Unschuldsvermutung abgeleitete und auch im Disziplinarrecht geltende Grundsatz "im Zweifel für den Angeklagten" (vgl. dazu z.B. BVerwG 2 WD 11.08 - m.w.N.) besagt, dass Zweifel im tatsächlichen Bereich bei der Anwendung materiellen Disziplinarrechts, die trotz Ausschöpfung aller Beweismittel (vgl. insoweit die gerichtliche Aufklärungspflicht gemäß § 106 Abs. 1 WDO) nicht behoben werden können, nur zugunsten des Beschuldigten berücksichtigt werden dürfen (vgl. z.B. BVerwG 1 WD 3.03 - Buchholz 235.01 § 91 WDO 2002 Nr. 1 = NZWehrr 2004, 166). Eine ordnungsgemäße Anwendung des Grundsatzes setzt danach voraus, dass das Gericht zuvor alle ihm zur Verfügung stehenden entscheidungserheblichen Beweismittel ausgeschöpft hat (vgl. zum Strafverfahren auch - BGHSt 13, 326 <328>). Das war hier nicht der Fall.

Das Truppendienstgericht durfte - wie mit der Berufung zu Recht gerügt wird - nicht auf eine Vernehmung der Geschädigten Katrin Anne M... als Zeugin verzichten, zumal diese offensichtlich auch im Strafverfahren nicht vernommen worden war; in der Strafakte befindet sich jedenfalls keine protokollierte Zeugenaussage der Geschädigten. Ihre Aussage war nach den Urteilsgründen der Truppendienstkammer entscheidungserheblich. Die Geschädigte hätte gefragt werden müssen, ob sie ihre Handtasche dem Soldaten freiwillig vorübergehend anvertraut hatte oder nicht. Zwar war die Geschädigte als Zeugin zur Hauptverhandlung am geladen, war jedoch wegen angeblicher Hinderungsgründe (Urlaub bis , anschließend dreimonatiges Praktikum im Schwarzwald ohne Sonderurlaubsmöglichkeit) zum Termin in Karlsruhe nicht erschienen, sodass die Hauptverhandlung ohne sie durchgeführt wurde. Unter diesen Umständen hätte der Kammervorsitzende entweder eine Terminsverlegung oder eine rechtzeitige kommissarische Vernehmung der Zeugin durch einen beauftragten oder ersuchten Richter (vgl. dazu § 157 GVG, §§ 63, 70 Abs. 3 StPO i.V.m. § 91 Abs. 1 WDO) anordnen müssen. Beides hat er verfahrensfehlerhaft unterlassen. Im Übrigen wäre zur weiteren Sachaufklärung auch geboten gewesen, die Tatzeugin W... zur Hauptverhandlung zu laden; auch dies ist unterblieben. Dem Protokoll über die Hauptverhandlung lässt sich auch nicht entnehmen, dass die Aussagen der Zeugin vom im Strafverfahren (Bl. 15 f. d.A.) durch Verlesung in das Verfahren eingeführt worden wären.

Ungeachtet der unvollständigen Sachaufklärung und schon aus diesem Grund mangelhaften Beweiswürdigung ist letztere auch deshalb zu beanstanden, weil sich das Truppendienstgericht nicht mit allen von ihm festgestellten entscheidungserheblichen (Belastungs-)Tatsachen auseinandergesetzt hat; diese sind daher auch nicht im erforderlichen Umfang in das Beweisergebnis eingeflossen. Dies gilt zunächst für den Umstand, dass der Soldat im sachgleichen Strafverfahren wegen Diebstahls nicht freigesprochen worden war. Von der Erhebung der öffentlichen Klage war vielmehr gemäß § 153a Abs. 1 StPO abgesehen worden, nachdem der Soldat 400 EUR zugunsten der Staatskasse gezahlt hatte. Voraussetzung für eine Entscheidung nach § 153a StPO war, dass die Staatsanwaltschaft von der Verwirklichung des Straftatbestandes und damit auch von einer - wenn auch geringen - Schuld des Soldaten ausging (vgl. § 153a Abs. 1 Satz 1 StPO). Die strafrechtliche Behandlung des Falles könnte immerhin ein Indiz für eine "Täterschaft" des Soldaten sein. Auf diesen Umstand ist das Truppendienstgericht im Rahmen seiner Beweiswürdigung mit keinem Wort eingegangen.

Nach den Feststellungen der Truppendienstkammer (UA S. 4 f.) hatte der Soldat, als er im Besitz der Handtasche war, vergeblich versucht, den Aufenthaltsort der Geschädigten M... in Erfahrung zu bringen; mit dieser Sachverhaltsfeststellung soll offensichtlich auf "lautere" Motive des Soldaten hingedeutet werden. Sie stehen jedoch in einem gewissen Widerspruch zu den anschließenden Feststellungen des Gerichts (UA S. 5), wonach der Soldat von der Bereitschaftspolizei durchsucht werden musste, bis man in seiner linken Hosentasche das Mobiltelefon der Geschädigten fand. Diesen - gegen den Soldaten sprechenden - Tatumstand hat die Vorinstanz ebenfalls nicht gewürdigt, zumal dem Soldaten nach dem Inhalt der Anschuldigungsschrift eine Zueignungsabsicht nur hinsichtlich des Telefons und nicht hinsichtlich der Handtasche zur Last gelegt wird.

Schließlich hat sich die Truppendienstkammer in den Entscheidungsgründen ihres Urteils auch nicht mit den den Soldaten belastenden Aussagen der in der Hauptverhandlung angehörten Zeugin W... auseinandergesetzt; dies wird auch mit der Berufung gerügt. Die Zeugin hat u.a. ausgesagt, die Geschädigte habe nach ihrer Rückkehr von ihr, der Zeugin, Rückgabe der Tasche verlangt, auf die sie habe aufpassen sollen. Diese Zeugenaussage spricht gegen die Behauptung des Soldaten, die Geschädigte habe ihm die Tasche vorübergehend zur Verwahrung anvertraut.

3. Diese schwerwiegenden Mängel der Sachaufklärung und Beweiswürdigung führen zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an eine andere Kammer des Truppendienstgerichts Süd.

Allerdings steht die Entscheidung darüber, ob der Senat bei Vorliegen eines Aufklärungsmangels oder eines schweren Verfahrensmangels ungeachtet dessen in der Sache selbst entscheidet oder ob er das Urteil der Truppendienstkammer aufhebt und die Sache an eine andere Kammer desselben Truppendienstgerichts oder eines anderen Truppendienstgerichts zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung zurückverweist, nach § 120 Abs. 1 Nr. 2 WDO in seinem gerichtlichen Ermessen. Bei der pflichtgemäßen Ausübung dieses Ermessens kommt dem Normzweck regelmäßig eine entscheidende Bedeutung zu.

Wurde eine Sachverhaltsaufklärung erstinstanzlich gar nicht erst begonnen (vgl. dazu Beschlüsse vom - BVerwG 2 WD 68.91 - und vom - BVerwG 2 WD 30.96 - BVerwGE 103, 386 = Buchholz 235.0 § 115 WDO Nr. 1 = NZWerr 1997, 115) oder war sie - wie hier - weitgehend unzulänglich (vgl. dazu u.a. Beschlüsse vom - BVerwG 2 WD 17.88 -, vom - BVerwG 2 WD 13.92 - und vom - BVerwG 2 WD 4.97 -), ist in der Regel wegen Vorliegens eines schweren Mangels des Verfahrens eine Zurückverweisung durch das Berufungsgericht geboten (vgl. auch BVerwG 2 WD 5.08 - NVwZ-RR 2009, 522 Rn. 14). Es ist nach den Regelungen der Wehrdisziplinarordnung nicht Aufgabe des Rechtsmittelgerichts, anstelle der dazu berufenen Truppendienstkammer notwendige gerichtliche Feststellungen zum entscheidungserheblichen Sachverhalt erstmals zu treffen. Sowohl der angeschuldigte Soldat wie auch die Wehrdisziplinaranwaltschaft haben zudem Anspruch darauf, dass bereits im ersten Rechtszug nach Maßgabe der prozessrechtlichen Vorschriften alle erforderlichen Maßnahmen zur hinreichenden Aufklärung der Sach- und Rechtslage ordnungsgemäß getroffen und die erhobenen Beweise nachvollziehbar gewürdigt werden und dass das Ergebnis der Beweiswürdigung in den Urteilsgründen niedergelegt wird. Denn nur bei einer auf dieser Grundlage ergehenden, die Instanz abschließenden Entscheidung der Truppendienstkammer werden der Soldat und die Wehrdisziplinaranwaltschaft in die Lage versetzt, verantwortlich darüber zu befinden, ob Berufung eingelegt werden soll oder nicht.

Angesichts dessen macht der Senat von seinem Ermessen gemäß § 120 Abs. 1 Nr. 2 WDO Gebrauch und verweist die Sache unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils an eine andere Kammer des Truppendienstgerichts Süd zurück. Das Beschleunigungsgebot (§ 17 Abs. 1 WDO) steht einer Zurückverweisung schon deshalb nicht entgegen, weil diese zur Sicherstellung des Anspruchs auf ein faires rechtsstaatliches Disziplinarverfahren (speziell zum gerichtlichen Wehrdisziplinarverfahren - ZBR 2001, 208) unvermeidbar ist. Das Fairnessgebot gilt gegenüber beiden Verfahrensbeteiligten. Ihnen ist auch beiden durch gerichtliche Verfügung vom Gelegenheit zur Äußerung gegeben worden, obwohl dies nach § 120 Abs. 2 WDO im Falle der Berufungseinlegung durch den Wehrdisziplinaranwalt eigentlich nur im Hinblick auf den Soldaten vorgeschrieben ist. Dieser hat sich durch seinen Verteidiger nicht geäußert. Der Bundeswehrdisziplinaranwalt hat erklärt, einer möglichen Zurückverweisung werde nicht entgegengetreten.

Für eine Zurückverweisung an ein anderes Truppendienstgericht sieht der Senat keine Veranlassung.

Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens und die Erstattung der dem Soldaten darin erwachsenen notwendigen Auslagen bleibt der endgültigen Entscheidung in dieser Sache vorbehalten (§ 141 Abs. 1 und 2 WDO).

Fundstelle(n):
FAAAD-37016