EuGH Urteil v. - C-572/07

Reinigung von Gemeinschaftsräumen im Zusammenhang mit der Vermietung - Nebenleistungen

Leitsatz

Für die Zwecke der Anwendung von Art. 13 Teil B Buchst. b der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage sind die Vermietung eines Grundstücks und die Dienstleistung der Reinigung seiner Gemeinschaftsräume unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens als selbständige, voneinander trennbare Umsätze anzusehen, so dass diese Dienstleistung nicht unter diese Bestimmung fällt.

Instanzenzug: Krajsky soud v Usti nad Labem (Tschechien) - Entscheidung vom , ,

Gründe

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 13 Teil B Buchst. b der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1, im Folgenden: Sechste Richtlinie).

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der RLRE Tellmer Property sro (im Folgenden: RLRE Tellmer Property) und dem Finanční ředitelství v Ústí nad Labem (Finanzdirektion von Ústí nad Labem) über die Frage, ob die Kosten für die Reinigung von Gemeinschaftsräumen eines Mietshauses ebenso wie die Vermietung von der Mehrwertsteuer befreit sind.

Rechtlicher Rahmen

Gemeinschaftsrecht

Nach Art. 2 Nr. 1 der Sechsten Richtlinie unterliegen der Mehrwertsteuer "Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt".

In Art. 6 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie heißt es:

"Als Dienstleistung gilt jede Leistung, die keine Lieferung eines Gegenstands im Sinne des Artikels 5 ist.

Diese Leistung kann unter anderem bestehen

- in der Abtretung eines unkörperlichen Gegenstands, gleichgültig, ob in einer Urkunde verbrieft oder nicht;

- in der Verpflichtung, eine Handlung zu unterlassen oder eine Handlung oder einen Zustand zu dulden;

- in der Ausführung eines Dienstes auf Grund einer behördlichen Anordnung oder kraft Gesetzes."

Art. 13 Teil B der Sechsten Richtlinie in Abschnitt X dieser Richtlinie, der die Überschrift "Steuerbefreiungen" trägt, bestimmt:

"Unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften befreien die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen festsetzen, von der Steuer:

...

b) die Vermietung und Verpachtung von Grundstücken mit Ausnahme

1. der Gewährung von Unterkunft im Hotelgewerbe entsprechend den gesetzlichen Begriffsbestimmungen der Mitgliedstaaten oder in Sektoren mit ähnlicher Zielsetzung, einschließlich der Vermietung in Ferienlagern oder auf als Campingplätze erschlossenen Grundstücken,

2. der Vermietung von Plätzen für das Abstellen von Fahrzeugen,

3. der Vermietung von auf Dauer eingebauten Vorrichtungen und Maschinen,

4. der Vermietung von Schließfächern.

Die Mitgliedstaaten können weitere Ausnahmen vom Geltungsbereich dieser Befreiung vorsehen".

Nationales Recht

Die Anwendung der Mehrwertsteuer in der Tschechischen Republik ist im Gesetz Nr. 235/2004 über die Mehrwertsteuer geregelt. § 56 Abs. 4 dieses Gesetzes, der die Überschrift "Übertragung und Vermietung von Grundstücken, Gebäuden, Wohnungen und von nicht zu Wohnzwecken genutztem Raum, Vermietung sonstiger Vorrichtungen" trägt, regelt die Befreiung von der Mehrwertsteuer bei der Vermietung von Eigentum wie folgt:

"Die Vermietung von Grundstücken, Gebäuden, Wohnungen und von nicht zu Wohnzwecken genutztem Raum ist von der Mehrwertsteuer befreit. Die Befreiung findet keine Anwendung auf die kurzzeitige Vermietung von Gebäuden, die Vermietung eines Raumes oder Platzes für das Abstellen von Fahrzeugen, die Vermietung von Schließfächern oder von auf Dauer eingebauten Vorrichtungen und Maschinen. Unter einer kurzzeitigen Vermietung ist die Vermietung einschließlich sämtlicher beweglicher Innenausstattung, gegebenenfalls außerdem Strom-, Heizungs-, Klimatisierungs-, Gas- oder Wasserversorgung, für längstens 48 Stunden ohne Unterbrechung zu verstehen."

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass RLRE Tellmer Property die Eigentümerin von Häusern mit Mietwohnungen ist. Zusätzlich zu der Mietzahlung verlangt sie von ihren Mietern gesondert in Rechnung gestellte Beträge für die von den Hausmeistern der Häuser durchgeführte Reinigung der Gemeinschaftsräume.

Nachdem die Steuerbehörden festgestellt hatten, dass RLRE Tellmer Property einen übermäßigen Mehrwertsteuerabzug vorgenommen hatte, beschlossen sie, die von dieser Gesellschaft für Mai 2006 geschuldete Mehrwertsteuer um 115 911 CZK für die Einnahmen aus der Reinigungstätigkeit zu erhöhen.

Nachdem die Entscheidung des Finanzamts Litvínov vom durch eine Entscheidung des Finanční ředitelství v Ústí nad Labem vom bestätigt worden war, erhob RLRE Tellmer Property Klage beim vorlegenden Gericht.

RLRE Tellmer Property macht geltend, dass die Vermietung und die mit der Vermietung von Wohnungen im Zusammenhang stehenden Dienstleistungen wie die Reinigung der Gemeinschaftsräume unteilbare Leistungen seien, die einer einheitlichen Regelung der Mehrwertsteuer unterlägen.

Das vorlegende Gericht fragt sich, welche Auslegung dem nationalen Recht wie auch dem im vorliegenden Fall anwendbaren Gemeinschaftsrecht zu geben sei. Es zieht drei mögliche Antworten auf die Fragen in Betracht, die sich im Ausgangsverfahren stellen.

Soweit erstens für die Mieter die Möglichkeit bestehe, mit einem Dritten einen selbständigen Vertrag über die Reinigung der Gemeinschaftsräume zu schließen, sei diese Dienstleistung nicht Teil der Vermietung, und für ihre Steuerbefreiung gebe es keinen Grund. Soweit die Befreiung der Vergütung für die Reinigung dieser Räume zur Folge habe, die für die Wohnungen geschuldeten Nebenkosten zu vermindern, könnten zweitens soziale Gründe die Befreiung dieser Vergütung rechtfertigen. Drittens schließt das vorlegende Gericht nicht aus, dass diese Frage der Beurteilung durch die Mitgliedstaaten zu überlassen sei.

Daher hat der Krajský soud v Ústí nad Labem das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Sind die Art. 6 und 13 der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen, dass zum einen die Vermietung einer Wohnung (gegebenenfalls eines nicht zu Wohnzwecken genutzten Raumes) und zum anderen die mit ihr zusammenhängende Reinigung von Gemeinschaftsräumen als selbständige, voneinander trennbare steuerbare Umsätze angesehen werden können?

2. Wenn die erste Frage verneint wird, stellt sich die Frage, ob Art. 13 Teil B Buchst. b der Sechsten Richtlinie die Anwendung der Mehrwertsteuer auf die Vergütung für die Reinigung von Gemeinschaftsräumen eines Mietshauses mit Wohnungen verlangt, ausschließt oder der Entscheidung des Mitgliedstaats überlässt?

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten Frage

Mit seiner ersten Frage fragt das vorlegende Gericht hinsichtlich der Anwendung von Art. 13 Teil B Buchst. b der Sechsten Richtlinie nach der Beziehung, die zwischen der Vermietung eines Grundstücks und der Dienstleistung der Reinigung der Gemeinschaftsräume eines vermieteten Gebäudes besteht. Insbesondere fragt es, ob die Vergütung für diese Reinigungsleistung unter den Begriff der Vermietung im Sinne dieses Artikels fällt und somit das steuerliche Schicksal der Vermietung eines Grundstücks, die nach Art. 13 Teil B Buchst. b der Sechsten Richtlinie von der Mehrwertsteuer befreit ist, teilt.

Insoweit ist erstens daran zu erinnern, dass nach ständiger Rechtsprechung die in Art. 13 der Sechsten Richtlinie vorgesehenen Steuerbefreiungen eigenständige Begriffe des Gemeinschaftsrechts darstellen und daher eine gemeinschaftsrechtliche Definition erhalten müssen (vgl. Urteil vom , CO.GE.P., C-174/06, Slg. 2007, I-9359, Randnr. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Die Begriffe, mit denen die Steuerbefreiungen nach Art. 13 der Sechsten Richtlinie umschrieben werden, sind eng auszulegen, da diese Steuerbefreiungen Ausnahmen von dem allgemeinen Grundsatz darstellen, wonach jede Dienstleistung, die ein Steuerpflichtiger gegen Entgelt erbringt, der Mehrwertsteuer unterliegt (vgl. u. a. Urteile vom , Stockholm Lindöpark, C-150/99, Slg. 2001, I-493, Randnr. 25, und vom , Jyske Finans, C-280/04, Slg. 2005, I-10683, Randnr. 21 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Zweitens ergibt sich aus Art. 2 der Sechsten Richtlinie, dass jeder Umsatz in der Regel als eigene, selbständige Leistung zu betrachten ist (vgl. Urteil vom , Part Service, C-425/06, Slg. 2008, I-897, Randnr. 50 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Des Weiteren sind unter bestimmten Umständen mehrere formal unterschiedliche Einzelleistungen, die getrennt erbracht werden und damit jede für sich zu einer Besteuerung oder Befreiung führen könnten, als ein einheitlicher Umsatz anzusehen, wenn sie nicht selbständig sind. Dies ist z. B. der Fall, wenn festgestellt wird, dass eine oder mehrere Einzelleistungen eine Hauptleistung bilden und die andere Einzelleistung oder die anderen Einzelleistungen eine oder mehrere Nebenleistungen bilden, die das steuerliche Schicksal der Hauptleistung teilen. Insbesondere ist eine Leistung als Neben- und nicht als Hauptleistung anzusehen, wenn sie für die Kundschaft keinen eigenen Zweck, sondern das Mittel darstellt, um die Hauptleistung des Leistungserbringers unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen (Urteil Part Service, Randnrn. 51 und 52 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

Eine einheitliche Leistung liegt zudem dann vor, wenn der Steuerpflichtige zwei oder mehr Handlungen vornimmt oder Elemente liefert, die so eng miteinander verbunden sind, dass sie objektiv eine einzige untrennbare wirtschaftliche Leistung bilden, deren Aufspaltung wirklichkeitsfremd wäre (Urteil Part Service, Randnr. 53).

Zunächst ist daran zu erinnern, dass die Vermietung von Grundstücken im Sinne von Art. 13 Teil B Buchst. b der Sechsten Richtlinie im Wesentlichen darin besteht, dass ein Vermieter einem Mieter auf bestimmte Zeit gegen eine Vergütung das Recht einräumt, ein Grundstück so in Besitz zu nehmen, als ob er dessen Eigentümer wäre, und jede andere Person von diesem Recht auszuschließen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom , "Goed Wonen", C-326/99, Slg. 2001, I-6831, Randnr. 55, vom , Mirror Group, C-409/98, Slg. 2001, I-7175, Randnr. 31, vom , Seeling, C-269/00, Slg. 2003, I-4101, Randnr. 49, und vom , Temco Europe, C-284/03, Slg. 2004, I-11237, Randnr. 19).

Daher fallen die Leistungen der Reinigung der Gemeinschaftsräume eines Gebäudes, auch wenn sie die Nutzung des Mietgegenstands begleiten, nicht notwendigerweise unter den Begriff der Vermietung im Sinne von Art. 13 Teil B Buchst. b der Sechsten Richtlinie.

Es steht außerdem fest, dass die Dienstleistung der Reinigung der Gemeinschaftsräume eines Gebäudes in unterschiedlicher Weise erbracht werden kann, nämlich u. a. durch einen Dritten, der die Kosten für diese Dienstleistungen den Mietern unmittelbar in Rechnung stellt, oder durch den Vermieter, der sich hierzu seines eigenen Personals bedient oder ein Reinigungsunternehmen in Anspruch nimmt.

Es ist festzustellen, dass im vorliegenden Fall RLRE Tellmer Property den Mietern die Reinigungsleistungen gesondert von der Miete in Rechnung stellt.

Da die Vermietung von Wohnungen und die Reinigung von Gemeinschaftsräumen eines Gebäudes unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens voneinander getrennt werden können, können diese Vermietung und diese Reinigung auch nicht als eine einheitliche Leistung im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs angesehen werden.

Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass für die Zwecke der Anwendung von Art. 13 Teil B Buchst. b der Sechsten Richtlinie die Vermietung eines Grundstücks und die Dienstleistung der Reinigung seiner Gemeinschaftsräume unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens als selbständige, voneinander trennbare Umsätze anzusehen sind, so dass diese Dienstleistung nicht unter diese Bestimmung fällt.

Zur zweiten Frage

Angesichts der Antwort auf die erste Frage ist die zweite Frage nicht zu beantworten.

Kosten

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

Für die Zwecke der Anwendung von Art. 13 Teil B Buchst. b der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage sind die Vermietung eines Grundstücks und die Dienstleistung der Reinigung seiner Gemeinschaftsräume unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens als selbständige, voneinander trennbare Umsätze anzusehen, so dass diese Dienstleistung nicht unter diese Bestimmung fällt.

Fundstelle(n):
ZAAAD-36782