Bezeichnung der klagenden Partei in der Klageschrift; Entscheidung über eine an sich zulässige Klage durch Prozessurteil als Verfahrensmangel
Gesetze: BGB § 133, FGO § 47 Abs. 2, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3
Instanzenzug:
Gründe
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I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), eine GmbH und Co. KG, reichte die Feststellungserklärungen für die Jahre 1999 bis 2001 trotz Aufforderung nicht ein. Eine deshalb an deren Geschäftsführerin gerichtete, mit dem Hinweis auf ein mögliches Zwangsgeldverfahren verbundene Aufforderung des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt —FA—), die ausstehenden Erklärungen abzugeben, blieb erfolglos. Daraufhin drohte das FA der Geschäftsführerin Zwangsgeld wegen Nichtabgabe der Feststellungserklärungen an, das später auch festgesetzt und entrichtet wurde. Im Verlauf des hiergegen gerichteten Einspruchsverfahrens gingen die Feststellungserklärungen beim FA ein. Die Einsprüche der Geschäftsführerin wies das FA als unbegründet zurück.
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Die Klägerin, vertreten durch die Geschäftsführerin, erhob auf einem Briefbogen der Klägerin Klage „gegen die Einspruchsentscheidungen über die Einsprüche vom…gegen die Androhungen von Zwangsgeldern…vom…für die (mit Firma bezeichnete Klägerin)”. Die Bescheide waren der am letzten Tag der Klagefrist eingereichten Klage nicht beigefügt. Die angeforderten Akten übersandte das FA mit den einleitenden Worten: „Ich übersende die Akten zur Entscheidung über die Klage der (es folgen Name und Adresse der Geschäftsführerin) wegen Androhung von Zwangsgeldern…für die (Name und Anschrift der Klägerin)”. In seiner Klageerwiderung wies das FA darauf hin, dass die von der Klägerin erhobene Klage unzulässig sei, weil die angefochtenen Bescheide an die Geschäftsführerin gerichtet gewesen seien. Die Klägerin äußerte sich dazu nicht und war in der mündlichen Verhandlung nicht vertreten.
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Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mangels Klagebefugnis der Klägerin ab, da nicht die Klägerin Adressatin der angefochtenen Bescheide gewesen sei, sondern ihre Geschäftsführerin; nur diese könne eine Rechtsverletzung durch die Verfügungen geltend machen. Eine Auslegung der Klageschrift dahin, die Geschäftsführerin als Klägerin anzusehen, scheitere daran, dass die Klägerin eindeutig als solche bezeichnet sei. Zwar könne durch Auslegung ermittelt werden, wer Kläger sei, jedoch nur, wenn die Klägerbezeichnung nicht eindeutig sei. Im Streitfall ergebe sich weder aus der Nennung des Aktenzeichens des FA noch aus dem Streitgegenstand Zwangsgeldandrohung eine Unklarheit, da Zwangsmittel auch juristische Personen treffen könnten. Andere Schreiben, aus denen habe entnommen werden können, dass die Geschäftsführerin Klägerin sei, seien innerhalb der Rechtsmittelfrist nicht eingegangen.
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Mit der Nichtzulassungsbeschwerde rügt die Klägerin als Verfahrensmangel gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO), dass durch die fehlende Auslegung der Klageschrift der Anspruch der Klägerin auf effektiven Rechtsschutz verkürzt worden sei. Das FG habe sich bei der Bestimmung der richtigen Klagepartei die Kenntnis des FA zurechnen lassen müssen. Bei einem Vergleich der Klageschrift mit dem Inhalt der Einspruchsentscheidungen sei leicht erkennbar, dass die Geschäftsführerin die Einspruchsentscheidungen einer gerichtlichen Überprüfung habe unterziehen wollen. Auch sei die Verpflichtung zur Auslegung nicht durch den Ablauf der Rechtsmittelfrist beschränkt, vielmehr gebiete die Prozessfürsorgepflicht, zur Ermittlung des richtigen Klägers auf die Steuerakten zurückzugreifen, zumindest aber einen Hinweis über die beabsichtigte Abweisung der Klage als unzulässig zu erteilen. Ein Rügeverlust hinsichtlich des Verfahrensmangels sei nicht eingetreten, da dieser nur in Betracht komme, wenn die Partei durch einen rechtskundigen Prozessbevollmächtigten vertreten war.
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Auch sei ein Fall von grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO und der Sicherung der Rechtseinheit gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2, 2. Alternative FGO gegeben. Klärungsbedürftig sei, wie weit das Gericht eine Klageschrift auslegen müsse und bis zu welchem Zeitpunkt eine Auslegung möglich sei. Insoweit bestünden in der Rechtsprechung unterschiedliche Auffassungen hinsichtlich der Berücksichtigung der Steuerakten, nämlich ob entscheidend sei, dass sie vor Ablauf der Rechtsbehelfsfrist dem Gericht bekannt gewesen seien oder ob wegen § 47 Abs. 2 FGO auf die Kenntnis des Finanzamts abgestellt und diese dem FG zugerechnet werden müsse.
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II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung gemäß § 116 Abs. 6 FGO. Der von der Beschwerde in zulässiger Weise geltend gemachte Verfahrensmangel, das FG habe zu Unrecht durch Prozessurteil entschieden, liegt vor und das Urteil des FG beruht auf diesem Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3, § 119 Nr. 3 FGO).
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1. Nach ständiger Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes stellt es einen Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO dar, wenn über eine an sich zulässige Klage nicht durch Sach-, sondern durch Prozessurteil entschieden wird (vgl. z.B. , BFH/NV 2007, 1345, m.w.N.).
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2. Das FG hat es verfahrensfehlerhaft abgelehnt, den Klageschriftsatz vom nicht als Klage der Geschäftsführerin gegen das FA auszulegen.
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a) Prozessuale Rechtsbehelfe sind nach ständiger Rechtsprechung des BFH in entsprechender Anwendung des § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auszulegen, wenn eine eindeutige und zweifelsfreie Erklärung fehlt. Nur wenn die Prozesserklärung klar und eindeutig ist und offensichtlich dem bekundeten Willen des Beteiligten entspricht, besteht grundsätzlich —wovon auch das FG zu Recht ausgeht— kein Raum für eine gegenteilige Auslegung (vgl. , BFH/NV 2007, 1511, m.w.N.).
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b) Die Auslegung von Willenserklärungen gehört zwar grundsätzlich zu der dem FG obliegenden Feststellung der Tatsachen. Der BFH ist als Beschwerdeinstanz aber nicht daran gehindert, die Auslegung des FG daraufhin zu überprüfen, ob die gesetzlichen Auslegungsregeln, die Denkgesetze und die Erfahrungssätze zutreffend angewendet worden sind (ständige Rechtsprechung, vgl. , Zeitschrift für Steuern und Recht 2009, R683, m.w.N.).
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c) Im Streitfall war die Vorentscheidung danach aufzuheben, weil die die Entscheidung tragende Rechtsauffassung des FG, die durch die Klageschrift getroffene Bestimmung der klagenden Partei sei nicht auslegungsfähig, nicht der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung entspricht.
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Die Klage vom ist zwar nach ihrem Wortlaut von der Klägerin erhoben worden. Für die Beteiligtenstellung ist jedoch die Bezeichnung in der Klageschrift nicht allein ausschlaggebend. Vielmehr kommt es darauf an, welcher Sinn der in der Klageschrift gewählten Parteibezeichnung bei objektiver Würdigung des Erklärungsinhalts beizulegen ist. In diese Beurteilung ist auch das tatsächliche Vorbringen im weiteren Verlauf des Verfahrens mit einzubeziehen. Bei unrichtiger äußerer Bezeichnung ist grundsätzlich die Person als Partei anzusprechen, die erkennbar durch die Parteibezeichnung betroffen werden soll. Auch bei scheinbar eindeutiger Erklärung hängt die Bestimmung des Klägers von allen dem FA und dem FG als den Empfängern der Klageschrift bekannten oder erkennbaren Umständen tatsächlicher oder rechtlicher Art ab (BFH-Beschlüsse vom II B 71/07, Der Erbschaft-Steuer-Berater 2009, 141; in BFH/NV 2007, 1345; vom VIII B 3/96, BFH/NV 2006, 570). Bei der Auslegung der Klageschrift sind auch diejenigen tatsächlichen und rechtlichen Umstände zu berücksichtigen, die nur für das FA als einem der beiden Adressaten der Klage bereits zum Zeitpunkt des Eingangs der Klageschrift erkennbar waren. Das folgt daraus, dass das Gesetz die Anbringung einer Klage beim FA in § 47 Abs. 2 FGO als fristwahrend anerkennt. Wenn es in einem solchen Fall zweifelsfrei darauf ankommt, wie das FA die Klage vernünftigerweise verstehen muss, können dessen Erkenntnismöglichkeiten bei Klageerhebung vor dem FG nicht unbeachtlich sein (so schon , BFHE 157, 296, BStBl II 1989, 846).
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Das FG hat die Bedeutung der dem FA bekannten Umstände für die Bestimmung der klagenden Partei nicht beachtet, obwohl das FA —wie aus dem Begleitschreiben zur Aktenübersendung ersichtlich— jedenfalls zunächst davon ausgegangen ist, dass die Klage von der Geschäftsführerin erhoben worden ist. Außerdem musste das FG selbst bei Vorlage der Akten erkennen, dass die mit der Klage in Bezug genommenen Bescheide an die Geschäftsführerin gerichtet waren. Bei dieser Erkenntnislage gebietet der Grundsatz der rechtsschutzgewährenden Auslegung (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2007, 1511), die Klägerbezeichnung zu korrigieren.
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3. Die Aufhebung des FG-Urteils und die Zurückverweisung des Rechtsstreits an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung nach § 116 Abs. 6 FGO ist geboten, da die Sache nicht entscheidungsreif ist.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2010 S. 441 Nr. 3
MAAAD-35583