BGH Beschluss v. - VIII ZR 92/07

Leitsatz

Leitsatz:

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Instanzenzug: LG Köln, 9 S 158/06 vom AG Bergisch Gladbach, 68 C 3/06 vom

Gründe

I. Die Parteien streiten um die Verpflichtung der Beklagten, dem Kläger eine höhere als die gezahlte Provision aus der Vermittlung von Verträgen während seiner Untervertretertätigkeit für die Beklagte zu zahlen.

In erster Instanz hat der Kläger die Provisionsansprüche im Wege der Feststellungsklage geltend gemacht. Das Amtsgericht hat die Klage wegen Fehlens des Feststellungsinteresses abgewiesen. Mit der hiergegen eingelegten Berufung hat der Kläger den Klageantrag beziffert und statt der Feststellung die Zahlung einer zusätzlichen Provision in Höhe von 26.166,65 € beantragt. Den ursprünglichen Feststellungsantrag hat er als Hilfsantrag aufrechterhalten. Das Landgericht hat die Berufung zurückgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:

Die Umstellung des Klageantrags sei zwar zulässig, aber verspätet, weil der Hauptantrag auf neue Tatsachen gestützt werde, die schon in erster Instanz hätten vorgetragen werden können und daher nach § 531 Abs. 2 ZPO nicht zuzulassen seien. Der Kläger habe es aus Nachlässigkeit unterlassen, die Klage bereits nach der in der ersten Januarhälfte 2006 seitens der Beklagten erfolgten Vorlage weiterer Unterlagen umzustellen. Dass er einen Buchsachverständigen mit der Auswertung beauftragt habe und dieser sein Gutachten erst am erstellt habe, entlaste den Kläger nicht vom Verspätungsvorwurf, da er als kaufmännisch erfahrener Handelsvertreter, ebenso wie sein Prozessbevollmächtigter eine Auswertung der Unterlagen auch ohne die Unterstützung des Buchsachverständigen hätte vornehmen können. An der Verspätung des Vorbringens des Klägers in der Berufungsinstanz ändere auch der Umstand nichts, dass der Bericht des Buchsachverständigen bereits in erster Instanz vorgelegt worden sei. Zum einen sei der Bericht in erster Instanz verspätet vorgelegt worden, zum anderen ergebe sich das vom Kläger zur Bezifferung seines Leistungsantrags vorgetragene Zahlenwerk nur teilweise aus diesem Bericht und sei daher insgesamt als neu zu bewerten. § 531 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ändere ebenfalls nichts an der Verspätung. Denn es liege kein Verfahrensfehler des Amtsgerichts vor, durch den der Kläger sein Vorbringen im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht hätte. Insbesondere sei das Amtsgericht nicht gehalten gewesen, den Kläger bereits vor der mündlichen Verhandlung auf die Bedenken gegen das Feststellungsinteresse hinzuweisen. Mit dem Hilfsantrag bleibe die Berufung mangels Feststellungsinteresses ebenfalls ohne Erfolg.

Die Revision hat das Berufungsgericht nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers.

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 544 ZPO; § 26 Nr. 8 EGZPO). Sie ist auch begründet und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

Das Berufungsgericht hat den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt. Das Grundrecht auf rechtliches Gehör gebietet es, dass sich das Gericht mit allen wesentlichen Punkten des Vortrags einer Partei auseinandersetzt. Indem das Berufungsgericht das Vorbringen des Klägers im Berufungsrechtszug als verspätet zurückgewiesen hat, hat es die Präklusionsvorschrift des § 531 Abs. 2 Satz 1 ZPO offenkundig unrichtig angewandt und dadurch das Grundrecht des Klägers auf rechtliches Gehör vor Gericht (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt. Aufgrund der verfassungsrechtlichen Relevanz des Verfahrensfehlers ist eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 544 ZPO).

1. Das Berufungsgericht hat bei der Anwendung der Vorschriften über die Zulassung neuen Vorbringens im zweiten Rechtszug die hierzu ergangene Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht in ausreichendem Maße berücksichtigt.

a) Zutreffend geht das Berufungsgericht allerdings davon aus, dass es sich bei der Umstellung des Klageantrags von der Feststellungs- auf eine Leistungsklage nicht um eine nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässige Klageänderung (§§ 263, 533 ZPO), sondern lediglich um eine Klageerweiterung (§ 264 Nr. 2 ZPO) handelt und eine solche auch im Berufungsverfahren zulässig ist (§§ 525, 264 ZPO; vgl. BGHZ 158, 295, 306; Senatsurteil vom - VIII ZR 178/93, NJW 1994, 2896, unter 2 b aa; , NJW 1992, 2296, unter II 2; Musielak/Foerste, ZPO, 7. Aufl., § 264 Rdnr. 1, 3). In Rechtsprechung und Schrifttum ist allgemein anerkannt, dass der Übergang von der Feststellungs- zur Leistungsklage eine Klageerweiterung gem. § 264 Nr. 2 ZPO darstellt, wenn sich der neue Antrag auf dasselbe Rechtsverhältnis bezieht (Senatsurteil, aaO., m.w.N; aaO., unter II; Zöller/Greger, ZPO, 28. Aufl., § 264 Rdnr. 3b). Dies ist hier der Fall, denn der Klagegrund - das Bestehen eines höheren Provisionsanspruchs des Klägers - war in der Berufungsinstanz derselbe wie im ersten Rechtszug. Die unbeschränkte Zulässigkeit einer Modifizierung des Klageantrags nach § 264 Nr. 2 oder 3 ZPO auch in der Berufungsinstanz entspricht dem Zweck der Vorschrift, die die prozessökonomische und endgültige Erledigung des Streitstoffs zwischen den Parteien fördern soll; ebenso steht § 533 ZPO einer Anwendung des § 264 ZPO auf das Berufungsverfahren weder nach den Intentionen des Gesetzgebers noch nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift entgegen (vgl. im Einzelnen BGHZ 158, 295, 306 ff.).

b) Bei der Entscheidung über den modifizierten Klageantrag ist das Berufungsgericht nicht gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 1 ZPO an die von dem erstinstanzlichen Gericht zu dem ursprünglichen Klageantrag getroffenen Feststellungen gebunden, sondern darf auf den gesamten erstinstanzlichen Sachvortrag zurückgreifen. Hinsichtlich des neuen Vortrags in der Berufung zu dem neuen Antrag ist § 531 Abs. 2 ZPO anwendbar. In diesem Zusammenhang ist zu prüfen, ob neuer Vortrag der Parteien im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht worden ist, ohne dass dies auf einer Nachlässigkeit beruht (§ 531 Abs. 2 ZPO; vgl. , VersR 2006, 1361, Tz. 26, und VII ZR 191/04, NJW-RR 2006, 390, Tz. 19; BGHZ 158, 295, 308). Jedenfalls soweit neuer Vortrag den unbeschränkt zulässigen erweiterten Klageantrag betrifft, beruht er nicht auf Nachlässigkeit (vgl. aaO.). So liegt der Fall hier. Der vom Berufungsgericht nicht berücksichtigte Vortrag ist deshalb nach §§ 529, 531 ZPO zuzulassen.

2. Bei dem aufgezeigten Verfahrensfehler des Berufungsgerichts handelt es sich nicht um einen einfachen Verstoß gegen die Verfahrensvorschriften, der für sich genommen noch nicht zum Erfolg der Nichtzulassungsbeschwerde führen würde (vgl. , NJW 2005, 2624, unter II 2 b). Mit der unter offenkundig unrichtiger Anwendung des § 531 Abs. 2 ZPO erfolgten vollständigen Zurückweisung des Vortrags des Klägers zu der nunmehr mit dem Hauptantrag geltend gemachten Leistungsklage hat das Berufungsgericht vielmehr das Verfahrensgrundrecht des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt. Zwar verletzt nicht jede fehlerhafte Anwendung von Präklusionsvorschriften zugleich Art. 103 Abs. 1 GG. Verletzt ist Art. 103 Abs. 1 GG jedoch dann, wenn ein Gericht bei der Zurückweisung entscheidungserheblichen Vortrags Präklusionsvorschriften offenkundig rechtsfehlerhaft anwendet (BVerfG NJW 1995, 2980; BVerfGE 69, 145, 149; jeweils m.w.N.).

3. Die Verletzung des Anspruchs des Klägers auf rechtliches Gehör ist entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei der gebotenen Berücksichtigung des auf den Leistungsantrag bezogenen Vorbringens des Klägers zu einer anderen Beurteilung des Falles gekommen wäre (vgl. aaO., unter II 2 c).

III. Der Senat macht von der Möglichkeit der Aufhebung und Zurückverweisung durch Beschluss nach § 544 Abs. 7 ZPO Gebrauch. Das gibt dem Landgericht Gelegenheit, die notwendigen Feststellungen zur Frage des Bestehens und der Höhe des mit der Klage nunmehr geltend gemachten Zahlungsanspruchs zu treffen und dies in einer den Anforderungen des § 540 Abs. 1 Satz 1 ZPO entsprechenden Weise darzustellen.

Fundstelle(n):
HAAAD-35495