Leitsatz
[1] Die dem Antrag auf Restschuldbefreiung beizufügende Abtretungserklärung erstreckt sich in der Regel nicht auf Forderungen des Schuldners aus selbständiger Tätigkeit.
Gesetze: InsO § 287 Abs. 2; InsO § 295 Abs. 2
Instanzenzug: AG Meißen, 3 C 1132/05 vom LG Dresden, 8 S 201/07 vom
Tatbestand
Die Klägerin ist Inhaberin eines Business-Consulting-Unternehmens. Über das Vermögen ihres Sohnes J. N. wurde im Jahr 2002 das Verbraucherinsolvenzverfahren eröffnet. Der Schuldner beantragte Restschuldbefreiung und fügte eine Abtretungserklärung nach § 287 Abs. 2 InsO bei. Nach Ankündigung der Restschuldbefreiung wurde das Insolvenzverfahren am gemäß § 211 InsO eingestellt. Am erörterte N. mit dem Geschäftsführer der Beklagten, die ebenfalls im Bereich der Unternehmensberatung tätig ist, Konditionen einer Tätigkeit für die Beklagte. Für Beratungsleistungen, die N. danach erbrachte, berechnete die Klägerin der Beklagten im Mai 2005 4.083,20 EUR (352 Stunden zu je 10 EUR im Zeitraum vom bis zum zuzüglich 16% USt). Am trat N. alle ihm gegen die Beklagte zustehenden Ansprüche an die Klägerin ab.
Die ursprünglich auf Zahlung von 4.083,20 EUR nebst Zinsen gerichtete und in zweiter Instanz um Provisionsansprüche, die durch die abgerechnete Tätigkeit verdient worden sein sollen, in Höhe von 3.750 EUR erweiterte Klage ist in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.
Gründe
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Die geltend gemachten Ansprüche stünden der Klägerin weder aus eigenem noch aus abgetretenem Recht zu. Nach der in erster Instanz durchgeführten Beweisaufnahme sei ein Vertragsverhältnis zwischen der Klägerin und der Beklagten nicht bewiesen. Die Abtretung von Ansprüchen ihres Sohnes gehe ins Leere, weil dieser die geltend gemachten Ansprüche bereits zuvor an den Treuhänder im Verfahren über die Restschuldbefreiung abgetreten habe. Die Abtretungserklärung nach § 287 Abs. 2 InsO erfasse auch Einkommen des Schuldners im Sinne von § 850 Abs. 2 ZPO. Dazu zählten die in Rede stehenden Vergütungen, weil die zugrunde liegenden Dienstleistungen die Erwerbstätigkeit des N. zu einem wesentlichen Teil in Anspruch genommen hätten. Selbst bei einer engeren Auslegung des § 287 Abs. 2 InsO ergäbe sich der genannte weitere Umfang aus den Erläuterungen des Insolvenzgerichts zu der im konkreten Fall abgegebenen Abtretungserklärung. Es könne mangels entsprechenden Vortrags der Klägerin auch nicht festgestellt werden, dass die Vergütungsansprüche der Abtretung nach § 287 Abs. 2 InsO deshalb nicht unterfielen, weil sie unpfändbar wären. Sofern es sich überhaupt um Einkünfte nach § 850 Abs. 1 ZPO und nicht um solche nach § 850 i ZPO handle, könne nicht ausgeschlossen werden, dass ein unpfändbarer Grundbetrag bei anderen Einkünften des N. in Abzug zu bringen gewesen sei.
II.
Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.
1. Die Revision nimmt hin, dass das Berufungsgericht keine Überzeugung von einem Vertragsschluss zwischen der Klägerin und der Beklagten gewinnen konnte und Ansprüche der Klägerin aus eigenem Recht deshalb verneint hat. Rechtsfehler sind insoweit nicht zu erkennen.
2. Ansprüche der Klägerin aus abgetretenem Recht können jedoch nicht mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung verneint werden, die geltend gemachten, ursprünglich ihrem Sohn zustehenden Forderungen hätten nicht mehr an die Klägerin abgetreten werden können, weil sie bereits zuvor aufgrund der Abtretung nach § 287 Abs. 2 InsO auf den Treuhänder übergegangen seien. Als Forderungen aus selbständiger Tätigkeit wurden sie von der Abtretung nach § 287 Abs. 2 InsO nicht erfasst.
a) Nach § 287 Abs. 2 InsO ist dem Antrag des Schuldners auf Restschuldbefreiung eine Erklärung beizufügen, dass der Schuldner seine pfändbaren Forderungen auf Bezüge aus einem Dienstverhältnis oder an deren Stelle tretende laufende Bezüge für die Zeit von sechs Jahren nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens an einen vom Gericht zu bestimmenden Treuhänder abtritt. Welche Forderungen Gegenstand dieser Abtretung sind, ist im Schrifttum umstritten und höchstrichterlich bisher nicht entschieden.
b) Nach überwiegender Ansicht erstreckt sich die Abtretung nach § 287 Abs. 2 InsO nur auf Bezüge aus abhängiger Tätigkeit. Erzielt der Schuldner hingegen Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit (vgl. zu diesem Begriff , WM 2005, 2191), hat er gemäß § 295 Abs. 2 InsO Zahlungen an den Treuhänder zu leisten (Wenzel in Kübler/Prütting/Bork, InsO § 287 Rn. 9a und § 295 Rn. 14; Uhlenbruck/Vallender, InsO 12. Aufl. § 287 Rn. 29 und § 295 Rn. 65; HmbKomm-InsO/Streck, 3. Aufl. § 287 Rn. 18 und § 295 Rn. 22; HK-InsO/Landfermann, 5. Aufl. § 295 Rn. 8; Graf-Schlicker/Kexel, InsO § 287 Rn. 11 und § 295 Rn. 18; Smid/Haarmeyer, InsO 2. Aufl. § 295 Rn. 9; Hess, Insolvenzrecht § 287 Rn. 62; Nerlich/Römermann, InsO § 295 Rn. 44; Henning in Wimmer/Dauernheim/Wagner/ Weidekind, Handbuch des Fachanwalts Insolvenzrecht 15. Kap. Rn. 58 f; Döbereiner, Die Restschuldbefreiung nach der Insolvenzordnung S. 156; Trendelenburg ZInsO 2000, 437, 438).
c) Nach anderer Meinung können auch Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit unter die Abtretung nach § 287 Abs. 2 InsO fallen, sofern es sich um Einkommen im Sinne von § 850 Abs. 2 ZPO handelt (MünchKomm-InsO/ Stephan, 2. Aufl. § 287 Rn. 38; MünchKomm-InsO/Ehricke, 2. Aufl. § 295 Rn. 103; FK-InsO/Ahrens, 5. Aufl. § 287 Rn. 50 f; Braun/Lang, InsO 3. Aufl. § 287 Rn. 15; Ley in Breutigam/Blersch/Goetsch, Insolvenzrecht § 287 Rn. 30; Schmerbach ZVI 2003, 256, 261 f).
d) Im Grundsatz trifft die erstgenannte Ansicht zu. Einkünfte des Schuldners aus selbständiger Tätigkeit werden von der Abtretung nach § 287 Abs. 2 InsO in der Regel nicht erfasst.
aa) Gegen einen Ausschluss von Einkünften aus selbständiger Tätigkeit lässt sich allerdings anführen, dass nach der Begründung zum Entwurf der Insolvenzordnung die Formulierung "Bezüge aus einem Dienstverhältnis" jede Art von Arbeitseinkommen im Sinne des § 850 ZPO erfasst (BT-Drucks. 12/2443 S. 189 - zu § 236 - i.V.m. S. 136 - zu § 92, a.E. -). Zum Arbeitseinkommen im Sinne von § 850 ZPO zählen nach dessen Absatz 2 auch sonstige Vergütungen für Dienstleistungen aller Art, die die Erwerbstätigkeit des Schuldners vollständig oder zu einem wesentlichen Teil in Anspruch nehmen. Ob solche Einkünfte aus einem abhängigen oder einem freien Dienstverhältnis erzielt werden, ist für die Einordnung als Arbeitseinkommen nach § 850 Abs. 2 ZPO nicht von entscheidender Bedeutung (BGHZ 96, 324, 327; IXa ZB 165/03, NJW-RR 2004, 644).
bb) Im Wortlaut des § 287 Abs. 2 InsO hat dies jedoch keinen Niederschlag gefunden. Die Formulierung "Bezüge aus einem Dienstverhältnis" spricht dafür, dass ein Vertragsverhältnis gemeint ist, das auf eine gewisse Dauer angelegt und mit regelmäßigen Einkünften verbunden ist. Dies ist bei selbständiger Tätigkeit nur ausnahmsweise der Fall. Eine Erweiterung entsprechend § 850 Abs. 2 ZPO auf sonstige Vergütungen für Dienstleistungen aller Art, die die Erwerbstätigkeit des Schuldners vollständig oder zu einem wesentlichen Teil in Anspruch nehmen, fehlt in § 287 Abs. 2 InsO.
cc) Die in § 287 Abs. 2 InsO verwendete Formulierung "Forderungen auf Bezüge aus einem Dienstverhältnis oder an deren Stelle tretende laufende Bezüge" findet sich auch in anderen Vorschriften der Insolvenzordnung (§ 81 Abs. 2 Satz 1, § 89 Abs. 2 Satz 1, § 114 Abs. 1). Argumente für die Bestimmung des Umfangs der Abtretung nach § 287 Abs. 2 InsO lassen sich daraus aber nicht gewinnen. In seinem Urteil vom (BGHZ 167, 363) hat der Bundesgerichtshof bei der Beurteilung, ob Forderungen auf Bezüge aus einem Dienstverhältnis im Sinne von § 114 InsO betroffen sind, nicht für maßgeblich gehalten, ob es sich um Einkünfte aus abhängiger oder aus selbständiger Tätigkeit handelte, sondern darauf abgestellt, dass es sich um Ansprüche handelte, welche die Begründung von Masseverbindlichkeiten voraussetzten (a.a.O. S. 370, Rn. 16). Dieses Kriterium ist jedoch für die Bestimmung des Umfangs der Abtretungserklärung nach § 287 Abs. 2 InsO nicht geeignet, weil diese erst nach der Beendigung des Insolvenzverfahrens wirksam wird.
dd) Leistungen zur Altersversorgung von selbständig Tätigen können als laufende Bezüge von der Abtretung nach § 287 Abs. 2 InsO erfasst sein. Dies rechtfertigt aber nicht den Rückschluss, dass Gleiches auch für Vergütungen aus der selbständigen Tätigkeit gelten muss.
ee) Entscheidend gegen eine Einbeziehung von Einkünften aus selbständiger Tätigkeit in den Umfang der Abtretung nach § 287 Abs. 2 InsO spricht die Gesetzessystematik. Nach § 295 Abs. 2 InsO gehört es zu den Obliegenheiten des Schuldners, der eine selbständige Tätigkeit ausübt, während der Laufzeit der Abtretungserklärung die Insolvenzgläubiger durch Zahlungen an den Treuhänder so zu stellen, wie wenn er ein angemessenes Dienstverhältnis eingegangen wäre. Das Gesetz geht demnach davon aus, dass die Abtretungserklärung nach § 287 Abs. 2 InsO die Einkünfte des selbständig tätigen Schuldners nicht erfasst. Die Begründung zum Gesetzesentwurf, eine Zuweisung der Einkünfte des Schuldners an die Gläubiger im Wege der Vorausabtretung sei im Falle einer selbständigen Tätigkeit nicht möglich, bestätigt dies (BT-Drucks. 12/2443 S. 192 zu § 244).
ff) Dass auch der selbständig tätige Schuldner seinem Antrag auf Restschuldbefreiung eine Abtretungserklärung nach § 287 Abs. 2 InsO beizufügen hat, steht diesem Verständnis nicht entgegen. Denn die Abtretung kann sich auf Ansprüche beschränken, die erst künftig möglicherweise entstehen. Die Verpflichtung zur Vorlage einer Abtretungserklärung ist mithin deshalb sinnvoll, weil der Schuldner während der Laufzeit der Abtretungserklärung von der selbständigen in eine abhängige Tätigkeit wechseln oder beide Tätigkeiten nebeneinander ausüben kann.
e) Ob Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit ausnahmsweise von der Abtretung nach § 287 Abs. 2 InsO erfasst werden, wenn ein Schuldner als "Scheinselbständiger" arbeitnehmerähnlich tätig ist, braucht hier nicht entschieden zu werden. Die Umstände des vorliegenden Falles bieten für eine solche Einordnung keine Anhaltspunkte.
f) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts fallen die von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche auch nicht deshalb unter die vom Schuldner N. gemäß § 287 Abs. 2 InsO erklärte Abtretung an den Treuhänder, weil in dem von ihm unterzeichneten Abtretungsformular die Formulierung "Bezüge aus einem Dienstverhältnis" dahin erläutert war, dass sie - entsprechend der Formulierung in § 850 Abs. 2 ZPO - auch sonstige Vergütungen für Dienstleistungen aller Art, die die Erwerbstätigkeit des Schuldners vollständig oder zu einem wesentlichen Teil in Anspruch nehmen, umfasse. Denn zugleich war in dem Abtretungsformular auf die Vorschrift des § 295 Abs. 2 InsO Bezug genommen. Im Übrigen ist die Abtretungserklärung des Schuldners vorrangig als Prozesserklärung zu verstehen und im Zweifel danach auszulegen, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der recht verstandenen Interessenlage der Partei entspricht. Geht die Erklärung hinsichtlich des Umfangs der abgetretenen Forderungen über die gesetzlichen Anforderungen hinaus, ist sie so auszulegen, dass der Schuldner die Restschuldbefreiung entsprechend den jeweils gültigen gesetzlichen Bestimmungen anstrebt (, WM 2006, 1781, 1782).
g) Erstreckte sich die Abtretungserklärung nach § 287 Abs. 2 InsO sonach nicht auf die von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche, kommt es nicht darauf an, inwieweit diese möglicherweise unpfändbar und deshalb von der Abtretung ausgeschlossen waren und ob ein Schreiben des Treuhänders vom , mit dem er dem Schuldner N. mitteilte, die von der Klägerin geltend gemachten Forderungen seien als Zahlungsansprüche aus einer selbständigen Tätigkeit nicht von der Abtretung nach § 287 Abs. 2 InsO erfasst, eine Rückübertragung der Ansprüche auf den Schuldner enthält.
III.
Das angefochtene Urteil kann damit keinen Bestand haben. Es ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Beklagte die geltend gemachten Forderungen nach Grund und Höhe bestreitet und das Berufungsgericht hierzu bisher keine Feststellungen getroffen hat, ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
NJW-RR 2010 S. 1142 Nr. 16
NWB-Eilnachricht Nr. 52/2009 S. 4072
StuB-Bilanzreport Nr. 9/2010 S. 372
WM 2010 S. 127 Nr. 3
AAAAD-34495
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja